Interview mit der südkoreanischen Tageszeitung Chosun Ilbo

Schwerpunktthema: Interview

7. Februar 2018

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der koreanischen Tageszeitung Chosun Ilbo ein Schriftinterview gegeben, das am 7. Februar erschienen ist: "Wenn Nordkorea die Sanktionen nicht durch strikte Einhaltung all seiner Nachbarn zu spüren bekommt, wird es nicht einmal daran denken, ernsthaft über sein Nuklear- und Atomprogramm zu verhandeln. Nordkorea muss verstehen, dass es zuallererst seine Raketentests beenden muss."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Amtszimmer (Archivbild)

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der Tageszeitung Chosun Ilbo anlässlich des offiziellen Besuchs in Südkorea ein Schriftinterview gegeben, das am 7. Februar erschienen ist.

Herr Bundespräsident, dies ist Ihr erster Besuch in Korea und Ihre erste olympische Eröffnungsfeier seit Ihrer Amtsübernahme im letzten Jahr. Willkommen in Pyeongchang, willkommen in Korea! Erzählen Sie uns doch ein bisschen über Ihren Besuch.

Ich freue mich jedes Mal sehr, nach Südkorea zu reisen. Ihr Land ist einer der wichtigsten Partner Deutschlands in Asien. Uns verbindet viel: Korea und Deutschland sind hoch entwickelte Demokratien und Industrienationen. Als Mittelmächte stehen wir vor ähnlichen Herausforderungen für die Zukunft und wir teilen die Idee einer regelbasierten internationalen Ordnung. Aber es ist nicht nur das: Wenn ich in Südkorea bin, spüre ich eine tiefe Freundschaft und viel Respekt für mein Land.

Staatspräsident Moon war einer meiner ersten Gäste nach meinem Amtsantritt als Bundespräsident. Wir hatten ein sehr gutes Gespräch und seine Einladung, mit meiner Frau nach Südkorea zu kommen, auch um bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Pyoengchang dabei zu sein, habe ich mit großer Freude angenommen. Ich freue mich schon auf Wettkämpfe der deutschen Athleten. Den Gastgebern und dem koreanischen Team wünsche ich sehr viel Erfolg und uns allen fröhliche und friedliche Olympische Spiele.

Herr Bundespräsident, durch die Teilnahme Nordkoreas an den Olympischen Winterspielen scheint die Atomkrise zunächst aufgeschoben. Es gibt aber auch Befürchtungen, dass Nordkorea die Welt erneut durch den Start interkontinentaler ballistischer Flugkörper und durch Atomtests bedrohen wird. Deutschland unterhält sowohl mit Südkorea als auch mit Nordkorea diplomatische Beziehungen. Und meines Wissens besitzen Sie in Ihrer Eigenschaft als ehemaliger langjähriger Außenminister fundierte Kenntnisse über die koreanische Halbinsel und haben auch ein starkes Interesse an dieser Region. Haben Sie einen Rat für Nordkorea?

Die Situation auf der koreanischen Halbinsel verfolge ich seit vielen Jahren. Mir ist bewusst, dass viele Menschen hoffen, dass Deutschland als Land, das seine jahrzehntelange Teilung 1989/90 friedlich überwunden hat, Korea gute Ratschläge geben könne. Mit historischen Vergleichen sollten wir aber vorsichtig sein. Was die Wiedervereinigung Deutschlands vor allem gezeigt hat, war, dass die Zukunft offen und nicht vorhersehbar ist. Die Mauer, die mein Land trennte, schien für ewig gebaut zu sein – und fiel doch ganz plötzlich und unerwartet. Das ist zuerst einmal ein Grund, die Hoffnung nicht zu verlieren. Dennoch ist die Situation in Korea heute nur sehr schwer mit unserer Erfahrung von vor fast 30 Jahren zu vergleichen. Die DDR war nie eine ähnliche Bedrohung für seine Nachbarn wie es Nordkorea heute ist. Auch das außen- und sicherheitspolitische Umfeld war während der Teilung Europas völlig anders. Und – offen gesagt – waren unsere Länder zu keinem Zeitpunkt politisch und gesellschaftlich so weit voneinander entfernt, wie es Nord- und Südkorea heute sind.

