Ordensverleihung "Mut zur Zukunft: Grenzen überwinden"

Schwerpunktthema: Bericht

2. Oktober 2019

Der Bundespräsident hat am 2. Oktober zum Tag der Deutschen Einheit 25 Bürgerinnen und Bürger mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Die Geehrten sind Akteure der Friedlichen Revolution und besonders engagierte Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Wissenschaft. Es sind Menschen, die mit Tatkraft und Mut unsere Gesellschaft und unsere Zukunft gestalten und dabei auch Grenzen überwinden.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verleiht das Große Verdienstkreuz an Alexander Gerst.

Mut zur Zukunft: Grenzen überwinden – unter diesem Motto hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 2. Oktober in Schloss Bellevue 25 Bürgerinnen und Bürger zum Tag der Deutschen Einheit mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Die 12 Frauen und 13 Männer sind Akteure der Friedlichen Revolution und besonders engagierte Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Wissenschaft. Es sind Menschen, die mit Tatkraft und Mut unsere Gesellschaft und unsere Zukunft gestalten und dabei auch Grenzen überwinden.

Folgende Bürgerinnen und Bürger wurden ausgezeichnet:

Antje Boetius, Bremen
Verdienstkreuz 1. Klasse

Antje Boetius erforscht das Gebiet, das unserem blauen Planeten seinen Namen gibt und in seinen Tiefen noch so unbekannt ist – die Ozeane. Dabei hat die Meeresbiologin insbesondere die extremen Lebensräume zu ihrem Forschungsschwerpunkt gemacht. Sie leitet das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und ist eine international renommierte Wissenschaftlerin. Ihre Stimme hat große Glaubwürdigkeit und sie wird gehört. Antje Boetius bringt sich nicht nur in viele hochrangige Gremien ein, sondern macht die neuesten Erkenntnisse der Ozeanologie auch einem breiten Publikum zugänglich. Fortschreitende Umweltzerstörung und Klimakrise zeigen, wie wichtig ihr Engagement für unsere Zukunft ist: Vom Schutz der Ozeane hängt die Zukunft unseres Planeten ganz besonders ab.

Andrea Breth, Berlin und Wien (Österreich)
Großes Verdienstkreuz mit Stern

Das Theater spielt seit der Antike eine zentrale Rolle für Gesellschaft und Demokratie. Es ist der Ort der Reflexion für den freien Bürger. Andrea Breth geht es genau darum: die Menschen mit ihren Inszenierungen wachzurütteln und zum Mitdenken zu animieren. Sie thematisiert gesellschaftliche Fragen, die oft ebenso alt wie ganz aktuell sind und sucht dabei stets nach neuen Formen der Wahrnehmung. Dabei ist ihre visuelle und sprachliche Gestaltungskraft legendär. Mit größter künstlerischer Konsequenz arbeitet sie an jedem einzelnen Satz und bleibt dabei stets ihrem Credo treu: Ich glaube bis zur Ohnmacht, dass man die Sprache verteidigen muss!. Wie wichtig der Blick der großen Regisseurin auf unsere Zeit ist, zeigt auch die Wahl von Andrea Breth 2018 in den Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste, die Institution unseres Landes, die den interdisziplinären Austausch intensiv pflegt und in die Gesellschaft trägt.

Emmanuelle Charpentier, Berlin
Großes Verdienstkreuz mit Stern

Ihre Forschungsergebnisse gelten als revolutionär: die Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier hat die CRISPR/Cas9-Methode entdeckt, die als Genschere rund um die Welt bekannt wurde. Damit kann Erbgut ausgeschnitten, verändert und anschließend wieder eingesetzt werden. Seit 2015 forscht die Französin in Berlin. Als Direktorin am Max-Planck-Institut arbeitet sie an der Fortentwicklung der Genschere, an die sich die große Hoffnung knüpft, dass heute unheilbare Krankheiten in der Zukunft besiegt werden können. Wie unerlässlich es aber auch ist, dass mit dem überaus wirkungsvollen Instrument verantwortlich umgegangen wird, weiß sie selbst am besten. Seit vielen Jahren fordert sie eine weltweite Ethikdebatte, denn: Die Gentechnik soll Patienten heilen, aber nicht den Menschen an sich verändern. Dafür bringt sich Emmanuelle Charpentier auch im Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste ein, in den sie 2017 gewählt wurde.

