Besuch des Vereins "Rückblende – Gegen das Vergessen"

Schwerpunktthema: Bericht

15. Januar 2017

Daniela Schadt hat am 15. und 16. Januar den Verein Rückblende Gegen das Vergessen in Volkmarsen (Nordhessen) besucht, um die Erinnerungsarbeit des Vereins zu würdigen und sich für den Erhalt eines jüdischen Ritualbades (Mikwe) aus dem 15. Jahrhundert einzusetzen. Der Verein Rückblende Gegen das Vergessen möchte die Mikwe durch Ankauf des Hauses für die Öffentlichkeit erhalten.


Daniela Schadt hat am 15. und 16. Januar den Verein Rückblende Gegen das Vergessen in Volkmarsen (Nordhessen) besucht, um die Erinnerungsarbeit des Vereins zu würdigen und sich für den Erhalt eines jüdischen Ritualbades (Mikwe) aus dem 15. Jahrhundert einzusetzen.

Es ist mir wichtig, die Mikwe für unsere Kinder und Jugendlichen zu erhalten, die zwar alle – und das begrüße ich ausdrücklich – durch Schule, Kirche und Elternhäuser über die Zeit der NS Diktatur und den Holocaust informiert werden, die aber oft wenig darüber wissen, wie sich das jüdische Leben vor und nach der Shoa in Deutschland entfaltet hat. Und vor allem, wie es sich auch außerhalb der großen Zentren entfaltet hat. ist Daniela Schadt überzeugt.

Der Verein Rückblende Gegen das Vergessen tritt ein für Toleranz und Achtung der Menschenwürde, gegen Gewalt, Rassenhass und Ausgrenzung von Minderheiten. Der Verein will zum Nachdenken anregen und vor allem im Dokumentations- und Informationszentrum Geschichtswerkstatt Rückblende durch die Vermittlung historischen Wissens die persönliche Urteilsfähigkeit der Besucherinnen und Besucher stärken. Ziel des Vereins ist es, dass es keine weißen Flecken mehr in der regionalen Geschichtsschreibung gibt und dass ein Verdrängen, Vergessen, Verfälschen und Verleugnen wesentlicher Teile der Geschichte nicht mehr möglich ist.

Im Jahr 2013 wurde nach langer Suche in einem alten Haus im Zentrum von Volkmarsen unter einem Kellergewölbe ein jüdisches Ritualbad gefunden. Es handelt sich um eine sogenannte Schachtmikwe aus dem 15. Jahrhundert und die tiefste Mikwe in Hessen, die immer noch mit Wasser gefüllt ist. Der Verein Rückblende Gegen das Vergessen möchte die Mikwe durch Ankauf des Hauses für die Öffentlichkeit erhalten.

Ansprache von Daniela Schadt:

Änderungen vorbehalten. Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr gerne bin ich Ihrer Einladung zum Neujahrsempfang nachgekommen, um mir anzuschauen, was Sie mit dem Verein Rückblende Gegen das Vergessen e.V. Volkmarsen bereits an Erinnerungsarbeit geleistet haben und vor allem, was Sie mit dem Erhalt der Mikwe für die Öffentlichkeit noch erreichen wollen. Geld habe ich zwar keines dabei, aber ich bringe Ihnen aus Berlin herzliche Grüße des Bundespräsidenten und gute Wünsche für das neue Jahr mit.

Unsere ehrenamtliche Arbeit verstehen wir als persönliche Antwort auf Extremismus und jede Form von Intoleranz, so beschreibt Herr Klein in seinem kürzlich erschienenen Buch aber es ist besser als Butterbrot in D. die Motivation, die ihn und den Verein seit den frühen 1990er Jahren antreibt. Ziel sei es, Wissen zu vermitteln, zum Nachdenken anzuregen und durch die Weitergabe historischen Wissens die persönliche Urteilsfähigkeit zu stärken. Und es ist in der Tat außergewöhnlich und für die Region und ganz Hessen etwas Besonderes, was Herr Klein seit 1985 mit seinem Einsatz gegen das Vergessen alles erreicht hat und hoffentlich noch erreichen wird.

