Verleihung des Großen Verdienstkreuzes mit Stern und Schulterband an Udo Di Fabio sowie Ernennung von Richtern des Bundesverfassungsgerichts

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 19. Dezember 2011

Richterwechsel im Langhanssaal von Schloss Bellevue - Bundespräsident Christian Wulff bei seiner Ansprache

Ich möchte Sie herzlich willkommen heißen! Bei unserem letzten Treffen hier habe ich bereits vorausgesagt: Wir sehen uns bald wieder! Heute, kurz vor Weihnachten, darf ich dem Bundesverfassungsgericht das Geschenk des Bundesrates überreichen - die Ernennung einer neuen Richterin und eines neuen Richters des Bundesverfassungsgerichts.

Zuvor aber gilt es, Sie, lieber Herr Di Fabio, nach Ablauf Ihrer zwölfjährigen Amtszeit zu würdigen.

Ihre Wahl zum Richter des Bundesverfassungsgerichts war damals selbst für sogenannte Insider eine echte Überraschung. Zwar hatten Sie unter Staatsrechtlern bereits einen hervorragenden Ruf erworben, aber in der Politik und in den Medien waren Sie nur wenigen bekannt.

Ihre Vita ist – wenn ich so sagen darf – eine beeindruckende bundesrepublikanische Erfolgsgeschichte. Sie zeigt, dass unsere Gesellschaft berufliche Karrieren und gesellschaftliche Anerkennung erlaubt. Sie zeigt, dass sich Fleiß, Qualität, Ausdauer und Zielstrebigkeit auszahlen. Und Ihre Karriere sollte ein Vorbild für viele junge Menschen in unserem Land sein.

Denn Sie sind ein Kind des zusammenwachsenden Europas und der Integration: Ihr Großvater kam in den 1920er-Jahren aus den Abruzzen nach Deutschland, arbeitete hier als Stahlarbeiter bei Thyssen. Ihr Vater schon fühlte sich als Deutscher und kam 1949 aus russischer Gefangenschaft. Sie selbst machten eine beeindruckende Bildungskarriere: Nach der mittleren Reife absolvierten Sie eine Ausbildung bei der Stadtverwaltung in der Stadt Dinslaken und arbeiteten dort zehn Jahre als Stadthauptsekretär. Dass Sie sich nach der Arbeit noch aufgerafft und am Abendgymnasium das Abitur gemacht haben, zeigt Ihren Fleiß und Ihre Ausdauer. Und im Alter von 26 Jahren nahmen Sie dann nach dieser langen Berufstätigkeit ein Jura-Studium auf, das Sie 1985 mit dem Zweiten Staatsexamen abschlossen. Neben Ihrer Tätigkeit als Richter am Sozialgericht Duisburg promovierten Sie sich zu dem Thema „Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren“. Damit zeigten Sie bereits in jungen Jahren Ihr Interesse für rechtliche Fragen mit politischem Bezug. Die juristischen Studien ergänzten Sie 1990 noch durch eine soziologische Dissertation mit dem Titel „Offener Diskurs und geschlossene Systeme“. Mir wurde erzählt, dass selbst gute Juristen nach den ersten Seiten dieser Arbeit aufgeben, weil sie ein Beispiel dafür sei, dass die Wissenschaftsdisziplinen unterschiedliche Sprachen sprechen. Umso beeindruckender, dass Sie mit Ihrer Arbeit vor den kritischen Augen von Niklas Luhmann reüssierten.

Nach der Habilitation 1993 in Bonn mit dem Thema „Risikoentscheidungen im Rechtsstaat“ stand Ihnen mit nur 39 Jahren eine steile Hochschulkarriere offen: Sie führte von Münster über Trier und München wieder zurück nach Bonn. Dort fanden die „Headhunter“ des Richterwahlausschusses Sie 1999 als brillanten Juristen für das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Viele Etiketten sind Ihnen von den Medien in den zwölf Jahren Ihrer Amtszeit angeheftet worden: „erstes Gastarbeiterkind im Bundesverfassungsgericht“, „Verfassungsrichter vom Abendgymnasium“ oder schlicht „der Paradiesvogel“. In diesen spiegelt sich die Bewunderung für Ihren Lebensweg, aber auch für die Persönlichkeit, die nicht dem Normalfall des Juristen oder Richters entspricht, wider.

Im Zweiten Senat haben Sie 3.357 Entscheidungen als Berichterstatter vorbereitet. Dies zeigt Ihren Fleiß, Sie galten immer als zügiger Aktenverwerter, der komplexe Verfahren in oft kurzer Zeit bewältigte. Darunter waren viele politisch bedeutsame Verfahren. Eine kleine Auswahl aus den Urteilen, die Sie vorbereitet haben, zeigt dies. Beispielhaft seien hier nur die Entscheidungen zum Zuwanderungsgesetz, im NPD-Verbotsverfahren, zur Sitzverteilung im Vermittlungsausschuss, zum Europäischen Haftbefehl, zur Auflösung und Neuwahl des Bundestages im Jahr 2005 und natürlich die wichtigen Entscheidungen zum Europarecht - das Urteil zum Vertrag von Lissabon und zuletzt das Urteil zur Griechenlandhilfe und zum Euro-Rettungsschirm - erwähnt.

