Trilaterales Präsidententreffen beschließt "Aufruf von Neapel"

Schwerpunktthema: Bericht

19. November 2012

Bundespräsident Joachim Gauck ist am 19. und 20. November zu einem trilateralen Treffen mit den Präsidenten von Italien und Polen ins süditalienische Neapel gereist. Bei ihrem ersten gemeinsamen Zusammentreffen veröffentlichten die drei Staatsoberhäupter im "Aufruf von Neapel" eine "Botschaft der Ermutigung": "Wir werden die ernste wirtschaftliche und finanzielle Krise überwinden."


Bundespräsident Joachim Gauck ist am 19. und 20. November zu einem trilateralen Treffen mit dem italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano und dem polnischen Staatspräsidenten Bronislaw Komorowski ins süditalienische Neapel gereist. Bei ihrem ersten gemeinsamen Zusammentreffen veröffentlichten die drei Staatsoberhäupter im "Aufruf von Neapel" eine "Botschaft der Ermutigung": "Wir werden die ernste wirtschaftliche und finanzielle Krise überwinden."

Am 19. November fanden mehrere Gespräche der drei Präsidenten im kleinen Kreis statt. Themen der Begegnungen waren unter anderen die Wirtschafts- und Finanzkrise in Europa, die hohe Jugendarbeitslosigkeit in weiten Teilen des Kontinents und die sich verändernde Rolle der Europäischen Union in der Welt. Neben den Gesprächen der Präsidenten standen auch eine Begegnung und ein Meinungsaustausch mit Studierenden auf dem Programm.

Vor seinem Rückflug nach Berlin am 20. November nahm der Bundespräsident außerdem an einer Gedenkfeier zu Ehren des polnischen Freiheitskämpfers Gustaw Herling in Neapel teil.

Aufruf von Neapel

In diesen Tagen, in denen viele Menschen verunsichert und verzagt auf Europa blicken, in denen es scheint, als erfülle sich das Versprechen einer gerechten Gesellschaft nicht mehr, in denen viele Menschen bangen um ihren Arbeitsplatz, ihr Erspartes, um ihre Zukunft und die Zukunftschancen ihrer Kinder, senden wir, Staatsoberhäupter von neuen und alten Mitgliedstaaten der Europäischen Union, mit unterschiedlichen Erfahrungen, Traditionen und Mentalitäten, eine Botschaft der Ermutigung. Wir werden die ernste wirtschaftliche und finanzielle Krise überwinden.

Machen wir uns bewusst, welch glückliches Geschenk es ist, dass die Mitgliedstaaten der EU seit mehr als 60 Jahren Frieden und Freiheit erleben. Der Friedensnobelpreis für die EU ermutigt uns und spornt uns an, in Europa weiter nach vorn zu gehen: Europa muss seiner Verantwortung gerecht werden und nach außen gemeinsam handeln.

  • Treten wir gegenseitigen Ressentiments und nationalistischen und engstirnigen Denkweisen entschlossen entgegen. Nur wenn wir zusammenstehen, wird es uns gelingen, die Herausforderungen der globalisierten Welt zu bestehen.
  • Folgen wir der Erkenntnis, dass Solidarität untrennbar mit der Achtung geteilter Verpflichtungen und gemeinsamer Regeln verknüpft ist.
  • Stärken wir die demokratische Legitimität der Entscheidungsverfahren in der EU und arbeiten wir weiter auf eine echte Politische Union hin.
  • Bekräftigen wir unsere gemeinsame Absicht, dass zielgerichtete Investitionen in nachhaltiges Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen der beste Weg sind, Wohlstand und Stabilität auf unserem Kontinent zu erhalten. In diesem Zusammenhang weisen wir auf den anstehenden Europäischen Rat hin, der Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen 2014 – 2020 führen wird.
  • Betonen wir die Bedeutung der EU-Erweiterungspolitik, die weiterhin Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, Frieden und Wohlstand fördert.
  • Erkennen wir den Wert des Pluralismus und der sprachlichen und kulturellen Vielfalt an, die unsere Gesellschaften und unsere Lebensform auszeichnen.
  • Machen wir Ernst damit, Bildung, Wissenschaft und Forschung als unabdingbaren Voraussetzungen für Wohlstand und eine gute Zukunft unserer Kinder und Enkel Priorität einzuräumen.

Vor mehr als 60 Jahren, nach dem Zweiten Weltkrieg, lag unser Kontinent in Trümmern. Tod und Zerstörung hatten unsagbares Leid über Millionen Menschen gebracht. In den westlichen Ländern unseres Kontinents begann nach Kriegsende ein beispielloses Aufbauwerk, während die Bürger der Staaten Mittel- und Osteuropas unter totalitärer Herrschaft leben mussten.

Vor mehr als 20 Jahren haben die Menschen, die in Mittel- und Osteuropa auf die Straße gegangen sind, gezeigt, welche Kraft der Freiheitsgedanke hat, der unserem Europa von Anfang an die Basis gegeben hat.

Lassen wir uns inspirieren von der Kraft derer, die einst nach dem Zweiten Weltkrieg Europa wiederaufgebaut haben, derer, die sich später anschlossen und derer, die 1989/90 Freiheit, Recht und Selbstbestimmung erkämpften. Sie alle haben Großartiges geleistet und uns gelehrt, dass wir unseren Kräften vertrauen dürfen. Besinnen wir uns auf unsere Kreativität, auf unsere ökonomischen Fähigkeiten und auf unsere politische Kultur, zu der zwar Streit gehört, die aber nicht im Streit endet, sondern eine Kultur errungener Konsense geschaffen hat. Wir dürfen nicht nachlassen in unseren Bemühungen, eine echte europäische Öffentlichkeit zu schaffen. Wir setzen unsere Hoffnungen insbesondere in die Ideen und das Engagement der jüngeren Generationen von Europäern.

Jede Generation steht vor eigenen Herausforderungen. Nehmen wir unsere an!