Kreativwettbewerb "VOLKER – für Demokratie-Kommunikation"

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 30. April 2017

Der Bundespräsident hat am 30. April bei der Preisverleihung des Demokratie-Kreativwettbewerbs VOLKER eine Ansprache gehalten: "Demokrat zu sein, hat immer auch mit Mut zu tun, und das nicht nur in der Türkei. Bei weitem nicht so viel Mut braucht es hier, aber Bereitschaft zur Verantwortung, die ist auch bei uns gefragt. Nicht nur für sich selbst, sondern für die gemeinsame Zukunft in unserem Land Verantwortung zu tragen, darum geht es. Diese Zukunft ist nämlich nicht vorherbestimmt und sie folgt auch nicht der Idee eines Einzelnen oder einer einzelnen Gruppe. Demokratie gibt es nur im Plural, in der Vielfalt der Ideen, Wünsche, Stimmen und Träume."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache anlässlich der Preisverleihung des Demokratie-Kreativwettbewerbs VOLKER in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin

Ich habe mir erst vor wenigen Tagen erklären lassen, was VOLKER ist und wir haben eben etwas gefrotzelt, weil wir zu meinen Studentenzeiten schon gesagt haben: Volker hört die Signale. Aber wenn ich mir diesen Abend hätte wünschen können, dann hätte ich ihn mir so gewünscht. Tolle Location, viele junge Leute und eine richtig kreative Atmosphäre hier in diesem Saal.

Danke für die Einladung, danke für den überaus freundlichen Empfang. Jetzt im Ernst: Wenn Sie meine Antrittsrede vor Kurzem im Deutschen Bundestag gehört haben, dann sind Sie wahrscheinlich gar nicht so schrecklich überrascht davon, dass ich schnell zugesagt habe.

Denn Sie sagen es selbst: Wir leben in einer Zeit, in der Demokratie und unsere offene Gesellschaft ganz offensichtlich unter Druck stehen. Viele – bei unseren Nachbarn, bei unseren Partnern – kehren der Demokratie den Rücken. Alles, was wir glaubten überwunden zu haben, kehrt zurück. Schwarz-Weiß-Denken, die Einteilung der Welt in Gut und Böse, Freund und Feind. Die Sehnsucht nach den ganz einfachen Antworten nimmt zu und ganz offensichtlich auch die Bereitschaft, diese einfachen Antworten zu geben. Eine neue Faszination des Autoritären weht da im Augenblick durch Europa und vermutlich macht sie auch vor unseren Grenzen nicht gänzlich halt. Das Fundament bei uns mag fester sein, aber verächtliche Reden über demokratische Institutionen, parlamentarische Entscheidungsfindungen und den in der Demokratie eben nicht seltenen Kompromiss – die hören auch wir.

Vielleicht haben wir in der Vergangenheit vieles, auch die Demokratie, für zu selbstverständlich genommen. Vielleicht haben wir den Weg zur Demokratie bei uns und in Europa nach den zwei katastrophalen Weltkriegen des vergangenen Jahrhunderts schon für unumkehrbar gehalten. Wenn ich auf Deutschland schaue und mich erinnere an die letzten acht Jahre als Außenminister: Man darf ohne zu übertreiben sagen, in der Welt gelten wir als demokratisches, weltoffenes, friedliches und pluralistisches Land, und das nicht erst seit gestern, sondern schon ein bisschen länger. Und spätestens seit dem Sommermärchen vor über zehn Jahren traut man uns sogar etwas Gelassenheit und Humor zu. Und Berlin – die Stadt, von der zwei Mal die Katastrophe der Weltkriege ausging – ist inzwischen ein globaler Sehnsuchtsort, eine der coolsten Metropolen der Welt, ein Symbol der Freiheit. Es schien, als könnten wir hinter das Projekt Demokratie schon einen Haken machen.

