Interview mit der Welt am Sonntag

Schwerpunktthema: Interview

5. März 2017

Daniela Schadt hat der Welt am Sonntag ein Interview gegeben, das am 5. März erschienen ist. Darin heißt es zum Thema Emanzipation: "Die Möglichkeiten, sich in meiner Funktion mit Menschen, Verbänden und Vereinen auszutauschen, sind immens groß und auch befriedigend. Auf diesem Feld habe ich unglaublich viel gelernt und auch einiges bewirken können, und dort stand ich auch für mich. Aber natürlich gibt es viele Bereiche, in denen es in erster Linie auf den Präsidenten ankommt."

Daniela Schadt im Gespräch mit dem Welt am Sonntag-Redakteur Jaques Schuster im Büro in Schloss Bellevue

Daniela Schadt hat der Welt am Sonntag ein Interview gegeben, das am 5. März erschienen ist.

Frau Schadt, sind Sie froh, dass Sie hier bald ausziehen können?

Es wäre etwas falsch gelaufen, wenn man nach fünf Jahren sagen würde: Gott sei Dank, es ist vorüber. Es sind durchaus gemischte Gefühle. Ein bisschen Wehmut ist schon dabei, auch weil ich Menschen vermissen werde, mit denen ich hier zusammenarbeite. Außerdem gab es viele wunderbare Begegnungen und Erlebnisse. Aber so, wie es nun kommt, empfinde ich es als stimmig.

Ist es nicht eine große Last, fünf Jahre lang so gut wie kein Privatleben zu besitzen?

Ganz so schlimm ist es ja nicht. Zum Glück gibt es auch ein Privatleben - sonst würde man so eine Aufgabe kaum bewältigen. Dabei ist mein Freiraum sicher größer als der des Bundespräsidenten. Natürlich steht man an dessen Seite stärker unter Beobachtung als die meisten Menschen. Aber ich habe meine Beziehung zu Freunden und Verwandten stets aufrechterhalten. Außerhalb des offiziellen Programms kann ich mich problemlos frei bewegen. Und diese fünf Jahre haben ja nicht nur aus öffentlichen Pflichten bestanden. Im Grunde war es für mich ähnlich wie im Journalismus: Da kann man ja auch nicht um 18 Uhr den Stift fallen lassen, es gibt Abendtermine und Wochenenddienste. Auch da ist das Privatleben eingeschränkt.

Als Journalistin sind Sie eine Frau des Wortes. Als First Lady haben Sie das Wort Ihrem Mann überlassen müssen und die Öffentlichkeit hat an Ihnen vor allem interessiert, welches Kleid Sie bei welchem Staatsbesuch tragen. Wie ist das, wenn das Äußere bedeutender scheint als die Inhalte?

So habe ich das gar nicht erlebt. Bei gemeinsamen Auftritten mit dem Bundespräsidenten will natürlich jeder erst einmal wissen, was der Bundespräsident sagt oder denkt. Aber ich habe ja eine ganze Reihe eigener Termine und Reisen – zum Beispiel als Schirmherrin von UNICEF oder der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung oder einfach nur, um mir ein interessantes Projekt anzuschauen. Dabei treffe ich immer wieder beeindruckende Menschen und führe intensive und interessante Gespräche. Aber auch bei Veranstaltungen mit dem Bundespräsidenten dackelt man als Frau nicht drei Stunden schweigend hinterher. Man hat viele Möglichkeiten des Austauschs.

Viele langjährige Amtsinhaber haben in ihren Memoiren die ersten Monate ohne Amt und Aufgabe als etwas Schreckliches empfunden. Können Sie das nachvollziehen? Manche, wie zum Beispiel Willy Brandt, verfügten nie über Bargeld im Amt. Es war schlicht nicht nötig bei dem Tross von Leuten, die ihn umgaben. Umso schwerer war der Neuanfang als Normalbürger. Wie ist es bei Ihnen?

