Antrittsbesuch in Bayern: Besuch der Ludwig-Maximilians-Universität

Schwerpunktthema: Rede

München, , 26. April 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 26. April an der Ludwig-Maximilians-Universität anlässlich des Antrittsbesuches im Freistaat Bayern eine Rede gehalten: "Demokratie – ob an der Uni, im Studierendenparlament oder in der Stadtgesellschaft ist anstrengend, manchmal ermüdend, hat vor allem immer mit Mut zu tun. Demokratie ist die Staatsform der Mutigen. Diesen Mut müssen wir haben."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Rede in der Ludwig-Maximilians-Universität in München während seines Antrittsbesuchs in Bayern

Diese Universität ist eine besondere Universität!

Und soweit Sie zu den Studierenden gehören, werden Sie sagen,

‚Weiß ich ja – sonst säße ich ja nicht hier‘.

Ja, ganz ohne Zweifel gehört Ihre Universität zu den wirklich herausragenden Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland. Mehr als 700 Professorinnen und Professoren, 26 Nobelpreise, über 500 internationale Kooperationspartner. Ihre Universität ist so weltbekannt, dass jetzt, wo das Wetter langsam etwas besser wird, junge Leute in LMU-T-Shirts sogar auf Berlins Straßen gesichtet werden.

Es ist wirklich ein Privileg, hier studieren zu können und ich wünsche Ihnen allen: Nutzen Sie jeden Tag in dieser Umgebung und machen Sie das Beste daraus!

Aber diese LMU ist nicht nur wissenschaftlich herausragend, sondern die Universität ist eben ein besonderer Ort für die deutsche Demokratie!

Meine Antrittsreisen in unsere 16 Bundesländer stehen unter der Überschrift der Demokratie. Ich will in einer Zeit,

- in der Demokratie vielleicht schon zu sehr als Selbstverständlichkeit begriffen wird,

- in einer Zeit, in der der demokratische Streit häufig genug als überflüssig oder jedenfalls nicht notwendig empfunden wird,

- in der weniger die Auseinandersetzung miteinander im Vordergrund zu stehen scheint, sondern die Bestätigung im eigenen sozialen Medium, – ich will in dieser Zeit die Stimmen unserer Demokratie wirklich hören. Ich will die vielen Menschen würdigen, die Verantwortung übernehmen für unser Land. Die sagen: Ja, wir trauen einander auch in schwierigen Zeiten zu, unsere Zukunft gemeinsam in die Hand zu nehmen!

Demokratie ist ein Wagnis. Dieses Wagnis bleibt angreifbar, und, das merken wir in diesen Tagen, es wird auch tatsächlich angegriffen. Deshalb habe ich in meiner Antrittsrede im Bundestag gesagt: Demokrat zu sein hat auch immer etwas mit Mut zu tun. Mut ist das Lebenselixier der Demokratie!

Und deshalb komme ich nicht ohne Grund an Ihre Universität: Denn hier gab und gibt es viele mutige Demokratinnen und Demokraten!

An sieben von ihnen wurde ich gerade eben erinnert, liebe Hildegard Kronawitter, in der neuen Dauerausstellung der DenkStätte. Die Mitglieder der Weißen Rose hatten Mut zum Widerspruch und sie haben, inmitten von Krieg und Diktatur, die Hoffnung auf Menschenwürde, auf Freiheit, auf Gerechtigkeit nicht aufgegeben, sondern ihnen eine Stimme gegeben.

Aber auch später, nach dem Krieg, hat es Mutige gegeben. Hier an dieser Universität ist die deutschlandweit erste Fakultät für Politikwissenschaften entstanden, in bewusster Abgrenzung von den althergebrachten, eher obrigkeitsorientierten Staatswissenschaften.

Große Geister wie Eric Voegelin oder Hans Maier sind mit diesem Aufbruch verbunden. Die Münchener Politikwissenschaften sind bis heute wachsam geblieben – natürlich für den Fortschritt, aber ebenso für die Gefährdungen der Demokratie in der Bundesrepublik. Nicht ohne Grund trägt das Institut seit 1968 den Namen der Geschwister Scholl.

