Eröffnung des 4. Forums der "Allianz der Zivilisationen"

Schwerpunktthema: Rede

Doha/Katar, , 11. Dezember 2011

Bundespräsident Christian Wulff hat am
11. Dezember in Katars Hauptstadt Doha beim 4. Forum der "Allianz der Zivilisationen" für Offenheit und Pluralität und faire Lebenschancen für alle Menschen geworben.

Bundespräsident Christian Wulff und seine Frau Bettina im Gespräch mit Scheicha Mozah bint Nasser, Frau des Emirs von Katar

As-salâmu alaykum!

Ich bin sehr gern hierher gekommen. Mein Dank gilt unseren Gastgebern in Katar, allen voran Scheicha Moza. Er gilt den Partnern, die mit der „Allianz der Zivilisationen“ einen wichtigen Anstoß gegeben haben und hier in Doha weiterentwickeln wollen. Eine funktionstüchtige, friedensstiftende und erfolgreiche „Allianz der Zivilisationen“ setzt zuallererst Pluralität voraus, ein Bekenntnis zur Vielfalt, zu Fremden und Fremdem. Dazu gehört auch, allen Menschen faire Lebenschancen zu geben und Macht nicht nur auf einige wenige zu konzentrieren. Jeder einzelne braucht und verdient Chancen auf Bildung und auf Teilhabe. Nötig dafür ist auch, die Presse- und die Meinungsfreiheit zu garantieren, damit ein offener Wettbewerb der Ideen möglich wird. Niemand darf anderen verbieten, frei zu denken.

Es macht einen Unterschied, ob man sich ernsthaft für sein Gegenüber interessiert. Wenn man den anderen in seinem Anderssein achtet und versucht, die Welt auch aus seiner Perspektive zu sehen und zu verstehen, dann kann man – mit allem Respekt – auch Strittiges ansprechen.

Dieser Dialog hat aber auch Grenzen: Wer die Menschenwürde missachtet und sich in schwerwiegender Weise an den universellen Menschenrechten vergeht, mit dem ist ein solcher Dialog nicht möglich.

Sehr geehrte Damen und Herren, in meiner Heimat werbe ich für die Anerkennung des Islam, weil er inzwischen zu unserem Land dazugehört – das haben längst nicht alle akzeptiert.

Und in muslimisch geprägten Ländern rufe ich dazu auf, Christen und anderen religiösen Minderheiten Schutz und freie Entfaltung zu geben. Staat und Kirche müssen getrennt sein.

Religiöser Pluralismus ist eine wichtige Voraussetzung für ein friedliches Miteinander! Für viele Menschen ist ihr Glaube untrennbarer Bestandteil ihrer Identität. Aber wir dürfen Menschen nicht allein über Religion definieren.

Alle monotheistischen Weltreligionen glauben, dass der Mensch vom Schöpfer erschaffen wurde. Darum sollten gerade Glaubensführer Andersgläubigen mit Respekt begegnen und klar und deutlich ihre Stimme erheben, wo Religion als Vorwand von Konflikten missbraucht wird.

Sie sollten versuchen, sich auf die gemeinsamen Grundlagen ihrer Glaubensvorstellungen zu besinnen: auf den Glauben an einen Schöpfer, und auf den Auftrag, diese Schöpfung zu achten und die Würde aller Menschen zu wahren. Dann können die Weltreligionen von einem Zankapfel zu einem Medium der Verständigung, zur Grundlage einer gemeinsamen Humanität, eines Weltethos werden. Die Würde des Menschen muss dabei das Bindeglied sein.

Nicht zuletzt die Umbrüche in der arabischen Welt und der mutige Einsatz vieler – gerade junger – Menschen zeigen: Die Sehnsucht nach freier Entfaltung, nach Gerechtigkeit, nach Würde und Anerkennung, nach politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Teilhabe ist universell! Wir haben die große Chance, in einer Welt der Unterschiede neue Wege der Verständigung und der Zusammenarbeit zu finden – zwischen unseren Ländern wie auch im Inneren von Gesellschaften, zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller oder religiöser Herkunft. Voraussetzung ist, dass wir Fehlentwicklungen und Intoleranz nicht tabuisieren und Vorurteile in Frage stellen, genauer hinschauen und differenzieren.