Rainer Eppelmann, Berlin
Großes Verdienstkreuz

Rainer Eppelmann steht für klare Worte und Freiheitswillen – und für seine unangepasste Haltung, mit der er für diese Werte kämpft. Als Pfarrer an der Berliner Samariterkirche und als Jugendpfarrer war er einer der Protagonisten des Widerstands in der DDR. Eindringlich rief er 1982 zusammen mit dem Dissidenten Robert Havemann Ost wie West zur Abrüstung auf. Ihre Forderung Frieden schaffen ohne Waffen ist als Berliner Appell bis heute Mahnung. Nach der Wiedervereinigung hat er als Bundestagsabgeordneter von 1990 bis 2005 mit erreicht, dass das SED-Regime und seine Strukturen intensiv untersucht wurden. Seit ihrer Gründung 1998 ist Rainer Eppelmann ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Aufarbeitung – wissend, dass wer die Zukunft gestalten will, die Vergangenheit nicht verdrängen darf.

Elke Erb, Berlin
Verdienstkreuz 1. Klasse

Ich habe den Verhältnissen gekündigt, sie waren falsch schrieb 1965 die Lyrikerin Elke Erb, die als Kind aus der Eifel in die DDR gekommen war. Dort wurde sie mit ihrer regimekritischen Haltung für die Künstlerszene des Prenzlauer Bergs eine wichtige Figur. Mit ihrem legendären Eigensinn, ihrem Sprachwitz und ihren originellen Wortschöpfungen ist sie auch heute gerade jungen Dichterinnen und Dichtern Inspiration. Elke Erb gehört mit ihrem umfangreichen Werk zu den bedeutendsten zeitgenössischen Lyrikerinnen deutscher Sprache, die in einem experimentellen Geist das Formenspektrum immer wieder erweitert hat. So schuf sie mit ihren Kommentaren, mit denen sie ihre Lyrik umgab, eine ganz eigene Kunstform. Elke Erb schafft es, Gegensätze zusammenzubringen, zu benennen und sie auszuhalten – und das ganz geradlinig. Auch als herausragende Übersetzerin hat sich Elke Erb hervorgetan.

Alexander Gerst, Köln (Nordrhein-Westfalen)
Großes Verdienstkreuz

Astronaut, Wissenschaftler, engagierter Weltbürger – jede Zeit braucht Entdecker und Alexander Gerst ist einer von ihnen. Seine wissenschaftliche Exzellenz, Energie und Eloquenz haben ihn nicht nur zu einem der bekanntesten Bürger – und auch Blogger – unseres Landes werden lassen, sondern auch zu einem großen Vorbild. Eindringlich sind seine Appelle zu Umwelt- und Klimaschutz, die uns über unsere eigene Lebensweise nachdenken lassen. Immer wieder betont Alexander Gerst, dass die Raumfahrt auch der Völkerverständigung dient. In der Zeit, in der er Kommandeur der Internationalen Raumstation war, hat er das besonders vorgelebt. Seine Forschungsmissionen Blue Dot 2014 und Horizons 2018 haben Jung wie Alt fasziniert, Forschung und Technologie vorangebracht und den Wissenschaftsstandort Deutschland enorm gestärkt.