Das ist bei mir anders. Sobald ich hier rausgehe, gehe ich meinem Leben nach, gehe auch einkaufen. Das werde ich nachher übrigens auch tun, sonst gäbe es nämlich nichts zum Abendessen. Ein großer Teil meines Lebens ist so, wie es vorher auch war. Vielleicht wird diese Umstellung für den Bundespräsidenten doch ein bisschen schwerer.

Sie haben Ihre Zeit und Funktion als First Lady also nicht als ein Korsett und einen Schleier empfunden. Im Grunde erwartet man eine immer gleich freundliche Erscheinung. Wird das nicht irgendwann zur Belastung?

Nein, so ist das nicht. Bei den meisten Gesprächen und Terminen geht es völlig normal und unverkrampft zu – es ist ja nicht jeden Tag Staatsempfang. Da wird es dann schon mal zeremonieller, aber wenn man die Abläufe verinnerlicht hat, kann man ganz gut damit umgehen. Und was die Freundlichkeit angeht: Auch von Krankenschwestern, Verkäuferinnen oder Behördenmitarbeitern wird erwartet, dass sie den Menschen freundlich begegnen. Und in meinem Fall ist es sicher oft leichter, weil meine Gesprächspartner meist interessante, engagierte Bürger sind…

Was hatten Sie sich als First Lady vor fünf Jahren für Ziele gesetzt? Welche davon konnten Sie verwirklichen?

Eine ausgefeilte Agenda hatte ich gar nicht. Aber ich fand es wichtig, für bestimmte Bereiche eine größere Öffentlichkeit zu ermöglichen. Nehmen wir das Beispiel Special Olympics – eine Sportinitiative für Menschen mit geistiger Behinderung. Ich wollte das Meine dazu beitragen, dass mehr Menschen als bisher sehen, welche Leistung diese Athleten erbringen, und wie wichtig das für sie ist. Ich hoffe, es ist mir gelungen. Ein konkretes Ziel allerdings hat sich aus den Erfahrungen der letzten Jahre ergeben: Ich fände es gut, wenn die vielen fabelhaften Organisationen, Initiativen und Stiftungen stärker zusammenarbeiten könnten. Und wenn dieses ehrenamtliche Engagement sinnvoll mit den Institutionen des Gemeinwesens verzahnt würde. Da sind wir gerade in einem Lernprozess – an dem würde ich mich gerne weiter beteiligen.

Sie sind von der politischen Beobachterin zur politischen Akteurin geworden. Denken Sie nach fünf Jahren anders über Medien?

Es wird Sie erstaunen: nein. In den über 20 Jahren, in denen ich als Journalistin bei meiner Zeitung war, gab es für mich immer ein Anliegen: Ich möchte die Ereignisse, die Entwicklungen, die auf uns zukommen, verstehen und auch meinen Lesern verständlich machen. Die möglichst knackige Schlagzeile hat mich nie interessiert. Denn wenn man sich richtig in ein Thema einarbeitet, merkt man schnell: Meist gibt es keine einfache Lösung und schon gar nicht die eine Lösung, die allen wohl und niemandem wehtut. Diese Haltung hat sich nicht verändert. Ich sehe sie bei vielen Journalisten und bei den Medien insgesamt genauso wie früher, auch wenn ich weiß, dass es Ausnahmen gibt.

Sie sind vom Selbstverständnis und Ihrem Auftreten eine emanzipierte Frau. Was bedeutet Emanzipation Ihrer Ansicht nach?

Im Kern bedeutet es gleiche Chancen für Frauen und Männer – und die Möglichkeit, diese Chancen auch wirklich ergreifen zu können. Ich denke, gerade in den Fragen von Ausbildung und Beruf gibt es noch einiges zu verbessern, etwa dass Frauen nach der Elternzeit ohne Nachteile an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können. Sie haben in der Familienphase ein hohes Maß an Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit bewiesen und zudem eine soziale Kompetenz erworben, die noch nicht in dem Maße anerkannt wird, das ich mir wünschen würde.

