Feierlicher Appell zur Ablegung des Gelöbnisses von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 20. Juli 2011

Bundespräsident Christian Wulff hat beim feierlichen Rekrutengelöbnis am 20. Juli die gesellschaftliche Bedeutung der Bundeswehr hervorgehoben.

Bundespräsident Christian Wulff bei der Festrede

Ich empfange andere Staatsoberhäupter regelmäßig mit militärischen Ehren. Jedes Mal, wenn die Soldatinnen und Soldaten aus Heer, Luftwaffe und Marine dem Gast Ihre Reverenz erweisen, fühle ich, wie stolz wir sein können: auf Sie, Soldatinnen und Soldaten. Auf diese Bundeswehr. Und auf unser Land, dem Sie heute Ihr Gelöbnis ablegen, und das Sie gegen seine äußeren Feinde zu verteidigen geloben.

In meinem ersten Amtsjahr habe ich bei einer ganzen Reihe von Bundeswehrbesuchen Soldatinnen und Soldaten gesprochen. Ich bin stets tief beeindruckt von ihrem Ernst und ihrem Selbstbewusstsein, von ihrem Pflichtgefühl und ihrer Verbundenheit mit unserem Land und seinen Werten, auch von ihrer Gelassenheit in Kenntnis aller Gefährdungen. Sie sind ohne Illusionen über die Gefahren ihres Dienstes, dabei voller Mut und Zuversicht.

All das gibt uns die Gewissheit: Wir können uns auf Sie verlassen. Auch nach der Aussetzung der Wehrpflicht bleibt unsere Bundeswehr die Bundeswehr, die wir über Jahrzehnte schätzen gelernt haben und die zu einem hohen Ansehen Deutschlands in der Welt beiträgt. Ich danke den anwesenden Botschafterinnen und Botschaftern und Verteidigungsattachés aus über 50 Nationen, dass Sie heute hierher gekommen sind, um damit Ihre Wertschätzung der Bundeswehr gegenüber auszudrücken.

Der Geist der Bundeswehr wird sich mit Aussetzung der Wehrpflicht nicht verändern. Sie als freiwillig Wehrdienstleistende haben sich vermutlich besonders bewusst mit unserer Werteordnung auseinandergesetzt. Sie haben nicht gesagt: Es braucht eine Bundeswehr, es muss sich etwas tun. Sondern Sie haben sich gesagt: Ich muss etwas tun und will meinen aktiven Dienst leisten.

Was sich in unserem Land aber auch nicht ändern darf, ist der Geist, in dem wir als Bürger der Bundeswehr gegenübertreten. Die Bundeswehr gehört in unsere Mitte, in unsere Schulen und Hochschulen, auf öffentliche Plätze. Ihre Freiwilligkeit darf nicht zu Gleichgültigkeit in der Gesellschaft führen. Hier mache ich mir durchaus Sorgen, die hoffentlich unberechtigt sind.

„Unsere Soldatinnen und Soldaten“ – das sagt sich leicht. Aber das heißt auch: Wir müssen Anteil nehmen an Ihren Leistungen, an Ihren Ängsten, an Ihren Zweifeln. Wir müssen öffentliche Debatten führen über Einsätze der Bundeswehr. Und uns noch mehr kümmern – gerade um die, die in ihrem Einsatz innerlich oder äußerlich verwundet wurden. Um die Angehörigen, die diesen besonderen Dienst an unserem Land auf ihre Weise mittragen. Auch zu meinem letzten Sommerfest hatte ich ganz bewusst Soldaten, die im Einsatz verwundet wurden, mit ihren Angehörigen eingeladen. Ich wollte ihnen auch bei dieser Gelegenheit danken und ihnen zeigen: Sie gehören hierher, mitten unter uns!

Sie, liebe Rekrutinnen und Rekruten, wollen unserem Land treu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer verteidigen.

Dieses Versprechen geben Sie gleich aus freiem Willen ab. Sie tun dies am 20. Juli 2011. Die Bundeswehr steht in der Tradition des 20. Juli 1944 und ist ihrer stets würdig geblieben bis heute – eine Tradition, die nicht nur die widerständigen Soldaten und Zivilisten im Umfeld des 20. Juli umfasst, sondern alle Frauen und Männer, die den Mut hatten, der grenzenlosen Willkür der Nationalsozialisten entgegenzutreten. Diese kleine Schar hat geholfen, ein Deutschland zu schaffen, in dem wir heute in Frieden und Freiheit leben dürfen.

Wenn wir uns die letzten 100 Jahre Geschichte unseres Kontinents Europa vor Augen führen, dann sehen wir: Die erste Hälfte war geprägt von zwei Weltkriegen und Unfreiheit, von unvorstellbarem Leid und großer, vor allem deutscher, Schuld. In der zweiten Hälfte dieser hundert Jahre aber haben wir die Lehren daraus gezogen. Wir haben den Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs wenige Meter von hier erlebt. Das gibt Gelegenheit, uns einzuräumen, dass wir vermutlich zu selten erkennen: Welch ein Glück, heute in Deutschland mitten im freien Europa zu leben! Welch große Leistung, dass Frieden und Freiheit in Europa errungen und so lange erhalten wurden! Wie dankbar dürfen wir jenen sein, die Deutschland nach dem Krieg in den Kreis der zivilisierten Völker zurückgeführt haben, und wie dankbar jenen Bürgerinnen und Bürgern der DDR, die vor 22 Jahren auch für den Osten unseres Vaterlandes die Freiheit und die Einheit unserer Nation erkämpften. Wir genießen all die Freiheiten, für die andere in der Welt bis heute, und buchstäblich heute, ihr Leben einsetzen – wenn wir an Nordafrika, den Mittleren Osten, an Syrien oder andere Länder denken.

