Schriftliches Grußwort von Bundespräsident Joachim Gauck zur Eröffnung der Ausstellung „Zwangsarbeiter“ am 9. Januar 2013 in Warschau, Polen

Schwerpunktthema: Pressemitteilung

9. Januar 2013


In wenigen Wochen ist es 80 Jahre her, dass in meinem Land die Nationalsozialisten die Macht ergriffen. Mit der Partei kam die Ideologie des Rassismus zur Macht, die Wurzel der Verbrechen, die Deutsche an der Menschheit verübt haben. Zu diesen Verbrechen gehört die lange verharmloste Zwangsarbeit.

Mehr als 20 Millionen Menschen aus nahezu jedem Land Europas wurden Opfer: sogenannte „Fremdarbeiter“, Kriegsgefangene, Strafgefangene, Juden und ihre nichtjüdischen Angehörigen, KZ-Häftlinge. Eingesetzt wurden sie überall – in Rüstungsbetrieben wie in Privathaushalten, in Fabriken wie in der Landwirtschaft. An kaum einem Ort gab es keine Zwangsarbeit, und kaum ein Bereich der deutschen Gesellschaft, der nicht von ihr profitierte. Das zeigt die Ausstellung in bedrückender Weise.

Zwangsarbeit bedeutete Freiheitsberaubung, beständige Rechtlosigkeit, willkürliche Gewalt, öffentliche Demütigungen. Erschütternd und beschämend ist auch die Tatsache, dass Menschlichkeit, wo sie sich zaghaft regte, bekämpft wurde. Denunziation und Verfolgung und schlimmste Bestrafungen drohten, wenn ein Butterbrot zugesteckt oder ein freundliches Wort gesagt wurde – oder wenn ganz einfach die Liebe kam. Auf Liebe stand der Tod.

Zwangsarbeit ist ein Teil des unermesslichen Leids, das Deutsche über Polen und Angehörige anderer Nationen gebracht haben. Es ist ein bewegendes Zeichen, dass Polen und Deutsche in Warschau eine solche Ausstellung gemeinsam eröffnen, unter der Schirmherrschaft beider Präsidenten.

Nicht die Verbrechen haben am Ende gesiegt – gesiegt haben Aussöhnung und neues menschliches Miteinander. Wir Deutschen sind tief dankbar, dass die Polen dazu bereit waren.

Ich danke der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, die diese Ausstellung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora initiiert hat und fördert. Die Wanderausstellung will zur Anerkennung der Zwangsarbeiter als Opfer des Nationalsozialismus in ihren Heimatländern beitragen. In Polen gab es früh ein solches Bemühen; andernorts sahen sich die heimkehrenden Geknechteten dem Vorwurf der Kollaboration ausgesetzt. Auch in meinem Land zögerte man zu lange, bevor 2001 endlich ein Anspruch der Zwangsarbeiter auf Entschädigung anerkannt wurde.

Ich wünsche mir, dass mit dieser Ausstellung erneut deutlich wird: Deutschland ist kein Land, in dem die Schuld beschwiegen wird. Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ist also nicht zu Ende. Die Menschen in Deutschland haben erkannt: Wir verlieren uns nicht, wenn wir uns unserer Schuld stellen – der politischen wie der moralischen. Vielmehr hat die Aufarbeitung der Vergangenheit doppelt gewirkt. Zum einen haben wir dadurch unsere Selbstachtung zurückgewonnen, zum anderen haben wir neues Vertrauen bei denen gewonnen, die Deutschland einst unterdrückt hatte. Wir haben gute und wichtige Gründe für das Erinnern und Gedenken. Um der Zukunft willen werden wir der Wahrheit verpflichtet bleiben.