Das Institut für Zeitgeschichte zählt ebenso zu Münchens wachsamen Institutionen – und ich danke seinem Leiter, Professor Andreas Wirsching, dass er nicht nur unsere heutige Diskussion gleich moderieren wird, sondern dass er uns auch in Berlin mit seiner Expertise und der Expertise dieses Instituts immer wieder zur Verfügung steht.

Auch der Mut zu Europa ist hier in München früh lebendig gewesen: Schon die Weiße Rose hat in ihren Flugblättern den Traum vom neuen Europa formuliert.

Und nach dem Krieg sendeten Radio Free Europe und Radio Liberty vom Englischen Garten aus Freiheits-Wellen über den Eisernen Vorhang zu unseren Nachbarn im Osten; und im Laufe der Jahre hat die LMU sage und schreibe 250 Einzelpartnerschaften zu europäischen Universitäten aufgebaut. Und in diesen Tagen, glauben Sie mir, habe ich mit großer Freude gesehen, dass ganz viele von Ihnen sonntags hier in München auf den Max-Joseph-Platz gehen und den Puls Europas wieder schlagen lassen! Das finde ich ganz großartig. Vielen Dank all denen, die sich daran beteiligen.

Auch der Mut zum sozialen Engagement gehört seit langer Zeit zum Bürgersinn der Münchenerinnen und Münchener: vom Lichtermeer gegen den Fremdenhass vor 25 Jahren bis hin zu dem wirklich beispiellosen Engagement für die Aufnahme von Flüchtlingen seit dem Herbst 2015.

Dieses Engagement, symbolisiert durch die Bilder vom Münchener Hauptbahnhof, hat, das kann ich Ihnen als ehemaliger Außenminister versichern, weltweit nicht nur Beachtung gefunden sondern Sie haben, bei allen Kontroversen, die wir über die Flüchtlingspolitik geführt haben, bewiesen, zu welchen Kraftanstrengungen dieses Land Bayern dank seiner engagierten Bürgerinnen und Bürger in der Lage ist!

Und nicht zuletzt braucht jede und jeder von Ihnen, der Wissenschaft betreibt, einen solchen Mut-Impuls: diesen Drang hinein ins Ungewisse; die Neugier, das Unerklärte zu erklären, und zugleich die Bereitschaft, die eigene Erklärung zu hinterfragen und sogar gegebenenfalls widerlegen zu lassen – alles das ist Mut der Wissenschaft!

Und gerade heute, wo viele Menschen in dieser immer komplizierteren Welt sich zurücksehnen nach den ganz einfachen Antworten, wo hitzige Freund-Feind-Polarisierung den kühlen und unvoreingenommenen Blick der Wissenschaften zu verdrängen droht, da möchte ich Ihnen gern sagen: Diese stolze Universität verdient nicht nur ihre 26 Nobelpreise – sondern ich finde, sie verdient auch Respekt in einer Auseinandersetzung, in der sich Faktenverdreher und Verschwörungstheoretiker zunehmend breitmachen.

Aber, wenn ich das sage bedeutet das natürlich Verantwortung. Verantwortung trägt jede Universität, auch diese, für unsere Demokratie! Ich wünsche mir jedenfalls, dass eine selbstbewusste Wissenschaftscommunity – so wie wir es im March for Science gesehen haben – sich aktiv einbringt in gesellschaftliche Debatten, und nicht zulässt, dass wir das Erbe der europäischen Aufklärung jemals wieder preisgeben.

Den Vereinfachern und Populisten jedenfalls – das sehen wir nicht erst seit der Entscheidung zur Schließung der Central European University in Ungarn –, den Vereinfachern und Populisten jedenfalls ist die zur Wahrheit verpflichtete Wissenschaft ein Dorn im Auge. Und es ist leider die bittere Erfahrung: Wo die Freiheit der Wissenschaft beschnitten wird, ist der Weg bis zur Einschränkung anderer demokratischer Freiheiten nicht weit. Umgekehrt gilt genauso: Wissenschaft gedeiht nur dort, wo sie sich entfalten kann, wo Demokratie und Freiheit gewährleistet sind. Mit anderen Worten: Wissenschaftler müssen natürlich nicht Politiker sein, aber der Wissenschaft darf nicht gleichgültig sein, wenn Selbstverständlichkeiten ins Rutschen kommen, wenn Umwertungen der Rolle von Wissenschaft versucht werden, wenn wissenschaftliche Beweisführung gar delegitimiert wird. Streiten für Demokratie und demokratische Freiheiten ist gleichzeitig Streiten für die Freiheit der Wissenschaft. Und mir scheint, mit Blick auf die Entwicklung in einigen Ländern um uns herum, dass wir, leider auch in Europa, beides wieder entschiedener tun müssen.

