Interview mit der griechischen Tageszeitung Kathimerini

Schwerpunktthema: Interview

7. April 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der griechischen Tageszeitung Kathimerini anlässlich des offiziellen Besuchs in Athen ein schriftliches Interview gegeben, das am 7. April erschienen ist. Darin heißt es: "Ich habe den sicheren Eindruck, dass die deutsche Bundesregierung anerkennt, wie viele Reformen in Griechenland bereits durchgeführt wurden und welche Kraftanstrengung dahinter steht. Das möchte auch ich mit meinem Besuch ausdrücklich würdigen."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Amtszimmer (Archiv)

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der griechischen Tageszeitung Kathimerini anlässlich des offiziellen Besuchs in Athen ein schriftliches Interview gegeben, das am 7. April erschienen ist.

Herr Bundespräsident, das ist Ihre dritte Auslandsreise als Bundespräsident. Warum besuchen Sie Athen gerade zu diesem Zeitpunkt?

Am Samstag wird die documenta 14 in Athen eröffnet. Die documenta ist ein Kunst- und Kulturereignis von Weltrang. Und sie findet dieses Jahr erstmals neben Kassel auch in Athen statt. Ich freue mich daher sehr, gemeinsam mit Präsident Pavlopoulos bei der Eröffnung dabei zu sein. Das ist ein guter Anlass, den Perspektivwechsel zu wagen; aus einer anderen Perspektive, der Perspektive der Kunst, auf die deutsch-griechischen Beziehungen und auf unsere Zusammenarbeit in Europa zu schauen. Die Zukunft Europas wird natürlich meine politischen Gespräche in Athen bestimmen. Griechenland ist ein wichtiger Partner in der Europäischen Union, dennoch werden die Beziehungen zwischen Mitgliedstaaten – auch zwischen Deutschland und Griechenland – allzu oft als asymmetrisch wahrgenommen und als geprägt von finanziellen Fragen. Da kann es gut tun, dass die Kunst die Politik herausfordert – sie vielleicht auch provoziert – und uns so Denkanstöße jenseits des politischen Alltagsgeschäfts bietet. Die Krisen der letzten Jahre haben zu Erschütterungen innerhalb der Europäischen Union geführt, vor allem die Entscheidung der Briten für einen Austritt. Umso wichtiger ist es, ein deutliches Signal des Zusammenhalts in der EU zu setzen – wie hier in Athen. Unter dem Motto der documenta Von Athen lernen, werden meine Frau und ich übrigens auch Gespräche mit Vertretern der griechischen Zivilgesellschaft führen.

Griechenland geht durch eine lange Wirtschaftskrise und schwerwiegende fiskalische Anpassungen. Glauben Sie, es ist Zeit für Schuldenerleichterungen und für eine Lockerung der Kreditbedingungen?

Ich habe den sicheren Eindruck, dass die deutsche Bundesregierung anerkennt, wie viele Reformen in Griechenland bereits durchgeführt wurden und welche Kraftanstrengung dahinter steht. Das möchte auch ich mit meinem Besuch ausdrücklich würdigen. Mir ist bewusst, welche Entbehrungen die jahrelange Krise, die Reformen und Einsparungen für viele Menschen in Griechenland bedeuten. Die Krise hat eben auch eine menschliche Dimension. Dennoch ist Griechenland noch nicht am Ende des Weges angekommen. Weitere Reformen werden erforderlich sein, selbst wenn die wirtschaftlichen Indikatoren sich verbessern. Es wäre wünschenswert, wenn die Reformen langfristiges wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftlichen Zusammenhalt zusammenbringen würden.

Die Türkei erlebt eine Zeit der inneren Umbrüche. Gegen Griechenland ist eine nationalistisch-aggressive, eine irredentistische Rhetorik ausgebrochen. Wie sollten Deutschland und Europa hier reagieren?

In Deutschland leben mehrere Millionen Menschen türkischer Herkunft – viele mit deutschem Pass, viele mit türkischem Pass. Wir wollen nicht, dass die politische Polarisierung, die wir in beunruhigendem Ausmaß in der Türkei beobachten, in unseren Städten und Gemeinden in Deutschland das Zusammenleben erschwert und Gräben aufreißt. Die Rhetorik der vergangenen Wochen war schwer nachzuvollziehen, bisweilen inakzeptabel und unwürdig. Gleichwohl bleiben wir in Deutschland und der Europäischen Union eng mit der Türkei verbunden. Wir sind gemeinsam Mitglieder der NATO und wir teilen in vielen Fragen gemeinsame Interessen. Deshalb sollten wir die Brücken nicht abbrechen und uns nicht an einer rhetorischen Eskalationsspirale beteiligen.

