Bettina Wulff stellt UNICEF-Report 2011 "Kinder vor Gewalt schützen" vor

Schwerpunktthema: Bericht

30. Juni 2011

Schirmherrin von UNICEF Deutschland bei Jahrespressekonferenz am 30. Juni 2011 in Berlin

Bettina Wulff bei der Vorstellung des UNICEF-Reports 2011

Bettina Wulff hat auf der Jahrespressekonferenz von UNICEF Deutschland am 30. Juni in Berlin den UNICEF-Report 2011 "Kinder vor Gewalt schützen" vorgestellt. In nur 29 von rund 200 Staaten ist Gewalt gegen Kinder vollständig verboten und auch in Deutschland sind Kinder von Gewalt betroffen, obwohl hier das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung gesetzlich festgeschrieben ist.

In ihrer Ansprache rief Bettina Wulff, Schirmherrin von UNICEF Deutschland, dazu auf, Kinder gegen Gewalt stark zu machen. Das bedeute, sie zu achten, ihnen zuzuhören und sie ernstzunehmen. Die vollständige Ansprache von Bettina Wulff:

(Änderungen vorbehalten. Es gilt das gesprochene Wort.)

Verehrte Damen und Herren,

auch ich als Schirmherrin freue mich, dass Sie der Einladung von UNICEF Deutschland gefolgt sind und begrüße Sie recht herzlich.

Ich möchte mit einer kurzen Geschichte beginnen, die Astrid Lindgren vor dreißig Jahren erzählt hat. Sie schildert darin, wie eine Mutter auf ihren kleinen Sohn wütend ist.

Er hatte etwas getan, wofür er ihrer Ansicht nach eine Tracht Prügel verdient hätte. Daher schickte sie ihn in den Garten einem Stock suchen, mit dem sie ihn bestrafen wolle. Der kleine Junge blieb lange fort. Dann kam er weinend zurück und sagte: „Ich habe keinen Stock gefunden. Aber hier hast du einen Stein, den du nach mir werfen kannst.“ Plötzlich sah die Frau alles mit den Augen des Kindes. Es hatte sich gesagt, ´meine Mutter will mir wehtun und ich muss ihr dabei helfen´. Ihr wurde schlagartig bewusst, was sie da gerade tun wollte. Sie war verzweifelt und schämte sich. Nie wieder - und sollte der Ärger noch so groß sein- sollte die Wut stärker sein als die Zuneigung zu ihrem Kind. Den Stein legte sie zur Erinnerung und Mahnung auf ein Bord in der Küche.

Der UNICEF-Report 2011, den wir ihnen heute vorstellen, ist ein solcher Stein auf dem Küchenbord.

Er macht darauf aufmerksam, was Erwachsene aus Gleichgültigkeit, unkontrollierter Wut, Selbstsucht oder Überforderung bei Kindern anrichten können. Diese Phänomene kommen in allen Ländern vor, in allen gesellschaftlichen Gruppen - auch in Ländern wie Deutschland, in denen das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung gesetzlich festgeschrieben ist.

Beispiele gibt es leider viele: sei es eine Ohrfeige oder sexuelle Übergriffe. Aber auch beleidigende und demütigende Fotos eines Schülers, die plötzlich auf Facebook auftauchen und für jedermann sichtbar hämisch kommentiert werden. Oder Eltern, die ihr dreijähriges Kind acht Stunden vor dem Fernseher sitzen lassen, weil sie glauben, dass es so sprechen lernt.

Gewalt gegen Kinder und Jugendliche kann viele Gesichter annehmen. Und es gibt leider keine einfachen Antworten darauf.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema fällt nicht leicht. Aber wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, denn die Folgen für die betroffenen Kinder sind gravierend:

Misshandlungen erzeugen zum Beispiel – besonders in den ersten Lebensjahren - starken Stress, der die Entwicklung des Gehirns trifft. Das Nervensystem und das Immunsystem können schwer geschädigt werden.

