Empfang für Stipendiaten der Alexander von Humboldt-Stiftung

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 29. Juni 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 29. Juni beim Empfang für die Stipendiatinnen und Stipendiaten der Alexander von Humboldt-Stiftung eine Ansprache gehalten: "Dieses Land – mit einer wahrhaft schwierigen Geschichte, wenn ich an das 20. Jahrhundert denke – ist heute ein Hafen der Vernunft und ein Partner für alle, die weltweit die Freiheit des Geistes und die Freiheit des Wortes einfordern, die zugleich Grundlage und Ausdruck unserer menschlichen Würde ist."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache beim Empfang für Stipendiatinnen und Stipendiaten der Alexander von Humboldt-Stiftung im Schlosspark von Schloss Bellevue

Alexander von Humboldt und Berlin – das ist eine enge, aber auch sehr wechselvolle Geschichte. Der aufgeweckte, aber damals nicht besonders brillante Schüler hatte erstmal nur ein Ziel: Der Eintönigkeit auf Schloss Langweil zu entkommen, wie er sein damaliges Zuhause genannt hat. Es zog ihn weg, aus dem langweiligen Berlin in das pulsierende Paris, den internationalen Hub damals für Künstler und Wissenschaftler. Und von dort will er am liebsten – außer natürlich zu seinen großen Forschungsreisen, die später kamen – gar nicht mehr weg. Jedenfalls schreibt er an seinen Bruder Wilhelm: Macht nur, dass ich niemals nötig habe, die Türme Berlins wiederzusehen! Das war die Vergangenheit.

Die Alexander von Humboldt-Stiftung und Berlin – das ist dagegen heute und seit vielen Jahren eine schöne Tradition und ich darf sagen, eine herzliche Verbundenheit. Ich habe selbst nochmal nachgeschaut vor diesem heutigen Tag, vor diesem Empfang: Die Stipendiaten und Forschungspreisträger waren das erste Mal beim Bundespräsidenten zu Gast – damals natürlich noch in Bonn – in dem Jahr, in dem ich geboren wurde. Es ist mir eine Ehre, dass ich nun in diesem Amt die Tradition der Begegnungen mit Ihnen fortsetzen darf. Und wenn ich die vielen fröhlichen Gesichter vor mir sehe, wenn ich an die Gespräche denke, die ich mit einigen von Ihnen irgendwo auf der Welt schon führen konnte und mit anderen im weiteren Verlauf des heutigen Vormittags hoffentlich noch führen werde – dann freue ich mich über diese lebendige Atmosphäre, und dann bin ich mir sicher, wir könnten sogar Alexander von Humboldt davon überzeugen, dass Berlin doch nicht so langweilig und bräsig ist. Von Schloss Langweil kann jedenfalls hier in diesem Schloss keine Rede sein. Heute nicht und an anderen Tagen auch nicht – und deshalb: Ihnen allen ein ganz herzliches Willkommen hier im Schlosspark Bellevue!

Alexander von Humboldt war kein Mann des Elfenbeinturms. Ganz im Gegenteil: Er war gerne in Gesellschaft, brauchte den ständigen Austausch mit anderen geradezu wie die Luft zum Atmen. Über 30.000 Briefe hat er im Laufe seines Lebens in alle Welt geschrieben. Man hört, dass man ihn selbst während seiner schweren Erkrankung praktisch mit Gewalt davon abhalten musste, weitere Briefe zu schreiben, so groß und so unstillbar war seine Neugier.

Es war aber eben keine Gier nach oberflächlicher Unterhaltung, die ihn dazu trieb, sondern ein unerschöpfliches Bedürfnis nach Erkenntnis. Es ging ihm um die Vernetzung von Wissen zu einem großen Ganzen, oder, um in seiner Sprache zu bleiben: zu einem Kosmos. Und dabei verstand er wie wenige andere, dass man schneller zum Ziel kommt, wenn man Wissen mit anderen teilt und wiederum an deren Wissen teilhat. Wissen also – so hat es der Humboldt-Forscher Ottmar Ette einmal ausgedrückt – nicht als statischer Besitz eines einzelnen, sondern als dynamischer Prozess einer Gemeinschaft.

Wenn ich so in den Schlosspark schaue, dann finde ich: Dieser Geist wird heute und hier lebendig. Immer wieder haben mir Humboldtianer, die ich auf der Welt treffe, erzählt, und auch Sie, lieber Herr Professor Schwarz, betonen das immer wieder: Wissenschaft lebt vom Austausch über den eigenen Tellerrand hinaus – und deshalb, lieber Herr Professor Schwarz, möchte ich an dieser Stelle auch Ihnen aber auch der gesamten Alexander von Humboldt-Stiftung ganz herzlich danken, dass Sie mit großem Einsatz, mit viel Herzblut – vor allen Dingen aber mit noch mehr Erfolg – diesen Austausch möglich machen. Herzlichen Dank.

Wir treffen uns heute in besonderen Zeiten – in Zeiten voller Widersprüche, neuer Ungewissheiten, gerade auch, was den Stand und das Verhältnis zur Wissenschaft betrifft. Auf der einen Seite wird unsere Welt ganz offensichtlich komplizierter. Deshalb wächst der Bedarf an Wissen und wissenschaftlichen Lösungen – einerseits. Aber auf der anderen Seite wird die Ablehnung von Wissen und Vernunft, das Schlechtreden von Expertenrat immer lauter und immer gröber. This country has had enough of experts – dieser Satz stammt nicht von irgendwo, sondern von einem Regierungsmitglied aus Großbritannien, das wir doch eigentlich als eine Wiege des europäischen Geistes, der klugen Debatten und vor allen Dingen der großartigen Universitäten kennen.