Europa steht vor vielen Herausforderungen, vom Brexit bis zur Flüchtlingskrise. Vor uns liegen entscheidende Wahlen. Blicken Sie dennoch optimistisch in die Zukunft der Europäischen Union? Werden wir in der Lage sein, die dunklen Kräfte, die entfesselt wurden, einzuhegen?

Ich blicke trotz aller Rückschläge und Schwierigkeiten optimistisch in die Zukunft der Europäischen Union. Denn ein starkes und geeintes Europa ist in unser aller Interesse. Und wir erleben derzeit ein besonderes Phänomen: Jeden Sonntag gehen in vielen Mitgliedstaaten tausende Menschen für ein geeintes Europa auf die Straße. Gerade für die Jungen unter ihnen ist Europa längst zu einem zweiten Vaterland geworden. Aber sie spüren auch, dass der europäische Einigungsprozess, dass das europäische Projekt, nicht vollendet, nicht selbstverständlich und nicht unumkehrbar ist. Es ist immer wieder eine Aufgabe, für jede Generation. Entscheidend wird dabei sein, dass alle Mitgliedstaaten gemeinsam Verantwortung übernehmen für die Zukunft der europäischen Idee und für die Wirklichkeit der Europäischen Union. Das müssen wir sehen und daran können wir im Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern in unseren Ländern anknüpfen. Es bleibt dabei eine Aufgabe der Politik, Mechanismen und Machtverteilung zu erklären, zum Beispiel welchen Einfluss die Mitgliedstaaten auf Entscheidungen der EU ausüben. Der Einfluss jedes einzelnen Mitgliedstaats ist nämlich keineswegs so gering, wie manchmal suggeriert wird.

US-Präsident Trump hat sich öffentlich mehrfach harsch über Deutschland geäußert und sich von der traditionellen transatlantischen Zusammenarbeit distanziert. Beunruhigen Sie die Rhetorik und die Nachrichten aus Washington?

Aus Washington vernehmen wir Töne, die vieles von dem in Frage zu stellen scheinen, was uns in Jahrzehnten transatlantischer Beziehungen selbstverständlich geworden war. Wieviel davon sich tatsächlich in einer neuen außenpolitischen Ausrichtung niederschlägt, ist zwar heute noch offen. Aber es gibt eine beträchtliche Ungewissheit – in den bilateralen Beziehungen ebenso wie in den größeren Fragen der internationalen Ordnung. Unsere Regierungen werden versuchen, damit konstruktiv und pragmatisch umzugehen. Bereits heute können wir aber sagen, dass eine notwendige Konsequenz aus der veränderten politischen Debatte in den USA für uns eine Stärkung Europas sein muss. Im eigenen Interesse sollten wir in die Stärke der EU investieren. Nur so wird unsere Stimme in Washington und in der Welt auch künftig Gewicht haben.

Sie haben sich in der Vergangenheit mit der Frage der Reparationszahlungen an Griechenland auseinandergesetzt. Ist das Thema für Deutschland abgeschlossen?

Geschichte ist niemals abgeschlossen. Davon sind wir Deutsche überzeugt und stellen uns unserer moralisch-historischen Verantwortung. Dies gilt auch und gerade für die Aufarbeitung der zahlreichen Gräueltaten, die von Deutschen in Griechenland an Kindern, Frauen und Männern während der Herrschaft des Nationalsozialismus verübt wurden. In meinem vorherigen Amt als Außenminister habe ich in diesem Zusammenhang Thessaloniki besucht. Das hat mich tief bewegt. Und nun, in meinem neuen Amt als Bundespräsident, möchte ich ebenso wie mein Vorgänger, Joachim Gauck, einen Beitrag dazu leisten, dass die Erinnerung an dieses schmerzhafte Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte lebendig bleibt und auch an junge Menschen in beiden Ländern weitergetragen wird. Genau diesem Zweck dienen die Projekte, die im Rahmen des Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds entwickelt worden sind, und sie sollten weiter ausgebaut werden. Auch das Deutsch-Griechische Jugendwerk, das hoffentlich bald seine Arbeit aufnehmen kann, wird die Menschen in unseren beiden Ländern näher bringen.

In der Frage der Reparationen vertreten unsere Länder unterschiedliche Auffassungen. Für Deutschland ist das Thema – völkerrechtlich – abgeschlossen. Ich würde mir wünschen, dass ungeachtet dieser Unterschiede beide Seiten – im europäischen Geiste – zusammen an der Entwicklung einer gemeinsamen Erinnerungskultur arbeiten, gerade mit Blick auf die junge Generation.

Die Fragen stellte: Alexis Papahelas.