Gleichgültigkeit und emotionale Vernachlässigung sind genauso schrecklich. Die Kinder können anderen Menschen nur noch schwer vertrauen, sie ziehen sich zurück.

Daraus können sich in späteren Jahren Verhaltensprobleme ergeben. Aggressivität oder Risikoverhalten stehen häufig im Zusammenhang mit Gewalterfahrungen. Tatsächlich ist es so, dass viele Erwachsene, die Gewalt gegen Kinder ausüben, diese selbst als Kinder erfahren haben.

Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, müssen die Risikofaktoren erkannt und besser verstanden werden, um dann präventive Maßnahmen auszubauen und zu stärken.

Kinder sind besonders gefährdet, wenn sie klein sind, ungewollt sind oder eine Behinderung haben.

Manche Mütter und Väter haben Probleme, eine Beziehung zu ihrem neugeborenen Baby aufzubauen – auch weil sie selbst sich nie auf ihre Eltern verlassen konnten.

Viele Eltern wissen nicht, was Kinder für ihre Entwicklung brauchen. Oder sie haben falsche Vorstellungen davon.

Auch psychische Probleme von Eltern sind sehr belastend für Kinder. Wenn Väter und Mütter zur Flasche greifen oder harte Drogen nehmen ist dies ein Alarmsignal.

Streit und handfeste Auseinandersetzungen in Familien, Isolation, schlechte Wohnverhältnisse und Arbeitslosigkeit sind weitere Belastungsfaktoren.

UNICEF ist es deshalb sehr wichtig, dass die Diskussion über den Umgang mit Gewalt und den besseren Schutz von Kindern vorangetrieben wird. Die UN-Sonderbeauftrage zu Gewalt gegen Kinder, Marta Santos Pais, leistet hierzu einen wichtigen Beitrag. Sie hilft Regierungen, Strategien und Gesetzgebung zu verbessern und ermutigt auch Kinder und Jugendliche selbst für ihre Rechte einzutreten.

Sie regt auch verstärkte Forschungen zu den Ursachen und Erscheinungsformen der Gewalt gegen Kinder an. Denn hieran mangelt es überall.

Durch die Arbeit der Kinderrechtsorganisationen ist in den meisten Ländern das Bewusstsein für die individuellen und gesellschaftlichen Folgen von Kindesmisshandlungen in den vergangenen Jahren gewachsen. Hausbesuche gehören schon zur Arbeit vieler Jugendämter und Sozialbehörden. Und es ist ein Fortschritt, dass künftig ein Amtsvormund nur noch 50 Kinder gleichzeitig betreuen darf und sie regelmäßig sehen muss.

Für eine bessere Prävention ist jedoch eine stärkere Vernetzung von Institutionen und Organisationen notwendig. Es ist gut, dass unter anderem die Rolle der Familienhebammen gestärkt werden soll. Denn genau diese sind es, die früh und sehr nah mit Risikofamilien arbeiten und dabei eng mit den kommunalen Strukturen und Ämtern vernetzt sind. Die Familienhebammen können so auch den Weg bereiten zur weiterer Beratung und Begleitung von Familien.

Spätestens seit der Debatte über Missbrauch in Schulen und Einrichtungen wurde auch erkannt, dass es mehr qualifiziertes Personal und Anlaufstellen für bedrohte Kinder und Jugendliche geben muss.

All dies sind sinnvolle Maßnahmen. Aber sie kosten Geld. Hier ist noch mehr Überzeugungsarbeit nötig, damit die Kommunen in die Lage versetzt werden, tragfähige Strukturen zu schaffen.

UNICEF leistet dazu mit diesem Report einen wichtigen Beitrag.

Kinder müssen stark gemacht werden gegen Gewalt. Das bedeutet, dass wir sie achten, ihnen zuhören und sie ernst nehmen – überall auf der Welt.

Dies gilt umso mehr, wenn ein Verdacht besteht, dass ein Kind Opfer von Vernachlässigung, Misshandlungen oder Missbrauch sein könnte.

Vielen Dank.