Ausdrücklich nennen möchte ich in diesem Zusammenhang auch Brigitte Klein. Frau Klein unterstützt ihren Gatten unermüdlich in all seinen Vorhaben und fungiert seit 1999 als Schriftführerin im Verein. Darüber hinaus trägt sie mit außerordentlich hohem persönlichem und zeitlichem Aufwand entscheidend dazu bei, die ideellen Zielsetzungen des Vereins in praktische Maßnahmen umzusetzen. Nicht umsonst wurde die Arbeit des Ehepaars Klein bereits mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigt und im August 2008 durch Bundespräsident Horst Köhler mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland geehrt. Dieser Würdigung möchte ich mich gerne anschließen und dem Ehepaar Klein für sein herausragendes bürgerschaftliches Engagement danken. In meinen Dank möchte ich den Verein Rückblende Gegen das Vergessen e.V. Volkmarsen mit seinen inzwischen 158 Mitgliedern einschließen.

Anfang der 1990er Jahre musste Herr Klein feststellen, dass sein Ansinnen, die jüdischen Vertriebenen und Holocaustüberlebenden aus der Region aus allen Teilen der Welt in Volkmarsen zusammenbringen zu wollen, an den finanziellen Möglichkeiten der Emigrantinnen und Emigranten zu scheitern drohte. Da hätten die meisten Menschen wohl bedauernd mit den Schultern gezuckt und die Pläne ad acta gelegt. Nicht so Ernst Klein: Kurz entschlossen gründete er mit seiner Frau und weiteren 20 Gleichgesinnten den Verein Rückblende Gegen das Vergessen e.V. Volkmarsen und konnte mit großem Engagement die Reisekosten für 28 Gäste aus aller Welt finanzieren. Allein diese erste Einladung war für viele der Überlebenden eine besondere Geste. So dankte Frau Adi Zarkover (geborene Rothschild) nach ihrer Rückkehr aus Volkmarsen Familie Klein mit den folgenden Worten: Meine besondere Anerkennung gilt Ihnen für all die Liebe, Aufmerksamkeit und Zeit und Aufopferung für eine Schuld, die begangen wurde, als Sie überhaupt noch nicht geboren waren.

Ilse Lichtenstein-Mayer und Reinhard Mayer schrieben 1996: Liebe Freunde, wir kamen hierher mit großer Angst, nicht wissend, was wir erwarten sollten. Am zweiten Tag unseres Besuches wussten wir, dass alles in Ordnung sein würde, dass wir eine ganze Gruppe neue Freunde gefunden haben. Dank Ihnen allen, dass Sie die Erinnerung am Leben halten. Wir werden Ihre Freundlichkeit für immer schätzen.

Aber diese erste Einladung war nur der Anfang einer lange andauernden Besuchsreihe. Sie hatte nicht nur lebendige, freundschaftliche Beziehungen mit den Gästen zur Folge, sondern offenbar auch den Forschungsdrang und den Wunsch nach Aufarbeitung bei Herrn Klein weiter motiviert. Es folgten der ehrenamtliche Auf- und Ausbau der Geschichtswerkstatt Rückblende mit der Dauerausstellung Deutsch-Jüdisches Leben in unserer Region im Laufe der Jahrhunderte. Auf dem 1938 von nationalsozialistischen Gewalttätern verwüsteten jüdischen Friedhof wurde mit dem Bau einer Mauer der Erinnerung sowie des Platzes der gegenseitigen Achtung ein weiterer Ort des Gedenkens an die ermordeten jüdischen Bürger der Stadt geschaffen.

