Abendessen für das Aktionskomitee der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 1. September 2011

Bundespräsident Christian Wulff mit dem Aktionskomitee im Langhanssaal von Schloss Bellevue

Ich freue mich sehr, Sie heute Abend in Schloss Bellevue begrüßen zu dürfen.

Meine vornehmste Aufgabe heute Abend ist es, Ihnen zu danken, einer Tischgemeinschaft, die wegen ihrer außerordentlichen Großzügigkeit versammelt ist. Was in anderen Ländern möglicherweise selbstverständlicher ist, ganz sicher in den Vereinigten Staaten, das ist bei uns in Deutschland immer noch eher eine Ausnahme: Dass sich Menschen ein Anliegen zu Eigen machen und dafür aus freien Stücken Mittel bereitstellen. Dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen.

Sie haben sich hochherzig und vorbildlich eingesetzt und erhebliche Geldbeträge gespendet für den Neubau der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. Wenn ich Ihnen heute stellvertretend meinen Dank ausspreche, obwohl ich weder Student, noch Professor, noch Mitglied der Jüdischen Gemeinde bin, dann deswegen, weil ich die Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg für eine Einrichtung von nationaler Bedeutung halte.

Deswegen geht diese Hochschule den Bundespräsidenten an. Deswegen habe ich Sie heute Abend hierher eingeladen und deswegen werde ich die Hochschule im nächsten Jahr besuchen und dort im November 2012 einen Vortrag halten.

Wir alle sollten glücklich sein, dass die Hochschule das intellektuelle Leben in Deutschland bereichert, dass sie Studentinnen und Studenten aller Glaubensrichtungen die Möglichkeit bietet, das Judentum zu studieren und sich mit ihm intellektuell auseinanderzusetzen. Es ist keine Glaubenshochschule, sie dient nicht in erster Linie der Ausbildung von Rabbinern. Es ist eine wissenschaftliche Hochschule, die der Lehre und der Forschung streng nach den Humboldtschen Prinzipien verpflichtet ist.

Gerade in Zeiten, wo sich die politischen Diskussionen und die gesellschaftlichen Debatten um Religion, um ihre Bedeutung und ihren gesellschaftlichen Ort oft sehr emotional gestalten, ja, wo es oft sogar ziemlich flach und banal zugeht, da ist die wissenschaftliche und intellektuelle Beschäftigung besonders wichtig. Die Beschäftigung mit den Wurzeln, mit der Geschichte, mit der Aktualität religiöser Wirklichkeiten.

Das gilt für die christliche Theologie und für den Islam, in Deutschland besonders für das Judentum. Und das gilt vor allem dann, wenn die großen Weltreligionen miteinander in ein wirkliches Gespräch kommen wollen, das mehr ist als ein wohlmeinender Austausch von Höflichkeiten.

Wir brauchen Akademiker, die sich tief und eingehend mit allen Aspekten des Religiösen beschäftigen.

Ich finde es bemerkenswert, dass diese Hochschule die erste auf deutschem Boden ist, die die volle staatliche Anerkennung ihrer Lehre und Abschlüsse gefunden hat. Das war bisher keine jüdische Hochschuleinrichtung in Deutschland, auch nicht vor dem Kriege. Die komplette Ausstattung mit acht Lehrstühlen in Kombination mit der staatlichen Anerkennung ist, wenn ich richtig informiert bin, sogar einzigartig in ganz Europa. Darauf kann nicht nur die Hochschule stolz sein, sondern auch Sie, liebe Gäste, die Sie einen so respektablen Beitrag dazu geliefert haben.

Die beinahe vollständige Auslöschung der jüdischen Mitbürger und des Judentums in Deutschland und in ganz Europa hat weite Teile der Kultur und des Geistes unwiederbringlich zerstört, die von Juden so glänzend und so einzigartig verkörpert wurden. Vielfach bleibt nur Erinnerung und Gedenken.

Aber die Welt der jüdischen Religion, der jüdischen Kultur, der jüdischen Literatur und des Geistes ist lebendig, aktuell auch in der Zukunft! Genau das realisieren die Studiengänge und Lehrveranstaltungen der Hochschule für Jüdische Studien – und genau das zeigt ganz allein schon ihre bloße Existenz, ihr starker Erfolg und die dadurch notwendig gewordene Erweiterung durch den Neubau.

Dass vor allem das deutsche Judentum eine besonders starke Affinität zum Studium, zum Geist, zur intellektuellen Durchdringung der Welt, zur Kultur hat, das hat mit der Geschichte der jüdischen Ausgrenzung und der jüdischen Emanzipation zu tun, das hat aber auch mit der starken Bedeutung von Schrift, Lektüre und gelehrter Auseinandersetzung in der religiösen Praxis zu tun. „Limmud“, hebräisch für Lernen, heißt deswegen auch das jährliche Treffen von hauptsächlich jungen, aber auch älteren Juden, die sich um Selbstverständigung einer jüdischen Existenz heute und in diesem Lande bemühen.

Wenn Sie mir noch eine Bemerkung gestatten, von der ich weiß, dass sie mir nur sehr bedingt zusteht, die ich aber trotzdem nicht unterlassen kann: Eine Hochschule ist nie fertig. Es gibt immer etwas zu tun, anzuschaffen, zu gestalten, zu bauen, zu erweitern. Sie kennen diese Tatsache und Sie werden daraus ihre Schlüsse ziehen, die ganz gewiss großherzig sein werden.

In diesem Sinne erhebe ich mein Glas und wünsche uns einen guten gemeinsamen Abend.