Erwiderung von Bundespräsident Christian Wulff auf die Ansprache von Bundespräsidentin Doris Leuthard im Schweizer Bundeshaus

Schwerpunktthema: Rede

Bern, , 8. September 2010

Ein Kinderchor empfängt Bundespräsident Christian Wulff in Bern

Änderungen vorbehalten. Es gilt das gesprochene Wort.

Frau Bundespräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren,

für den herzlichen Empfang, den Sie meiner Frau, meiner Delegation und mir bereitet haben, danke ich Ihnen. Dies ist mein erster Staatsbesuch im Ausland und er wird mir schon deshalb unvergesslich bleiben. Es freut mich aber besonders, dass dieser Besuch in ein Nachbarland führt, mit dem wir Deutsche durch Geschichte und Kultur besonders eng und freundschaftlich verbunden sind.

Wir Deutsche lieben die Schweiz aus vielerlei Gründen. Wir bereisen uns gegenseitig. Die herrliche Alpenlandschaft zieht in allen Jahreszeiten zahlreiche Urlauber an. Hohe Lebensqualität, Sicherheit, aber auch die Kreativität und der Fleiß der Schweizerinnen und Schweizer erregen weltweit Bewunderung. So leben und arbeiten auch viele Deutsche in der Schweiz, haben sich hier beruflich wie privat integriert.

Aber auch viele Schweizer haben sich Deutschland als langfristigen Lebensmittelpunkt gewählt. Mit dieser Mobilität in beide Richtungen manifestiert sich die enge gesellschaftliche Verbindung zwischen den Menschen in unseren beiden Ländern. Die breite kulturelle und wirtschaftliche Verflechtung ist in ihrer Vielfalt kaum mehr zu überblicken und lässt sich nur ansatzweise quantifizieren. Klar ist, dass die Schweiz und Deutschland wirtschaftlich von eminenter gegenseitiger Bedeutung sind. Und wer das Kulturgeschehen beiderseits der Grenze näher betrachtet, erkennt schnell, dass die Beiträge in die eine wie in die andere Richtung aus unserem täglichen Leben nicht wegzudenken sind.

Nehmen wir die wirtschaftliche Verflechtung: Deutschland importiert doppelt so viele Güter aus der Schweiz wie die USA und ebensoviel wie Frankreich, Österreich und Italien zusammen. Umgekehrt übersteigen die deutschen Exporte in die Schweiz die kumulierten deutschen Exporte nach China und Kanada. Mit einem Investitionsvolumen von 31 Milliarden Euro ist die Schweiz der drittgrößte Investor in Deutschland und schafft damit mehr als 300.000 Arbeitsplätze. Deutschland wiederum stellt für die Schweiz mit einem Bestand von 34 Milliarden Euro den fünftgrößten Investor dar.

Die erforderlichen rechtlichen Grundlagen bieten neben deutsch-schweizerischen Vereinbarungen die Regeln, die die Schweiz auf dem bilateralen Weg ihrer Kooperation mit der Europäischen Union übernimmt. Der europäische Rahmen wird für die Partnerschaft unserer beiden Länder auch in Zukunft von entscheidender Bedeutung sein. Deutschland hat deshalb ein hohes Interesse an der weiteren Entwicklung der Bindungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union.

Ich weiß, dass es in der Vergangenheit Anlass gegeben hat, an der Qualität unserer bilateralen Beziehungen gelegentlich zu zweifeln. Ich sehe aber mit Freude, dass es uns mit beiderseitigen Anstrengungen gelungen ist, bestehende Schwierigkeiten zu überwinden. Auch zwischen den besten Nachbarn sind Auffassungs- und Interessenunterschiede normal. Wenn wir sie im Geiste bester Nachbarschaft angehen, werden sich aber auch immer befriedigende Lösungen finden lassen. Ich bin überzeugt, dass uns das in Zukunft gelingen wird.

Mein Besuch steht unter dem Motto "Bildung, Innovation und Technologie." Weder die Schweiz noch Deutschland verfügen über bedeutende Bodenschätze. Der Erfolg unserer beiden Länder beruht auf dem Einfallsreichtum, dem Können und dem Fleiß der Bürgerinnen und Bürger. Und wir werden nur erfolgreich bleiben, wenn wir diese wichtigsten Ressourcen erhalten und pflegen. Gerade die Schweiz hat zum Thema des Besuchs viel zu bieten. Erst kürzlich wurde sie vom World Economic Forum zum wettbewerbsfähigsten Land der Welt gekürt und der Bereich Innovation besonders hervorgehoben. Ich freue mich daher auf unsere Gespräche zu diesem für unsere beiden Länder so wichtigen Zukunftsthema.

Der zunehmend schärfer werdende marktwirtschaftliche Wettbewerb im Verlauf der Globalisierung stellt beide Länder vor die Frage, wie Wohlstand ohne die Existenz natürlicher Ressourcen bewahrt und vermehrt werden kann. Nur Bildung als wichtigster Rohstoff des 21. Jahrhunderts und daraus resultierende Bewahrung der technologischen Spitzenpositionen erlauben es, die globale Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz und Deutschlands beizubehalten. Die Innovationskraft wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Der Bildungsstandort Schweiz zeichnet sich dabei durch überragende Erfolge auf vielen Gebieten aus: Hohe jährliche Budgetsteigerungen im Bildungs- und Forschungsbereich, die - gemessen an der Bevölkerungszahl - weltweit höchste Anzahl an Patentanmeldungen ebenso wie der internationale Erfolg Schweizer High-Tech- und Dienstleistungsunternehmen zeugen von der großen Stärke der Schweiz im Bildungs- und Forschungssektor.

Innovation braucht Kreativität und Ideenreichtum. Es ist eine demokratische Grundüberzeugung, dass sich die Vielfalt der Ideen nur in einem offenen Diskurs und durch das Zusammenwirken einer möglichst großen Anzahl an Bürgern erzielen lässt. Die große Bedeutung von Partizipationsinstrumenten und die umfassenden Bemühungen zur Integration aller gesellschaftlichen Kräfte, die so kennzeichnend sind für die Schweizer Konkordanzdemokratie, sind die Grundlage für eine politische Kultur in der Schweiz, die offen ist für die Standpunkte des anderen. Sie trägt damit zur Etablierung der für die Innovationskraft notwendigen Ideenvielfalt bei.

Die Schweiz ist für Deutschland ein enorm wichtiger Partner. Auf der Grundlage kultureller wie wirtschaftlicher Verbindungen und im Anblick geteilter Herausforderungen, ist die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Schweiz für Deutschland sehr wichtig. Das möchte ich mit meinem Besuch signalisieren.