UNICEF-Neujahrsgespräch

Schwerpunktthema: Bericht

24. Januar 2012

UNICEF-Schirmherrin Bettina Wulff hat am
24. Januar in Schloss Bellevue dazu aufgerufen, mehr für Kinder in Deutschland zu tun. Anlass war das Neujahrsgespräch "Was Kinder stark macht" mit Experten aus Wissenschaft, Politik und der Kinder- und Familienhilfe.

Bettina Wulff bei ihrer Begrüßungsansprache beim UNICEF-Neujahrsgespräch

UNICEF-Schirmherrin Bettina Wulff hat am 24. Januar 2012 dazu aufgerufen, mehr für Kinder in Deutschland zu tun. Anlass war das Neujahrsgespräch in Schloss Bellevue, bei dem sich Experten aus Wissenschaft, Politik und aus der Praxis der Kinder- und Familienhilfe unter dem Motto „Was Kinder stark macht“ zu einem Gespräch trafen. Im Mittelpunkt stand dabei der UNICEF-Bericht zur Lage von Kindern in Deutschland 2011/2012.

„Deutschland muss kindergerechter gestaltet werden“, sagte Bettina Wulff in ihrer Begrüßungsansprache vor den rund 100 Gästen im Großen Saal von Schloss Bellevue. „Kinder werden in Deutschland leider allzu oft als Störfaktoren wahrgenommen. Wenn Kinder fühlen, dass sie wertgeschätzt werden, so lernen sie gleichzeitig auch, andere wertzuschätzen.“

UNICEF betonte anlässlich des Neujahrsgesprächs, den Rechten von Kindern in Deutschland insgesamt mehr Nachdruck zu verleihen. Kinder und Jugendliche müssten auch stärker darin unterstützt werden, sich selbst für ihre Anliegen zu engagieren

Bettina Wulff ist seit Dezember 2010 Schirmherrin des Kinderhilfswerkes UNICEF.

Bettina Wulff diskutiert mit Experten aus Wissenschaft, Politik und aus der Praxis der Kinder- und Familienhilfe beim UNICEF-Neujahrsgespräch

Ansprache von Bettina Wulff:

Ich heiße Sie sehr herzlich hier in Schloss Bellevue zum Neujahrsgespräch willkommen und möchte gleich zum Thema kommen: Was macht Kinder stark? Was können wir tun, damit alle Kinder in Deutschland gleiche Chancen für ein gutes Großwerden bekommen? Diese Fragen sollen im Mittelpunkt der heutigen Diskussion stehen.

Wir, das heißt, UNICEF und ich, freuen uns sehr, dass heute so viele kompetente Vertreterinnen und Vertreter aus den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft der Einladung gefolgt sind und wir gemeinsam diskutieren und hoffentlich auch nach Lösungsansätzen schauen können.

Sie alle setzen sich täglich aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln dafür ein, Kinder stark zu machen: in der Praxis der Familienhilfe, als Unternehmer, als Politiker, als Wissenschaftler, in Verbänden oder Ministerien.

Was macht Kinder stark?

Das Wort „stark“ hören und lesen wir oft. In Bezug auf den Menschen benutzen wir es meist, um seine Persönlichkeit zu beschreiben. Eine „starke Persönlichkeit“, das verbinden wir mit Charakter, Intelligenz, Teamfähigkeit, Souveränität und Vertrauen.

Aber starke Persönlichkeiten werden nicht als solche geboren, es ist eine Entwicklung, die in der Kindheit beginnt.

Im frühen Kindesalter beginnen Kinder bewusst, ihre Individualität wahrzunehmen. Sie stellen fest: so wie ich bin, ist niemand anderes. Im Äußeren, die Stimme, die Bewegungen – jeder ist anders. Auch im Charakter. Die eine sucht die Nähe der Anderen zum Spielen, der andere bleibt lieber für sich. Kinder entwickeln ihre inneren Stärken, gewinnen ihre eigenen Ansichten und bilden so ihre Persönlichkeit.

Diese innere Entwicklung kann nur gelingen, wenn sie von außen gestärkt wird.

Dazu gehören Menschen, auf die sich Kinder verlassen können und zu denen sie eine tiefe Bindung haben. Eltern, Geschwister, Verwandte, Erzieherinnen, Erzieher und Freunde.

