Interview mit der Rheinischen Post

Schwerpunktthema: Interview

26. März 2016

Daniela Schadt hat der Rheinischen Post ein Interview gegeben, das am 26. März erschienen ist. Darin heißt es zum Thema Kandidatur für ein politisches Amt: "Ich glaube, ich wäre zu langsam für die heute sehr beschleunigte aktive Politik. Ich wälze die Argumente meistens eine ganze Weile hin und her, bevor ich mich entscheide."

Daniela Schadt im Gespräch mit Michael Bröcker anlässlich des Interviews mit der Rheinischen Post in Schloss Bellevue

Daniela Schadt hat der Rheinischen Post ein Interview gegeben, das am 26. März erschienen ist.

Frau Schadt, Europa ist nach den Anschlägen von Brüssel in Angst. Wie gehen Sie damit um?

Es ist furchtbar, was passiert ist, und schnürt mir das Herz ab. Ich fühle mit den Verletzten und mit den Familien und Freunden der Opfer. Der Schmerz und die Trauer der Menschen in Belgien rücken für mich noch näher, weil der Bundespräsident und ich erst vor kurzem in Belgien waren und dort sehr herzlich und in echter Freundschaft empfangen wurden. Jetzt ist es wichtig, dass wir in Europa entschlossen zusammenstehen. In den ersten Reaktionen – aus Europa und der ganzen Welt – kam diese tiefe Solidarität mit den Belgiern besonders zum Ausdruck.

Schauen wir auf Deutschland in diesen Tagen. Millionen Deutsche haben offenbar das Vertrauen in die politische Elite verloren. Von Staatsversagen ist die Rede, die flüchtlingskritische AfD gewinnt. Beunruhigt Sie das?

Nun mal langsam. Das ist doch im Kern nicht neu. Wir haben als Journalisten in den letzten Jahrzehnten immer mal wieder über Protest gegen die etablierte Politik geschrieben. Er entzündete sich an unterschiedlichen Themen und hatte unterschiedliche Auslöser. Aber es gab ihn auch in früheren Zeiten. Teilweise mündete dieser Protest in Bewegungen, die sich ihrerseits etabliert oder irgendwann auch wieder aufgelöst haben. Was ich damit sagen will: Natürlich muss man sich damit auseinander setzen, dass ein Teil der Bevölkerung ganz allgemein mit der Politik und mit den Politikern hadert, aber man muss es sachlich und mit Augenmaß tun.

Der öffentliche Diskurs wird scharf geführt.

Auch das gab es immer wieder. Manchmal höre ich die Klage, dass es früher alles geordneter war. Psychologisch ist das nachvollziehbar: Die moderne Welt ist unübersichtlicher, ja! Aber über welche gute alte Zeit sprechen wir denn? Die Berlin-Blockade? Der Mauerbau? Die Kuba-Krise? Die Massendemonstrationen gegen Nachrüstung? Sie sehen: Es gab auch damals existenzielle Ängste. Oder denken Sie an den RAF-Terror 1977, da war ich 17 Jahre alt. Es gab Tote. Da war eine unglaublich lähmende Stimmung in Deutschland. Heute gibt es angesichts der Migrationswelle einen leidenschaftlichen Diskurs. Dass muss – wenn Hetze außen vor bleibt – nicht schlecht sein.

Sie waren Journalistin. Die Medien werden als Lügenpresse diffamiert. Trifft Sie das?

Das trifft mich als Bürgerin, aber auch als ehemalige Journalistin. Wir haben eine plurale Medienlandschaft, die sich meines Erachtens intensiv und differenziert mit der Flüchtlingspolitik befasst. Die Medien kontrollieren sich zudem gegenseitig. Dieses Meinungskartell, das einige vermuten, gibt es nicht: Am Tag nach einem EU-Gipfel lese ich in fünf Zeitungen fünf verschiedene Meinungen. Natürlich muss es Selbstkritik geben und Selbstreflektion. Aber ich sehe vor allem einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Thema. Und ich freue mich, wenn Journalisten dies selbstbewusst tun.

Eigentlich ist es ja auch eine gute Zeit für Journalismus.

Auf jeden Fall einen spannende, lehrreiche und herausfordernde Zeit. Die Welt ist komplexer geworden, auch Migration ist ein sehr vielschichtiges Thema. Journalisten müssen schauen, was passiert da eigentlich, welche Ursachen hat es, wer verfolgt welchen Lösungsansatz … Sie müssen informieren, analysieren, kommentieren. Genau das tun ungezählte Journalisten tagtäglich und zwar mit großem Engagement.

Ihr Kommentar als Journalistin wäre jetzt also: Mehr Gelassenheit, bitte?