Das Wissen, dass es nicht so ist, führt uns heute hier zusammen. Wir spüren alle miteinander, dass wir das, was wir alle über Jahre und Jahrzehnte für selbstverständlich und unverrückbar gehalten haben, wieder neu verteidigen müssen. Es geht dieser Tage in der politischen Auseinandersetzung nicht mehr nur um schwarz, rot, gelb oder grün. Wenn ich mich in Europa umschaue, geht es um die Demokratie selbst. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es gibt keinen Grund für Alarmismus in Deutschland. Das Fundament ist stark: Tausende, die bei uns Verantwortung tragen in demokratischen Institutionen in Bund, Land, vor allem in Städten und Gemeinden, Millionen, die im Ehrenamt Verantwortung tragen für die Nachbarschaft, für die Stadt und die Region, für das Gemeinwohl. Aber wir wissen aus eigener, ganz schmerzhafter Erfahrung, dass wir nicht wachsam genug sein können, wenn es um die Verteidigung unserer Demokratie geht.

Aus diesem Grunde werden meine Antrittsbesuche in den Bundesländern nicht nur ein Handshake in den Regierungszentralen und Landesparlamenten sein. Das wäre zu wenig und aus meiner Sicht auch nicht notwendig. Vorstellen muss ich mich nach dem einen oder anderen Jahr in der Politik inzwischen nicht mehr. Nein, das, was ich jetzt begonnen habe, ist eine Demokratiereise durch 16 Bundesländer. Die erste ist gerade zu Ende gegangen. Sie ging nach Bayern, wo ich – und das wird in den anderen 15 Bundesländern auch so sein – Stätten der Demokratie besuche, vor allem mit jungen Leuten.

In Bayern habe ich mich mit Studierenden der Universität am Gedenkort der Weißen Rose getroffen. Wir haben im großen Hörsaal der Universität eine Debatte über Demokratie geführt, über die Frage, wie wir über Demokratie kommunizieren, ob wir uns verlieren, weil die einen in den klassischen Medien kommunizieren und die anderen sich eher aus den sozialen Medien informieren. Wir haben dann gemeinsam den Verfassungskonvent in Herrenchiemsee besucht – kaum einer weiß noch, dass dort innerhalb von 14 Tagen das Grundgesetz entstanden ist.

Und auch da haben wir mit Schülerinnen und Schülern diskutiert über die Situation nach dem Krieg, die Entstehungsbedingungen des Grundgesetzes. Aber auch über die Frage, was ihnen das eigentlich heute noch wert ist – denen, die jetzt 14, 15 Jahre alt und in der Schule sind. Wir haben mit Schülerzeitungsredaktionen darüber gesprochen, was sich von offizieller Politik in den Schulen und vor allem in Schülerzeitungen noch wiederfindet und wie man das Verständnis für politische Vorgänge stärken kann.

Einen Satz, der mir aus dieser Diskussion mit den Jugendlichen in Herrenchiemsee in Erinnerung geblieben ist, fand ich sehr gut. Da sagte eine der jungen Schülerinnen: Der wunde Punkt der Demokratie, das ist doch eigentlich ihre Selbstverständlichkeit. Und ich darf sagen, diese Jugendlichen haben mich in meiner Zuversicht bestärkt. Da ist alles andere als Politikverdrossenheit zu spüren – im Gegenteil: Diese jungen Leute stellen viele kluge Fragen, wollen ganz genau verstehen, was da gerade passiert, sie informieren sich umfangreich – nicht immer aus der Zeitung, dafür aber aus anderen Quellen, vor allen Dingen im Internet und über soziale Medien. Und was ich auch gehört habe: Viele von ihnen wollen sich engagieren, sich einbringen in diese Demokratie. Sie wissen ganz genau, dass es um ihre Zukunft geht, und verstehen sehr gut, dass Demokratie alles andere als einfach ist, sondern eine komplizierte Angelegenheit:

Eine Staatsform, die nicht vom Glamour, sondern vom Ausgleich lebt.

Eine Staatsform, die – um es in den Worten der Geschwister Scholl zu sagen – keine Gleichgültigkeit verträgt.

Eine Staatsform, die nur Lösungen auf Zeit liefern kann – weil sie eben Herrschaft auf Zeit ist.