Angesichts der Themen dieser Urteile haben die Medien Sie auch schon als „mächtigsten Mann der Republik“ bezeichnet - was Sie mit dem Hinweis pariert haben, dass das Gericht ein Kollektivorgan ist und Macht nur der Senat als Ganzes hat. Auch wenn Sie als verbindlich im Ton, aber präzise und exakt in der Argumentation gelten - wie oft es Ihnen tatsächlich gelungen ist, in diesen zwölf Jahren die Kolleginnen und Kollegen zu überzeugen, das wird für immer Beratungsgeheimnis bleiben.

Die besondere öffentliche Aufmerksamkeit verdanken Sie aber – so mein Eindruck – der Verbindung von Richteramt und literarischem Wirken: Denn neben einer großen Zahl von Vorträgen und Fachaufsätzen haben Sie – neben wie man hört immer gut besuchten Vorlesungen in Bonn – auch noch die Zeit gefunden, eine ganze Reihe von Büchern zu veröffentlichen. Der Bestseller „Die Kultur der Freiheit“ ist das wohl bekannteste. Es trug Ihnen den Titel des „Reformers des Jahres 2005“ ein.

Das Buch zeichnet neben seinen gesellschaftspolitischen Aspekten auch ein privates Bild von Ihnen. Das Bild eines Familienmenschen, der seine Kraft aus dem Zusammenleben mit seinen Kindern zieht! So antworteten Sie auf die Frage: „Auf welche eigene Leistung sind Sie besonders stolz?“, in einem Steckbrief zur Person folgerichtig: „Die Welt der Familie und die Welt des Berufs zusammenzuhalten.“

Lieber Herr Di Fabio, Sie lachen gerne, Sie haben Temperament und man hört Ihnen gerne zu - ob im Gespräch, einer Diskussion oder bei einem Ihrer Vorträge. Ihre Texte sind spannend, man liest sie aufmerksam – auch oder vielleicht sogar besonders, wenn man nicht Ihrer Meinung ist. Das alles hat Sie zu einem derjenigen öffentlichen Intellektuellen gemacht, die in Deutschland Debatten auslösen können.

Deshalb bin ich sicher: Auch in Zukunft werden wir von Ihnen immer wieder viel hören – Anregendes und vielleicht auch Aufregendes – jedenfalls immer Anspruchsvolles. Derzeit sollen Sie gerade an einem neuen Buch zum Thema „Gerechtigkeit“ arbeiten. Darauf warten wir alle gespannt! Ihnen herzlichen Dank und alles Gute.

Das zuvor Gesagte macht deutlich: Sie haben sich um unser Land verdient gemacht. Dafür danke ich Ihnen auch persönlich. Es ist mir eine Freude, Ihnen für Ihr Engagement und für Ihre Leistungen heute das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland zu verleihen.

Liebe Frau Kessal-Wulf, lieber Herr Müller! Mit dem heutigen Tag gehören Sie zu denjenigen, die die sogenannte „Karlsruher Republik“ prägen. Sie beide wurden vom Bundesrat am 25. November in Ihr neues Amt gewählt! Herzlichen Glückwunsch!

Liebe Frau Kessal-Wulf, Sie folgen Herrn Mellinghoff nach und verstärken die Bank der Berufsrichter im Bundesverfassungsgericht. Ihr Arbeitsweg wird sich nur ganz unwesentlich verändern, statt in die Herrenstraße werden sie nunmehr zur Waldstadt fahren. Ihre juristische und richterliche Laufbahn begann im Norden, von 1985 an mit Tätigkeiten im höheren schleswig-holsteinischen Justizdienst. Nachdem Sie an den Landgerichten Flensburg und Kiel und dem Amtsgericht Flensburg arbeiteten, wurden Sie 1992 Richterin am Oberlandesgericht. Dort waren Sie Mitglied des für das Gesellschaftsrecht, das Bank- und Börsenrecht zuständigen Senats. In diesem Themenkreis promovierten Sie – neben Ihrer Richtertätigkeit, was nur wenige erfolgreich schaffen – mit dem Thema „Die Innenverbände: am Beispiel der Publikumsgesellschaft, Franchising, Mitarbeiterbeteiligung und Betriebsverband“. 2001 wurden Sie zur Richterin am Bundesgerichtshof gewählt, seit Februar 2011 waren Sie dort Vorsitzende Richterin des IV. Zivilsenats. Wir alle sind überzeugt, dass Ihr Sachverstand und Ihre richterliche Erfahrung eine Bereicherung für das Gericht sein werden.

Lieber Herr Müller, Ihr Berufswechsel überbrückt eine größere Distanz. Vom Saarland nach Karlsruhe und - vielleicht noch eine größere Distanz - von der Exekutive in die Jurisdiktion. Gleichwohl ist die Tätigkeit eines Richters nicht ganz neu für Sie. Denn vor Ihrer aktiven politischen Zeit waren Sie bereits vier Jahre aktiver Richter. Zuvor hatten Sie Rechts- und Politikwissenschaften in Bonn und Saarbrücken studiert. Ihre Kenntnisse im Staatsrecht werden Sie nur auffrischen müssen: Denn Sie waren auch einmal wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität des Saarlandes, auch wenn das lange zurückliegt. Aber diese Kenntnisse sind durch Staatspraxis angereichert – Erfahrungen, die Ihnen in Ihrem neuen Amt sicher nützlich sein werden.

Liebe Frau Kessal-Wulf, lieber Herr Müller! Nochmals: Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche und viel Erfolg in Ihren neuen Ämtern. Ich bin sicher: Ihre neuen Kolleginnen und Kollegen werden Sie sehr gut aufnehmen. Wenn ich richtig informiert bin, soll die Stimmung im Gericht besonders gut sein – Sie werden sich sicher schnell zu Hause finden.