Festveranstaltung zum 100. Gründungsjubiläum der UFA

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 15. September 2017

Der Bundespräsident hat am 15. September bei der Festveranstaltung zum 100. Gründungsjubiläum der UFA eine Ansprache gehalten: "Medienunternehmen, die ein Massenpublikum erreichen, haben Macht. Sie können viele und vieles erreichen, im Guten wie im Bösen, in der Gegenwart wie in der Vergangenheit."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache anlässlich der Festveranstaltung zum 100. Gründungsjubiläum der UFA am Palais am Funkturm in Berlin

Ganz herzlichen Dank für diese freundliche Ankündigung. Ich bin beeindruckt! Mehr noch, ich bin begeistert von dem, was wir eben im Film gesehen haben. Einhundert Jahre Film- und Fernsehgeschichte in gerade einmal acht Minuten. Und doch gehen diese acht Minuten am Ende auf in einem einzigen Blick. Brigitte Helm, Sie haben sie im Schlußbild gesehen, ihre Augen, ihr Blick – diese Einstellung in Fritz Langs Metropolis ist ja so etwas wie eine Ikone der Moderne geworden – sie verkörpert eine Epoche, ruft Erinnerungen auf, und doch hinterlässt uns der Blick ratlos: Was sagt er uns? Oder fragt er? Ist das, was wir da sehen, ein ungläubiges Staunen, ein skeptischer Blick in die Vergangenheit oder ein erwartungsvoller in die Zukunft?

Möglicherweise sogar beides. Ganz ähnlich verstehe ich meinen Auftrag heute Abend, zurückzublicken natürlich, aber auch ein wenig in die Zukunft zu schauen. Ich freue mich, hier zu sein, über einhundert Jahre Geschichte nachdenken zu können: über die Firmengeschichte der UFA, über Filmgeschichte, aber auch über deutsche und, das muss auch sein, über europäische Gegenwart. Lieber Wolf Bauer, lieber Nico Hofmann, danke also für diese Gelegenheit, danke für die Einladung.

Wer – wie wir gerade – der Geschichte zusieht, wie sie im Schnelldurchlauf vor- und zurückspult, der will ein Bild herausgreifen und festhalten. Nur, welches? Mit welchem soll man beginnen? Welches Datum, welches Ereignis aus 100 Jahren UFA-Geschichte soll man auswählen? Was ist repräsentativ?

Wer einmal damit anfängt, über die UFA nachzudenken, hat schnell das Gefühl, er habe sich im Babelsberger Filmfundus verlaufen, zwischen Möbeln, Geschirr und Alltagsallerlei aus jeder Epoche.

Man möchte den großen Bogen schlagen, einen ordnenden Überblick gewinnen, aber da sind all die Details, die Preziosen und auch der Plunder. Und man bemerkt: Die UFA ist in 100 Jahren noch in keine Form gegossen worden, die sie nicht gleich wieder gesprengt hätte.

Für meine Generation, wenn ich das so sagen darf, ist sie eine Art kinematographisches Familienalbum. Da gab es die Großmutter, die jeden Zarah-Leander-Schlager auswendig wusste, später die Mütter, seltener die Väter, die in der Kriegs- und Nachkriegszeit im Kino dem wahren Leben entkommen wollten. Es gab meine Generation, die sich in Studententagen an der UFA durchaus gerieben hat, indem sie ihr entgegenhielt, auch das erinnern die meisten: Opas Kino ist tot. Auch das, die große Zeit des deutschen Autorenkinos, gehört jedenfalls in mein Familienalbum. Und dann gibt es – inzwischen auch schon erwachsene – Kinder, denen GZSZ sehr viel mehr bedeutet als nur ein unverständliches Kürzel.

In guten Zeiten und in schlechten: All das ist die UFA. Und auch das, was sie einmal war, ist noch lebendig – jedenfalls eine Illusion davon. Es ist Film geworden, auf Zelluloid gebannte Zeit und, anders als unser nicht immer zuverlässiges Gedächtnis, abrufbar: die großen Stars der UFA, die Regisseure, die Produzenten, ja, auch die politischen Dramaturgen und ihre Finanziers. Manche wecken unsere Bewunderung, sogar Wehmut vielleicht, und manche eben auch Abscheu und Zorn.

