Interview mit der Süddeutschen Zeitung

Schwerpunktthema: Interview

2. Januar 2016

Daniela Schadt hat der Süddeutschen Zeitung ein Interview gegeben, das am 2. Januar erschienen ist. Darin heißt es: "Bei den allermeisten jungen Flüchtlingen, mit denen ich gesprochen habe, gibt es viel Offenheit und einen unglaublichen Bildungshunger, auch und gerade bei den jungen Frauen. Wenn wir da rechtzeitig ansetzen und Angebote machen, dann wird es ein Gewinn sein, dass so viele junge Menschen in unser rasch alterndes Land kommen."

Daniela Schadt im Gespräch (Archiv)

Daniela Schadt hat der Süddeutschen Zeitung ein Interview gegeben, das am 2. Januar erschienen ist.

Frau Schadt, an der Seite des Bundespräsidenten sind Sie zu einer Art Begrüßungsexpertin geworden. Können Sie uns einen Tipp geben, wie man das neue Jahr formvollendet begrüßt?

Ich bin immer zurückhaltend mit guten Ratschlägen für andere. Aber wenn ich von mir sprechen soll: Ich sehe dem Jahr mit einer Art gespannter Zuversicht entgegen.

Was wird da spannend?

Na ja, 2016 wird zweifellos vor allem politisch ein sehr interessantes Jahr werden mit vielen Herausforderungen und wichtigen Entscheidungen, die getroffen werden müssen.

2016 wird der Bundespräsident bekannt geben, ob er zu einer weiteren Amtszeit bereit ist oder nicht. Könnte das für Sie einen Neubeginn bedeuten?

Ich meinte das eher allgemein. Der große Neustart kommt ja selten am 1. Januar. Aber ich finde es gut, wenn man ab und zu innehält und überlegt, was bisher so war und was kommt. Die Jahreswende ist auch eine Zeit, um neue Kraft zu sammeln. Erfahrungsgemäß passieren dann sowieso Dinge, die man nicht erwartet hat.

Wenn Sie zurückschauen – was hat Sie an Ihrer Aufgabe als First Lady überrascht?

Mich hat überrascht, wie viel Spontaneität doch möglich ist. So ein Staatsbesuch zum Beispiel hat ja im Prinzip den immer gleichen Ablauf. Ich dachte anfangs, das sei ein fürchterlich starres Korsett – und dass immer jemand neben mir steht und mir sagt, was zu tun ist. Aber wenn man das Koordinatensystem erst einmal verstanden hat, ist da auch Bewegung drin und ganz viel menschliche Begegnung möglich.

Was machen Sie bei Begrüßungen von Menschen, die Sie partout nicht begrüßen wollen?

Ganz ehrlich: Das ist mir bisher erspart geblieben.

Das müssen Sie jetzt sagen.

Nein. Und selbst, wenn: Es geht in solchen Situationen nicht um mich und meine Befindlichkeit.

Spielt es bei Begegnungen im In- und Ausland eigentlich eine Rolle, dass Sie mit Joachim Gauck nicht verheiratet sind?

Ganz selten. Ich kann mir vorstellen, dass es für manche Bürger eine Rolle spielt. Das ist auch legitim. Aber wenn wir irgendwo ankommen, sind unsere Gastgeber und Gesprächspartner genauso auf uns vorbereitet wie wir auf sie. Sie wissen also, dass wir ohne Trauschein zusammenleben. Bei Staatsbesuchen hat es übrigens noch nie jemand erwähnt.

Gibt es manchmal auch Situationen, die Sie schwierig finden?

Ja, doch. Vor anderthalb Jahren habe ich als UNICEF-Schirmherrin in einem Flüchtlingslager in Jordanien eine Schulklasse besucht. Und da steht in der letzten Reihe ein junges Mädchen auf und sagt: Warum kommt ihr eigentlich und guckt uns an, wie wir hier im Lager sitzen? Warum ist niemand gekommen, als uns die Bomben auf den Kopf fielen? Da stehen Sie dann und fragen sich: Was soll ich diesem Mädchen jetzt antworten? Soll ich einem Kind, das im Krieg vielleicht Angehörige verloren hat, die komplizierte politische und militärische Gemengelage erklären? Das war für mich eine schwierige Situation.

Was macht so ein Amt eigentlich aus der Freiheit einer Frau?

Freiheit ist schon in starkem Maß gegeben. Natürlich bin ich im Moment nicht erwerbstätig. Dafür mache ich Erfahrungen, die ich in meinem früheren Berufsleben nicht hätte machen können. Außerdem: Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich in meiner Redaktion in Nürnberg sitze und mir von Joachim Gauck telefonisch erzählen lasse, wie es in Berlin und auf seinen Reisen so läuft. Meinen Beruf aufzugeben war keine einfache Entscheidung. Aber: Lebensgefährtin des Bundespräsidenten und politische Journalistin – das lässt sich einfach nicht gut zusammen bringen.