Carlo Jordan, Berlin
Verdienstkreuz am Bande

Carlo Jordan war einer der Wegbereiter der Friedlichen Revolution, der sich schon früh an Protestaktionen gegen das SED-Regime beteiligte und Repressionen der Staatsgewalt der DDR selbst erfahren musste. Als in den 1980er-Jahren die Umweltzerstörung in der DDR immer bedrohlichere Ausmaße annahm, gehörte er zu den Initiatoren der Umweltbibliothek in der Berliner Zionskirchengemeinde. Später gründete er das Grüne Netzwerk Arche, das den erschreckenden Grad von Umweltverschmutzung und baulichem Verfall in der DDR dokumentierte. 1989 gehörte er zu den Gründern der Grünen Partei in der DDR und war deren Sprecher am Zentralen Runden Tisch. Im Januar 1990 beteiligte sich Carlo Jordan an der Erstürmung der Stasi-Hauptzentrale in Berlin-Lichtenberg. Er hat dort die Forschungs- und Gedenkstätte mit aufgebaut und ist Vorstandsmitglied in deren Trägerverein. Denn die Erinnerung daran wach zu halten, wie der SED-Staat seine eigenen Bürger bespitzelt hat, hilft am wirksamsten gegen jegliche Form von Verklärung der DDR.

Stephan Krawczyk, Berlin
Verdienstkreuz am Bande

Als Liedermacher bot Stephan Krawczyk in den 1980er-Jahren mehr und mehr dem SED-Regime die Stirn. 1987 forderte er zusammen mit der Bürgerrechtlerin Freya Klier in einem offenen Brief die Gewährung von Menschenrechten und Meinungsfreiheit in der DDR. Darauf folgten Berufsverbot, Stasihaft und Ausbürgerung. Aber auch im Westen hat Stephan Krawczyk mit seiner Sprachkunst nicht aufgehört, seine Stimme zu erheben und sich mit Konzerten, Lesungen und Diskussionen in die gesellschaftlichen Debatten einzubringen. Dabei hat er nicht nur vermittelt, was es hieß, in der DDR zu leben, sondern auch immer aktuelle Themen aufgegriffen. Für ihn als Künstler bedeutet Meinungsfreiheit, sich auch für das Miteinander zu engagieren – und ganz besonders junge Menschen zu ermutigen, sich ebenfalls aktiv in die Gesellschaft einzubringen und an der Gestaltung der Zukunft

Udo Lindenberg, Hamburg
Verdienstkreuz 1. Klasse

Udo Lindenberg hat in einzigartiger Weise gegen die deutsche Teilung angesungen. Mit seinem direkt an Erich Honecker gerichteten Song Sonderzug nach Pankow, mit dem er verlangte, in der DDR auf Tournee gehen zu können, forderte er nicht nur das SED-Regime heraus, sondern zeigte auch den Musikfans im Westen eindringlich dessen wahres Gesicht. Udo Lindenberg hat sich mit Mauerbau und deutscher Teilung nie abgefunden und dies einem Millionenpublikum vermittelt. Wie wichtig ihm Solidarität ist, zeigt er auch mit seinem großen sozialen Engagement. 2006 gründete er die Udo-Lindenberg-Stiftung, die für Toleranz eintritt, Hilfsbedürftige, sei es in Greifswald oder in Kapstadt, unterstützt und junge Musiktalente fördert, die – so seine Worte – in keine Schublade passen.

Kathrin Mahler Walther, Berlin
Verdienstkreuz am Bande

Dass der 9. Oktober 1989 der Tag ist, an dem die Friedliche Revolution Wirklichkeit wurde, ist auch einer der jüngsten Bürgerrechtlerinnen zu verdanken: Kathrin Mahler Walther schloss sich als 16-Jährige der Arbeitsgruppe Menschenrechte an, druckte Samisdat-Schriften und koordinierte Kontakte zu West-Journalisten. Am 9. Oktober 1989 brachte sie unter hohem persönlichen Risiko Aram Radomski und Siegbert Schefke, beide Oppositionelle und Fotografen, in Leipzig auf den Kirchturm, von dem – die einzigen – Filmaufnahmen der Montagsdemonstration entstanden sind. Diese Aufnahmen gingen um die ganze Welt und ermutigten in der DDR immer mehr Menschen, sich an den Demonstrationen zu beteiligen. Vor der ersten freien Wahl arbeitete Kathrin Mahler Walther am Runden Tisch in Leipzig mit. Bis heute stärkt sie als eine vielfach engagierte Bürgerin die erkämpfte Demokratie.