Gelassenheit kann nie schaden. Aber natürlich treibt das Thema uns alle um – die Journalisten, Politiker und Bürger. Und: Sich mit diesem Thema intensiv zu befassen heißt doch auch, dem demokratischen Diskurs einen Schub zu geben – unter anderem, indem wir Fragen beantworten, die wir bisher nicht beantwortet haben: Wie steuern wir Einwanderung besser als bisher? Welche genau sind heute unsere Werte? Wie sehen wir unsere Identität? Gerade die momentane Krise zwingt uns zur Suche nach Antworten. Das hilft bei der Selbstfindung – einem Prozess, der ja nie ganz abgeschlossen ist.

Sie haben in einem früheren Artikel vor einer Multikulti-Lobby gewarnt.

Ja, aber die Lage ist heute anders. Die Politik stellt sich den Fragen stärker. Es wird intensiv über die Integrationspolitik diskutiert und um den richtigen Weg in der Flüchtlingsfrage gerungen.

Unser Leben wird sich weiter verändern, das ist klar. Und diese Veränderungen sorgen bei einem Teil der Bevölkerung für Unsicherheit oder gar Angst. Viele Menschen fremdeln erst mal mit Neuem, Ungewohntem. Mir selbst geht es ja auch oft nicht anders: Ich hadere zum Beispiel mit moderner Technik, bin eher altmodisch. Selbst meine Zugfahrkarte kaufe ich, wenn es geht, am Schalter und nicht am Automaten oder im Internet. Meine Nichten hingegen wachsen in der digitalen Welt auf. Und ich merke: Ich kann mich der Entwicklung auf diesem Gebiet auf Dauer nicht ganz verweigern. Ich muss sie zwar nicht kritiklos bewundern, sollte aber doch offen sein. Mir gefällt Realismus: sich öffnen und das Neue kennenlernen. Allerdings: Es braucht beides – ein gewisses Beharrungsvermögen und die Dynamik des Neuen. Erst aus der richtigen Balance ergibt sich ein nachhaltiger Fortschritt.

Sind die Deutschen veränderungsunwilliger?

Nein, das glaube ich nicht. Dass man mit manchen Veränderungen zunächst mal fremdelt, ist menschlich. Aber die Dinge verändern sich so oder so, denn allein die Perspektive ändert sich: Es gibt in meiner Heimatstadt Hanau zum Beispiel einen kleinen, zehn Meter hohen Hügel im Park Wilhelmsbad, auf dem wir früher Schlitten gefahren sind. In meiner Erinnerung war das ein riesiger Berg. Wenn ich heute da vorbei gehe, ist er geschrumpft, ist nur ein kleiner Hügel. Denn mein Blick hat sich verändert. Ich bin nicht mehr dieselbe.

Gilt für Sie auch der Satz: Wir schaffen das?

Ja – auf lange Sicht sicher. Was genau wir schaffen wollen und wie – das müssen wir jetzt gesellschaftlich aushandeln.

Spreche ich eigentlich mit der Journalistin oder der politischen Persönlichkeit Daniela Schadt?

In meinem Herzen bleibe ich immer Journalistin, mich fasziniert aber Politik auch privat. Sie ist wie ein guter sportlicher Wettkampf. Du musst Talent, Können und Ausdauer haben, aber auch Teamgeist, Leidenschaft und viel Glück. Manchmal geht es anders aus als gedacht. Und das Spiel kann sich in der letzten Minute drehen. Politik ist eine hochspannende Angelegenheit.

Können Sie sich vorstellen selbst in die Politik zu gehen wie Hillary Clinton?

Nein. So reizvoll ein politisches Amt sein mag: Man würde mir einen Amtsbonus durch Joachim Gauck unterstellen. Außerdem liegt mir eher die ausgeruhte, schriftliche Analyse. Ich glaube, ich wäre zu langsam für die heute sehr beschleunigte aktive Politik. Ich wälze die Argumente meistens eine ganze Weile hin und her, bevor ich mich entscheide.

Also lieber wieder Journalismus?

Ich kann mir schon vorstellen, irgendwann wieder zu schreiben.

Nach der Amtszeit von Joachim Gauck 2017?

(lacht): Schaun 'mer mal. Er wird Sie rechtzeitig in Kenntnis setzen.

Schreiben Sie auf, was Sie erleben. Dafür wären Sie ja prädestiniert?

Nein. Dafür fehlt mir ehrlich gesagt die Zeit, auch wenn ich das manchmal bedauere. Ich plane auch nicht, später ein Buch über die Zeit zu verfassen. Ich habe in meinem früheren Leben ja schon viel geschrieben.

Läuft es hinter den Kulissen eigentlich wie in der Serie House of Cards?

