"91. Ostasiatisches Liebesmahl" des Ostasiatischen Vereins

Schwerpunktthema: Rede

Hamburg, , 25. März 2011

Rede des Bundespräsidenten beim 91. Ostasiatischen Liebesmahl des Ostasiatischen Vereins

Bundespräsident Christian Wulff in Hamburg

Die schrecklichen Bilder aus Japan erschüttern uns. Wie 2004 nach dem Beben vor Sumatra tötete eine Riesenwelle tausende von Menschen und machte ganze Landstriche dem Erdboden gleich. Die Überlebenden stehen fassungslos vor den Trümmern. Die ungeheure Vernichtungskraft der Natur zwingt uns zur Demut. In Japan kommt eine andere Katastrophe dazu: Die Menschen sind von nuklearem Unheil bedroht, dessen Ausmaße wir noch nicht abschließend überblicken.

Dieses Jahr feiern wir 150 Jahre diplomatische Beziehungen mit Japan. Bei der feierlichen Eröffnung des deutsch-japanischen Jahres hat der japanische Vize-Außenminister in meiner Anwesenheit gesagt, dass sich wahre Freundschaft im Regen zeige. Das hat eine traurige Aktualität bekommen. Deutschland hilft Japan in dieser Not, wo immer möglich. Die Solidarität der Bevölkerung mit unseren japanischen Freunden ist groß. Dafür bin ich sehr dankbar. Wir fühlen aus tiefem Herzen mit den vielen, die Angehörige verloren haben, verletzt wurden oder ihr Hab und Gut eingebüßt haben. Denen, die mit der Überwindung der Folgen der Katastrophe ringen, wünschen wir, dass sie möglichst bald zu einem normalen Leben zurückkehren können.

Der Schock über die Katastrophe sitzt tief. Nach dem Erdbeben in Kobe 1995 hat Japan die wirtschaftlichen Folgen relativ schnell überwunden. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Land auch heute die Kraft zum Wiederaufbau hat. Aber die Folgen des Unfalls im Atomkraftwerk Fukushima für Japan, seine Nachbarn und die Welt sind in ihrer Gesamtheit noch nicht abzuschätzen.

Auf meinen Reisen nach Asien habe ich persönlich erfahren, wie nahe sich Asien und Deutschland trotz der großen geographischen Entfernung sind. Diese Nähe macht sich immer an einzelnen Personen fest: Ich denke an die Gründung der Tongji Universität in Shanghai durch den deutschen Arzt Paulun. Viele Verantwortliche in China wissen um den Einsatz des Siemens-Managers John Rabe in Nanking. Das sind Verknüpfungspunkte von gegenseitiger Sympathie. Die menschliche und respektvolle Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen im japanischen Kriegsgefangenenlager in Bando bei Naruto in Tokushima ist bewegend und hat die Aufführungstradition von Beethovens 9. Sinfonie in Japan begründet. Ich könnte noch viele andere, eindrucksvolle Beispiele aus meinen Reisen nennen. In den nächsten Jahren werden auf weiteren Asien-Reisen noch sehr viele Andere dazukommen. Ich freue mich über diese intensiven, von Respekt und Sympathie geprägten Beziehungen zwischen Deutschland und Asien.

Nicht nur menschlich, auch wirtschaftlich und politisch sind wir engstens mit Asien verknüpft. China, Indien, Indonesien und andere ASEAN-Länder werden einen immer wichtigeren Platz in der globalen Arbeitsteilung einnehmen. Ihre Volkswirtschaften wachsen stark. Zusammen mit anderen aufstrebenden Ländern machen China und Indien auch ihr politisches Gewicht geltend, etwa in den G-20.

Über die unmittelbare Bewältigung der Folgen des Erdbebens in Japan hinaus müssen wir uns also auch noch sehr grundsätzlichen Fragen über unser Verhältnis mit Asien stellen: Was bedeutet das neue Gewicht asiatischer Mächte für die zukünftige Weltordnung? Wird der Aufstieg Asiens unbegrenzt weitergehen? Und wie sollten wir in Deutschland mit ihm umgehen? Ich möchte Ihnen meine Gedanken in sieben Thesen darlegen.