Und es ist nicht nur der Ruf der Wissenschaft oder die Gültigkeit wissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse, die in Misskredit gebracht werden – etwa, wenn es um Klimaschutz geht. Sondern es gibt Länder, auch innerhalb der Grenzen Europas – wenn ich an das Schicksal der Central European University in Budapest denke – in denen das Fundament von Wissenschaft bedroht wird, das der zweite Bruder, der Jubilar Wilhelm von Humboldt, schon vor über 200 Jahren klar benannt hat: Freiheit ist die erste und unerlässliche Maxime für Bildung und Wissenschaft.

Letzte Woche habe ich eine mutige Humboldtianerin getroffen, der diese Freiheit geraubt wurde. Hilal Alkan stammt aus der Türkei. Sie hat sich mit ihrer Wissenschaft eingemischt in gesellschaftliche Fragen, sie hat Zivilcourage bewiesen und Solidarität mit ihren kurdischen Landsleuten gezeigt, und sie hat damit sogar das Ende ihrer wissenschaftlichen Karriere in der Türkei in Kauf nehmen müssen. Aber sie hat sich nicht entmutigen lassen – und nun forscht sie als Humboldtianerin an der Universität Potsdam weiter. Ich nenne dieses Beispiel und weiß gleichzeitig, dass es leider viele davon gibt. Die Humboldt-Stiftung hat mit der Philipp-Schwartz-Initiative einen Freihafen für verfolgte und bedrohte Wissenschaftler geschaffen. Herr Professor Schwarz, ich erinnere mich an die ersten Gespräche und freue mich mit Ihnen, dass am Ende aus diesen Gesprächen nicht nur eine Idee, sondern dieser Hafen geworden ist. Diese Initiative setzt ganz im Geiste Alexander von Humboldts ein Zeichen, das über die Wissenschaft hinausweist, weil es etwas über ihre Voraussetzungen, über Freiheit und Demokratie aussagt. Und dafür danke ich Ihnen!

Ich vermute, jede und jeder von Ihnen kennt solche oder ähnliche Geschichten, und ich bitte Sie: Erzählen Sie diese Geschichten! Denn sie sind das beste Argument gegen die, die die Vernunft verachten. Schauen Sie sich einmal um in diesem Park: Es sind doch nicht gerade wenige, die ein Lied davon singen können, was Bildung bewirken kann – für ein einzelnes Leben, für eine ganze Gesellschaft. Es sind nicht gerade wenige, denen Wissenschaft am Herzen liegt. Es sind nicht wenige, die Vernunft als politische Kategorie erhalten wollen. Ich finde: Diese gesellschaftliche Mehrheit darf es nicht zulassen, dass der politische Diskurs verroht, dass die Bereitschaft zum Kompromiss, zum Zuhören, zur sachlichen Diskussion, am Ende die Geltung des besseren Arguments im öffentlichen oder im digitalen Raum verloren geht. Darin liegt eine echte Gefahr für unsere Demokratie, die Gefahr, dass der gesellschaftliche Diskurs auseinanderbricht und dass wir mehr und mehr aneinander vorbeireden. Ich weiß, dass darüber gerade auch an den Universitäten in anderen Ländern, in Ihren Ländern – nicht zuletzt auch in den USA – mit großer Leidenschaft diskutiert wird. Ich würde mich freuen, wenn Sie als internationale Forscherinnen und Forscher die Debatte auch hier in Deutschland, an deutschen Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen führen. Denn auch wir brauchen diese Debatte. So wie Universitäten die Rückendeckung von Politik und Gesellschaft einfordern, so erwartet auch die Gesellschaft von den Universitäten eine starke Stimme – Universitäten sind Orte von Forschung und Lehre, ja. Aber alle, die dort arbeiten, sind mehr als nur Lehrende und Forschende, sie sind auch Bürgerinnen und Bürger ihrer Länder. Deshalb brauchen wir Ihre Einmischung in die Gesellschaft. Wo immer das gesellschaftliche Klima stickig wird, da brauchen wir Frischluftzufuhr aus den Universitäten.

Sie, liebe Stipendiaten und Forschungspreisträger, haben die Chance, während Ihres Aufenthalts die Freiräume zu nutzen, die die Alexander von Humboldt-Stiftung Ihnen hier in Deutschland eröffnet. Sie sind eine große Bereicherung für unser Land. Und das gleiche gilt für Ihre Familien, die Sie nach Deutschland und heute auch hier in den Park von Schloss Bellevue begleitet haben.

Wo auch immer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in der Welt unter Druck stehen, sollen Sie wissen: Hier sind Sie willkommen – als exzellente Forscher, als kritische Denker, als Menschen. Als Bundespräsident will ich Ihnen und Ihren Wissenschaftlerkollegen auf der ganzen Welt versichern: Dieses Land – mit einer wahrhaft schwierigen Geschichte, wenn ich an das 20. Jahrhundert denke – ist heute ein Hafen der Vernunft und ein Partner für alle, die weltweit die Freiheit des Geistes und die Freiheit des Wortes einfordern, die zugleich Grundlage und Ausdruck unserer menschlichen Würde ist.

Herzlich willkommen Ihnen allen noch einmal.