Bundespräsident Christian Wulff beim Festakt zum 60-jährigen Bestehen der Gewerkschaft der Polizei

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 24. November 2010

Bundespräsident Christian Wulff am Rednerpult

Ich freue mich sehr, dass ich heute bei Ihnen sein kann. Wir haben aus vielerlei Gründen Anlass dazu, den Polizistinnen und Polizisten in Deutschland nicht nur zu danken, sondern ihnen auch ganz große Aufmerksamkeit für ihre Arbeit zukommen zu lassen.

Wir alle erleben in diesen Tagen Ihre Kolleginnen und Kollegen in Schutzwesten und mit Maschinenpistolen bewaffnet. Für jede Bürgerin und für jeden Bürger ist augenfällig, dass Deutschland ein mögliches Ziel des internationalen Terrorismus ist. Das ist nicht neu; neu aber ist sicher die akute Gefährdungslage. Ich unterstütze die Bundesregierung, den Bundesinnenminister, die Sicherheitsbehörden bei ihren umfassenden und besonnenen Bemühungen, terroristische Bedrohungen abzuwenden.

Die Polizei leistet dabei einen entscheidenden Beitrag. Es liegt in unser aller Interesse, dass sie in ihrer Arbeit weiter gestärkt und unterstützt wird. Ich begrüße die Geduld der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land - auch wenn es eigentlich selbstverständlich sein sollte, dass sie Verständnis haben für die erhöhte Wachsamkeit.

Die innere Sicherheit unseres Landes ist ein hohes Gut. Es verhält sich mit ihr wie mit der eigenen Gesundheit: Man hält sie für selbstverständlich, bis etwas passiert. Deshalb sind Vorbeugung und Prävention so wichtig. Beides ist - wie die Gefahrenabwehr - vor allem Ihre Aufgabe, Aufgabe der Polizei. Mit der inneren Sicherheit schützen Sie zugleich die Freiheit unserer Gesellschaft und die jedes einzelnen Bürgers, jeder einzelnen Bürgerin. Ich möchte den Polizistinnen und Polizisten ausdrücklich Dank sagen, nicht nur für Ihre Pflichterfüllung, die häufig schwierig ist, sondern für Ihr weit darüber hinaus gehendes Engagement. Und ich möchte in den Dank die Familien der Polizisten ausdrücklich mit einschließen, die ja auch viele Entbehrungen und Opfer zu bringen haben, weil Ihre Tätigkeit verbunden ist mit vielen Überstunden und vielen Risiken. Und danken möchte ich Ihnen natürlich auch im 60. Jahr Ihres Bestehens, dass Ihre Gewerkschaft sich für die einsetzt, auf die unsere Gesellschaft tagtäglich vertraut und angewiesen ist.

Die Gründung der Gewerkschaft der Polizei als eigenständige und unabhängige Polizeigewerkschaft im Jahre 1950 war ein wichtiger Beitrag zur Festigung der Demokratie in der damals noch jungen Bundesrepublik Deutschland. Die Gewerkschaft der Polizei wirkt ja nicht nur für ihre Mitglieder, sondern auch als Ratgeber, als Kritiker, als Akteur der Politik in Fragen der inneren Sicherheit. Ihre Beratung ist unverzichtbar, weil Sie wirklich etwas von der Sache verstehen, aus eigener Anschauung. Ich hoffe, dass Sie uns alle weiter so tatkräftig unterstützen, wie Sie es in den letzten 60 Jahre getan haben.