Tomoko Masur, Leipzig (Sachsen)
Verdienstkreuz 1. Klasse

Die Sängerin bringt sich mit großer Hingabe in das Kulturleben der Musikstadt Leipzig ein. Dabei liegt ihr besonders die Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung am Herzen, die 1991 ihr Mann gegründet hat, der gefeierte Dirigent Kurt Masur. Mit ihm zusammen hat sie sich dem Erhalt des Leipziger Mendelssohn-Hauses gewidmet, der letzten Wohnung von Felix Mendelssohn Bartholdy. Heute sorgt sie für ein exzellentes Programm dort. Auch im Ausland setzt sich Tomoko Masur dafür ein, dass das Werk des genialen Komponisten lebendig bleibt. Bei ihrem Engagement hält sie sich immer an die Maxime von Kurt Masur: Jeder ist für die Zukunft der Gesellschaft mitverantwortlich. In Leipzig lebt Tomoko Masur das auf vielfache Weise – so auch als Gründerin, Stifterin und Präsidentin des Internationalen-Kurt-Masur-Instituts.

Edda Moser, Rheinbreitbach (Rheinland-Pfalz) und Köln (Nordrhein-Westfalen)
Verdienstkreuz 1. Klasse

Als geradezu überirdisch gilt bis heute die Stimme der weltweit gefeierten Sopranistin – und das nicht nur, weil eine Schallplatte mit der von ihr dargebotenen Arie der Königin der Nacht als Beispiel menschlicher Gesangskunst 1977 mit der Raumsonde Voyager 2 in den Weltraum geschickt wurde und seitdem durch das All tourt. Edda Moser hat mit ihrer Kunst Maßstäbe gesetzt. Immer hat sie aber auch ihr Können an junge Menschen weitergegeben und als Professorin an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln zahlreiche Sängerinnen und Sänger zu einer eigenen Karriere geführt. Bis heute leitet sie Meisterklassen an den renommiertesten Konservatorien. Ein wichtiges Anliegen ist es Edda Moser auch, sich mit ihrem als Kammersängerin besonders ausgeprägtem Sprachempfinden in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. 2006 initiierte sie das Festspiel der Deutschen Sprache zu Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt, dessen künstlerische Leiterin sie ist.

Britta Nestler, Karlsruhe (Baden-Württemberg)
Verdienstkreuz am Bande

Britta Nestler nimmt eine doppelte Vorreiterrolle ein: Die Informatikprofessorin wirkt sowohl an der Hochschule Karlsruhe als auch am Karlsruher Institut für Technologie. Dabei ist sie Brückenbauerin zwischen der Grundlagenforschung und der praktischen Anwendung. Ihre Computermodelle und -simulationen berechnen die Lebensdauer von Materialien, ermöglichen es, Ressourcen effizienter einzusetzen und haben Nachhaltigkeit im Blick, sei es bei Alltagsgegenständen, Industrieproduktionen oder in der Weltraumforschung. Dass aber Expertise nicht vor falschen Angriffen schützt, hat sie bei ihren Forschungsarbeiten auch erfahren. Seitdem bringt Britta Nestler nicht nur die Technik der Zukunft voran, sondern kämpft auch vehement dafür, dass Verleumdung keine Chance bekommt – auch in einem Rechtsstaat ein wichtiges Engagement.