Gerade deshalb glaube ich, dass die Olympischen Spiele eine wertvolle Gelegenheit zum Dialog zwischen Süd- und Nordkorea bieten. Diesen Dialog sollten sie dann fortsetzen, erweitern und vertiefen – auch nach den Spielen. Und dennoch warne ich davor, sich Illusionen hinzugeben. Wenn Nordkorea die Sanktionen nicht durch strikte Einhaltung all seiner Nachbarn zu spüren bekommt, wird es nicht einmal daran denken, ernsthaft über sein Nuklear- und Atomprogramm zu verhandeln. Nordkorea muss verstehen, dass es zuallererst seine Raketentests beenden muss. Nur so lassen sich die gegenwärtigen Spannungen beseitigen.

Herr Bundespräsident, Südkorea scheint sich gegenwärtig in einer schwierigen Lage zu befinden. Die Vereinigten Staaten – ein wichtiger Verbündeter für Südkorea – wollen die Sanktionen gegen Nordkorea verschärfen und die militärische Zusammenarbeit vorantreiben. Die USA brauchen auch die trilaterale Zusammenarbeit zwischen Südkorea, Japan und den USA in den Bereichen Militär und Sicherheit. Im Gegensatz dazu ist China, das die Aktivitäten der USA in der Region Asien Pazifik genau beobachtet, nach wie vor entschieden gegen eine militärische Zusammenarbeit und präventive Maßnahmen gegen Bedrohungen aus Nordkorea. China nutzt seine Position als größter Absatzmarkt der südkoreanischen Wirtschaft, um Südkorea seine Linie aufzuzwingen. Russland steht auf der Seite Chinas. Nach den Olympischen Spielen könnte Nordkorea wirtschaftliche Gegenleistungen einfordern, etwa die Wiedereröffnung des Industriekomplexes und die Wiederaufnahme von Pauschalreisen. Nordkorea weigert sich, Gespräche über eine Denuklearisierung zu führen, und stellt somit weiterhin eine Bedrohung für Südkorea dar. Das Land beharrt ferner darauf, dass die Atomfrage nicht Gegenstand von Gesprächen zwischen Nord- und Südkorea sein soll. Wie soll sich Südkorea in dieser Situation verhalten? Können Sie uns einen Rat geben?

Die Beziehungen und Interessen sind in Ihrer Region von besonderer Komplexität. Und es gibt sicher keine kurzfristige Lösung für die extremen politischen und auch militärischen Spannungen auf der koreanischen Halbinsel. Auch die Teilung Deutschlands war davon geprägt, dass sich auf beiden Seiten große Mächte lange Zeit unversöhnlich gegenüber standen. Mein Eindruck ist aber, es setzt sich mehr und mehr die Überzeugung durch, dass die internationale Staatengemeinschaft zusammenstehen muss, wenn sie massiven Verletzungen elementarer internationaler Regeln durch Regime wie Nordkorea wirksam entgegentreten will. Das bedeutet: Ohne die USA, Südkorea, Japan, Russland und China ist kein echter Fortschritt im Nordkorea-Konflikt möglich. Die große diplomatische Herausforderung ist, alle diese Mächte dazu zu bringen, sich zusammen für dieses gemeinsame Interesse einzusetzen.

Herr Bundespräsident, Sie waren Außenminister im Kabinett von Angela Merkel, jetzt sind Sie Staatsoberhaupt. Die Bildung einer Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD scheint sich schwierig zu gestalten. Welche Rolle spielt der Bundespräsident bei einem solchen politischen Stillstand? Sie haben sich vielleicht mit Bundeskanzlerin Angela Merkel oder mit SPD Chef Martin Schulz getroffen. Wenn dies der Fall war, was haben Sie ihnen gesagt? Haben Sie die beiden gemeinsam oder getrennt getroffen?