Und auf Ihre Rolle bezogen: Ist die Rolle einer emanzipierten Frau überhaupt vereinbar mit der Gattin des Bundespräsidenten?

Ja und nein. Die Möglichkeiten, sich in meiner Funktion mit Menschen, Verbänden und Vereinen auszutauschen, sind immens groß und auch befriedigend. Auf diesem Feld habe ich unglaublich viel gelernt und auch einiges bewirken können, und dort stand ich auch für mich. Aber natürlich gibt es viele Bereiche, in denen es in erster Linie auf den Präsidenten ankommt. Anders wäre es ja auch seltsam: Der Bundespräsident ist gewählt worden und führt dieses Amt aufgrund dieser Wahl aus. Seine Frau oder Partnerin hat ja kein Mandat. Übrigens ist das meines Erachtens keine Genderfrage: Es gibt auch Staaten mit Präsidentinnen, da steht der Mann in der zweiten Reihe.

Wie unterscheidet sich Ihre Rollte heute – sagen wir – von der von Mildred Scheel Mitte der 1970er-Jahre?

Es ist ein Trugschluss zu glauben, die Frauen der früheren Präsidenten seien weniger emanzipiert gewesen als die heutigen. Denken Sie nur an Elly Heuss-Knapp, die Gattin des ersten Bundespräsidenten. Sie war als Werbetexterin berufstätig, hat für den Reichstag kandidiert, hat ihren Mann und die Familie während der Nazi-Zeit durchgebracht. Sie hat ein Handbuch der Nationalökonomie für Frauen geschrieben. Wilhelmine Lübke war Lehrerin, sogar Studienrätin, Veronika Carstens Ärztin. Also: Selbstbewusstsein an der Seite des Bundespräsidenten gibt es nicht erst seit Mildred Scheel, die im Übrigen Großartiges geleistet hat.

Hat sich das Rollenbild der Frau in der Gesellschaft seit dieser Zeit gewandelt?

Natürlich – und das ist auch gut so. Allerdings denke ich auch, dass die Frauen in den 1950er Jahren weit selbstständiger waren, als wir heute glauben. Viele hatten ihre Kinder alleine durch den Krieg gebracht. Notgedrungen, weil ihre Männer an der Front waren oder gefallen. Manche Männer kamen erst 1955 aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause. Die Frauen mussten arbeiten und alles alleine organisieren, nicht weil sie es wollten, sondern weil es nicht anders ging. Sie müssen eine ungeheure Kraft gehabt haben. Die verflüchtigt sich doch nicht einfach so. Es wird nicht einfach gewesen sein, wieder zu den alten Rollenmustern zurückzukehren.

Wann wäre die Emanzipation der Frau Ihrer Meinung nach am Ziel?

Wie bei allen gesellschaftlichen Prozessen ist so ein Ziel gar nicht ein für alle Mal zu bestimmen, weil sich die Vorstellungen immer wieder ändern und anpassen. Würde man einer Frau des 19. Jahrhunderts die Gegenwart zeigen, dann würde sie wohl sagen: Es ist alles erreicht. Für uns hingegen ergeben sich immer wieder neue Fragen, etwa die des gleichen Einkommens. Es ist auch gut, dass sich die Gesellschaft entwickelt. Alle finalen Ziele haben etwas Totalitäres.

Welche Funktion im Duett zwischen Bundespräsident und dessen Gattin sollte eben diese Gattin einnehmen?

Ich kann nur von mir reden. Ich denke, es ist wichtig, sich Aufgabenfelder vorzunehmen, denen der Bundespräsident sich vor allem aufgrund der Breite seiner Aufgaben nicht so intensiv widmen kann. Für mich war das unter anderem die Frage der Chancengerechtigkeit für Jugendliche. Gerade hier konnte ich auf Probleme aufmerksam machen, die in der öffentlichen Wahrnehmung verschattet sind. Der Bundespräsident kann das nicht in demselben Maße, weil sein Themenspektrum viel breiter angelegt ist.