Große Gefühle jedenfalls und möglicherweise ist das Attribut groß ja auch die Klammer, mit der man die disparate Geschichte der UFA zusammenhalten kann. Die UFA war nicht zu allen Zeiten groß, wirtschaftlich nicht und auch nicht künstlerisch, aber sie hat zeit ihrer Existenz danach gestrebt. Der Wunsch nach Größe und Bedeutung begleitet die UFA aus ihren Anfängen bis heute. Darüber kann man nun die Stirn in Falten legen, an unübersichtliche, schwer zu durchschauende und nicht zu kontrollierende Firmenkonglomerate denken, an unheilvolle Verquickungen von staatlichen und unternehmerischen Interessen – all das hat es in der Geschichte dieses Konzerns gegeben, und all das darf nicht auslassen, wer die Geschichte der UFA erzählt.

Der Erzähler wird aber auch bemerken, dass die Größe der UFA, oder doch wenigstens die Erinnerung an vergangene Größe, am Ende für ihr Überleben gesorgt hat. Ohne dieses Streben nach alter Größe und neuer Bedeutung säßen wir vermutlich heute Abend gar nicht hier. Und ohne ein gewisses Reservoir an Selbstbewusstsein und Geltungsdrang sind Film und Fernsehen wohl auch nicht zu haben. Eigenschaften von denen manche sagen, es gäbe sie auch in der Politik.

Die historische UFA, an die viele von uns heute noch denken, weil ihr Schatten noch immer auf der gegenwärtigen liegt, war groß – und zwar im Gelingen wie im Scheitern. In kaum einem Werk scheint das deutlicher auf als in Fritz Langs Metropolis: Lang wollte den größten Film aller Zeiten, und die UFA bekam die längste Rechnung ihrer Geschichte. Der Kassensturz verzeichnet im Jahre 1927 Kosten von sieben Millionen Reichsmark für 758 Schauspieler, 36.000 Komparsen, 750 Kinder, 25 Chinesen, 200.000 Kostüme, 3.500 Paar Schuhe, 75 Perücken, Licht und Farbe, Holz und Mörtel – eine bis dahin unvorstellbare Summe für einen bis dahin – im Film – nie dagewesenen Aufwand.

Ursprünglich veranschlagt waren 1,5 Millionen – Metropolis war also tatsächlich eine Art Turmbau zu Babelsberg, jedenfalls eine Fehlkalkulation von der Art, wie man sie gelegentlich auch in der Gegenwart noch bestaunen darf.

Nimm zehn Tonnen Grausen, gieße ein Zehntel Sentimentalität darüber, koche es mit sozialem Empfinden auf und würze es mit Mystik nach Bedarf. Verrühre das Ganze mit sieben Millionen Mark und du erhältst einen prima Kolossalfilm, schrieb damals der Simplicissimus. Für die nicht einmal zehn Jahre alte UFA war der Film, Sie ahnen es, ein Desaster. Sie stand vor der Pleite, der Film wurde am Schneidetisch schon verstümmelt und floppte bei der Kritik und ebenso später an den Kinokassen.

Dass er uns überhaupt erhalten geblieben ist, dass wir ihn heute zum Weltkulturerbe rechnen dürfen, verdanken wir Cineasten mit einem guten Gedächtnis, vor allen Dingen aber der Friedrich-Murnau-Stiftung, die wirklich jahrzehntelang für und an der Restaurierung des Films gearbeitet hat. Das verdient Applaus.

Es verdient deshalb Applaus, weil diese Arbeit uns ein Abbild der Zeit erhalten hat, einen Film, der die Moderne feierte und uns zugleich das Unbehagen an ihr einpflanzte. Eine Erinnerung an die Zeit, in der Verhängnis- und Verheißungsvolles seinen Anfang nahm. Und eine Ahnung von jener Mischung aus Angst und Faszination, die wir in den Augen von Brigitte Helm gesehen haben. In Langs Metropolis spiegelt sich die Befindlichkeit der 1920er Jahre. Ein Leben auf dem Vulkan, zwischen Euphorie und Scheitern. Es waberte in den Köpfen und Seelen der Menschen, schrieb der UFA-Biograph Klaus Kreimeier.