Wenn Sie zu Beginn der Amtszeit von Joachim Gauck mit ihm zusammen einen Betrieb besichtigt haben oder mit Journalisten zusammen saßen, haben sie öfters Fragen gestellt oder erzählt. Inzwischen halten Sie sich sehr zurück. Wurden Sie zu Hause darum gebeten?

Nein.

Woran liegt es dann?

Es hat ganz praktische Gründe. Wenn ich erst einmal anfange zu fragen, nimmt das so schnell kein Ende. Klar, wenn ich bei Staatsbesuchen mit dem Bundespräsidenten in Hintergrundgesprächen mit Journalisten sitze, muss ich manchmal tief durchatmen und würde auch noch gern meine Sicht der Dinge zum Besten geben. Aber wenn jemand etwas von mir wissen möchte, kann er ja fragen. Im Übrigen wollen Journalisten bei solchen Gelegenheiten erfahren, was der Bundespräsident denkt. Ich glaube nicht, dass sie unbedingt wissen wollen, was ich denke.

Nach der Metamorphose von der selbständigen Journalistin zur etwas unkonventionellen, unverheirateten First Lady haben Sie sich also der Konvention gefügt?

Das hört sich so duldend an. Aber so ist es nicht. Ich wäre selbst nicht begeistert, wenn Joachim Gauck auf einen meiner Termine mitgeht und die halbe Sitzung bestreitet. Anders ausgedrückt: Es geht nicht ums Sich-Fügen. Es geht um meine Funktion und um meine Rolle, aber das hat nichts damit zu tun, dass ich eine Frau bin. Auf unseren Reisen bin ich Präsidentinnen begegnet, deren Partner haben die gleiche Rolle wie ich und sind ähnlich zurückhaltend. Ganz einfach weil es ein gewähltes Staatsoberhaupt gibt. Auf dessen Meinung kommt es an. Wenn wir eines Tages mal eine Präsidentin haben…

Wir haben eine Bundeskanzlerin. Ihr Mann spielt eine völlig andere Rolle als Sie. Er geht ganz selbstverständlich weiter seinem Beruf nach. Er darf bleiben, wer er ist und wird nicht nur als Begleiter oder Zierrat wahrgenommen.

Erstens ist der Mann der Kanzlerin kein politischer Journalist. Zweitens ist eine Bundeskanzlerin nicht in erster Linie Repräsentantin, sondern Regierungschefin.

Was ändert das? Finden Sie das Bild der handtaschentragenden Präsidentenbegleiterin nicht anachronistisch?

Ich weiß, was Sie meinen. Aber dieses Bild hat mit der Realität wirklich wenig zu tun. Ich setze mich mit meinen Schirmherrschaften in Deutschland und international aktiv ein für Kinder, für Mütter und Väter, besuche soziale Einrichtungen und Projekte, befasse mich intensiv mit Bildungs- und Chancengerechtigkeit für Jugendliche. Das bringt manchmal mehr öffentliche Aufmerksamkeit als es ein guter Artikel je vermag. Für UNICEF reise ich noch in diesem Monat in die Ost-Ukraine, mache mir ein Bild von der Situation der Kinder, die vom dortigen Konflikt betroffen sind und fliehen mussten. Ich äußere übrigens auch meine politischen Ansichten, aber eben nicht unbedingt auf großer Bühne. Denn gewählt ist Joachim Gauck.

Fehlen für die Frau an seiner Seite überzeugende Rollenvorbilder?

Kennen Sie Elly Heuss-Knapp, die Frau des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss? Sie war eine unglaublich starke Frau, die ihren Mann mit Erwerbsarbeit durch den Krieg gebracht hat. Sie hatte sich schon 1919 für den Reichstag aufstellen lassen. Sie hat ein ökonomisches Lehrbuch für Frauen geschrieben und das Müttergenesungswerk mitgegründet. Das war nicht irgendeine tüddelige Veranstaltung, sondern eine sehr wichtige Organisation für Frauen und das ist es bis heute. Wenn man sich diese Biografie anschaut, kriegt man ein ganz anderes Bild von der Frau an seiner Seite, noch dazu in den 1950er Jahren. Und meine Überzeugung ist: Wenn ich politisch etwas erreichen will, lasse ich mich aufstellen und wählen. Dann stehe ich für mich selbst. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich in meiner jetzigen Funktion tatenlos und möglichst wohlfrisiert hinterher trotte.

Fehlt Ihnen Ihr Beruf manchmal?

Natürlich.

Wann kehren Sie zu ihm zurück?

Das wird sich finden. So wie jetzt wird es noch ein Weilchen bleiben.

Wird 2017 alles anders, wenn diese Amtszeit des Bundespräsidenten endet?

So weit denke ich noch nicht.