(lacht): Da fragen Sie die Falsche; ich habe die Serie nämlich leider noch nicht gesehen. Viele reden davon, und einer meiner Lieblingsschauspieler, Kevin Spacey, spielt mit. Aber man kommt ja zu nichts...

Haben Sie keinen normalen Arbeitstag, 9 bis 18 Uhr?

Nicht ganz. Es kommen viele Besucher ins Schloss Bellevue. Ich besuche zahlreiche Einrichtungen, Organisationen im In- und Ausland und begleite Joachim Gauck, wann immer es geht. Ich kann in dem Amt spannende und außergewöhnliche Persönlichkeiten aus allen Bereichen kennenlernen, wenn ich das möchte. Das ist ein großes Geschenk.

Von der Würde des Amts wird immer gesprochen. Spüren Sie diese Bedeutung?

Die Würde bezieht sich auf das Amt, wie Sie schon sagen. Ein Bundespräsident repräsentiert, er steht für dieses Land. Die Formalitäten gelten insofern dem Amt, nicht der Person Joachim Gauck. So ist das in meiner, davon abgeleiteten Funktion auch. Wenn der Bundespräsident einen Orden an einen ehrenamtlich engagierten Bürger verleiht, vergibt er ihn für den Staat. Das ist eine von der Person losgelöste Funktion. Das muss man immer bedenken. Und die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben die Rolle des Bundespräsidenten wunderbar in dem Mobilee aus Legislative, Judikative und Exekutive ausbalanciert. Es geht beim Bundespräsidenten nicht um den politischen Alltagsbetrieb und Wahlkämpfe, sondern um das Gemeinwesen. Er repräsentiert den ganzen Staat und damit auch die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit. Das ist eine ganz besondere Bedeutung. Der Mensch füllt das Amt zwar aus. Das Amt ist aber das Wesentliche.

Müssen Ihre Freundinnen Sie gelegentlich auf den Boden der Normalität zurückholen?

Nein, eigentlich nicht. Bei Freundinnen, die ich seit 25 Jahren kenne, bin ich Daniela, nicht die Partnerin des Bundespräsidenten. Und es ist ja auch nicht so, dass ich schon beim Kauf von Zahnpasta die Bedeutung des Amtes spüre. Man muss sich eine gewisse Distanz bewahren und das gelingt mir, auch mit Hilfe meiner alten Freundschaften, recht gut.

Können Sie einfach mit Ihrem Mann Abendessen oder ins Theater gehen?

Ja, das kann ich. Wenn ich mit Joachim Gauck essen gehe, sind Sicherheitsbeamte dabei. Wenn ich ohne ihn unterwegs bin, nicht.

Was hat Sie in der Funktion überrascht?

Ich erlebe eine sehr engagierte, solidarische Gesellschaft. Als Politikredakteurin ist man meist mit dem beschäftigt, was falsch läuft im Land, man entwickelt einen besonders kritischen Blick. Heute erlebe ich viel häufiger als früher, wie viele Menschen sich in ihrer freien Zeit für andere Menschen einsetzen. Nicht nur die organisierte Zivilgesellschaft, auch Menschen, die ihre Eltern pflegen, die ihrem Nachbarskind bei den Hausaufgaben helfen, ohne dass diese Tätigkeiten statistisch erfasst sind. Das ist eine aufbauende Erfahrung. Deutschland hat eine im Kern solidarische Gesellschaft.

Haben Sie sich in den vergangenen Jahren persönlich verändert?

Ja, diese positiven Erfahrungen haben mir, glaube ich, zu einem offeneren und auch positiveren Blick auf dieses Land verholfen. Ich bin weltfreundlicher geworden.

Haben Sie schon mal diplomatische Irritationen ausgelöst?

Es sind mir ein paar kleinere protokollarische Fehler unterlaufen: Auf dem roten Teppich die Schrittfolge missachtet oder Charlene von Monaco auf die Schleppe getreten. Keine größeren Verwerfungen. Ich habe viele hilfsbereite Menschen um mich herum, die mir sagen, wann ich rechts, links oder geradeaus gehen soll.

Haben Sie in Ihrer Rolle ein Vorbild?

Nein. Ich bin viel zu beschäftigt damit, Dinge aufzunehmen und zu verarbeiten, als dass ich mir ständig über meine Rolle Gedanken machen könnte. Das ergibt sich. Meine Funktion ist ja auch in der Verfassung nicht definiert.

Sprechen Sie Ihre Kleidung bei gemeinsamen Terminen mit Frau Merkel ab?

Nein. Nur das Protokoll der britischen Königin hatte vor dem Besuch einige Fragen dazu. Es war alles in Ordnung. Aber für die Queen hätte ich mich auch umgezogen.

Die Fragen stellte: Michael Bröcker.