Abendessen für die Mitglieder des Ordens Pour le mérite

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 11. Juni 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 11. Juni bei einem Abendessen mit den Mitgliedern des Ordens Pour le mérite eine Ansprache gehalten: "Gerade in einer turbulenten Welt brauchen wir doch wissenschaftliche Expertise und auch einen klaren Blick, um einen kühlen Kopf zu bewahren und mit Vernunft zu handeln. Wir brauchen freien Diskurs, kulturelle Offenheit und natürlich die internationale Zusammenarbeit in der Wissenschaft über Ländergrenzen hinweg."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält Begrüßungsworte anlässlich der Jahrestagung des Ordens Pour le mérite für Wissenschaften und Künste im Großen Saal von Schloss Bellevue

Es ist mir wirklich an diesem heutigen Abend eine besondere Ehre, Sie, die Mitglieder dieses traditionsreichen Ordens, für mich jedenfalls zum ersten Mal, als Bundespräsident hier im Schloss Bellevue zu empfangen, und deshalb heiße ich Sie ganz besonders herzlich willkommen!

Die Kanzlerin hat heute Nachmittag die Geschichte des Ordens schon kurz erzählt. Vor nunmehr 175 Jahren – am 31. Mai 1842 – stiftete König Friedrich Wilhelm IV. die Friedensklasse des Ordens für Wissenschaften und Künste. Vor 65 Jahren hat sich der Orden – auf Anregung von Bundespräsident Theodor Heuss – dann wieder ergänzt und, wie es heißt, erneuert, nachdem er aus bekannten Gründen unter der NS-Diktatur auf wenige Mitglieder geschrumpft war.

Es war kein Geringerer als Alexander von Humboldt, der als erster Ordenskanzler jene Friedensklasse in ihren Anfangsjahren geprägt hatte.

Den Menschen Humboldt trieb eine unstillbare Neugier an. Der Humanist Humboldt war überzeugt: Alle sind gleichmäßig zur Freiheit bestimmt. Der Forscher Humboldt erkannte als einer der Ersten, was menschliche Eingriffe für das ökologische Gleichgewicht bedeuteten. Er sah, welche katastrophalen Folgen die Abholzung am venezolanischen Valenciasee angerichtet hatten.

Alles ist Wechselwirkung. Zu dem Schluss kam schon Alexander von Humboldt Mitte des vorigen Jahrhunderts und diese ziemlich simple, aber unendlich wichtige Einsicht haben heute – über 200 Jahre später – leider selbst einflussreiche Staatenlenker vergessen.

Deshalb vielleicht ebenso weitsichtig die Botschaft Alexander von Humboldts, die ich als Außenminister gerne zitiert habe, wenn ich vor Ressentiments und Vorurteilen als Basis des Umgangs mit anderen Staaten gewarnt habe. Alexander von Humboldt sagt: Die gefährlichste aller Weltanschauungen, ist die Anschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben. Das klingt wie ein Kommentar zur aktuellen Lage in der Welt.

Wir werden in diesem Jahr des 250. Geburtstages seines Bruders Wilhelm von Humboldt gedenken, dem großen Bildungsreformer. Auch er betrachtete, ausgehend von der Individualität eines jeden Menschen, das große Ganze. Die wahre Bestimmung des Menschen, so Wilhelm, sei die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerlässliche Bedingung.

In unserer Zeit ist nicht nur Alexanders globaler Blick auf die Natur wieder höchst aktuell. Sondern auch Wilhelms Bekenntnis zu einer freien Wissenschaft.

Die Gebrüder Humboldt waren Kinder der Aufklärung – wie wir es auch sein sollten. Und gerade wir sollten es sein, die wir in einer Welt leben, deren Geheimnisse vordergründig weitgehend gelüftet, aufgeklärt sind – nur um den Blick auf neues, unbekanntes Land zu enthüllen.