Hat „der Westen“ tatsächlich nur Hegemonie im Sinn? Und worauf basiert unser Misstrauen gegenüber „islamistischen Kräften“? Ich bin mir sicher, Europa wird seinen Blick auf die muslimisch geprägten Länder verändern. In meinem Amt suche ich den Dialog mit der Organisation Islamischer Staaten und mit vielen Ländern wie Bangladesch, Indonesien, Ägypten, Tunesien, dem Oman, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuwait, der Türkei oder eben Katar. Katar ist ein atemberaubendes Beispiel für einen dynamischen Prozess, von dem viele profitieren.

Umgekehrt kann unsere Bereitschaft, freiheitliche Kräfte in den Ländern des Umbruchs zu unterstützen, hoffentlich Ähnliches bewirken.

In Europa haben viele zu lange an autoritären Herrschern festgehalten – obwohl wir doch aus eigener Erfahrung wissen sollten: Auf lange Sicht ist die Vielfalt einer offenen Gesellschaft der beste Garant für Frieden, Stabilität und Entwicklungschancen!

Überall geht es darum, die Institutionen zu fördern, die Gewalt durch Recht und Macht durch Gewaltenteilung begrenzen, eine lebendige Zivilgesellschaft zu fördern, Meinungsvielfalt und Minderheiten zu schützen, politische Teilhabe für alle – insbesondere für Frauen – zu sichern.

Junge Leute in vielen Ländern und Städten – auch in New York, in Chile, in Madrid oder Berlin – haben die Sorge, dass Schulden zu Lasten ihrer Generation gemacht werden.

Würdige Lebenschancen für alle zu schaffen, ist mehr denn je eine gemeinsame Verantwortung, über alle kulturellen Grenzen hinweg. Das kann in einer Welt der globalen Abhängigkeiten nur gelingen mit fairen Handelsbeziehungen, mit Zugang zu Ressourcen, mit Umwelt- und Klimaschutz, mit der Bereitschaft anderer Staaten, bei Konflikten zu vermitteln und Gewaltherrschaft zu ächten und zu bekämpfen.

Die Arabische Liga und der Golfkooperationsrat haben – nicht zuletzt auf Initiative Katars – in den vergangenen Monaten ein hohes Verantwortungsbewusstsein gezeigt und mutige Entscheidungen zu Libyen, Syrien und Jemen getroffen. Diese Entwicklung verdient große Anerkennung und Respekt. Katar trägt dazu bei, dass wir einander verstehen, aufeinander zugehen und voneinander lernen.

Ich möchte auch dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, meinen Dank aussprechen: Wohl noch nie waren die Vereinten Nationen an so vielen Stellen gefordert und konnten so viele Erfolge verbuchen – ich denke etwa an die Ereignisses in der Elfenbeinküste oder auch die Gründung des neuen Staates Südsudan.

Unsere Welt ist mehr denn je durch Medien, Märkte und Migrationsströme verbunden. Das hat sein Gutes: Videos von Gewalt in einigen arabischen Ländern etwa haben weltweit Erschütterung, Empörung und globale Solidarität hervorgerufen. Andererseits können mit den neuen Kommunikationsmitteln Vorurteile geschürt und verbreitet werden, etwa die Vorbehalte und Ängste gegenüber dem Islam.

Darum ist der Wert von unabhängigen Medien, die sachlich und fair berichten, die in der Region verankert sind und damit Glaubwürdigkeit besitzen, nicht hoch genug einzuschätzen! Ich arbeite aber dafür, dass sich mehr und mehr das Bewusstsein durchsetzt, dass wir eine Weltgemeinschaft, ja eine Schicksalsgemeinschaft sind. Eine Gemeinschaft, in der wir die Gefühle wie auch die Interessen der anderen verstehen müssen, um zu gemeinsamen Lösungen zu kommen.

Die Aufgaben, die vor uns liegen, sind riesig: Friedenssicherung, Terrorbekämpfung, Finanzordnung, Klimaschutz. Sie können uns trennen oder verbinden. Wir sollten daran arbeiten, dass das Gemeinsame stärker ist als jene Kräfte, die uns entzweien.

Ich zähle dabei auf die Kraft der „Allianz der Zivilisationen“. Auf Kooperation statt Konfrontation: Darauf, Teil der Lösung, nicht Teil des Problems sein zu wollen. Wenn so viele, wie bei der Konferenz der „Allianz der Zivilisationen“ Teil der Lösung sein wollen, dann werden jene, die Teil des Problems sind, keine Chance haben.