Demokratie, ob an der Uni, im Studierendenparlament oder in der Stadtgesellschaft, ist anstrengend, manchmal ermüdend, wer wüsste davon nicht zu berichten. Aber ich wiederhole: Es hat vor allem immer mit Mut zu tun. Demokratie ist die Staatsform der Mutigen. Diesen Mut müssen wir haben.

- Manchmal den Mut zum Widerspruch.

- Manchmal auch den Mut zuzuhören.

- Manchmal den Mut, mit der Meinung der anderen auch leben zu können, den Mut zum Ausgleich,

- den Mut zum Kompromiss.

Und da sind wir auch schon bei den Fragen, die wir hoffentlich jetzt gleich mit Ihnen auf dem Podium ein wenig genauer beleuchten können: Was ist der Mut, den Ihre Generation heute braucht, für welche Ziele soll er eingesetzt werden?

Wie zum Beispiel verteidigen Sie, noch besser wie verteidigen wir gemeinsam das europäische Projekt, das viele hunderte von Ihnen jedes Jahr dank Erasmus-Programm und anderen europäischen Programmen in alle Ecken unseres Kontinents bringt, das aber viele andere in Europa scheinbar schon gänzlich abgeschrieben haben?

Oder wie verhalten Sie sich im Internet, wo die Grenze zwischen dem Sagbaren und dem Unsäglichen immer mehr verloren geht, wo ein Like mehr zählt als die Unterscheidung zwischen Fakt und Lüge – daran haben Sie, Herr Professor Wirsching, gerade erst in der vergangenen Woche in der FAZ in Ihrem Namensbeitrag erinnert. Und wir müssen uns gegenwärtig sein, dass diese Bereitschaft, Fakt und Lüge zu unterscheiden, überlebenswichtig ist für Demokratie! Wenn wir das aufgeben, dann wird Demokratie nur schwer überleben.

Gerade in dieser Debatte wünsche ich mir eine mutige, eine selbstbewusste Stimme der Universitäten in unserem Land!

Das Gute ist doch: In der Demokratie müssen die Mutigen nicht mehr Märtyrer sein. Die Mitglieder der Weißen Rose haben ihren Mut mit dem Leben bezahlt. Wir Alle, Sie Alle müssen das nicht – zum Glück!

Nur, darauf hat mein Vorgänger Joachim Gauck in seiner Weißen-Rose-Gedächtnisrede hier hingewiesen, das darf auch nicht dazu führen, dass wir vor diesen Mutigen, auch den Mitgliedern der Weißen Rose, in Ehrfurcht erstarren, dass wir sie auf einen Denkmalsockel stellen, weit über unser Leben erhaben.

Nein, der Impuls, die Aufforderung bleibt doch und sie gilt uns allen, auch in der heutigen, fast 70 Jahre alten bundesdeutschen Demokratie.

Den Impuls, den ich meine, finde ich ganz berührend formuliert im 5. Flugblatt der Weißen Rose – verfasst, vervielfältigt und verteilt Ende Januar 1943, nur drei Wochen bevor Hans und Sophie Scholl hier im Treppenhaus verhaftet und vier Tage später hingerichtet wurden.

In diesem 5. Flugblatt – gerichtet an alle Deutschen – heißt es: Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt!

Wir leben, arbeiten und diskutieren heute unter gänzlich anderen Bedingungen – glücklicherweise! Aber eine Botschaft bleibt: Demokratie verträgt keine Gleichgültigkeit. Dass Sie hier sind, in so großer Zahl, liebe Studierende, ist für mich ein Beleg, dass Ihnen nicht nur Ihre persönliche, sondern auch unsere gemeinsame Zukunft, dass Ihnen beides am Herzen liegt. Und jetzt freue ich mich auf unsere kleine Diskussion hier oben im Podium.

Herzlichen Dank!