These Nummer Eins: Der Aufstieg Asiens wird nicht linear verlaufen. Die Katastrophe in Japan ist ein Beispiel für eine schlagartige Änderung der Lage. Für die betroffenen Menschen ist es ein Desaster. Und dennoch sehen wir: Die Menschen halten zusammen, es kommt nicht zu Plünderungen oder Gewalt, wie wir es leider bei anderen Katastrophen gesehen haben. Die Gesellschaft hat ausreichend Zusammenhalt und Stabilität.

Andere asiatische Länder sind innenpolitisch fragiler. Die Ereignisse in der arabischen Welt halten uns in aller Deutlichkeit vor Augen, wie stark und universell der Wunsch nach Gerechtigkeit, Freiheit und Teilhabe am Wohlstand ist. Die Vielfalt einer offenen Gesellschaft bietet auf lange Sicht mehr Stabilität als die erzwungene Einheit einer geschlossenen. Aber der Übergang dahin kann voller Komplikationen sein, die auf die wirtschaftliche Entwicklung nicht ohne Folgen bleiben.

Auch die sicherheitspolitische Lage auf dem Kontinent ist nicht abschließend gefestigt. Auf der koreanischen Halbinsel hat Nordkorea erst kürzlich den Konflikt militärisch eskaliert und bleibt schwer berechenbar. Selbst an der Grenze zwischen den ASEAN-Partnern Thailand und Kambodscha kam es vor kurzem zu Gefechten. In Asien stehen sich nuklear bewaffnete Großmächte mit überlappenden Territorialansprüchen gegenüber. Die Militärausgaben Asiens wuchsen im Jahre 2009 mit fast neun Prozent stärker als der weltweite Durchschnitt. Zwar liegen die Rüstungsausgaben in absoluten Zahlen weit unter den Ausgaben der USA. Aber eine schnelle Aufrüstung mit einer noch lockeren Sicherheitsarchitektur birgt die Gefahr eines Rüstungswettlaufs.
Damit komme ich zur zweiten These:

Es ist in unserem ureigenen Interesse, dass der Aufstieg Asiens friedlich und ohne scharfe Brüche verläuft. Deutschland und Europa sollten folglich auch weiterhin für die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für nachhaltige Stabilität eintreten. Dazu gehört, immer wieder auf die Bedeutung der universalen Menschenrechte hinzuweisen, zu deren Einhaltung sich die Regierungen in Asien selber verpflichtet haben. Wir müssen für die Vorteile unseres Gesellschaftsmodells eines demokratischen Rechtsstaates und einer sozialen Marktwirtschaft werben, ohne es anderen aufzwingen zu wollen. Wenn deutsche Firmen sich in Asien an beispielhafte Sozial- und Umweltstandards halten, leisten sie dazu einen wichtigen Beitrag. Wir alle müssen dafür sorgen, dass unsere Gesellschaftsordnung ausreichend attraktiv bleibt, um im Wettbewerb mit Anderen bestehen zu können.

Im Bezug auf die außenpolitische Stabilität haben wir mit der europäischen Friedensordnung nach dem zweiten Weltkrieg Erfolge vorzuweisen, auf die wir mit Recht stolz sein können. In der Europäischen Union leben die Mitgliedsstaaten trotz lebhafter Kontroversen in Sachfragen den friedlichen Ausgleich unterschiedlicher Interessen. Europa kann Asien immer wieder anbieten, von diesen Erfahrungen zu profitieren.

Das gilt besonders für das Verhältnis zwischen Staaten unterschiedlicher Größe: Die Einwohnerzahl von Malta steht im Verhältnis ähnlich zu der von Deutschland, wie die von Laos zu China. Große Staaten tun nicht nur in Europa gut daran, den Ausgleich mit kleineren Nachbarn zu suchen. Wer dies schafft, baut Legitimität und Glaubwürdigkeit auf.

Die europäische Integration war und bleibt ein langer und schwieriger Prozess, der eines starken politischen Willens bedarf. Die derzeitige Euro-Krise belegt dies. Sie sollen aber nicht den Blick darauf verstellen, was Europa bereits erreicht hat. In der Europäischen Union spielen beispielsweise Zölle unter den Mitgliedsländern keine Rolle mehr. Wir sind da, wo die Mitgliedsstaaten von ASEAN bis 2015 hinwollen.

Im 21. Jahrhundert brauchen wir aber nicht nur bessere Kooperation innerhalb verschiedener Weltregionen, sondern weltweit. Wir brauchen, und das ist meine dritte These, verlässliche Institutionen und akzeptierte Regeln, um globale Probleme anzugehen.

