75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion

Schwerpunktthema: Bericht

22. Juni 2016

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 22. Juni zum 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion eine Erklärung herausgegeben. Darin heißt es: "Der Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion mahnt uns, die Bedeutung des Friedens erneut ins Bewusstsein zu rufen: Frieden ist nicht selbstverständlich. Frieden, das haben wir schmerzlich in den vergangenen Jahren erlebt, will immer wieder neu gesichert sein."

Bundespräsident Joachim Gauck in Schloss Bellevue (Archiv)

Bundespräsident Joachim Gauck hat am 22. Juni zum 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion eine Erklärung herausgegeben:

Vor 75 Jahren, am 22. Juni 1941, begann der Überfall des Deutschen Reiches auf die Sowjetunion.

Wir blicken zurück auf einen beispiellosen Vernichtungskrieg, in dem mehr Opfer zu beklagen waren als an jeder anderen Front des Zweiten Weltkrieges. Millionen Soldaten fielen auf beiden Seiten. In deutscher Gefangenschaft gingen drei Millionen Soldaten elend zugrunde. Mit systematischen Massakern an Juden begann der Holocaust. Zahllose kommunistische Funktionäre, Sinti und Roma und Psychiatriepatienten wurden ermordet. Millionen von Zivilisten verhungerten, wurden erschossen oder erhängt, kamen um, als ganze Dörfer niedergebrannt und zerbombt wurden. Kein Land hat im Zweiten Weltkrieg so große Opfer gebracht wie die Sowjetunion: Fast 27 Millionen Menschen verloren ihr Leben.

Wir blicken zurück auf die barbarische Politik des nationalsozialistischen Deutschland, die von Rassenwahn und Herrenmenschentum geleitet war. Hitler und seine Schergen, unterstützt von zahllosen Deutschen, wollten die Vernichtung der Sowjetunion, die Versklavung ihrer Bürger und die Ausbeutung des Landes. Der Hitler-Stalin-Pakt und die folgende Aufteilung und Besetzung Polens waren 1939 Etappen auf dem Weg zur geplanten Unterjochung der Sowjetunion.

Wir denken heute auch an die sowjetischen Soldaten, die – zusammen mit den westlichen Alliierten – den Sieg über Hitlers Deutschland ermöglichten. Sie haben ihren Erfolg mit ungeheuren Verlusten bezahlt. Sie starben an der Front, zahllose in Lagern. Im vergangenen Jahr habe ich im ehemaligen Stammlager 326 in Schloß Holte-Stukenbrock zehntausender sowjetischer Kriegsgefangener gedacht, die dort begraben sind. Das grauenhafte Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen liegt in unserem Land bis heute noch weitgehend in einem Erinnerungsschatten.

Auch wenn beim Vormarsch der Roten Armee und später im sowjetischen Machtbereich neues Unrecht begangen wurde und neue Unterdrückung erfolgte, so ändert dies nichts an der Tatsache, dass die Völker der Sowjetunion einen großen, unersetzlichen und unvergesslichen Anteil am Sieg über den Nationalsozialismus hatten.

Der Blick zurück sollte uns auch daran erinnern, wie kostbar die Antwort ist, die Europa auf Krieg und Vernichtung entwickelte: Unsere europäische Völkergemeinschaft beruht auf der Zusammenarbeit von Gleichberechtigten. Sie trägt Konflikte auf friedliche Weise aus. Und sie fördert deshalb den Verzicht darauf, den Zusammenhalt einer Nation durch Selbstüberhöhung und Diskriminierung anderer Nationen zu suchen.

Der Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion mahnt uns, die Bedeutung des Friedens erneut ins Bewusstsein zu rufen: Frieden ist nicht selbstverständlich. Frieden, das haben wir schmerzlich in den vergangenen Jahren erlebt, will immer wieder neu gesichert sein.