Also gut, bleiben wir im Heute. Als Unicef-Schirmherrin setzen Sie sich für Kinder und Jugendliche, aber auch für Flüchtlinge ein. Wieso tun sich viele Deutsche eigentlich so schwer mit der Willkommenskultur?

Viele Bürger in Deutschland heißen die Geflüchteten auf beeindruckende Weise willkommen. Ein Teil der Bevölkerung bezweifelt, dass die Aufnahme und Integration gelingen kann und manche Bürger lehnen es ganz ab, Flüchtlinge aufzunehmen. Es ist eine menschliche Konstante, auf Neues – sagen wir – erst einmal vorsichtig zu reagieren. Das ist nicht nur in Deutschland so. Es gibt zwar Ängste, die wir ernst nehmen müssen. Im Gegensatz zu den montäglichen Demonstranten in Dresden und anderswo glaube ich aber, dass sie von der Politik und auch von den Medien ernst genommen werden. Die Frage ist, wie gehen Menschen mit ihren Ängsten um. Kultivieren sie sie oder setzen sie sich mit ihnen auseinander? Psychologen raten eher dazu, sich mit Ängsten zu konfrontieren. Wenn du Flugangst hast, gehört es irgendwann mal dazu, dass du in ein Flugzeug steigst.

Also mehr Flüchtlinge nach Sachsen?

So konkret meine ich das gar nicht und das wäre auch Sache der operativen Politik. Es geht mir eher um Begegnung, um Dialog. In Rheinland-Pfalz habe ich neulich zum Beispiel eine wunderbare Einrichtung besucht. Zweimal im Monat kommen Flüchtlinge in ein Café, da können die einheimischen Bürger von Landau gelegentlich hingehen, um die Neuankömmlinge kennen zu lernen. Das heißt nicht, dass sie sich für die nächsten sieben Wochen zur Arbeit in der Kleiderkammer verpflichten müssen. Aber sie können Menschen begegnen, die eine Flucht hinter sich haben. Solche Angebote sind Schritte in die richtige Richtung.

Was sagen Sie denen, die befürchten, dass Deutschland überfordert wird, etwa von der wachsenden Zahl unbegleiteter jugendlicher Flüchtlinge, die später vielleicht Angehörige nachholen wollen?

Denen sage ich, dass es sicher eine große Herausforderung ist und wir hier keine Probleme ausblenden sollten. Gleichzeitig erinnere ich daran, dass ein junger Mensch, der nach Deutschland kommt, in der Regel Pläne für seine Zukunft hat und ein starkes Interesse daran, hier in der Gesellschaft voranzukommen. Abgesehen von unserer humanitären Pflicht zur Aufnahme: Wir sollten die Chancen sehen, die das birgt. Bei den allermeisten jungen Flüchtlingen, mit denen ich gesprochen habe, gibt es viel Offenheit und einen unglaublichen Bildungshunger, auch und gerade bei den jungen Frauen. Wenn wir da rechtzeitig ansetzen und Angebote machen, dann wird es ein Gewinn sein, dass so viele junge Menschen in unser rasch alterndes Land kommen.

Mit anderen Worten: Wir schaffen das?

Wir müssen uns ordentlich anstrengen. Im Leben wie in der Politik geht nicht immer alles voran wie auf der Autobahn. Es gibt auch mal holperige Feldwege. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das meistern.

Müssen öffentliche Personen wie Sie seit den Terroranschlägen von Paris stärker fürchten, zum Ziel von Anschlägen zu werden?

Im öffentlichen Raum muss ich mich nicht mehr fürchten als jeder andere Mensch auch. Und bei offiziellen Veranstaltungen beschäftige ich mich nicht damit. Sonst wird man meschugge. Über Dinge zu grübeln, die ich nicht in der Hand habe, bringt nichts.

Könnte es sein, dass Sie ein sehr pragmatischer Mensch sind?

In manchen Dingen, ja. Das hilft mir unheimlich.

So, Frau Schadt, zum neuen Jahr haben Sie jetzt zwei Wünsche frei. Einen für den Bundespräsidenten und einen für sich selbst.

Och nö.

Doch.

Also gut. Für den Bundespräsidenten... (Es macht klack. Das Aufnahmegerät schaltet sich ab.) Ah! Das war ein Zeichen.

Nichts da, keine Ausreden. (Gerät wird wieder angestellt.)

Dem Bundespräsidenten wünsche ich, dass es ihm auch weiter gelingt, die Menschen zu erreichen und sie zu motivieren, sich etwas zuzutrauen. Und mir selbst wünsche ich, dass ich noch weiter so viele aufbauende und das Herz erwärmende Begegnungen haben kann. Hört sich ein bisschen pathetisch an, oder? Aber es gibt so unglaublich tolle und engagierte Frauen und Männer. Und es sind eben nicht nur diejenigen, die auf dem roten Teppich empfangen werden.

Die Fragen stellte: Constanze v. Bullion