Es ist richtig: Die Regierungsbildung seit der Bundestagswahl am 24. September letzten Jahres dauert länger, als wir es in Deutschland in den letzten 70 Jahren gewohnt waren. Die Parteien führen seitdem in unterschiedlichen Konstellationen Gespräche über die Möglichkeiten einer neuen Regierungskoalition. Als Bundespräsident ist es meine Aufgabe, diesen Prozess genau zu verfolgen, dabei auf die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu achten und im Zweifel auch tätig zu werden. Es ist sehr gut und auch beruhigend, dass die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes auch für schwierigere Situationen rechtliche Regelungen und Vorkehrungen getroffen haben; vor allem für ein wirksames Zusammenspiel der Institutionen – einschließlich des Bundespräsidenten.

Herr Bundespräsident, Korea und Japan sind Nachbarstaaten. Dennoch bestehen zwischen den beiden Ländern mehrere Konflikte, etwa historischer oder territorialer Art. Wie sollen Südkorea und Japan mit komplexen und schwierigen Themen umgehen, etwa der Problematik der Trostfrauen oder der Frage, ob Japan über reguläre Streitkräfte verfügen sollte?

Als deutscher Bundespräsident kann ich anderen Ländern, die durch eine schwierige, auch durch Gewalt und Krieg geprägte Geschichte miteinander verbunden sind, keine Ratschläge geben. Mein eigenes Land hat nach den Abgründen seiner Geschichte, nach dem furchtbaren Leid, das Deutschland im letzten Jahrhundert über viele seiner Nachbarn und über Millionen Menschen gebracht hat, das Glück der Aussöhnung erfahren. Wir sind heute auch den Ländern eng und freundschaftlich verbunden, die Opfer deutscher Aggression wurden. Entscheidend für das Wunder der Versöhnung waren die Bereitschaft und die Ernsthaftigkeit beider Seiten. Lassen Sie mich Ihnen nur ein besonders eindrucksvolles Beispiel geben: Im Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder von 1965 – gerade 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der gegen Polen besonders grausam geführt wurde – heißt es: […] strecken wir unsere Hände zu Ihnen hin […], gewähren Vergebung und bitten um Vergebung. Dieser Brief war Ausdruck unerhörten Mutes und einer Großherzigkeit, die ihresgleichen sucht. Wir Deutsche haben uns bemüht und bemühen uns bis heute, dieser Großherzigkeit gerecht zu werden und ihnen ein guter Nachbar zu sein.

Herr Bundespräsident, in letzter Zeit wurde viel berichtet über Europa in der Krise – über den Brexit, Einwanderungsströme, Terrorismus und den Aufstieg rechtsgerichteter Parteien in mehreren Ländern. Die beachtlichen Ergebnisse der AfD bei den jüngsten Bundestagswahlen gelten als repräsentatives Beispiel. Auch Deutschland war Ziel von schrecklichen Terroranschlägen und hat mit Einwanderungskonflikten zu kämpfen. Wie muss die Politik vorgehen, um solche Probleme in Europa zu lösen? Wie sehen Sie die Zukunft Europas und der EU?

Europa geht mit mehreren aufeinander folgenden Krisen und dem Aufstieg anti-europäischer politischer Kräfte seit einiger Zeit durch eine schwierige Phase. Aber ich halte nichts von Alarmismus. Diese Debatte ist übrigens nicht allein eine europäische Debatte, sie wird in vielen Ländern der Welt geführt. In unseren modernen Gesellschaften entstehen Bewegungen gegen die enormen Veränderungen und Umbrüche, die durch Globalisierung und Digitalisierung ausgelöst werden. Nicht wenige Menschen reagieren mit dem Wunsch nach Abschottung und dem Rückzug ins Nationale. Das erklärt den Erfolg von politischen Kräften, die genau das als vermeintliche Lösung anbieten. Genau das ist aber nicht die richtige Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit. Für Deutschland ist die europäische Einigung die einzig gelungene Antwort auf unsere Geschichte und Geografie. Ich bin sicher, dass sich das auch im Handeln einer künftigen deutschen Bundesregierung widerspiegeln wird.

Die Fragen stellte: Jung Ji Sup