Sie haben in den vergangenen fünf Jahren wahrscheinlich so viele Menschen in Deutschland gesprochen wie kaum ein anderer Mensch, sieht man von Ihrem Mann ab. Wie würden Sie die Stimmung im Land charakterisieren?

Natürlich spüre auch ich die allgemeine Verunsicherung. Trotzdem bin ich überzeugt, dass die große Mehrheit viel fester hinter unserem pluralistischen System und der repräsentativen Demokratie steht, als es manchmal in den Medien den Anschein hat. Das belegen nebenher auch die Umfragen. Es ist ein Grundgefühl von mir, das sich in vielen Gesprächen und Begegnungen eingestellt hat: auch wenn es noch vieles zu verbessern gilt – dieses Volk ist in seiner Mehrheit zufrieden mit unserer Republik. Es gibt also keinen Grund, verzagt zu sein.

Vor gut fünf Jahren schrieb der Schriftsteller Martin Mosebach, das Amt des Bundespräsidenten sei überflüssig. Man solle es abschaffen. Was würden Sie ihm nach diesen fünf Jahren erwidern?

Es ist nie verkehrt, angeblich Selbstverständliches gelegentlich zu hinterfragen. Aber wenn man sich anschaut, was die Mütter und Väter des Grundgesetzes wollten, dann bin ich überzeugt, dass sie Großartiges geleistet haben. Weil sie ein System der Verfassungsorgane schufen, in denen die Macht austariert und damit auch begrenzt wird. Das politische System ist auf den Wettkampf der Ideen ausgerichtet. Gleichzeitig gründet unser Gemeinwesen auf einem Wertesystem, das über diesem Wettkampf steht. Das Amt des Bundespräsidenten versinnbildlicht dieses Wertesystem. Er weist auf gesellschaftliche Probleme und Fragen hin, ohne in parteipolitischer Konkurrenz zu stehen. Er verbindet Ideen und Gruppierungen, wirkt integrierend. Er steht für das Land als Ganzes. Ohne dieses Amt kann ich mir das Funktionieren der Bundesrepublik nur schwer vorstellen.

Welche Begegnung ist Ihnen unvergesslich geblieben?

Da gab es so viele beeindruckende und sehr unterschiedliche Begegnungen in Deutschland wie im Ausland, dass es kaum möglich ist, eine Art Ranking zu erstellen. Ich kann nur einige Beispiele nennen – etwa beim Staatsbesuch in Israel mein Gespräch mit Shimon Peres über seine Zeit mit David Ben-Gurion. Oder Abebech Gobena in Äthiopien, die vor langer Zeit auf dem Weg zur Kirche ein ausgesetztes Baby fand und beschloss, als völlig mittellose Frau ein Waisenhaus zu gründen, aus dem mittlerweile eine beeindruckende Institution geworden ist. Oder in Kolumbien eine Frau, deren Sohn auf bestialische Weise ermordet wurde und die sich dennoch oder gerade deshalb aktiv um die Versöhnung aller am Bürgerkrieg beteiligten Parteien bemüht – also auch auf jene Menschen zugeht, die für den Tod ihres Sohnes verantwortlich sind. Solche Begegnungen werde ich nie vergessen. Das gleiche gilt hierzulande: Welche beeindruckenden Menschen man trifft! Was sie alles leisten! Das ist großartig und berührend.

Was werden Sie beruflich künftig tun?

Ich war politische Journalistin. Und es wird wohl schwer, in diesen Beruf zurückzukehren. Jedenfalls wäre eine Karenzzeit vonnöten. Ich werde sicher etwas machen, wo ich mich wie immer voll einbringen kann. Davon können Sie ausgehen.

Die Fragen stellte: Jaques Schuster.