Die jetzige Krise in Japan zeigt zum Beispiel die Bedeutung einer Internationalen Atomenergiebehörde. Die Welt braucht eine starke, international legitimierte Organisation in Fragen der nuklearen Sicherheit. Radioaktive Wolken machen an keiner Landesgrenze halt. Nur wenn sich alle Weltregionen angemessen repräsentiert fühlen, können die internationalen Organisationen die notwendige Legitimität beanspruchen. Die Aufwertung der BRIC-Staaten im Internationalen Währungsfonds war ein Schritt in die richtige Richtung. Und auch die Vereinten Nationen sollten im 21. Jahrhundert nicht mehr die Realitäten von 1945 abbilden.

Im wirtschaftlichen Bereich brauchen wir eine starke, und von allen akzeptierte Welthandelsorganisation. Dort gehört dann auch das strittige Thema verdeckter Exportsubventionen hin, das vielen Firmen zu schaffen macht. Es ist in unserem Interesse, sich weltweit für faire Regeln einzusetzen und deren Einhaltung zu verlangen, auch wenn das in manchen Bereichen bedeutet, eigene Positionen zu hinterfragen.

Wenn es um globale Standards geht, wird angesichts des Klimawandels ebenfalls das heikle Thema von Pro-Kopf-Emissionen auf die Tagesordnung rücken. Ein Blick in die Geschichte zeigt, wie wichtig ist es ist, asiatische Vorstellungen bei der Erstellung globaler Standards einzubeziehen. Bei der Ausarbeitung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nach dem zweiten Weltkrieg spielte der chinesische Delegierte, P.C. Chang, als Moderator zwischen verschiedenen Wertesystemen eine wichtige Rolle. Und es war die indische Delegierte, Hansa Metha, die sich damals in den Diskussionen besonders konsequent für die explizite Nennung von Frauenrechten stark gemacht hat.

Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat diejenigen bestärkt, die ohnehin starke Zweifel am Grundsatz weitgehend unregulierter weltweiter Finanzmärkte hatten. Das waren in Asien nicht Wenige. Wir müssen die Lektionen der Krise ernst nehmen und so schnell wie möglich zu einer Stabilitätskultur zurückfinden, die ein nachhaltig tragfähiges Wirtschaftswachstum garantiert. Wir sollten aber auch diskutieren, wie eine bessere Regulierung der Finanzmärkte eine neue Krise verhindern kann. Die Finanzkrise ist ein weiteres Beispiel dafür, wie stark verbunden das Schicksal Europas mit dem Asiens jetzt schon ist. Wir sitzen in einem Boot.

Dieses Boot wird in Zukunft anteilsmäßig weniger europäische Passagiere haben. Nach Schätzungen der VN werden im Jahr 2050 vier der fünf bevölkerungsreichsten Länder in Asien liegen. Und die asiatischen Passagiere werden reicher. Gemessen am Sozialprodukt überholen die ersten Länder jetzt schon Deutschland. Aber das ist erst der Anfang: Wenn es den Ländern gelingt, ihre Entwicklung zu verstetigen, dann wird ihr Pro-Kopf-Einkommen weiter steigen. Erst wenn dieses vergleichbar mit dem in Europa und den USA ist, ist Asien wirtschaftlich dort angekommen, wohin Asien will. Das ist dann eine Welt, in der in Asien erheblich - und ich meine wirklich - erheblich mehr Wohlstand erwirtschaftet wird als in Europa, von Deutschland ganz zu schweigen. Die europäischen Passagiere werden dadurch zwar nicht unbedingt ärmer, haben aber weniger relatives Gewicht.

Daher komme ich zu meiner vierten These: Wenn Europa in der Welt von morgen seine Interessen angemessen einbringen will, brauchen wir eine effiziente gemeinsame Außenpolitik. Europa kann nur mit vereinten Kräften seine Perspektiven in die neuen Ordnungsdebatten einbringen.

Das ist allerdings keine neue Erkenntnis. Der deutsche Diplomat und Asienkenner Max von Brandt schrieb 1895 in einer Denkschrift über die Zukunft von Ostasien: "Die Idee der "Vereinigten Staaten von Europa" wird gern verspottet, und doch liegt in dem Zusammenschluss der europäischen Mächte für solche Zwecke die beste, wenn nicht die einzige Möglichkeit, Ostasien gegenüber die kommerziellen und industriellen, wie auch die politischen Interessen Europas zu wahren."