Mit Langs Metropolis sind wir mittendrin in der Geschichte und schlagen doch einen Bogen in die Gegenwart. Auch unsere Zeit kennt zwischen Verhängnis und Verheißung, zwischen Untergang und Erlösung manchmal nur noch wenige Nuancen. Wir erleben, dass permanente Zuspitzungen und das Beschwören von Untergangsszenarien selbst gewachsene und sicher geglaubte Demokratien angreifen. Medien, und keineswegs nur die sozialen Medien, haben Anteil an Entwicklungen dieser Art. Medienunternehmen, die ein Massenpublikum erreichen, haben Macht. Sie können viele und vieles erreichen, im Guten wie im Bösen, in der Gegenwart wie in der Vergangenheit. Aber es gilt auch: Je bedeutender und einflussreicher sie sind, desto größer ist ihre Verantwortung, desto größer aber auch die Gefahr, an dieser Verantwortung zu scheitern.

Für die UFA lag in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren beides dicht beieinander. 1927, das Jahr der Uraufführung von Metropolis, wurde zur Zäsur in der Firmen- und Filmgeschichte der UFA. Der Deutschnationale Alfred Hugenberg übernahm die Aktienmehrheit des Konzerns. Er bewahrte die UFA vor der Insolvenz und verordnet ihr den gerade zur Anwendungsreife entwickelten Tonfilm. Er sicherte ihr wirtschaftliches Überleben – aber er führte sie auch in die staatliche Abhängigkeit und später in den moralischen Bankrott.

Gerade in diesen letzten Jahren der Republik erfindet sich die UFA noch einmal neu. Sie feiert die technische Neuerung des Tonfilms in einem wahren Feuerwerk an Revue- und Operettenfilmen, und sie begleitet die sterbende Weimarer Republik – singend und tanzend – in den Abgrund. Als das Kabinett des sozialdemokratischen Reichskanzlers Hermann Müller im März 1930 zurücktritt, feierte der Blaue Engel von Josef Sternberg Premiere im Berliner Gloria Palast am Kurfürstendamm. Als die NSDAP im darauffolgenden September mit 107 Abgeordneten in den Reichstag einzog, sangen dazu Die Drei von der Tankstelle und Der Kongress tanzt, als die Weltwirtschaftskrise 1931/32 ihren Höhepunkt erreicht.

Gerade in dieser Zeit wird die UFA groß. Doch für diese Größe oder sagen wir genauer, für ihre innovative und kreative Kraft, steht nicht Alfred Hugenberg, sondern Erich Pommer. Er war der wichtigste Produzent dieser Jahre. Er bürgte für wirtschaftlichen Erfolg, vor allen Dingen aber für künstlerische Qualität der UFA Produktionen in diesen Jahren. Als die UFA sich Ende 1932 – noch bevor Joseph Goebbels Einzug hielt – in vorauseilendem Gehorsam ihrer jüdischen Mitarbeiter entledigte, da gingen mit Erich Pommer, seinen Regisseuren und Mitarbeitern alle Qualitäten der UFA jener Jahre: Ironie, Eigensinn, Witz und Esprit. Es war das Ende der alten UFA.

Die UFA unter Alfred Hugenberg war 1933 reif für die Übernahme. Joseph Goebbels fand bei Amtsantritt gleich den ersten vaterländischen Film vor: Morgenrot hieß er. Ein Satz aus diesem patriotischen U-Boot-Drama begeisterte Goebbels ganz besonders: Zu leben verstehen wir Deutschen vielleicht nicht, aber sterben, das können wir fabelhaft.

Ein markiger erster Satz, dem in den kommenden zwölf Jahren die völlige geistige, kulturelle und moralische Verheerung Deutschlands folgen sollte und millionenfacher Tod.

Doch zwischen diesem ersten nationalen Film Morgenrot und dem letzten, noch vor Kriegsende im Januar 1945 uraufgeführten Durchhaltefilm Kolberg liegen keineswegs nur plumpe Propagandafilme und offensive antisemitische Hetze. Die gab es zweifellos – Jud Süss war nur zufällig kein UFA-Film, sein Schöpfer, Veit Harlan, war einer ihrer meist beschäftigten und höchst bezahlten Regisseure. Goebbels aber bevorzugte gut gemachte Unterhaltungsfilme, in die die Massen strömten. Dieser Fluchtweg, der Eskapismus jener Jahre, war überlebenswichtig, für unsere Mütter und Väter, aber eben auch für das NS-Regime. Jeder Film, auch die von Goebbels so besonders geschätzte leichte Unterhaltung dieser Jahre zwischen 1933 und 1945, diente dazu, die Deutschen auf die Idee der Volksgemeinschaft einzuschwören, sie bei Laune zu halten und, in den Kriegsjahren, zum Durchhalten zu bewegen. Die UFA hatte ihre Rolle bei der Betäubung der Massen und bei der Etablierung des Nationalsozialismus gespielt und sie hat sie mit wenigen Ausnahmen bis zum Ende gespielt.