Sie schaffen mit Ihrem Einsatz die Bedingungen dafür, dass sich der Einzelne in unserem Gemeinwesen tatsächlich sicher fühlen und seine demokratischen Freiheiten entfalten kann. Sie sichern Vertrauen in die Institutionen unserer Demokratie und vor allem auch den Respekt vor den Regeln unseres Gemeinwesens, vor Gesetzen, Verordnungen, Erlassen. Wenn man sich die Zeitungen anschaut, ob am heutigen Tage oder an irgendeinem beliebigen Tag in den letzten Monaten, wird man sehr schnell feststellen, wo Sie überall täglich gefordert sind: Wenn ein verdächtiges Päckchen am Flughafen geortet wird oder eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft werden muss. Bei nächtlichen Schlägereien oder Demonstrationen, bei öffentlichen Großveranstaltungen oder Staatsbesuchen. Sie überwachen rund um die Uhr verdächtige Personen. Sie überprüfen Reisebusse vor einer Klassenfahrt auf Fahrtauglichkeit. Sie ermöglichen es Sportbegeisterten ihren Verein ohne Gefahr im Stadion zu unterstützen. Sie bekämpfen Kriminalität im Internet und sie beschützen Menschen vor anderen Menschen.

Vieles davon wird überhaupt nicht öffentlich bekannt - vor allem, wenn den Beamtinnen und Beamten das gelingt, was die eigentliche Hauptaufgabe der Polizei ist: Nämlich Gefahren abzuwehren und Schlimmeres zu verhüten. Das sind Leistungen, die auch in anderen Bereichen des Lebens häufig wenig gewürdigt werden und für die leider viel zu selten gedankt wird. Eben gerade, weil sie nicht sichtbar werden. Einen Fehler, eine Straftat, einen Unfall, vielleicht gar eine Katastrophe frühzeitig verhindert zu haben, bringt in der Regel weniger Dank, Ehre und Schlagzeilen, als ein Verbrechen aufzuklären, einen Täter festzunehmen oder Opfer zu retten. Aber gerade in diesen Wochen akuter gegenwärtiger Bedrohungslage zeigt sich doch, wie wichtig Ihre häufig gefahrengeneigte Arbeit im Alltag ist. Und deswegen hat die Polizei in Deutschland die Solidarität, Sympathie und Dankbarkeit der gesamten Gesellschaft verdient!

Sie bekommen vor allem die Schattenseiten unserer Gesellschaft zu Gesicht: Gewalt, Leid, Verwahrlosung. Wo andere ihre eigentlichen Aufgaben nicht mehr wahrnehmen und diese an die Gesellschaft, an den Staat delegieren. Dabei setzen Sie Ihre Gesundheit ein, gelegentlich Ihr Leben, um mit Ihrem Einsatz das Gute, das Menschliche, schlicht ein geordnetes Zusammenleben in unserer Gesellschaft zu verteidigen. Und das ist etwas, was man sich immer wieder bewusst machen muss: Welche Arbeit Polizeibeamtinnen und -beamte für unser Land, für jeden Einzelnen leisten! Sie haben dabei gewiss manchmal das Gefühl, eine Art Sisyphusarbeit zu leisten. Denn die Probleme unserer Gesellschaft können Sie nicht lösen, jedenfalls nicht allein. Sie sind auf die Unterstützung anderer angewiesen, von Politikerinnen und Politikern, von Eltern, Erziehern, Lehrern, von Schulen, Institutionen, Vereinen und Verbänden.

Ohne Sie und Ihren Einsatz aber wäre es gar nicht möglich. Wir müssen darauf vertrauen können, dass Recht durchgesetzt wird, dass Straftaten verfolgt werden - denn das ist die Basis für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Ohne Sie würde unser Rechtsstaat nicht funktionieren und damit letztlich auch nicht unsere freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung und unsere Demokratie.

"Sicherheit ist Mehrwert" - so lautet Ihr Motto in diesem Jahr 2010. Ich unterstütze das aus vollem Herzen, weil wir uns bewusst sein sollten: Wir leben in Deutschland in einem der friedlichsten und einem der sichersten Länder auf dieser Erde. Man bekommt zwar gelegentlich einen anderen Eindruck vermittelt - aber die registrierte Kriminalität in Deutschland geht stetig zurück. Das ist auch ein Beleg für die hervorragende Arbeit der Polizei und darüber sollten wir uns freuen.