Der neu ins Leben gerufene Europäische Auswärtige Dienst kann hier eine wichtige Rolle spielen. In Handelsfragen hat Europa schon lange davon profitiert, sein Gewicht auf eine gemeinsame Waagschale zu werfen. Das jüngst abgeschlossene Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Südkorea ist ein wichtiges Zeichen, dass Europa die Bedeutung der asiatischen Märkte im Blick hat. Mit einigen ASEAN-Mitgliedsstaaten verhandelt Brüssel ebenfalls. Angesichts des 2010 in Kraft getretenen Freihandelsabkommen zwischen China und ASEAN darf die Europäische Union nicht den Anschluss an die großen Wachstumsregionen in Asien verlieren.

Noch nie in der Geschichte der Welt sind so viele Menschen in so kurzer Zeit in den Weltmarkt integriert worden. Diese Entwicklung geht weit über den Aufstieg Japans und der vier Tiger Hong Kong, Singapur, Korea und Taiwan hinaus. Entsprechend einschneidender werden die Veränderungen bei uns sein können. Das wird nicht einfach. Dennoch dürfen wir uns nicht in einer Wagenburg verschanzen, sondern müssen uns, und das ist meine fünfte These, dem Wettbewerb aus Asien mit aller Kreativität stellen. Die oft gehörten kriegerischen Metaphern sind zwar gut für eine Schlagzeile. Aber sie produzieren auch entsprechende Gegenreaktionen. Sie sind daher fehl am Platz. Wirtschaftlicher Wettbewerb ist kein Krieg, sondern ein fundamentales Ordnungsprinzip eines marktwirtschaftlichen Systems.

Natürlich müssen wir auf Fairness achten: Elektronische Zugriffe auf Firmen oder staatliche Stellen, ganz gleich wo sie herkommen, sind nicht hinnehmbar. Das Gleiche gilt beispielsweise für verdeckte Subventionen oder erzwungenen Technologietransfer. Aber für diese Fälle brauchen wir Wachsamkeit und die oben genannten klaren globalen Regeln.

Das alles darf uns jedoch nicht davon ablenken, uns auf unsere eigenen Hausaufgaben zu konzentrieren, um den Standort Deutschland fit zu halten. Ich habe dazu beim Bundesverband der Industrie im Januar und beim Deutschen Industrie- und Handelstag im März schon eine Menge gesagt. Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass ein Hochtechnologiestandort mit hohen Löhnen mit seinen Produkten und Dienstleistungen besser sein muss als andere, um die Nase weiter vorn zu haben.

In diesem Wettrennen gibt es keinen Stillstand. So wie die vier kleinen Tiger in der Wertschöpfungskette nach oben streben, begnügen sich auch China, Indien und die ASEAN-Länder nicht damit, Werkbank für Billigprodukte zu sein. Und wer meint, Asiaten würden vor allem kopieren, begeht einen schweren Irrtum.

Es heißt für uns, die Ärmel hochzukrempeln und für Neues offen zu sein. Angefangen mit technischem Spielzeug, über Schulen, Medien und Museen gibt es viele Möglichkeiten, die Menschen für Technik und Innovationen zu begeistern. Für eine Energiewende werden wir beispielsweise eine Vielzahl an Erfindungen brauchen. Es liegt an uns, ein positives Innovationsklima zu erzeugen, das nicht mit blinder Technikgläubigkeit zu verwechseln ist. Dann fällt es auch der Wirtschaft leichter, weiter in erstklassige Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter zu investieren. Und das gilt bei einer alternden Gesellschaft übrigens verstärkt auch für ältere Mitarbeiter.

Wir müssen bei uns unsere Schularbeiten machen, jedes Kind besser zu fordern und zu fördern, Frauen stärker in das Arbeitsleben zu integrieren, Migranten faire Chancen zu geben und Ältere länger im Erwerbsleben zu halten. Wir müssen den Wandel unserer Industriegesellschaft hin zur Nachhaltigkeit bewerkstelligen.

Unser zukünftiger Wohlstand entscheidet sich an der Innovationsfähigkeit unseres Landes. Deutschland hat - teilweise über Generationen - in vielen Bereichen einen beachtlichen Vorsprung aufgebaut. So lange Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Hand in Hand weiter an Verbesserung und Erneuerung arbeiten, habe ich keine Sorge um die Zukunft unseres Landes.