Verlässlichkeit und Liebe sind Grundlage dafür, dass die Kinder Achtung vor sich selbst und vor anderen entwickeln können. Wenn Kinder fühlen, dass sie wertgeschätzt werden, lernen sie gleichzeitig auch, andere wertzuschätzen.

Für Eltern bedeutet das, den Mut aufzubringen, das eigene Kind auch Kind sein zu lassen, Kinder nicht als Zielerreichung im eigenen durchgeplanten Lebenslauf zu betrachten und ihn oder sie nicht den eigenen Vorstellungen unterzuordnen, sondern das eigene Kind als unverwechselbaren Menschen anzunehmen und anzuerkennen.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das oft leichter gesagt ist als getan. Denn alle, die Kinder haben, wissen, wie schwer es manchmal ist, wie viel Nerven und Kraft es kostet, die dafür notwendige Geduld aufzubringen. Erst recht, wenn Alltagssorgen die Oberhand gewinnen.

Für die Entwicklung des Kindes ist neben den Eltern auch sein soziales Umfeld wichtig, beispielsweise der Kindergarten. Kinder sind neugierig. Sie beobachten, sie machen nach, sie begreifen. Andere Kinder dienen da als Vorbild und spornen an.

Im Kindergarten lernen sie aber auch, dass es in der Gemeinschaft mit anderen Regeln gibt, die es zu befolgen gilt. Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung beispielsweise hat das Programm „Demokratie von Anfang an“ ins Leben gerufen. Ziel ist es, dass Kinder bereits in der Kita eine demokratische Alltagstruktur erleben können. Die Kinder können an Entscheidungen mitwirken und somit gestalten.

Wenn es um die Frage geht, ob es einen Ausflug gibt oder nicht, werden Argumente ausgetauscht und abgestimmt. Die Kinder lernen so, dass sie ihre Meinung in Worte fassen und aussprechen müssen, wenn sie etwas wollen. Und sie erfahren auch, dass man genauso beschlossene Entscheidungen zu akzeptieren hat.

So gestärkt können sie in die Schule starten. Und diese Stärke hilft ihnen, in der Schule besser zu bestehen. Weil sie bereits in Kinderjahren erlebt haben, dass sie wertvoll sind, können sie erkennen, dass es auch andere Meinungen im Leben gibt. Und dass es Spaß macht, Anderes und Neues zu lernen.

Hier muss unsere Gesellschaft unsere Kinder unterstützen. Denn wir können es uns nicht leisten, dass Jugendliche sich ohne Schulabschluss perspektivlos fühlen. Das ist diesen Jugendlichen gegenüber verantwortungslos. Und wir als Gesellschaft können das nicht so hinnehmen.

Ich werde oft gefragt, ob Deutschland ein kinderfeindliches Land sei. Meiner Meinung nach wird nach wie vor mehr über Kinderfeindlichkeit geredet als dagegen getan. Das Problem scheint mir eher ein anderes: wir sind Kinder-entwöhnt.

Ein Beispiel, wie es vielen Frauen widerfährt, bevor ein Kind überhaupt geboren ist: Stellen Sie sich die junge Frau vor, die zu ihrem Chef ins Büro geht, um ihm mitzuteilen, dass sie schwanger ist.

Nur wenige Vorgesetzte werden spontan und ehrlich sagen „Toll, ich freu mich für Sie. Das kriegen wir gemeinsam hin“ oder „Wann wollen Sie denn wieder zurück und wieder in ihren Job einsteigen?“. Im Gesicht stehen dann meistens eher die unausgesprochenen Fragen: „Muss das sein?“ und „Wer macht dann die Arbeit hier?“.

Kinder werden nur allzu oft als Störfaktoren gesehen, denn als unglaublicher Gewinn, der sie eigentlich sind.

Jeder, der Kinder hat, weiß: Kinder können nicht warten. Das gilt auch für unsere Gesellschaft. Wir können nicht länger warten, um uns um die Kinder in unserem Land zu kümmern.

Damit Kinder stark werden, brauchen sie starke Eltern. Sie brauchen eine starke Gesellschaft, die ohne Einschränkung ja zu ihnen sagt, sie stützt und fördert. Denn das Wohlbefinden von Kindern und die Verwirklichung ihrer Rechte sind entscheidend für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.

Ich lade Sie jetzt heute ganz herzlich ein, Ihre Erfahrungen und ihre Sichtweisen einzubringen und freue mich sehr auf Ihre Beiträge.

Vielen Dank!