Sicherheit ist ein wichtiger Faktor für die Lebensqualität in Deutschland und damit ein großer Vorteil im weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe. Wir wissen um den demografischen Wandel und seine Folgen. Wir müssen in Zukunft vermehrt attraktiv sein und dafür sorgen, dass einfallsreiche und tatkräftige Menschen zu uns kommen und dann auch bei uns bleiben wollen. Auch insofern ist Sicherheit tatsächlich ein "Mehrwert" für den Standort Deutschland, den wir uns etwas kosten lassen sollten, weil er Zinsen bringt und Ansehensgewinn. Als Bundespräsident habe ich schon viel mit Botschafterinnen und Botschaftern gesprochen, die Jahre in Deutschland verbracht haben, und mit ausländischen Studierenden. Alle berichten davon, wie gern sie in Deutschland leben - auch, weil sie sich hier sicher fühlen.

Wie wertvoll es ist, sich ohne Furcht frei bewegen und leben zu können, ohne sich hinter Mauern verschanzen zu müssen, begreift mancher erst, wenn er erlebt hat, wie rechtlos man sich in einem Land fühlen kann, in dem die Polizei anders als bei uns arbeitet, in dem öffentliche Sicherheit kein allgemein verteidigtes, gesellschaftliches Gut ist, sondern Privatsache. Oder schlimmer noch, wenn die Polizei sich käuflich in den Dienst Einzelner stellt, Bürger schikaniert oder als Herrschaftsinstrument der Regierung oder einer Partei dient. Wir dürfen es nie als selbstverständlich ansehen, dass wir in einem freiheitlichen Rechtsstaat leben, der die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger garantiert. In unserem Gemeinwesen gilt die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren. Das ist ein überaus beglückendes Gefühl und das haben wir auch Ihnen zu verdanken, den Polizistinnen und Polizisten in unserem Land!

Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land sind übrigens viel sensibler und klüger als mancher, manche denkt. Sie haben ein feines Gespür für unsere Verfassung und was verteidigenswert ist, allem voran der Schutz der Würde jedes einzelnen Menschen. "Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt", so heißt es im Grundgesetz. Und wer denkt bei "staatlicher Gewalt" nicht zu allererst an die Polizei?

Sie haben, als Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte und als Gewerkschafter, mit Ihrer Arbeit an der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland mitgeschrieben. An einer Kultur des Miteinanders, der gemeinsamen Verantwortung, des kritischen Austausches. Wir haben eine mitdenkende Polizei, wie ich sie nur in wenigen Ländern der Erde in der Form erlebt habe. Es wird aufgegriffen, was vorgetragen wird an Verbesserungsvorschlägen, an Kritik, an Anstößen. So hat die Gewerkschaft der Polizei mitgewirkt an der Entwicklung einer Polizei, die in den demokratischen Rechtsstaat eingebettet und vom Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger getragen ist. Sie hat mitgeholfen, die Polizei als Institution weiterzuentwickeln und an die Veränderungen in unserer Gesellschaft anzupassen.

Können Sie sich noch vorstellen, dass erst vor 20 Jahren in allen Bundesländern Frauen in Polizeiuniform zugelassen waren? Heute ist das natürlich zu Recht und zum Glück eine Selbstverständlichkeit. Sie hat das Bild der Polizei in der Bevölkerung positiv verändert und auch die Polizei selbst. Das Bewusstsein ist gestiegen, dass Frauen und Männer in Uniform Menschen mit auch privaten Pflichten sind, mit Kindern, mit alten oder kranken Angehörigen. Und es ist gut und wichtig, dass sich die Polizei in immer mehr Bundesländern immer intensiver darum bemüht, familienfreundlicher zu werden. Wer sich als Mensch mit all seinen Bedürfnissen ernst genommen fühlt, leistet bessere, motiviertere und engagiertere Arbeit. Künftig wird auch das Thema "altersgerechter Arbeit" wichtig sein. Die Verantwortlichen sind gut beraten, auch hier zu flexiblen Arbeitsmodellen zu kommen, um die Fähigkeiten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern länger als bisher nutzen zu können, vor allem dann, wenn sie auch länger dazu willens, bereit und in der Lage sind - was bei der Polizei besonderer Überprüfungen und Anforderungen bedarf, das weiß jeder, der Ihre Arbeit beurteilen kann.

