175. Gründungsjubiläum des Zentral-Dombau-Vereins zu Köln

Schwerpunktthema: Rede

Köln, , 24. Juni 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 24. Juni beim Festkonzert zum 175-jährigen Bestehen des Zentral-Dombau-Vereins zu Köln eine Ansprache gehalten: "Bürger, die sich engagieren, die ein Projekt von nationaler Bedeutung zu verwirklichen helfen, die wollen selbstverständlich dann auch politisch mitreden. Und insofern gehört der Dombau-Verein auch entschieden zur deutschen Demokratiegeschichte."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache anlässlich des Festkonzerts zum 175-jährigen Bestehen des Zentral-Dombau-Vereins zu Köln 1842 und des Kölner Männer-Gesang-Vereins in der Philharmonie in Köln

Ich glaube nicht, dass es noch eine andere Stadt in Deutschland gibt, in der die Bürger so sehr an ihrem zentralen Wahrzeichen hängen, wie die Kölner an ihrem Dom. Das zeigen schon die vielen Lieder darüber, die praktisch jeder hier auswendig mitsingen kann. Wenn es im Spanien-Lied der Bläck Fööss über eine bei Deutschen überaus beliebte Urlaubsgegend heißt: He süht et wirklich us wie bei uns zohus, he fählt nur vum Balkon die Aussich op d'r Dom! Wenn man das hört, dann merkt auch jeder Nicht-Kölner, dass es sich hier um eine ganz besondere, ja einmalige Beziehung handeln muss.

Dass diese Beziehung so eng werden konnte und bis heute Einheimische und Zugewanderte, also Kölner und Immis, packt, dafür sorgt seit 175 Jahren der Zentral-Dombau-Verein, also die, wie ihr Präsident immer betont hat, älteste Bürgerinitiative der Welt. Ich freue mich sehr, dass ich heute unter den Gratulanten dieser ehrwürdigen, aber – wie wir gesehen haben – quicklebendigen Institution sein darf. Die sorgt verlässlich und mit großem Einsatz dafür, dass dieses unvergleichliche Wahrzeichen erhalten bleibt und gepflegt wird. Und sie hat dafür gesorgt, dass der Dom überhaupt als das unersetzliche Symbol kölnischer und rheinischer Identität vollendet werden konnte, wie wir ihn heute vor uns sehen.

Wie kam das?

Die Luft roch nach Aufbruch – damals. Um 1840 herum hatten viele Bürger in den deutschen Ländern das Gefühl, es könne und müsse nun kräftig aufwärts und vor allen Dingen vorwärts gehen – in vielerlei Hinsicht:

Die industrielle Produktion war dabei, mit den führenden Engländern gleichzuziehen. Die Bestrebungen nach nationaler Einheit wurden lauter und kräftiger und auch der Kampf um die bürgerlichen Freiheiten, der schien gerade auch um diese Zeit eine neue Dynamik zu bekommen. Ein Zeichen dafür waren übrigens die vielen neuen Lieder, die landauf landab entstanden und die Sehnsucht nach Freiheit und Einheit besangen. Allerorten gründeten sich Männerchöre, die diese Lieder am liebsten schmetterten – und so ist es kein Zufall, Sie haben es gehört, dass in diesem Jahr der Männergesangverein Köln ebenfalls seinen 175. Geburtstag feiert – auch dazu meinen herzlichen Glückwunsch. In Preußen schließlich gab es mit Friedrich Wilhelm IV. nun einen König, der sich zu neuen Ufern aufzumachen schien.

Genau in dieser Zeit des Aufbruchs, dem vielfach möglichen Anfang einer neuen Zeit, fasst man in der Kölner Bürgerschaft den Beschluss, den Dom endlich zu Ende zu bauen und bittet den König von Preußen, die Satzung des Zentral-Dombau-Vereins zu genehmigen.

Passt das zusammen? Aufbruch zu neuen Ufern auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Initiative, eine dreihundert Jahre stillgelegte Baustelle wieder in Betrieb zu nehmen, nach sechshundert Jahre alten Plänen? Ganz Deutschland schaut in die Zukunft, nur Köln ist vollkommen rückwärtsgewandt und vergangenheitsbesessen?

Ganz und gar nicht, meine Damen und Herren, in Köln wusste man viel früher, was der deutsche Philosoph Odo Marquard in die prägnante Formel gebracht hat: Zukunft braucht Herkunft. Will sagen: Vertrauen auf Zukunft wächst, wenn man weiß, wo man herkommt oder neudeutsch, was uns ausmacht. Und das gilt auch umgekehrt: Die Erinnerung an die Herkunft wird nur dann nicht lähmend und rückwärtsgewandt, wenn sie offen ist für neue Wege in die Zukunft.

Selten wird das so deutlich wie beim Beschluss der Kölner, den Dom fertigzubauen und bei der Unterstützung, die der preußische Monarch dazu gibt. Dieses Bekenntnis zur katholischen Identität war gleichzeitig auch ein nationales Versöhnungswerk und sollte friedensstiftend wirken im Streit der Konfessionen untereinander.

Und so ist es, wenn ich richtig sehe, bis heute geblieben: Einerseits ist der Kölner Dom nur er selbst, wenn in ihm gebetet und Gottesdienst gefeiert wird. Aber diese eindeutige christliche Verortung hindert ihn nicht daran, auch für die anders- und nichtgläubigen Kölnerinnen und Kölner identitätsstiftend zu sein. In Wirklichkeit kann sich nämlich niemand, wie man so leichtfertig sagt, neu erfinden. Jeder von uns, auch jede Stadt, jede Region, jedes Land hat lange Wurzeln, tiefe Fundamente. Und in den Fundamenten allein kann man nicht wohnen, aber ohne sie kann man auch nicht in die Zukunft hinein weiterbauen.

Als 1842 der Dombau-Verein vom König genehmigt wurde und alsbald tausende ihm beigetreten sind, da war das auch ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur deutschen Demokratiegeschichte. Natürlich führt kein direkter Weg vom Dombaufest vor 175 Jahren zur Revolution von 1848. Aber es ist doch einer von vielen Beiträgen in ganz Deutschland, die selbstbewusstes Bürgertum in Deutschland entstehen ließ – ein Bürgertum, das Veränderungen wollte. Denn Bürger, die sich engagieren, die ein Projekt von nationaler Bedeutung zu verwirklichen helfen, die wollen selbstverständlich dann auch politisch mitreden. Und insofern gehört der Dombau-Verein auch entschieden zur deutschen Demokratiegeschichte. Einer der Wege zur Paulskirche, könnte man so sagen, führt auch über den Kölner Dom. Nicht nur für all das Engagement ihrer Mitglieder, diese einzigartige Kathedrale des Glaubens für die kommenden Generationen zu erhalten, auch für dieses selbstbewusste, demokratische Bürgerbewusstsein danke ich dem Dombau-Verein heute ausdrücklich.

Friedrich Wilhelm IV. ist 1842 aus Berlin zum Dombaufest der Grundsteinlegung gekommen, hat eine Rede mit viel Begeisterung gehalten. Und er sprach nicht nur davon, dass hier Tore so sagte er, einer neuen, großen, guten Zeit erbaut würden, sondern er stimmte auch das tausendjährige Lob der Stadt an, und zwar mit dem Ruf – Sie werden es nicht glauben – aus königlichem Mund: Kölle Alaaf.

Diesem königlichen Wunsch ist nichts hinzuzufügen – das will ich auch nicht tun. Ich wünsche Ihnen allen einen wunderbaren 175. Geburtstag. Einen schönen Abend. Vielen Dank!