Abendessen mit dem Präsidenten der Hellenischen Republik

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 9. Juni 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 9. Juni beim Abendessen mit dem Staatspräsidenten der Hellenischen Republik eine Ansprache gehalten: "Wir wollen gemeinsam arbeiten an der Überwindung der europäischen Krise und das Erbe eines friedlichen und geeinten Europas in die nächsten Generationen weitertragen. Das wird Kraft kosten, aber ich bin mir sicher, wir werden das schaffen. Und wir haben Grund, zuversichtlich zu sein."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Rede im Großen Saal beim Abendessen zu Ehren des Präsidenten der Hellenischen Republik, Prokopios Pavlopoulos

Athen, so heißt es bei dem deutschen Dichter Wieland, lässt alle anderen Städte zu Dörfern verblassen. Überall siehst Du Dich von ehrwürdigen Denkmälern des Altertums und herrlichen Werken der neuern Kunst und des reinsten Geschmacks umgeben, lässt er seine Protagonistin Glycera schwärmen, die dann vollends in Verzückung gerät, als sie zum ersten Mal den Parthenon sieht. Wieland, ein Zeitgenosse Goethes, war niemals in Athen. Er stammte aus Oberholzheim, einem Dorf bei Biberach.

Sehr geehrter Herr Staatspräsident,

ich weiß nicht, ob Sie, jemand der an die Schönheit Athens gewöhnt ist, beim Anblick von Kassel in Verzückung geraten wird, aber ich kann Ihnen versichern, wir haben dort seit einiger Zeit auch einen Parthenon. Es ist der Parthenon der Bücher, er steht auf dem Friedrichsplatz und ist Teil der documenta 14, deren deutschen Part wir morgen gemeinsam eröffnen werden. Ich finde ihn beeindruckend.

Die Künstlerin Marta Minujín versteht ihren Parthenon aus gelesenen und gespendeten Büchern als Mahnmal für Demokratie und für Erziehung. Sie greift die ursprüngliche Aufgabe des Parthenons als Aufbewahrungsort des Schatzes des Attischen Seebunds auf und entdeckt den kollektiven Wert erlesener Schätze neu. Sie schmilzt ihn sozusagen um in kulturelle Währung.

Dieser Parthenon steht tatsächlich sinnbildlich für die documenta 14, für ihr Motto: Gemeinsamen schaffen – voneinander lernen. Die Idee, diese documenta an zwei Orten miteinander interagieren zu lassen, war eine exzellente Idee, die schon jetzt aufgegangen ist. Der Plan war gut, die Ausführung ist gelungen. Und das freut mich sehr, besonders natürlich für die Organisatoren, aber natürlich vor allem für die ausstellenden Künstler, für das Publikum und für unsere beiden Länder, für Griechenland und für Deutschland. Und nicht zuletzt für uns beide – wie schön, Herr Staatspräsident, dass Sie unserer Einladung nach Kassel folgen konnten, nachdem wir gemeinsam erst vor wenigen Wochen die documenta in Athen eröffnet haben.

Die documenta 14 setzt ein Zeichen für Verbundenheit, für Solidarität und Gemeinschaft, wie wir sie gerade jetzt in Europa brauchen. Da waren und sind bedrohliche Zeichen an der Wand – das sichtbarste ist der Brexit. Wir haben die Wahlkampagnen in den Niederlanden und in Frankreich miterlebt. Wir haben das Anwachsen national-populistischer anti-europäischer Kräfte erlebt und auch deshalb bin ich besonders froh über den Wahlausgang in Frankreich. Natürlich ist die Zahl der Stimmen für den Front National beunruhigend. Aber ich finde, man muss das Ergebnis auch von der anderen Seite betrachten – Marine Le Pen hätte die Wahl gewinnen können. Noch besteht kein Anlass zur Entwarnung in Europa. Aber mit einem französischen Präsidenten Macron haben wir einen Partner und damit die Chance, die europäische Krise zu überwinden. Diese Chance muss Europa nutzen und Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Ich hoffe, in allen Mitgliedsstaaten herrscht die Einsicht, dass wir das große Erbe der europäischen Einigung niemals wieder preisgeben dürfen.

Ich weiß in Ihnen, Herr Staatspräsident, einen überzeugten Europäer an unserer Seite, auch dort, wo wir über schwierige Themen sprechen und verhandeln müssen. Europas Zukunft ist ohne Griechenland so wenig denkbar, wie unsere gemeinsame Vergangenheit ohne Griechenland denkbar ist.

Unsere gemeinsame Kultur, unsere gemeinsamen Werte stärken uns auf diesem Weg. Wir wollen keine Nivellierung aller Unterschiede zwischen uns, wir können sie gar nicht wollen, weil wir so den Reichtum der europäischen Kultur preisgeben würden. Aber: Wir wollen gemeinsam arbeiten an der Überwindung der europäischen Krise und das Erbe eines friedlichen und geeinten Europas in die nächsten Generationen weitertragen. Das wird Kraft kosten, aber ich bin mir sicher, wir werden das schaffen. Und wir haben Grund, zuversichtlich zu sein.

Deshalb, verehrter Herr Staatspräsident, lieber Freund, lassen Sie mich das Glas erheben auf Ihr Wohl, auf das Wohl der Hellenischen Republik und auf all das, was uns miteinander verbindet.