Noch eines liegt mir am Herzen: In einer immer vielfältiger zusammengesetzten Gesellschaft brauchen wir eine Polizei, die die Vielfalt in ihren eigenen Reihen widerspiegelt. Ich begrüße ausdrücklich, dass immer mehr Bewerberinnen und Bewerber mit ausländischen Wurzeln für den Polizeidienst geworben werden. Und ich bin sehr dankbar, dass sich in unserer Polizei ein Bewusstsein für die Vielfalt unserer Gesellschaft entwickelt hat, dass es Einfühlungsvermögen gibt, Empathie, Interesse für fremder Religionen Feiertage, Riten, Rituale, Sitten. Das zeigt: Unsere Polizei ist immer wieder in der Lage, sich zu verändern und sich neuen Herausforderungen zu stellen. Ein ganz großes Kompliment also an die Polizeien in den 16 Ländern.

Sie alle leisten einen wichtigen Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft, weil Sie oft täglich unterwegs sind und Probleme hautnah erleben. Sie erleben, wie Schulen, Moscheen, Stadtteilvereine zusammengeführt werden müssen, um zur Lösung von Problemen beitragen zu können. Dialog und Vertrauensbildung, Konsequenz und Autorität sind eine gute Mischung, um das Ansehen der Polizei weiter zu steigern und das Vertrauen in die Polizei weiter auf diesem erreichten hohen Niveau zu sichern.

Die Polizei ist gewissermaßen Spiegelbild und Seismograph gesellschaftlicher und politischer Veränderungen. Ebenso wie unsere Gesellschaft ist die Arbeit der Polizei komplexer, in vieler Hinsicht auch offener, internationaler und sensibler geworden. Neue Gefährdungen und Konflikte beschäftigen uns. Globalisierung, Veränderungen in der Gesellschaft, technische Entwicklungen und die gewachsene internationale Verantwortung unseres Landes stellen auch die Polizei vor immer neue Herausforderungen.

Die sich ständig weiter entwickelnde Technik bringt zwar neue Möglichkeiten der Ermittlung, aber andererseits auch ganz neue Formen der Kriminalität. Viele davon sind grenzüberschreitend und erfordern engere Formen der Zusammenarbeit mit europäischen Nachbarn und international. Auch die Ausbildungsmissionen der Polizei auf dem Balkan oder in Afghanistan brauchen zusätzliche Kräfte und Fähigkeiten.

Was ich mit besonderer Sorge verfolge, ist die wachsende Gewaltbereitschaft bei einzelnen Tätergruppen und einzelnen Tätern. Das stellt für die Polizeibeamten ein wachsendes Risiko dar, aber auch für die gesamte Gesellschaft. Es ist gut, dass Sie gleich vor aller Öffentlichkeit und für die Öffentlichkeit über Angriffe auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte diskutieren. Denn immer mehr sind im Dienst bedroht oder angegriffen worden. Herr Richter hat dankenswerter Weise eben auch erwähnt, dass nicht nur Polizeibeamte betroffen sind, sondern auch Menschen in anderen Berufsgruppen, die für unser Land tätig sind, und deren Einsatz nicht nur körperliche, sondern auch seelische Verletzungen mit sich bringt. Es ist gut, dass die Aufmerksamkeit für die psychischen Belastungen, denen Ihre Mitglieder ausgesetzt sind, gestiegen ist. Solche Verletzungen müssen ernst genommen und fachkundig behandelt werden, das ist ein Gebot der Fürsorge und der Menschlichkeit. Und es wird immer wichtiger, weil der Druck in Ihrem Beruf häufig größer wird.