Jürgen Osterhammel, Freiburg im Breisgau (Baden-Württemberg)
Großes Verdienstkreuz mit Stern

Alles hängt mit allem zusammen, formulierte es Alexander von Humboldt für seine Naturforschungen. Jürgen Osterhammel hat mit seiner Forschung gezeigt, wie sehr es sich auch in der Geschichtswissenschaft lohnt, an den tradierten Grenzen des Faches nicht Halt zu machen. Er hat sein Fach um eine globale Perspektive auf die Welt erweitert, die uns ein neues Verständnis der historischen und aktuellen globalen Zusammenhänge und Wechselwirkungen ermöglicht. Dabei gelingt es Jürgen Osterhammel stets, neben den nationalen auch disziplinäre Grenzen zu überwinden und auf diese Weise neue Fragestellungen zu entwickeln. Es ist ein besonderes Verdienst des Ausnahmewissenschaftlers, der von 1999 bis 2018 an der Universität Konstanz gelehrt hat, dass er mit seinen vielfach ausgezeichneten Werken diesen innovativen Blick auf die Geschichte nicht nur der Fachöffentlichkeit, sondern auch einem breiten und internationalen Publikum eröffnet hat. 2017 wurde er in den Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste aufgenommen.

Aram Radomski, Berlin
Verdienstkreuz am Bande

Weil die Stasi seinen Vater erpressen wollte, wurde Aram Radomski als Jugendlicher verfolgt, verletzt und verhaftet. Er ging in Opposition zum SED-Regime und lernte in Friedens- und Umweltkreisen Siegbert Schefke kennen, der wie er Fotograf war. Heimlich dokumentierten sie die reale DDR an Orten, die für Journalisten tabu waren. Am 9. Oktober 1989 fuhren sie zusammen nach Leipzig, wo sie die Montagsdemonstration filmten, bei der sich 70.000 Menschen friedlich den bewaffneten Sicherheitskräften entgegenstellten und Wir sind das Volk riefen. Die ARD sendete kurz darauf die Aufnahmen, die dadurch Geschichte machten. Die Filmaufnahmen erreichten auch die Zuschauer im Osten und ermutigten immer mehr Menschen, sich an den Demonstrationen zu beteiligen. Dass die Friedliche Revolution nun nicht mehr aufzuhalten war, war auch das Verdienst von Aram Radomski.

Eva und Jens Reich, Angermünde (Brandenburg) und Berlin
Verdienstkreuz am Bande und Großes Verdienstkreuz

Jens Reich war einer der prägenden Bürgerrechtler in der DDR. 1970 war der Molekularbiologe Mitbegründer des Freitagskreises, einer privaten Runde, die sich kritisch mit den Bedingungen in der DDR auseinandersetzte. 1989 initiierte er das Neue Forum mit, für das er am 4. November bei der Kundgebung auf dem Alexanderplatz in Ost-Berlin sprach, der größten unabhängigen Demonstration, die jemals in der DDR stattfand. 1990 wurde Jens Reich Abgeordneter in der einzigen frei gewählten Volkskammer. Er ist eine der Stimmen, die in Ost und West gehört werden, so auch von 2001 bis 2012 als Mitglied im Ethikrat unseres Landes. Die Ärztin Eva Reich stand mit ihrem Mann zusammen im Zentrum des Freitagskreises. Sie engagierte sich ebenfalls mutig für Veränderungen in der DDR. Auch Eva Reich gehörte zu der Gruppe der Erstunterzeichner des Gründungsaufrufs Aufbruch '89 – Neues Forum und kämpfte für freie Wahlen im März 1990. Bis heute ist sie dem Friedenskreis Pankow verbunden.

Karl Schlögel, Berlin
Großes Verdienstkreuz mit Stern

Karl Schlögel gilt als der Wissenschaftler in der Bundesrepublik, der sich am eingehendsten mit der Geschichte Osteuropas auseinandergesetzt hat. Besondere Aufmerksamkeit hat der renommierte Historiker der Zeit der Sowjetherrschaft gewidmet, von der er ein ganzes Panorama gezeichnet hat, das vom Alltagsleben in Moskau über den Großen Terror bis zu ihrem Ende reicht. Von 1995 bis 2013 hatte Karl Schlögel den Lehrstuhl für die Geschichte Osteuropas an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) inne. Mit seiner Praxis, den Seminarraum zu verlassen und bei seinen Forschungen auch scheinbar bekannte Orte und Gegenstände, über die er schreibt, eingehend zu erkunden, wurde er nicht nur für Studierende großes Vorbild. Seine brillanten Publikationen sind ein herausragender Beitrag zum Verständnis der Sowjetgesellschaft und der russischen Kulturgeschichte. Seit 2017 gehört Karl Schlögel dem Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste an.