Unser wiedervereinigtes Deutschland ist ein großartiges Land. Es ist Ihren Einsatz wert, liebe Rekrutinnen und Rekruten. Und es bedarf Ihres Einsatzes.

Gefahren für Deutschland und seine Verbündeten sind eben nicht verschwunden: Internationaler Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Zerfall einzelner Staaten bedrohen auch unsere Sicherheit. Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie sind keine Selbstverständlichkeit.
„Die Anforderungen der explosiven Welt von heute sind andere, aber sie sind nicht geringer.“ Das hat Freya von Moltke aus dem Kreisauer Kreis des Widerstandes vor einigen Jahren kurz vor ihrem Tod 2004 hier in Berlin gesagt. Sie erinnerte daran, „wie schnell die Ergebnisse eines langen und zivilisierten Zusammenlebens verspielt werden können“. Und weiter: „Was die Deutschen verloren hatten, war das Gefühl dafür, dass sie für ihre eigene Gesellschaft verantwortlich sind.“

Darum geht es: Verantwortung zu übernehmen, angefangen in den „kleinen Gemeinschaften“, wie Helmuth von Moltke es nannte. Sich um das Allgemeine verdient zu machen und sich nicht nur um sich selbst zu kümmern. Sie, Rekrutinnen und Rekruten, verteidigen, wofür die Menschen des Widerstandes gekämpft, gelitten und viele mit ihrem Leben bezahlt haben: Mitmenschlichkeit und Anstand, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, eine offene und menschenwürdige Gesellschaft.

Auch in dieser Welt neuartiger Gefahren bleibt es dabei: Ihr Einsatz als Soldatinnen und Soldaten ist immer ultima ratio.

Unsere Soldatinnen und Soldaten kennen aus eigener, manchmal auch bitterer, Erfahrung die Grenzen militärischer Einsätze. Daher ist es so wichtig, dass die Politik auf Ihren Rat besonders hört, bevor ein Einsatzbefehl ergeht. Allein militärisch ist nicht zu gewinnen – weder der Frieden, noch kann man damit stabile Demokratien schaffen. Im Zusammenwirken von Politik, zivilem Engagement, Entwicklungszusammenarbeit, militärischem Schutz und dem Dialog der Kulturen liegt der Erfolg.

Wir wollen Wandel hin zu mehr Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bestärken. Vor allem muss Europa mit einer Stimme sprechen, damit es als Friedensmacht in der Welt tatsächlich wirkungsvoll Einfluss nehmen kann.

Ich betrachte es als eine besondere Errungenschaft in unserem Land und als ein ganz hohes Gut, dass nicht die Regierung, sondern das Parlament – das Herz unserer Demokratie –, vor dessen Sitz wir hier stehen, über Einsätze entscheidet. Und ich freue mich darüber, dass so viele Abgeordnete des deutschen Parlaments hier heute zugegen sind und damit Ihnen gegenüber eine besondere Wertschätzung zeigen. Andere in der Welt mögen der Auffassung sein, dass der Parlamentsvorbehalt unsere außenpolitische Handlungsfähigkeit einschränkt. Für mich ist er der eindrucksvolle Beweis dafür, dass unsere Bundeswehr im Auftrag des deutschen Volkes handelt. Es ist daher auch Aufgabe des Parlaments und der von ihm getragenen Regierung, die Notwendigkeit aller Einsätze immer und immer wieder glaubhaft zu vermitteln.

Liebe Rekrutinnen und Rekruten, unsere Demokratie braucht Bürgerinnen und Bürger wie Sie, die sich für die Freiheit aktiv einsetzen und bereit sind, sie selbst persönlich zu verteidigen – ob in Zivil oder in Uniform.
Ihre Entscheidung, der Bundesrepublik freiwillig zu dienen, verlangt unsere ganz besondere Achtung und Dankbarkeit. Freiwilliger Wehrdienst, Bundesfreiwilligendienst, die vielfältigen Freiwilligenprogramme auf Länderebene: Deutschland ist auf diese Kultur der Freiwilligkeit stärker denn je angewiesen. Sie dient dem Zusammenhalt in Deutschland.

Sie stehen stellvertretend für die 3.400 freiwillig Wehrdienstleistenden, die unserem Land seit dem 4. Juli dienen. Ihre Angehörigen und Freunde können besonders stolz auf Sie sein.

In den nächsten Monaten wird viel von Ihnen verlangt werden. Sie werden Neues lernen, Sie werden sich in eine soldatische Gemeinschaft einleben und in eine militärische Hierarchie einfügen. Sie werden Kameradschaft üben und in mancher Hinsicht als Persönlichkeit über sich hinauswachsen. Diese Zeit wird für Sie positiv prägend sein.

Liebe Rekrutinnen und Rekruten, ich wünsche Ihnen, dass Sie aus Ihrem freiwilligen Wehrdienst Erfüllung und persönliche Zufriedenheit gewinnen. Im Namen unseres, Ihres Landes danke ich Ihnen für Ihre Bereitschaft, Deutschland und seinen Werten zu dienen.

Unser Land hat Ihren Einsatz verdient! Unser Land ist Ihren Einsatz wert!