Wie hatte das geschehen können? Warum war die erste Republik gescheitert? Wie waren die Nationalsozialisten an die Macht gekommen? Warum hatte sich eine ganze Generation Deutscher ihrer verbrecherischen Ideologie verschrieben? Und vor allen Dingen, warum gab es so wenige Ausnahmen von dieser Regel? Mit diesen Fragen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten viele beschäftigt. Doch kaum jemand hat es so öffentlichkeitswirksam getan wie Nico Hofmann, den Wolf Bauer 1998 zur UFA holte.

Unsere Mütter, unsere Väter das war 2013 ein Fernsehereignis und steht doch schon in einer langen Reihe zeithistorischer Filme. Es hat große Filme und Fernsehfilme dieser Art natürlich auch vorher gegeben, auch von anderen. Wir erinnern uns an Bernhard Wicky oder Eberhard Fechner, doch Nico Hofmanns ganz eigene, wie ich finde, radikal subjektive Art, sich die Themen anzueignen, ist vermutlich gerade eben deshalb so nachdrücklich. Es ist ihm gelungen, was Frank Schirrmacher einmal von ihm erwartet hatte: Er hat die Fernsehnation, die sich langsam zerstreut, vor dem Bildschirm versammelt, nicht, um Geschichte im Film zu sehen, sondern sich selbst in der Geschichte.

Das ist, wie ich finde, eine höchst respektable Art, sich der geschichtlichen Verantwortung, auch der Verantwortung für die Firmengeschichte der UFA, zu stellen. Wolf Bauer wusste, warum er Nico Hofmann an seiner Seite haben wollte, und er weiß auch, warum er die Verantwortung nun ihm übertragen hat. Geschichte zum Sujet zu machen – wie in Deutschland 1983 oder in der Charité-Reihe, das ist publikumswirksam, es ist ein Erfolgsrezept. Und selbstverständlich liegt darin auch immer wieder ein Risiko. Ja, es gilt auch hier: Wer viele erreicht, kann vieles bewegen. Er kann Augen öffnen, wie es die amerikanische Fernsehserie Holocaust vorher getan hat, er kann Bilder etablieren auch Begriffe. Er kann aufklären, im besten Sinne, wenn Professionalität sich mit Leidenschaft und Kreativität paart, wie wir das in vielen Produktionen der UFA erlebt haben.

Meine Damen und Herren, dass die Nachkriegs-UFA ihr 100-jähriges Bestehen erleben würde, damit hatte lange Zeit niemand gerechnet. Sie verdankt es glücklichen, manchmal auch mit einiger Chuzpe herbeigeführten Umständen. Vor allem aber verdankt sie es Wolf Bauer, seinem unternehmerischen Mut, seinem künstlerischen und kaufmännischen Talent. Und sie verdankt es Ihnen, meine Damen und Herren, den Schauspielerinnen und Schauspielern, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der UFA, den Weggefährten und Mitstreitern, und all Ihren vielen Talenten, vor und hinter der Kamera, denen ich Dank sage.

Wie viele Brüche und Aufbrüche hat die UFA in ihrer Geschichte erlebt und – wie Sie gehört haben – auch überlebt. Herr Hofmann, welch ein Stoff für ein Drehbuch! Und: Wer, wenn nicht Sie, die UFA, würde es wagen, uns diese Story aufzutischen. Ich jedenfalls will sie sehen –unbedingt.

Deshalb: Streben Sie weiter nach dem großen Publikum, der großen Geschichte, den großen Emotionen. Bleiben Sie mutig für die anspruchsvollen Sujets, offen und erfinderisch, leidenschaftlich und streitbar und bitte: Verzaubern Sie uns auch die nächsten 100 Jahre.

Herzlichen Glückwunsch Ihnen allen.