Peter Scholze, Bonn (Nordrhein-Westfalen)
Großes Verdienstkreuz

Um mit Peter Scholze zu arbeiten, kommen Mathematikerinnen und Mathematiker aus der ganzen Welt an die Universität Bonn. Dort wurde er 2012 jüngster Professor seines Fachs in Deutschland. Seit 2018 ist er zudem Direktor am Max-Planck-Institut für Mathematik. Peter Scholze gilt als Koryphäe auf dem Gebiet der Arithmetischen Geometrie. Zentrale Fragen, an denen sich Generationen vor ihm vergeblich versucht haben, beleuchtet er ganz neu, und für Probleme, die bisher als unlösbar galten, rückt eine Lösung in greifbare Nähe. 2018 erhielt er die Fields-Medaille, die weltweit höchste Auszeichnung in der Mathematik. Mit seinen außergewöhnlichen Leistungen ist Peter Scholze Ansporn und Vorbild für kommende Generationen seines Fachs, für die er sich immer wieder auch ganz persönlich einsetzt.

Ulrich Schwarz, Berlin
Verdienstkreuz am Bande

Der Journalist war 1976 bis 1977 und 1985 bis 1989 Spiegel-Korrespondent in Ost-Berlin. Stets wurde er von der Stasi überwacht, mehrfach hat er gezielt gegen ihn gerichteten Psychoterror erlebt. Trotz Verbots der DDR-Behörden und befürchteter Eskalationen fuhr Ulrich Schwarz am 9. Oktober 1989 nach Leipzig. Dort traf er auf die Oppositionellen Aram Radomski und Siegbert Schefke. Als er von ihnen hörte, dass sie heimlich die Leipziger Montagsdemonstration gefilmt hatten, transportierte er für sie die Aufnahmen nach West-Berlin. Ulrich Schwarz hat damit über den Wendepunkt der Friedlichen Revolution nicht nur als einziger Korrespondent aus eigenem Erleben berichtet, sondern auch dazu beigetragen, dass die Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 überhaupt zu einem solchen werden konnte. Bis heute ist er als Zeitzeuge aktiv und gehört außerdem dem Vorstand des Vereins DemokratieANstiftung an.

Rita Sélitrenny, Leipzig (Sachsen)
Verdienstkreuz am Bande

Die Bürgerrechtlerin aus Leipzig stand schon als Jugendliche in Opposition zum DDR-Regime. Dass Rita Sélitrenny bereits als 15-jährige Schülerin von der Stasi bespitzelt wurde, zeigt die Unmenschlichkeit des Regimes, dem sie sich mutig und unbeugsam entgegenstellte. Sie war in kirchlichen Initiativen aktiv und schloss sich im Herbst 1989 der Initiative Frieden und Menschenrechte in Leipzig an, für die sie auch am Runden Tisch mitwirkte. Ihr besonderes Engagement galt der Aufarbeitung der Tätigkeiten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Als Gründungsmitglied im Bürgerkomitee zur Auflösung des MfS gehörte sie zu den Ersten, die sich diesem Thema widmeten. Sie veröffentlichte als Mitglied der Leitung der Archivgruppe der Volkskammer einen ersten Bericht und arbeitete an der Entwicklung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes mit. Auch im wiedervereinigten Deutschland blieb Rita Sélitrenny politisch aktiv und engagiert sich bis heute immer wieder auch gesellschaftspolitisch und ehrenamtlich.