Ich möchte jedenfalls in jeder Hinsicht scharf verurteilen, dass in dieser Gesellschaft mancher hinzunehmen scheint, dass das eben so sei, dass Beamte heute gefährlicher Dienst tun als noch früher. Wir müssen dafür kämpfen und eintreten, dass es wieder zum Konsens in der gesamten Gesellschaft gehört, dass man die Arbeit der Polizeibeamten schätzt, würdigt, unterstützt und nicht erschwert. Das muss für alle gelten und dafür sollten Sie heute ein klares Signal senden.

Wenn ich mir den nächtlichen Dienst der Polizei angeschaut habe, war ich immer am meisten über die Gelassenheit von Polizisten beeindruckt, die von Menschen um Hilfe gebeten wurden, die vorher den Wert der Polizeiarbeit überhaupt geschätzt hatten - und dann, wenn sie Opfer einer Straftat werden, auf einmal merken, wie gut es ist, eine Polizei zu haben, auf die man sich verlassen kann.

Dass Sie für Ihre Arbeit auch die Unterstützung des Strafrechts brauchen, ist in der Politik weithin anerkannt. Aber ich verstehe auch, dass Sie immer wieder sagen: Verlasst Euch nicht nur auf das Strafrecht, sondern erkennt, dass Prävention viele Gesichter hat. Dazu gehören eine wirkungsvolle und zielgerichtete Sozialpolitik, breite Bildungschancen und eine sensible Stadtplanung. Dazu gehört, dass jeder Chancen hat auf Teilhabe am wirtschaftlichen, am gesellschaftlichen und am sozialen Leben in unserem Land. Allen das Gefühl zu geben gebraucht zu werden, anerkannt zu sein, respektiert zu sein, gewollt zu sein, fair behandelt zu werden, ermutigt zu werden, gefördert zu werden: Das ist etwas, worüber wir viel mehr nachdenken müssen.

Ganz wichtig ist auch alltägliche Hilfsbereitschaft. Von Lehrern, von Nachbarn, von Freunden, von älteren Mitbürgern, von Menschen die gesehen haben, da hat jemand ein Problem, da braucht jemand Hilfe - und die helfen, einfach so, ohne dazu verpflichtet zu sein, ohne dazu veranlasst, genötigt, dafür bezahlt zu sein.

Meine Damen und Herren, ich weiß, über vieles muss in unserem Land gestritten werden, in einem offenen Dialog. Es gibt keine Entscheidungen ohne Zielkonflikte und es gibt auch keine interessenslose Politik. Damit hängt unmittelbar zusammen, was gerade in der letzten Zeit besonders deutlich geworden ist. Wir brauchen neue Formen der Transparenz und der Öffentlichkeit. Gerade bei langfristigen Projekten müssen die zu berücksichtigenden Belange, Kosten und Nutzen fortdauernd offener diskutiert und Entscheidungen verständlich gemacht werden. Dann wird auch wieder klarer, dass unsere Republik, das heißt unsere gemeinsame "öffentliche Sache", auch bei den Bürgerinnen und Bürgern als solche so erkannt wird und dass sie in den Parlamenten, Stadträten, Regierungen und Verwaltungen gut aufgehoben ist. Ich finde es positiv, dass sich die Polizei mit Bürgerinitiativen frühzeitig und regelmäßig an einen Tisch setzt. Dass gerade die Polizei dafür wirbt, ihr Vorgehen, ihre Arbeit, ihre Aufgaben verständlich zu machen und zu vermitteln, dass es hier nicht um Inhalte geht, sondern darum, von Parlamenten entschiedene Inhalte auch durchzusetzen und damit dafür zu sorgen, dass man sich auf staatliche Entscheidungen verlassen kann.

