Bundespräsident Christian Wulff beim Antrittsbesuch im Freistaat Sachsen

Schwerpunktthema: Rede

Sächsischer Landtag, Dresden, , 1. September 2010

Bundespräsident Christian Wulff spricht vor dem sächsischen Landtag

Änderungen vorbehalten. Es gilt das gesprochene Wort.

Haben Sie vielen Dank für den freundlichen Empfang für meine Frau und mich hier im Sächsischen Landtag. Wir freuen uns sehr darüber, wieder im schönen Freistaat Sachsen zu Gast zu sein. Ich sage bewusst "wieder", weil wir in den vergangenen Jahren mehrfach in Sachsen zu Besuch gewesen sind.

Dankbar bin ich Ihnen, dass Sie mich im Sächsischen Landtag empfangen. Mit seinem gelungenen Ensemble aus saniertem Altbau und lichtem Neubau symbolisiert Ihr Landtagsgebäude hier in Dresden durch Transparenz und Offenheit eindrucksvoll unsere freiheitliche Demokratie. Die Landtage sind das Herzstück unserer bundesdeutschen repräsentativen Demokratie. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden zuerst die Länder gegründet, dann die Bundesrepublik. Es gab zuerst die Landtage, dann den Bundestag. Die ersten freien demokratischen Parlamentswahlen nach 1945 waren die Wahlen zu den Landtagen.

Sie als Abgeordnete des Sächsischen Landtags leisten mit Ihrer täglichen und oft schwierigen Arbeit einen unverzichtbaren Beitrag zum Funktionieren unserer Demokratie. Ich war 16 Jahre Landtagsabgeordneter und weiß daher, wie viel jeder und jede einzelne von Ihnen leistet.

Am 3. Oktober werden wir auf 20 Jahre Deutsche Einheit zurückblicken können. Sie können stolz sein auf die tragende Rolle, welche die Bürgerinnen und Bürger aus Sachsen im Zuge der Friedlichen Revolution 1989 gespielt haben. Die Montagsdemonstrationen, die ein ganz wesentlicher Bestandteil der Friedlichen Revolution waren, hatten ihren Ausgangspunkt in Sachsen - in Plauen, Leipzig und Dresden. Dann entwickelten sie sich zu einer Massenbewegung auch in anderen Städten der DDR und führten schließlich ganz maßgeblich zum Ende der SED-Herrschaft.

Seit der Wiedervereinigung haben Sie hier in Sachsen unglaublich viel erreicht. Sachsen hat sich in den vergangenen 20 Jahren zu einem sehr selbstbewussten Bundesland entwickelt, das sich seiner Traditionen bewusst ist und diese auch pflegt. Die Ihnen eigene Mischung aus Wettbewerbsgeist, Leistungsfähigkeit und Sinn für die Gemeinschaft hat dem Land durch die Jahrhunderte zur Blüte verholfen, und damit gelingt auch jetzt der beeindruckende Wiederaufstieg. Der Aufbau des Landes ist weit vorangekommen. Davon werde ich mich heute Nachmittag auch beim Besuch des renovierten Albertinums überzeugen können. Ideen und Produkte aus Sachsen haben weltweit einen ausgezeichneten Ruf. Uhren aus Glashütte und Porzellan aus Meißen sind weltbekannt. Sachsen ist es gelungen, an seine lange Tradition als Industrie- und Technologiestandort anzuknüpfen. Es haben sich starke industrielle Kerne gebildet. In der Mikroelektronik sowie dem Maschinen- und Automobilbau steht Sachsen sehr gut da. Außerdem ist der Freistaat heute der mit Abstand wichtigste Standort für Forschung und Entwicklung in den neuen Bundesländern. Sie sind auf einem guten Weg, aber Sie wissen selbst am besten, welche großen Aufgaben vor Ihnen liegen.

Sachsen ist aber nicht nur durch sein stark verankertes freies Unternehmertum und seine Leuchtturmprojekte im Hochtechnologiebereich zu einem der wirtschaftlich dynamischsten Bundesländer geworden. Maßgeblich dazu beigetragen hat auch die Konzentration auf Bildung und Forschung. Seit der Wiedervereinigung hat der Freistaat Sachsen neben der Finanzpolitik vor allem in der Bildungspolitik Profil gewonnen. Deshalb liegt ein Schwerpunkt meines heutigen Besuchsprogramms auch auf dem Thema "Bildung".

Beim Pisa-Ländervergleich belegt Sachsen seit Jahren Spitzenpositionen. Gemeinsam mit Thüringen weist Sachsen zudem bundesweit die höchste Quote bei der Ganztagsbetreuung in den Kindertagesstätten und Grundschulen auf. Der sächsische Kita-Bildungsplan hat sogar internationales Interesse bis nach Fernost geweckt. So habe ich im Rahmen meiner Besuchvorbereitung erfahren, dass eine japanische Delegation aus Professoren, Kindergartenbetreibern, Lehrern und Journalisten vor wenigen Tagen Kindertageseinrichtungen in Sachsen besichtigt und Gespräche im Kultusministerium geführt hat, um sich über Bildung und Erziehung in sächsischen Kitas zu informieren.

Sehr gespannt bin ich deshalb auf den Besuch in der Kindertageseinrichtung "Freinet-Kinderhaus Friedewald" in Moritzburg. Dort werde ich mir ein Modellprojekt zur frühesten Demokratieerziehung ansehen. Ebenso freue ich mich darauf, heute Nachmittag die berühmte "Palucca Schule Dresden" kennenzulernen. Als erste und einzige Hochschule für Tanz in Deutschland hat sie bundesweit die jüngsten Studierenden. Diese Beispiele zeigen, wie vielfältig in Sachsen in die Bildung gerade der Jüngsten investiert wird. Dies hat Vorbildcharakter für ganz Deutschland, denn Investitionen in die frühzeitige und frühkindliche Bildung erbringen nachweislich die höchste Rendite.

Für alle Antrittsbesuche in den Ländern habe ich mir vorgenommen, nicht allein die Sehenswürdigkeiten und Leuchtturmprojekte zu besuchen, sondern gerade die jeweiligen Sorgen der Länder und ihrer Bürgerinnen und Bürger kennen zu lernen. Als Bundespräsident möchte ich Orientierung in wichtigen Fragen geben, Anliegen von Bürgern Ausdruck verleihen und auch Kritik von Bürgern eine Stimme geben. Deshalb lege ich Wert darauf, auch heute mit Bürgerinnen und Bürgern aus allen Teilen Sachsens zusammenzutreffen. Auch von dem für heute Nachmittag vorgesehenen Bürgergespräch erwarte ich mir Eindrücke und Anregungen. Ich möchte erfahren, auf welche Leistungen die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen besonders stolz sind und wo sie der Schuh drückt. Aus beidem lässt sich mit Sicherheit für ganz Deutschland lernen.

Ich freue mich, heute bei Ihnen in Sachsen zu sein, und wünsche dem Freistaat Sachsen und allen Bürgerinnen und Bürgern eine gute Zukunft.