Bundespräsident Christian Wulff bei Rabbinerordination in Berlin

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 4. November 2010

Bundespräsident Christian Wulff am Rednerpult

Staat und Religion sind in Deutschland getrennt. Deswegen ist es nicht ganz leicht, hier, in einer religiösen Zeremonie in der Synagoge als Staatsoberhaupt das Wort zu ergreifen.

Wenn ich es für einige wenige Augenblicke trotzdem tue, dann in erster Linie, um zu sagen: Ich freue mich sehr darüber, dass wir in diesem Jahr ein besonderes Jubiläum feiern: 200 Jahre liberales Judentum in Deutschland. Zu einem solchen beeindruckenden Jubiläum darf auch der Bundespräsident gratulieren - und da dieses Jubiläum daran festgemacht wird, dass vor 200 Jahren der erste liberale jüdische Gottesdienst in Deutschland gefeiert wurde, darf ich meinen Glückwunsch auch in einem Gottesdienst sagen.

Zumal das ein besonderer Gottesdienst ist: Seit zwei Jahren erst werden in Deutschland nach dem Krieg und der Shoah wieder Rabbiner ordiniert, Rabbiner, die hier in Deutschland ausgebildet wurden. Das erfüllt nicht nur die jüdische Gemeinde mit Freude! Das zeigt darüber hinaus, dass das jüdische Leben - und zwar das jüdische Leben aller Richtungen, in seiner ganzen Vielfalt, von orthodox bis liberal -in unserem Land wieder Wurzeln geschlagen hat. Deswegen freuen wir uns heute alle mit und sind dankbar!

Rabbiner und Rabbinerinnen dienen dem religiösen Aufbau der Gemeinde, sie legen Gottes Wort aus, sie stehen den Menschen als Seelsorger bei aus dem Glauben heraus. Und doch ist dieser Dienst kein rein religiöser Dienst, der die Gesellschaft nichts anginge, so wie auch der religiöse Glaube gesellschaftlich nicht neutral ist.

Für unsere Gesellschaft, für unser Zusammenleben hier in Deutschland, ist es wichtig, dass wir uns politisch miteinander auseinandersetzen und füreinander engagieren. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen sich umso bereiter für andere einsetzen, je stärker sie über sich selbst hinausdenken, je weniger sie um sich selbst und ihr eigenes Ich kreisen.

Wer glaubt, der weiß, dass er sich nicht sich selber verdankt. Der weiß, dass ihm die Schöpfung nur geliehen ist, der weiß, dass die anderen ihm wie Brüder und Schwestern sein sollen. Es gehört zu den großen Gedanken, die Juden und Christen verbinden, dass Gottesliebe und Nächstenliebe untrennbar miteinander verbunden sind.

Auch deshalb freue ich mich über lebendige jüdische Gemeinden in Deutschland, über engagierte und geachtete Rabbiner und Rabbinerinnen und über lebendige Gottesdienste, die uns immer wieder über den Alltag hinausführen - zum Lobe Gottes und zu unserem Segen.