Barbara Sengewald, Erfurt (Thüringen)
Verdienstkreuz am Bande

Politisiert durch die gewaltsame Beendigung des Prager Frühlings beteiligte sich Barbara Sengewald in den 1980er-Jahren in der Offenen Arbeit der Evangelischen Kirche. Im Mai 1989 war sie eine der Bürgerrechtlerinnen, die die Wahlfälschungen anprangerten. Als Mitgründerin des Neuen Forums in Erfurt und der Initiative Frauen für Veränderung im Herbst 1989 sprach sie während der Friedlichen Revolution zu Zehntausenden auf dem Erfurter Domplatz. Nach der Besetzung der Stasi-Bezirksverwaltung in Erfurt am 4. Dezember 1989 war sie in dem sich daraufhin gebildeten Bürgerkomitee maßgeblich mit der Stasiauflösung befasst. Seit 1999 ist sie Vorsitzende der Gesellschaft für Zeitgeschichte in Erfurt, die aus dem Bürgerkomitee hervorging. Bis heute hält Barbara Sengewald die Erinnerung an die Friedliche Revolution wach – vor Schulklassen, bei Stadtführungen und im ehemaligen Stasi-Gefängnis, für dessen Umwandlung zur Gedenk- und Bildungsstätte sie entschieden eingetreten ist.

Kati Stüdemann, Kiel (Schleswig-Holstein)
Verdienstkreuz am Bande

Kunst stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Kati Stüdemann ist davon nicht nur zutiefst überzeugt, sondern sie engagiert sich unter dieser Maxime selbst auch mit großer Leidenschaft. Dabei hat sie Pionierarbeit geleistet. 2006 gründete sie den Verein Kiel CREARtiv für sozial benachteiligte junge Menschen. Die Aktivitäten des Vereins reichen vom Grundschulprojekt Demokratie leben bis zur Theatergruppe für deutsche und geflüchtete Jugendliche. Im Mittelpunkt der Projekte steht immer auch das Miteinander verschiedener Kulturen, sozialer Schichten und Generationen. So schafft es Kati Stüdemann, den Kindern und Jugendlichen zu mehr Selbstwertgefühl zu verhelfen, in ihnen Kreativität zu wecken und ihnen Zukunftsperspektiven zu eröffnen.

Wolfram Tschiche, Bismark Altmark (Sachsen-Anhalt)
Verdienstkreuz am Bande

Wolfram Tschiche hat stets über Grenzen hinausgeblickt und von der DDR aus Kontakt zu Bürgerrechtlern in den Nachbarstaaten gesucht. Er protestierte gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings, wurde während seines Theologiestudiums von der Stasi überwacht und wegen staatsfeindlicher Gruppenbildung vorübergehend inhaftiert und bis zum Ende der DDR mehrfach Repressalien ausgesetzt. Dem SED-Regime bot er dennoch weiterhin die Stirn und beteiligte sich an den zunehmenden Aktionen der Friedensbewegung. 1989 gehörte er zu den Mitherausgebern der Samisdat-Zeitschrift Ostkreuz und war einer der Mitstreiter des Neuen Forums. 1990 engagierte er sich im Verein für politische Bildung und soziale Demokratie in Weimar. Nach der Wiedervereinigung begann Wolfram Tschiche, seine Erlebnisse an Schülerinnen und Schüler weiterzugeben. Bis heute engagiert er sich in der Zeitzeugenarbeit.

Wolfgang Wahlster, Saarbrücken (Saarland)
Großes Verdienstkreuz

Wolfgang Wahlster hat sich mit seiner Forschung einer der zentralen Zukunftsherausforderungen gestellt: der Erforschung der Künstlichen Intelligenz. Dabei hat er die Bundesrepublik zu einem der Spitzenplätze in seiner Wissenschaft gemacht. Der Professor für Informatik an der Universität des Saarlandes war 1988 Wissenschaftlicher Gründungsdirektor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz. Von 1996 bis Februar 2019 hat er die renommierte Einrichtung – sie ist die weltweit größte Forschungseinrichtung für Künstliche Intelligenz – auch als Direktor und Vorsitzender der Geschäftsführung geleitet. Wolfgang Wahlster hat maßgeblich die Grundlagen von Mensch-Technik-Interaktionen erarbeitet und visionär als Initiator des Projekts Industrie 4.0 das erforscht, was morgen unser aller Leben mehr denn je bestimmen wird: die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter.