Eröffnungsgottesdienst der 26. Generalversammlung der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen

Schwerpunktthema: Rede

Leipzig, , 30. Juni 2017

Der Bundespräsident hat am 30. Juni zur Eröffnung der 26. Generalversammlung der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen in Leipzig eine Ansprache gehalten: "Gerade in einer Zeit, in der Religion häufig genug missbraucht wird zur Abschottung und Distanzierung und für schlimmste Gewalttaten müssen reformierte Kirchen besonders darum bemüht sein, den friedlichen Dialog zu fördern, ja, die friedens- und versöhnungsstiftende Kraft von Religion ganz bewusst herauszustellen."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache anlässlich des Eröffnungsgottesdiensts der Generalversammlung der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen in der Nikolaikirche in Leipzig

Ich freue mich sehr, dass ich Sie heute hier in Leipzig begrüßen darf. Seien Sie uns alle ganz, ganz herzlich willkommen. Ich weiß, eine Generalversammlung der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, das ist ein Zusammentreffen ganz besonderer Art. Nicht alltäglich, nicht einmal alljährlich und so wundert es niemanden, dass Sie zuletzt in Deutschland vor vielen, vielen Jahren getagt haben.

Nun sind Sie im Jahr des großen Jubiläums der Reformation hier zusammengekommen – hier, in dem Land, von dem aus die Reformation ihren allerersten Anfang genommen hat. Aber wirklich nur den allerersten, denn wie schnell wurden dann auch schon die reformierten Bekenntnisse in anderen Ländern Europas artikuliert, in der Schweiz, in Holland, in Schottland und anderswo. Martin Luther selbst hat seine Hauptwirkung zunächst im deutschsprachigen Raum entfaltet. Zu einer mächtigen europäischen Bewegung ist die Reformation dann durch das Wirken von Zwingli, Calvin und vielen anderen geworden. Die reformierten Kirchen sind von Anfang an eine machtvolle internationale Bewegung gewesen; und so entspricht es ihren Anfängen, wenn die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen heutzutage auch Weltgegenden repräsentiert, von denen man zu Luthers, Calvins oder Zwinglis Zeiten höchstens eine ganz blasse, wenn überhaupt eine Vorstellung hatte.

In der Tat: Weltweit ist das Christentum lebendig. Aber weltweit ist es auch in Konfessionen unterschieden. Das christliche Zeugnis wird in der heutigen Welt weniger glaubwürdig, wenn es mit so unterschiedlichen Stimmen spricht. Ich kann es deswegen nur begrüßen, wenn sich die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen mit dem Lutherischen Weltbund und der Römisch-Katholischen Kirche etwa über die Rechtfertigungslehre verständigt. Das ist ein wesentlicher Schritt zur Ökumene aller christlichen Bekenntnisse.

Sie haben sich hier in Leipzig versammelt und wir haben den Gottesdienst hier in der Nikolaikirche gefeiert. Und Sie haben es schon gehört: Diese Kirche hat in ihrer Geschichte so viele bedeutende Stunden erlebt – wir Deutschen von heute, wir haben vor allem lebendig im Gedächtnis, was 1989 von hier ausgegangen ist. Die deutsche, jüngere Geschichte, mindestens aber die Friedliche Revolution wäre ohne die Friedensgebete in der Nikolaikirche und das, was sie dann auf den Straßen Leipzigs ausgelöst haben, vielleicht anders verlaufen.

Evangelischer, reformatorischer Glaube, der in dieser Kirche lebendig war, dieser Glaube hat damals Suchenden ein Obdach gegeben. Hier haben Menschen den Mut gefunden, gegen Unterdrückung und Lüge aufzustehen. Hier haben Menschen die Freiheit erfahren, die zum aufrechten Gang erst ermächtigt. Ja, die Freiheit! Sie ist vielleicht die schönste Frucht reformatorischen Glaubens. Die religiöse Freiheit, die Freiheit des Gewissens und dann auch die politische Freiheit und politische Selbstbestimmung.

In vielen Ländern der Welt kann man von der Freiheit, die 1989, gerade auch hier von Leipzig aus, für ganz Deutschland und für ganz Europa erkämpft worden ist, nur träumen. Wir sollten deshalb mit klarer Stimme Stellung beziehen: Als Deutsche und als Europäer ist und bleibt es unser Ziel, dass die Freiheit, auch dort Wirklichkeit wird, wo noch immer oder schon wieder Zensur, Unterdrückung und Missachtung der fundamentalen Menschenrechte stattfindet.

Stellung beziehen sollten wir auch dort, wo Menschen wegen ihres Glaubens, wegen ihres Bekenntnisses verfolgt werden. Das trifft Menschen vieler Konfessionen, aber es trifft mit neuer Härte gerade auch Christen im Nahen und Mittleren Osten. Unsere Aufmerksamkeit dafür kann nicht jedes Unrecht aufhalten. Aber wir können und wir müssen die Einschüchterung oder schlimmer die Gewalt als Unrecht benennen. Die Freiheit des Glaubens ist unveräußerliches Menschenrecht!

Die andere große Kirche Leipzigs, die Thomaskirche, steht für ein anderes kostbares Erbe der Reformation. Für die Schönheit des Glaubens, für die Innerlichkeit, mit der er unsere Herzen bewegt und immer wieder unsere Seele erhebt und tröstet. Schönheit und Innerlichkeit, Trost und Heiterkeit des Glaubens haben, man kann das wohl so entschieden sagen, nirgendwo einen so unübertroffenen Ausdruck gefunden wie in der Musik Johann Sebastian Bachs. Hier in Leipzig sind seine großen geistlichen Werke, die Kantaten und Passionen, uraufgeführt worden. Eine Kostprobe davon haben wir gerade gehört. Nein, der evangelische Glaube ist nicht unsinnlich oder nüchtern. Er kennt auch die großen Aufschwünge von Herz und Seele, den Glauben aus Freude an Gott, wie Eberhard Jüngel sagt. Bach in Leipzig ist sozusagen unser Zeuge.

Ihre Tagung wird manche politischen und gesellschaftlichen Fragen erörtern und manche wichtigen kirchenpolitischen Entscheidungen treffen. Ein Auftrag aber scheint mir klar zu sein: Gerade in einer Zeit, in der Religion häufig genug missbraucht wird zur Abschottung und Distanzierung von anderen, sogar missbraucht wird als Vorwand für schlimmste Gewalttaten – gerade in dieser Zeit also müssen reformierte Kirchen besonders darum bemüht sein, den friedlichen Dialog zu fördern, ja, die friedens- und versöhnungsstiftende Kraft von Religion ganz bewusst herauszustellen und vor allem: selbst vorzuleben. Für all das wünsche ich Ihnen ein gutes Gelingen – zum Wohle der Kirchen und der Menschen, für die sie alle miteinander wirken.

Das Wichtigste aber haben wir gerade bereits gemeinsam getan: nämlich miteinander gebetet, gesungen und Gottesdienst gefeiert. Was immer wir innerhalb der Kirchen sonst noch tun, was immer wir uns als Christen politisch, ökonomisch oder ökologisch vornehmen: Das Wichtigste ist und bleibt, und das ist meine tiefe Überzeugung als evangelischer Christ und als Angehöriger einer reformierten Kirche, Lob und Dank zu sagen dem Schöpfer, der es gut mit uns meint. Und ihm vertrauensvoll unsere Bitten zu sagen, wie zum Beispiel mit dem Lied, das wir gerade eben erst gesungen haben:

Be our light in the darkness of this age,
be the path we can follow with hope and faith, (…)
Be our door to a graceful and better world,
be a table with space for young and old,
Be the bread and the wine for an open feast,
come and lead us to justice and peace!

Vielen Dank, thank you very much!