Im Gegenteil, und das ist meine sechste These: Ein wettbewerbsfähiges Deutschland wird vom asiatischen Aufschwung weiterhin enorm profitieren, dazu müssen wir aber auch für unseren Standort und um kreative Köpfe aus aller Welt werben.

An den Reaktionen der Börse zeigt sich die starke Verknüpfung unseres Wohlstandes mit der Lage in Japan. Davor hat das Wachstum in Asien viel zur schnellen Erholung der Konjunktur in Deutschland beigetragen. Die Teilhabe am Aufschwung Asiens ist für unsere Volkswirtschaft unverzichtbar. So wachsen dort die Megastädte in für Europäer schwer vorstellbaren Dimensionen. Alleine in China gibt es mehr als 170 Millionenstädte - in ganz Europa sind es weniger als einhundert. Die Urbanisierung bringt ganz neue Anforderungen an Architektur, Versorgung und Transport. Die deutsche Industrie und deutsche Unternehmen können besondere Antworten entwickeln und geben. Insofern ist der geplante Umbau des Weltkonzerns Siemens ein spannendes Unterfangen.

Als Land schlagen wir uns bei der Präsentation von Zukunftsthemen in Asien nicht schlecht: Ich freue mich, dass der deutsche Pavillon auf der Weltausstellung in Shanghai im letzten Jahr den begehrten ersten Preis für die beste Umsetzung des Themas der Weltausstellung "Eine bessere Stadt, ein besseres Leben" erringen konnte. Übrigens, um noch bei der Expo zu bleiben: In vielen anderen Pavillons und Bauten steckte eine Menge deutscher Technik und Kreativität.

Deutschland als "Land der Ideen" sollte von seinen Ideen sprechen. Zum Beispiel, dass die MP3-Formate für Musikdateien maßgeblich in Deutschland entwickelt wurden. Meine Damen und Herren von der Wirtschaft, lassen auch Sie die Welt wissen, woher Ihre weltweit erfolgreichen Verfahren und Produkte kommen.

In den letzten Jahren hat sich Deutschland mehrfach in Asien präsentiert. Ich denke dabei in der Rückschau besonders an die dreijährige Veranstaltungsreihe "Deutschland und China - Gemeinsam in Bewegung" oder das Deutschland-Jahr in Vietnam und in der Vorschau an das Deutschland-Jahr in Indien. Wenn Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft gemeinsam mit Partnern der Gastländer das moderne Deutschland zeigen, ist dies ein wichtiger Faktor der Werbung für den Standort Deutschland. Ich bin bereit, auch weiterhin die Schirmherrschaft über diese Art von Veranstaltungen zu übernehmen und mich persönlich einzubringen.

Diese Werbung ist wichtig, weil wir talentierte Köpfe für unser Land interessieren müssen. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird sich der jetzt schon spürbare Fachkräftemangel deutlich verschärfen. Schon jetzt spielen Indien und China als Herkunftsländer für IT-Fachkräfte und Akademiker eine wichtige Rolle. Wenn es in Asien wirtschaftlich weiter bergauf geht, müssen wir uns schon eine Menge einfallen lassen, qualifizierte und motivierte Menschen dazu zu bewegen, nach Deutschland zu kommen. Natürlich spielt dabei ein gutes Gehalt eine Rolle. Aber es geht für viele mögliche Zuwanderer auch um mehr: Eine gute Sozialpartnerschaft im Betrieb, die viele Asiaten in deutschen Firmen im Ausland erfahren können, Umweltbedingungen, Rechtssicherheit, Zukunftschancen für die Kinder. Was auch immer den Ausschlag gibt, wichtig ist, dass sich die Menschen hier bei uns wohlfühlen. Dass sie ein Teil unserer Gesellschaft werden können. Japaner wünschen sich japanische Restaurants, Japanisch-Unterricht an einer internationalen Schule und einen Tempel.

