Bundespräsident Christian Wulff bei der Eröffnung der Neuen Synagoge in Mainz

Schwerpunktthema: Rede

Mainz, , 3. September 2010

Bundespräsident Christian Wulff spricht in der Neuen Synagoge in Mainz

Diese neue Synagoge ist ein Ort, an dem Alt und Neu zusammentreffen. Ein moderner Bau, der durch seine Symbolkraft Traditionen aufgreift und mutig in die Zukunft weist. Genau 98 Jahre nach Eröffnung der letzten großen Synagoge in Mainz erhält die Jüdische Gemeinde wieder einen architektonischen und geistlichen Mittelpunkt. Sie wird dadurch stärker sichtbar und prägt sich in das öffentliche Bewusstsein der Stadt ein. Auch deshalb ist der heutige Tag für mich ein Tag der Hoffnung, mit dem Mainz anknüpft an die lange und bedeutende Tradition seines jüdischen Lebens. Hier in Mainz wird besonders deutlich, dass Juden durch ihr religiöses, kulturelles und geistiges Erbe Deutschland über viele Jahrhunderte geprägt und bereichert haben.

Die Phasen des friedlichen Zusammenlebens waren freilich stets gefährdet und sie wurden mehrere Male jäh beendet, durch Ausgrenzung, Verfolgung und Pogrome. Auf grausamste Art zerstört wurde der religiöse und kulturelle Reichtum von den Nationalsozialisten, die Millionen von Frauen, Männern und Kindern jüdischer Herkunft entwürdigt, entrechtet, vertrieben, ermordet haben. Die Freude, die wir an Tagen wie dem heutigen empfinden, ist deshalb untrennbar verbunden mit dem Gedenken an Millionen Menschen, die der Schoah zum Opfer fielen.

Die Entschlossenheit, trotz der schrecklichen Geschichte Zeichen für die Zukunft des Judentums in Deutschland zu setzen, grenzt, um es mit den Worten von Charlotte Knobloch anlässlich der Grundsteinlegung für diese Synagoge zu sagen, an "ein kleines Wunder". Hier am Mainzer Synagogenplatz ist so ein in die Zukunft weisendes Zeichen durch den gemeinsamen Willen der Jüdischen Gemeinde, die Unterstützung von Stadt, Land und Bund und vieler Bürgerinnen und Bürgern Wirklichkeit geworden. Ihnen allen will ich von Herzen danken. Das Wiederaufblühen des jüdischen Lebens in Deutschland setzt sich fort und seine Wurzeln werden stärker. Jede neue Synagoge, jedes erweiterte Gemeindezentrum, aber auch angegliederte Schulen und Kindergärten, zeigen diese neue Kraft. Sie ist ein Glück für unser Land.

Die heutige Dynamik verdanken die jüdischen Gemeinden auch ihrer Offenheit gegenüber Zuwanderern. In den vergangenen Jahrzehnten sind zehntausende von Menschen jüdischen Glaubens aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion zu uns gekommen. In Mainz und vielen anderen Orten können sie ihren Glauben und sein reiches Erbe neu entdecken und erleben, welche Stärke in der Glaubensgemeinschaft steckt. Die neu angekommenen Mitbürger sind eine Bereicherung für ihre Gemeinden und für die deutsche Gesellschaft. Sie verdienen unsere Offenheit, gerade sie suchen Perspektiven. Wir sollten stärker deutlich machen, dass wir ihre Glaubenskraft, ihre Talente und Ideen brauchen und dass die Vielfalt der Menschen auch in Zukunft zur Stärke unseres Landes beitragen wird.

Auch beim Dialog zwischen den Religionen ist der Beitrag gläubiger Juden unverzichtbar. Der Austausch über Glauben, Werte und Weltanschauungen fördert das gedeihliche Zusammenleben in unserem Land und den Frieden zwischen den Völkern - gerade in einer Welt, die sich als aufgeklärt und säkular versteht. Wie andere Religionen kann der jüdische Glaube beitragen, Menschen von Zwängen und Angst, von Macht- und Besitzgier zu entlasten. Besonders in Zeiten der Verunsicherung, in denen die Nachwirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich zu spüren sind, kann das Religiöse kostbar sein.

Die Erfahrungen, die die jüdischen Gemeinden durch die Aufnahme der zugewanderten Mitglieder gesammelt haben, sind für den Dialog der Religionen und Kulturen wichtig. Im täglichen Gemeindealltag werden Chancen und Mühen der Integration und des Zusammenlebens in Vielfalt spürbar. Wo unterschiedliche Sprachen und Kulturen aufeinandertreffen, sind Konflikte nicht immer zu vermeiden. Hier soll Demokratie und Offenheit gelebt werden - durch aktive Teilnahme und Einmischung, aber auch durch Toleranz und den friedlichen Ausgleich der Interessen aller Beteiligten. Damit Vertrauen wächst und ein Fundament für gemeinsames Gestalten entstehen kann, müssen wir uns füreinander interessieren, miteinander sprechen und lernen, auch Kontroversen auszutragen. Das gilt für die Gemeindearbeit genauso wie für den partnerschaftlichen Dialog zwischen Juden, Christen, Muslimen, Anders- und Nichtgläubigen.

Der gesellschaftliche Dialog kommt an seine Grenzen, wo Menschen die freiheitliche Ordnung des Gemeinwesens von innen bekämpfen. Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass in all ihren Formen gehören auch heute noch zu den großen Übeln unserer Zeit. Anschläge auf jüdische Einrichtungen wie auf die Synagoge in Worms vor wenigen Monaten sind und bleiben unfassbar. Als Demokraten dürfen wir deshalb nicht nachlassen, Gewalt und politischem Extremismus entschlossen entgegenzutreten. Dies erfordert den Einsatz aller Bürger für zwischenmenschlichen Respekt, Zivilcourage und richtig verstandene Toleranz.

Die neuen Synagogen in Deutschland sind nicht nur ein Symbol des Vertrauens der Juden in unser gemeinsames Land. Sie werden zusammen mit anderen Orten friedlich gelebten Glaubens wie Kirchen und Moscheen auch ein Sinnbild dafür sein, dass wir alle die Vielfalt Deutschlands annehmen und dass Juden, Christen, Muslime, Anders- und Nichtgläubige gleichermaßen nachhaltig aufgefordert sind, als Partner unser modernes Gemeinwesen mit und so zu gestalten, dass wir eine gute friedliche, gemeinsame Zukunft haben.

Schalom - der Friede sei mit uns allen.