UNICEF-Neujahrsgespräch

Schwerpunktthema: Bericht

2. Februar 2016

Daniela Schadt hat am 2. Februar als Schirmherrin von UNICEF zum Neujahrsgespräch "Kinder aus Krisenregionen – wie verhindern wir eine verlorene Generation" in das Schloss Bellevue eingeladen. In ihrer Ansprache sagte Daniela Schadt: "Bildung und psychosoziale Hilfen sind für die Entwicklung eines Kindes genauso lebenswichtig wie ein Dach über dem Kopf, Nahrung und Wasser."

Daniela Schadt hat am 2. Februar als Schirmherrin von UNICEF zum Neujahrsgespräch "Kinder aus Krisenregionen – wie verhindern wir eine verlorene Generation" in das Schloss Bellevue eingeladen. Vertreterinnen und Vertreter aus Kinderrechts- und Hilfsorganisationen sowie der Medien diskutierten die Frage, wie Kindern und Jugendlichen aus Konfliktgebieten eine gute Zukunftsperspektive ermöglicht werden kann.

In ihrer Ansprache sagte Daniela Schadt: "Bildung in Zeiten des Krieges ist kein 'Luxus'. Im Gegenteil sind Bildung und psychosoziale Hilfen für die Entwicklung eines Kindes genauso lebenswichtig wie ein Dach über dem Kopf, Nahrung und Wasser."

Ansprache von Daniela Schadt:

Seien Sie herzlich willkommen zum fünften UNICEF-Neujahrsgespräch in Schloss Bellevue, bei dem wir uns einer Frage widmen möchten, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von UNICEF und anderen Hilfsorganisationen weltweit und täglich beschäftigt: Wie verhindern wir, dass Kinder aus Kriegsgebieten ohne Perspektiven und damit zu einer verlorenen Generation heranwachsen?

Auch hier in Deutschland beschäftigen wir uns mit den Herausforderungen, vor die der Zuzug der vielen Flüchtlinge den Staat und die ganze Gesellschaft stellt. Gleichzeitig richten wir unseren Blick noch aufmerksamer als zuvor auf die Verhältnisse in den Herkunftsländern der Geflohenen, auf die Ursprünge dieser größten Fluchtbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg.

Zunächst aber noch ein kurzer Blick auf die grausamen Zahlen und Fakten: Jedes neunte Kind auf der Welt – rund 250 Millionen sind es insgesamt – wächst derzeit in einer Konfliktregion auf. Hinter dieser gewaltigen Zahl stehen 250 Millionen einzelne Schicksale von Mädchen und Jungen, die Gewalt und Flucht erleben mussten, die oft nicht genug zu essen und zu trinken haben, die nur schlecht medizinisch versorgt werden und die allzu häufig jahrelang nicht zur Schule gehen können.

Konkret denken wir dabei zum Beispiel an die über 200 Mädchen, die vor mittlerweile fast zwei Jahren von Terroristen aus der nigerianischen Stadt Chibok entführt wurden – von den meisten fehlt immer noch jede Spur. Oder an jene Kinder, die in der belagerten syrischen Stadt Madaja seit Monaten hungern müssen. Besonders eindrücklich blieb mir das Bild des Jungen in Erinnerung, dem auf dem Weg zum Gras-Sammeln beim Tritt auf eine Mine beide Beine zerfetzt wurden. Das Gras wollte er essen.

Kinder in Krisengebieten – das sind aber auch die Millionen von Mädchen und Jungen in Ländern wie Somalia, in der Zentralafrikanischen Republik, im Irak und im Jemen, über deren Schicksal bei uns im Allgemeinen wenig berichtet wird, über die kaum Informationen zu uns durchdringen.

Wir wissen: Es besteht die Gefahr, dass eine ganze Generation von Kriegskindern Gewalt als etwas alltägliches, ja fast "normales" wahrnehmen muss und ohne Perspektiven aufwächst. UNICEF hat dieses Risiko erkannt und in seinem vor wenigen Tagen veröffentlichten weltweiten Nothilfe-Aufruf erstmals ein Viertel des für Nothilfe benötigten Geldes für Bildung und psychosoziale Hilfen eingeplant. Bildung in Zeiten des Krieges ist kein "Luxus". Im Gegenteil sind Bildung und psychosoziale Hilfen für die Entwicklung eines Kindes genauso lebenswichtig wie ein Dach über dem Kopf, Nahrung und Wasser.