Ich leide manches Mal mit Ihnen, wenn es um das Recht auf Demonstrationsfreiheit geht, wo Sie doch immer wieder in Zielkonflikten stehen. Sie müssen die Ausübung des Grundrechts sichern, aber auch andere Rechtsgüter schützen. Als Bundespräsident möchte ich in Erinnerung rufen: Alle Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Aber es heißt dort eben: friedlich und ohne Waffen. Und wenn manche ein "Recht auf Widerstand" reklamieren, muss auch hier ein Blick in das Grundgesetz erhellend wirken: Ein Recht auf Widerstand gibt es eben nur gegen Versuche, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen, und sofern andere Abhilfe nicht möglich ist, nicht aber gegen verfassungsgemäße Beschlüsse demokratisch gewählter Volksvertretungen.

In den vergangenen Tagen haben Sie - auch wegen der allgemein berechtigt vorhandenen Sorgen und Nöte - eine besondere Aufmerksamkeit für Ihre Arbeit gehabt. Aber am meisten sollten Sie sich freuen über das hohe Vertrauen, das Sie in der Bevölkerung genießen. Das ist, wenn Sie sich in Europa umschauen, nicht selbstverständlich. Dieses Vertrauen hat zu tun mit Ihrem hohen Ausbildungsstand, mit der Professionalität und vor allem mit Ihrem hohen Berufsethos. Wie sehr unsere Polizei geschätzt wird, zeigt sich auch bei den Einsätzen, in denen sie internationale Verantwortung übernimmt. Diese Auslandseinsätze sind ein Teil der Prävention, auch sie dienen dazu, die Freiheit unserer Gesellschaft zu sichern. Ich vertraue darauf, dass Ihnen dies auch angesichts der aktuellen Bedrohungen gelingt. Sie sind als Polizeibeamtinnen und -beamte überall in der Welt, wo Sie andere ausbilden, ein Aushängeschild unseres Landes, eine Botschafterin, ein Botschafter Deutschlands.

Vertrauen ist wie unsere innere Sicherheit ein extrem hohes Gut. Es muss beständig geschützt und erneuert werden. Für unsere Demokratie gilt: Sie braucht Kritik und Beteiligung, Einmischung und Widerspruch. Das gilt auch für die Polizei, die klare Verantwortlichkeit braucht, aber auch eine offene Gesprächskultur im Inneren. Dafür ist die Gewerkschaft der Polizei immer eingetreten. Und ich möchte Sie auch für die Zukunft auffordern, so engagiert, so kritisch, so mutig in der Öffentlichkeit und gegenüber der Politik aufzutreten, wie in den letzten Jahrzehnten.

Ich danke Ihnen, Herr Freiberg, dass Sie so viele Jahrzehnte für die Polizei gestritten und in der Polizei gearbeitet haben, allein zehn Jahre als Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, kompetent, couragiert, sympathisch und klar. Ihre Auftritte im Fernsehen und im Rundfunk, Ihre Publikationen und Veröffentlichungen haben immer Erkenntnisgewinn gebracht. Sie haben auch immer Verständnis gehabt für diejenigen, die für Ihre Forderungen jeweils die Geldmittel bereitstellen mussten. Unser Land ist Ihnen zu großem Dank verpflichtet.

Sie, Herr Witthaut, sind ja schon lange in der Gewerkschaft der Polizei als Bundesvorstandmitglied aktiv. Ich freue mich, dass Sie nun die Arbeit fortführen, die Herr Freiberg so überaus erfolgreich in den letzten zehn Jahren geleistet hat. Uns beide verbindet unsere Heimatstadt Osnabrück. Und nachdem wir nun beide nach Berlin gegangen sind, hoffe ich, dass wir uns hier gelegentlich austauschen können. Jedenfalls wünsche ich Ihnen eine erfolgreiche Arbeit in diesem wichtigen Amt, lade Sie ein zum regelmäßigen Gespräch, weil mir die Polizei in Deutschland in besonderer Weise am Herzen liegt, und gratuliere der Gewerkschaft der Polizei zu 60 Jahren überaus erfolgreicher gewerkschaftlicher Arbeit im Interesse unseres Landes.

Vielen Dank.