Eine Staatsform, die den Anspruch nicht aufgeben darf, Faktum und Lüge zu unterscheiden.

Kurzum: Demokratie ist verdammt anstrengend! Und zugleich wird die Demokratie tatsächlich angegriffen. Demokratische Freiheiten sind wieder in Gefahr. Und ich rede jetzt gar nicht von der Türkei. Auch mitten in der Europäischen Union erleben wir Entwicklungen, die vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wären. Was es bedeutet, wenn die Freiheit der Kunst beschränkt wird, muss man an einem Ort wie diesem nicht weiter erläutern. Aber was bleibt von der Freiheit der Wissenschaft, wenn jetzt – wie in Ungarn offenbar beabsichtigt – unliebsame Universitäten einfach dicht gemacht werden. Wo die Freiheit der Wissenschaft beschnitten wird, ist der Weg bis zur Einschränkung anderer demokratischer Freiheiten nicht weit. Am schmerzlichsten aber wird uns dies derzeit bei der Presse- und Meinungsfreiheit bewusst. Für ihren Mut, diese hochzuhalten und zu verteidigen, zahlen Journalisten wie Deniz Yücel und viele andere seiner Kolleginnen und Kollegen einen wahrhaft hohen Preis.

Deshalb: Demokrat zu sein, hat immer auch mit Mut zu tun, und das nicht nur in der Türkei. Bei weitem nicht so viel Mut braucht es hier, aber Bereitschaft zur Verantwortung, die ist auch bei uns gefragt. Nicht nur für sich selbst, sondern für die gemeinsame Zukunft in unserem Land Verantwortung zu tragen, darum geht es. Diese Zukunft ist nämlich nicht vorherbestimmt und sie folgt auch nicht der Idee eines Einzelnen oder einer einzelnen Gruppe. Demokratie gibt es nur im Plural, in der Vielfalt der Ideen, Wünsche, Stimmen und Träume.

Und genau um diese Ideen, Wünsche, Stimmen und Träume sichtbar zu machen und zum Ausgleich zu bringen, gerade dafür brauchen wir das, wofür Sie alle eintreten: eine lebendige demokratische Debatte. Deshalb freue ich mich sehr über diesen Wettbewerb. Eine Kampagne für die Demokratie – mehr kann sich eigentlich ein Bundespräsident gar nicht wünschen!

Ich ziehe meinen Hut vor Ihnen, die sich die Zeit für diese Kampagne genommen und in der Freizeit Ihren Kopf zerbrochen haben. Sich nach Feierabend, nach einem langen Agenturtag Gedanken zu machen, wie man vielleicht statt eines Produkts unsere Demokratie bewerben kann – ich finde, auch das ist Ehrenamt.

Über 250 Ideen sind eingesandt worden – die eine oder andere davon durfte ich inzwischen sehen – und ich darf Ihnen sagen, ich bin schwer begeistert. Ich habe in meiner politischen Laufbahn unzählige Regierungskampagnen gesehen in verschiedensten Regierungskonstellationen, ich habe Partei- und Wahlkämpfe aller Parteifarben erlebt. Vieles, was ich in diesen Zusammenhängen wahrgenommen habe, verblasst gegen die Pointiertheit, den Feinsinn, den Witz und vor allen Dingen die Emotionalität Ihrer Entwürfe und Ideen. Ich beglückwünsche alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Wettbewerbs. Das Amt des Bundespräsidenten gebietet Distanz zu Wahlkämpfen und parteipolitischen Kampagnen – aber auf diese Kampagne für die Demokratie freue ich mich, und alle diejenigen, die sich daran beteiligen und beteiligt haben, finden in mir einen Unterstützer.

Ihre Ideen, Ihre Kreativität, und manchmal auch die bewusste Provokation machen den Wert unserer Demokratie sichtbar, erlebbar und wieder spürbar. Sie halten den Scheinwerfer auf das Wichtigste, das wir haben: unsere Freiheit und Demokratie. Dafür kann ich Ihnen nicht genug danken. Und jetzt endlich können wir uns gemeinsam auf die Preisverleihung freuen.