Abendessen mit dem Präsidenten der Hellenischen Republik

Schwerpunktthema: Rede

Athen/Griechenland, , 7. April 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 7. April bei einem Abendessen in der Hellenischen Republik eine Ansprache gehalten: "Kontroverse und Mut zum Streit brauchen wir gerade heute, wo die Demokratie an vielen Orten der Welt, auch in unmittelbarer Nachbarschaft Griechenlands, angefochten und herausgefordert wird. Griechenland selbst hat einst – wie wir Deutsche – schmerzlich erfahren müssen, dass die Demokratie verloren gehen kann."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Rede beim Abendessen gegeben vom Präsidenten der Hellenischen Republik im Bankettsaal vom Präsidentenpalast in Athen anlässlich seines Antrittsbesuchs in Griechenland

Änderungen vorbehalten. Es gilt das gesprochene Wort.

Nach meinen Besuchen in Paris und beim Europäischen Parlament in Straßburg führt mich meine dritte Auslandsreise als Bundespräsident nun in diese stolze Stadt – und damit an die Wiege der europäischen Demokratie.

Die historische Bedeutung Athens wäre in diesen für Demokraten nicht leichten Zeiten Anlass genug – doch meine Reise hat natürlich sehr konkrete Gründe: ganz wesentlich die Pflege und die Vertiefung der griechisch-deutschen Beziehungen. Außerdem – und darauf freue ich mich besonders – unsere gemeinsame Eröffnung der documenta 14. Zum ersten Mal findet sie gleichberechtigt an zwei Orten statt und trägt – hier wie in Kassel – das schöne Motto Von Athen lernen. Kann uns doch gerade die Kultur die unterschiedlichen Perspektiven aufzeigen, die unseren eigenen Blick und die Blicke anderer auf die Welt prägen. Die documenta ist ein solches Forum für Perspektivwechsel und für die daraus entstehenden Kontroversen – und auch wenn sie gewiss keine Komfortzone für Politiker ist: das macht sie wertvoll!

Kontroverse und Mut zum Streit brauchen wir gerade heute, wo die Demokratie an vielen Orten der Welt, auch in unmittelbarer Nachbarschaft Griechenlands, angefochten und herausgefordert wird. Griechenland selbst hat einst – wie wir Deutsche – schmerzlich erfahren müssen, dass die Demokratie verloren gehen kann.

Genau fünfzig Jahre liegt nun jener Putsch zurück, mit dem griechische Militärs 1967 die Herrschaft an sich rissen. Zahlreiche der Griechinnen und Griechen, die in der Folge ihr Land verließen, suchten und fanden Zuflucht in Deutschland. Einige kamen an die Universität Gießen, wo später auch ich studiert habe. So auch Sie, Herr Minister Kotzias – von Deutschland aus beteiligten Sie sich am Widerstand gegen die Militärjunta in Ihrem Heimatland. Wer weiß, vielleicht sind wir – der junge Grieche und der junge Deutsche, die beide einmal Außenminister werden sollten – in den Gängen der Universität oder in den Gassen der Altstadt Gießens damals schon einmal aneinander vorbeigelaufen. Erst als Amtskollegen haben wir uns dann Jahrzehnte später kennengelernt. Aber an die gemeinsamen Erfahrungen konnten wir sofort anknüpfen – das hat geholfen in unserer Arbeit miteinander.

Nikos Kotzias und andere Regimegegner – wie der spätere Ministerpräsident Konstantin Simitis, auch er Gießen-erfahren – konnten schließlich in ihr Land zurückkehren: Nach sieben dunklen Jahren der Diktatur fand Griechenland seinen Weg zurück zur Demokratie – und 1981 in die Europäische Union. Sie, Herr Präsident, haben diesen Weg von Anfang an eng begleitet. Was Sie und Ihre Mitstreiter geleitet hat – hat Konstantinos Karamanlis zusammengefasst: Griechenland gehört zum Westen!

Heute geht Griechenland durch eine auf andere Weise schwierige Phase. Die Folgen der Eurokrise lasten auf den Leben vieler Menschen in Griechenland. Und als ob das nicht reichen würde, stemmt Ihr Land auch in der Flüchtlingskrise enorme Lasten. Dafür sind wir, die übrigen Europäer, nicht nur dankbar – dafür schulden wir Ihnen Unterstützung und Solidarität.

Und damit komme ich zu einem dritten wichtigen Grund meiner frühen Reise zu Ihnen: Es geht mir darum, ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen, dass für uns Deutsche Griechenland zum gemeinsamen europäischen Haus gehört. Und dass ich mir eine Europäische Union ohne Griechenland nicht vorstellen kann und mag. Wir wollen, dass die EU der 27 zusammenbleibt und zusammenhält – allen Schwierigkeiten und Differenzen zum Trotz.

Zwischen Deutschland und Griechenland, so scheint mir, ist in den vergangenen Jahren manches Stereotyp am Werk gewesen. Das deutsch-griechische Verhältnis aber ist dann erfolgreich und gewinnbringend, wenn statt Misstrauen gegenseitiges Vertrauen herrscht, wenn nicht Vorwürfe dominieren, sondern Offenheit und die Bereitschaft, voneinander zu lernen.

Griechenland und Deutschland sind einander weiterhin verbunden – auch durch die Werte und Überzeugungen offener und demokratischer Gesellschaften. Gültig bleibt für jede Gesellschaft die Mahnung von Perikles:

Wisset, dass das Geheimnis des Glücks die Freiheit, die Voraussetzung der Freiheit aber der Mut ist.

Ja, wir brauchen Mut zur Demokratie! Dieser Rat, den uns ein Urvater der Demokratie genau an diesem Ort hier gab, der bleibt auch zweieinhalbtausend Jahre später relevant. Denn so unverzichtbar sie ist, selbstverständlich ist die Demokratie nicht, und sie war es nie: Das wissen doch gerade wir Deutsche und Griechen, und danach wollen wir handeln!

Ich bitte Sie nun, das Glas zu erheben – auf Präsident Pavlopoulos, auf das griechische Volk und die Zusammenarbeit und Freundschaft unserer Länder.