Dies wurde mir selbst vor wenigen Tagen erst wieder sehr bewusst, als ich mit UNICEF in die Ukraine, nach Kharkiv, gereist bin. Danke an dieser Stelle an Sie, lieber Herr Dr. Heraeus, dass Sie mich dorthin begleitet haben.

Aus der Ferne betrachtet entsteht leicht der Eindruck, dass sich die Lage in der Ostukraine weitgehend beruhigt hat, der Konflikt sozusagen "eingefroren" wurde. Von Mitarbeitern ukrainischer Hilfsorganisationen hörte ich dagegen, dass es in der "Grauen Zone" entlang der umkämpften Gebiete keinen einzigen wirklich friedlichen Tag gibt. Die dort noch verbliebenen Menschen, darunter viele Kinder, hören regelmäßig Geschützfeuer, sind zudem Gefahr durch Landminen ausgesetzt und leiden unter schlechter Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser, Strom und Heizung, medizinischer Versorgung.

An politisch stabilen Orten wie Kharkiv hingegen ist das Leid der geflüchteten Menschen zunächst nicht sichtbar, aber es ist trotzdem da. Geflohene Kinder und Eltern tragen die Last der Erlebnisse mit sich. Jelena, eine Mutter aus Perwomaisk im Gebiet Lugansk stammend, berichtete mir von ihrer 15-jährigen Tochter, der durch die Belastungen der Flucht plötzlich graues Haar wuchs.Schulpsychologen schilderten Fälle von Flüchtlingskindern, die plötzlich wieder einnässten, die übermäßig aggressiv reagierten, oder die sich "wie ein Igel" ganz in sich selbst zurückzögen. Wie wichtig ist es für diese Kinder, dass UNICEF in Familienzentren und Schulen Lehrer, Betreuer und Sozialarbeiter auf dem Gebiet der psychosozialen Hilfe schult.

Diese Unterstützung kommt Flüchtlingsfamilien, aber ebenso den aufnehmenden Gemeinden zugute. Werden zusätzliche Kindergartenplätze eingerichtet oder erhält ein Heim für Kinder mit Behinderung Ausstattungshilfe, weil es nach Evakuierungen aus dem Osten zusätzliche Betten aufstellt – dann dient dies auch dem sozialen Frieden und dem Zusammenhalt der gesamten Gemeinschaft.
Eine Psychologin, mit der ich sprach, brachte es so auf den Punkt: "Integration bedeutet Stress – für die neu Hinzugekommenen, aber auch für jene, die sie bei sich aufnehmen." Es ist wichtig, dass wir uns beider Seiten annehmen.

Ich habe erfahren: Mit der richtigen Hilfe und Unterstützung sind Kinder in der Lage, ihre traumatischen Erlebnisse zwar nicht zu vergessen, aber doch bis zu einem gewissen Punkt hinter sich zu lassen und nach vorne zu blicken. Besonders gerührt hat mich zum Beispiel die 14-jährige Margarita. Sie war vor einem Jahr aus der Ostukraine geflohen, möchte aber nicht als Geflüchtete bezeichnet werden – sie sei jetzt "eine von hier" – also in Kharkiv zu Hause –, hat neue Freunde, geht in die 9. Klasse und möchte später Anwältin werden.

Als UNICEF-Schirmherrin ebenso wie als Journalistin bewegen mich zwei Fragen immer wieder sehr. Erstens: Hinter der großen Zahl an Menschen auf der Flucht stecken unglaubliche Einzelschicksale, verbergen sich Menschen, die mit Beharrungsvermögen und oft großem Mut ihr Schicksal in die Hand nehmen, sehr häufig um wenigstens ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Wie kann es uns gelingen, die Schicksale dieser Menschen über die Medien mehr Bürgerinnen und Bürgern nahe zu bringen? Und die zweite, vielleicht noch wichtigere Frage: Wie kann es uns gelingen, auch dann noch Hilfe zu mobilisieren, engagierte Helfer zu finden, genug Geld aufzutreiben, wenn diese Konflikte länger dauern als die mediale Aufmerksamkeitsspanne?

Zu diesen Fragen erhoffe ich mir nun in der Diskussion einige interessante Meinungen. Es ist schön, dass Sie alle da sind.