Beiden Initiativen lag ein Ziel zugrunde: Es soll keine weißen Flecken mehr in der regionalen Geschichtsschreibung geben und das Verdrängen wesentlicher Teile unserer Geschichte soll nicht mehr möglich sein. Alles nur rückwärts gewandt? Nein, es geht nicht nur um das Abtragen einer alten Schuld: Es ist unsere gemeinsame Geschichte. Es geht um die Selbstverständlichkeit des Zusammenlebens. Der Umgang mit der Geschichte baut Brücken, die auf beiden Seiten Erstarrung löst. Die Hessische Landeszentrale für Politische Bildung unterstützt daher das Engagement des Vereins zu Recht als – und ich zitiere – nicht nur historisch-politische Bildungsarbeit (...) sondern auch als umfangreiche Aufklärungsarbeit gegen Extremismus und Intoleranz.

Und dass dieses Ziel nun weitergeführt oder anders formuliert, um das bisher Erreichte um einen nicht nur symbolischen Ort der Begegnung und Aufklärung zu erweitern, will der Verein nun das Haus im Steinweg 24 erwerben. Denn dieses Haus beherbergt etwas Besonderes, das es unbedingt zu erhalten gilt: Herr Klein und seine Mitstreiter haben dort 2013 nach langer Recherche eine Schachtmikwe aus dem 15. Jahrhundert entdeckt. Es ist die tiefste Mikwe in Hessen, die immer noch mit Wasser gefüllt ist. Das religiöse Kultbad im Steinweg 24 legt Zeugnis ab über das jüdische Leben in der Region vor 500 Jahren und ist damit auch eine erhaltenswerte Ergänzung zu beiden jüdischen Museen in Frankfurt, in denen das Leben der Juden in einer Großstadt thematisiert wird. Mir wurde versichert, dass alle bisherigen Besucherinnen und Besucher – wie z.B. Denkmalpfleger, Historiker, Archäologen und andere Fachleute – mit Nachdruck die besondere Bedeutung dieses für die ganze Region einzigartigen Kulturdenkmals hervorgehoben haben.

Deshalb ist es wichtig, das Haus im Steinweg 24 für unsere Kinder und Jugendlichen zu erhalten, die zwar alle – und das begrüße ich ausdrücklich – durch Schule, Kirche und Elternhäuser über die Zeit der NS-Diktatur und den Holocaust informiert werden, die aber oft wenig darüber wissen, wie sich das jüdische Leben vor und nach der Shoa in Deutschland entfaltet hat. Und vor allem, wie es sich auch außerhalb der großen Zentren entfaltet hat.

Dort kann auch mit Ihrer Hilfe und Unterstützung ein Geschichtsforum entstehen, das – weit über die Grenzen von Volkmarsen und Hessen hinaus – Zeugnis ablegen wird über die Geschichte der Landjuden vor 500 Jahren und damit auch das kulturelle Leben der Stadt Volkmarsen bereichern kann. Dort soll lebendige und aktive Bildungsarbeit möglich sein – keine Brachialpädagogik. Es soll ein Ort werden, den man gerne aufsucht, mit einem Büchercafé und einem Garten. Die Bedeutung der Mikwe für die Region und darüber hinaus, die herausragende Erinnerungsarbeit des Vereins und die Verdienste, die Herr und Frau Klein mit dem Verein im In- und Ausland erworben haben, sind gute Gründe, den Kauf des Hauses im Steinweg 24 zu unterstützen. Ich bitte Sie daher, die Vision des Vereins Realität werden zu lassen: Erschaffen wir einen einzigartigen Treffpunkt für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Enden möchte ich mit einem weiteren Zitat aus dem Buch von Herrn Klein: Geschichte ist gelebtes Leben. Geschichte wird besser begreifbar, wenn sie Namen und Gesicht bekommt, wenn sie einen Bezug zu Orten herstellt, die bekannt und vertraut sind. Helfen Sie mit, dass die Geschichte der Landjuden aus Volkmarsen und Umgebung mit dem Erhalt der Mikwe einen solchen Ort bekommt. Daher bitte ich alle Anwesenden: Unterstützen Sie das Projekt und versuchen Sie auch außerhalb dieser Festhalle weitere Unterstützung zu gewinnen.

Herzlichen Dank!