Als die Hochkulturen Ostasiens in der Mitte des 19. Jahrhunderts erkannten, wie stark der Westen ihnen technologisch überlegen war, war dies ein gewaltiger Schock. Für viele bestand die Antwort darauf, von der Technologie des Westens zu lernen, aber die eigene Kultur und Gesellschaftsordnung möglichst nicht zu verändern. Dies hat nicht so funktioniert, wie die Modernisierer es sich vorgestellt hatten. Die asiatische Moderne ist eine Mischung vieler Einflüsse. Der aus Singapur stammende Autor Kishore Mahbuhani erklärt den Aufstieg Asiens sogar mit der erfolgreichen Implementierung vieler westlicher Standards. Asien war bereit, vom Westen zu lernen, wie Germanen von Rom. Ist Europa auch bereit, von Asien zu lernen?

Ich meine, und das ist meine letzte, die siebte These: Wir müssen bereit sein, viel mehr über und von Asien zu lernen, um im 21. Jahrhundert weiterhin eine bedeutende Rolle spielen zu können. Das fängt bei der Wirtschaft an. Wenn immer mehr Umsatz in Asien erwirtschaftet wird, müssen wir uns mit den Wünschen der Kunden intensiv auseinandersetzen. Dazu werden auch mehr und mehr Produkte und Dienstleistungen deutscher Unternehmen in Asien entwickelt werden müssen. Dazu muss man die Kulturen der Länder kennen. Es wäre meiner Meinung nach ein Fehler, sich hier hauptsächlich auf asiatische Mitarbeiter zu verlassen, die in Deutschland waren. Wir brauchen auch viele Deutsche mit Asienerfahrung.

Das Wissen über und Interesse an Asien sollte daher schon in der Schule anfangen: Die Kenntnis asiatischer Kulturen und Geschichte gehört in einer globalisierten Welt ebenso zur Allgemeinbildung, wie früher das ausführliche Studium der klassischen Antike. Und auch die Asienwissenschaften in Deutschland werden in Zukunft eine andere Ausrichtung und Bedeutung haben müssen, um unseren Bedarf an Asienkennern zu decken.

Dieses Wissen erlaubt uns, unvoreingenommen und kenntnisreich an den zukünftigen weltweiten Debatten, die sehr stark von Asien geprägt sein werden, teilzunehmen. Wir erleben momentan durch das Internet das erste Mal in der Geschichte unseres Planeten eine echte Weltöffentlichkeit. Die Ereignisse in Japan werden simultan von Menschen in aller Welt mit großer Sorge und Anteilnahme beobachtet. Es wird sich damit auch ein neues Weltbewusstsein bilden.

In diesem Weltbewusstsein wird es in vielen Fragen zu einem Wettstreit verschiedenster Ideen und Konzepte kommen. Wir sollten unsere Standpunkte offensiv vertreten, aber genauso offen sehen, wenn aus anderen Quellen gute Antworten kommen.

Ich bin eigentlich ganz zuversichtlich, dass wir diese kulturelle Herausforderung bewältigen können. Das europäische Verhältnis gegenüber den asiatischen klassischen Hochkulturen war oftmals stärker von Respekt und Interesse geprägt, als von Überheblichkeit. Auch die Rezeption der japanischen Moderne mit ihren großen Einflüssen auf Kultur, Kunst und Denken stimmt optimistisch. Europa und Asien haben sich kulturell viel gegeben. Koreanische Christen, deutsche Buddhisten, japanische Violinisten oder französische Judolehrer sind nichts Besonderes mehr. Und diese Liste ließe sich lange fortsetzen.

Ich vertraue auf ein solchermaßen politisch, wirtschaftlich und kulturell "Asien-geschultes" Deutschland. Ein solches Land ist in der Lage, klar zu sehen, dass die globalen Herausforderungen alle Kontinente betreffen. Welche Energieform wählen wir in Zukunft zur ausreichenden und sicheren Versorgung? Wie schaffen wir es, die stark wachsende Weltbevölkerung zu ernähren? Wie können wir den Klimawandel, dessen extreme Wetterphänomene jetzt schon spürbar sind, auf ein erträgliches Maß beschränken? Wie regeln wir einen freien und fairen Zugang zu Rohstoffen? Deutschland hat eine Menge an klugen Antworten zu bieten. Asiatische Länder haben kluge Antworten. Aber wir können diese Fragen nur gemeinsam mit Asien angehen. Das ist für mich die eigentliche Herausforderung des Aufstiegs Asiens. Es ist eine gemeinsame Herausforderung. Ein Scheitern lässt sich keinesfalls auf einen Kontinent beschränken. Ein Erfolg dagegen hilft allen.