Wir fliegen ins All und entsenden Forschungsroboter auf andere Planeten unseres Sonnensystems. Durch Forschung haben wir Krankheiten besiegt oder beherrschbar gemacht, Krankheiten, die Millionen von Menschen dahingerafft hatten. Wissenschaft basiert auf der Neugier, dem Zweifel, dem Argument, der Nachprüfbarkeit, kurz: der Kraft der Vernunft. Wo aber Unvernunft und Irrationalität die Oberhand gewinnen, wo – um Beispiele zu nennen – die Wirksamkeit von Impfungen verneint wird, wo wissenschaftliche Befunde zu vom Menschen verursachten Klimaveränderungen geleugnet werden, dort immunisiert man sich gegen Tatsachen und Fakten. Weltsichten nach dem Motto: Ich erklär‘ mir die Welt, wie sie mir gefällt.

Das kann nicht das Erbe der Aufklärung sein. Wir erleben aber zur Zeit, wie Prinzipien und Werte, die in der Aufklärung wurzeln, die anerkannt und akzeptiert waren, Voraussetzung waren für Zivilisation und den Weg der modernen westlichen Gesellschaften in Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat, wie diese Prinzipien und Werte heute angefochten werden, drohen in den Malstrom der 140-Zeichen-Kommunikation zu geraten, wo die für Demokratie so existentielle Unterscheidung von Fakt und Lüge droht, eingeebnet zu werden. Wenn es um die Freiheit der Wissenschaft geht, dann ist es gerade auch an den Forschenden, den Lehrenden, den Wissenschaftlern selbst, diese Freiheit zu verteidigen, Halbwahrheiten ebenso entgegenzutreten wie sogenannten alternativen Fakten. Kürzlich konnten wir eben dies sehen, als viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Straßen der Universitätsstädte gingen und ihre Stimme hörbar machten, auch hier in Berlin.

Ich wünsche mir aber, dass sich diese Stimme noch mehr darum bemüht, auch das nicht wissenschaftlich geprägte Publikum zu erreichen. Wissenschaftliche Komplexität so zu vermitteln und dabei die nötige Differenzierung zu bewahren, das ist eine schwierige, aber vermutlich entscheidende Aufgabe. Ich kann Ihnen aus meiner Rolle ein Lied davon singen. Aber wenn wir in Sorge um die Echokammern in den sozialen Medien sind, wenn wir sie kritisieren, diese Echokammern, dann muss unserer gemeinsames Interesse sein, dass Wissenschaft und natürlich auch Politik weder Elfenbeinturm noch Echokammer werden.

Auch in dieser Hinsicht war Alexander von Humboldt übrigens seiner Zeit voraus: Seine Vorlesungen zum Kosmos in der Berliner Singakademie standen allen offen – nicht nur den Universitätsangehörigen, sondern auch dem interessierten Bürger.

Fest steht: Gerade in einer turbulenten Welt brauchen wir doch wissenschaftliche Expertise und auch den klaren Blick, um einen kühlen Kopf zu bewahren und mit Vernunft zu handeln. Wir brauchen freien Diskurs, kulturelle Offenheit und natürlich die internationale Zusammenarbeit in der Wissenschaft so wie Sie es untereinander leben, über Ländergrenzen hinweg. Wir sind doch an einem Punkt angelangt, den sich Alexander und Wilhelm von Humboldt erträumt hätten: Wir sind heute in der Lage, prinzipiell jedenfalls, Probleme in der Weltgemeinschaft zu lösen. Aber auch nur durch gemeinsames Handeln der Weltgemeinschaft. Und gerade deshalb ist es ein falsches, ich füge hinzu: ein schädliches Signal, dass sich ausgerechnet das wichtigste Land aus dem Pariser Weltklimaabkommen zurückziehen will – dem wohl größten Erfolgsprojekt globaler Zusammenarbeit dieses Jahrzehnts. Lassen Sie uns dem gemeinsam entgegenstehen, lassen Sie uns die Zusammenarbeit in der Welt stärken, wo wir nur können, und lassen Sie uns dabei auf Wissenschaft und Vernunft vertrauen.

Ich freue mich, meine Damen und Herren, über Ihre Anwesenheit. Ich sage noch einmal den neu aufgenommenen heute Nachmittag, einen ganz herzlichen Glückwunsch. Ich wünsche uns allen gute Gespräche und, auch das darf sein, viel Vergnügen an diesem heutigen Abend.