Eröffnung der Weltleitmesse der Metallbearbeitung EMO

Schwerpunktthema: Rede

Hannover, , 18. September 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 18. September die Internationale Werkzeugmaschinen-Messe EMO in Hannover mit einer Ansprache eröffnet: "Manche mögen sich heute die Wiederkehr einer Welt von Handels- und Zollschranken, umgeben von Zäunen und Mauern wünschen. Ihnen sage ich: Das ist der falsche Weg."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache im Plenumsaal des Messegeländes anlässlich der Eröffnung der Internationalen Werkzeugmaschinen-Messe EMO in Hannover

Vielen Dank für die freundliche Begrüßung in Ihrer Landeshauptstadt, Herr Ministerpräsident. Wie die Hannoveraner unter Ihnen wissen, bin ich immer gern bei Ihnen zu Gast. Fast bedauerlich ist es, dass der Bundespräsident mit Berlin und Bonn schon über zwei Amtssitze verfügt – ein dritter in Niedersachsen wäre doch zu viel des Guten.

Umso mehr freue ich mich, heute hier bei Ihnen zu sein – bei einer ganz starken Branche. Vor allen Dingen freue ich mich über das, was ich hier im Saal sehe. Ich sehe eine beeindruckend große Zahl von Gästen aus aller Welt. Ich freue mich auch über die vielen Ingenieure und Kaufmänner, ganz besonders aber über die – wenngleich immer noch zu wenigen – Ingenieurinnen und technischen Kauffrauen.

Am meisten aber freue ich mich darüber, dass ich in so viele neugierige und innovationsbegeisterte Gesichter schauen kann. Das stimmt mich zuversichtlich für die Zukunft einer Branche, die nicht nur für Deutschland von herausragender Bedeutung ist. Hier spürt man die Bedeutung des freien Austauschs von Ideen und – selbstverständlich – auch des freien Handels. Man spürt das starke wechselseitige Vertrauen, das erst durch diesen Austausch erwachsen kann. Leider müssen wir in diesen Zeiten gerade diejenigen an all das erinnern, die uns nach 1945 den Weg zurück in die freie Welt mit Demokratie und offenen Gesellschaften geebnet haben.

Eine offene Gesellschaft und eine prosperierende Wirtschaft beruhen auf einem starken Fundament aus Austausch und gegenseitigem Vertrauen. Messen wie die EMO verdeutlichen dies auf ganz konkrete, greifbare Weise. Es ist gut, dass diese Tradition auch im Zeitalter von digitalen Katalogen, Videokonferenzen und Just-in-time-Produktion erhalten bleibt. Hier in Deutschland sind wir gern engagierte und geübte Gastgeber für international bedeutende Messen – und das gilt nicht nur, aber ganz besonders für den Messestandort Hannover. Denn am Ende ersetzt eben nichts die ganz analoge Begegnung von Mensch zu Mensch, wie sie hier stattfindet.

Meine Damen und Herren, den Ingenieur zeichnet ja vor allem eine Eigenschaft ganz besonders aus – ich hoffe, Sie können einem Juristen diese Beobachtung nachsehen. Ich spreche nicht von dem Anspruch, immer hohe Qualität und exzellente Präzision zu liefern. Dafür stehen Sie selbstverständlich ebenfalls. Ich spreche auch nicht von der leidenschaftlichen Teilnahme am immerwährenden, aber – je nachdem, wen man fragt – angeblich doch längst entschiedenen Wettstreit um den Titel der Königsdisziplin zwischen den Maschinenbauern, Raumfahrtingenieuren, Elektroingenieuren, Bauingenieuren oder neuerdings auch den Platform oder Software Engineers.

Nein, ich spreche von einer großen Tugend, die – für mich – tief im Berufsbild eines jeden Ingenieurs verankert ist: Ihrer Neugier, Ihrer Offenheit, und vor allen Dingen Ihrer immerwährenden Bereitschaft, gute Lösungen durch noch bessere zu ersetzen. Ingenieure sind offen – ich vermute, sie müssen es sein – gegenüber neuen Herausforderungen, aber mit Blick auf die sich ständig verändernden Rahmenbedingungen und die dauerhaft stattfindenden Innovationen weltweit. Sie haben einen ganz besonderen Spürsinn für die atemberaubenden Möglichkeiten, die sich aus diesen Innovationsprozessen ergeben. Aber sie sind auch diejenigen, die die Querverbindungen im Großen und Kleinen entweder kennen oder selbst immer wieder herstellen.

Genau das braucht diese Welt dringender denn je. Natürlich ist nicht jedes der vielen Probleme, das wir im 21. Jahrhundert haben einer technischen Lösung zugänglich. Das Verhalten von Konsumenten ist manchmal entscheidender für die Veränderungsprozesse als die technischen Lösungen. Aber ob ich über Klimawandel rede oder die Zukunft der Energieversorgung: Nichts geht am Ende ohne technische Innovation. Für diese ständige Innovation braucht es die Neugier, die Sie alle miteinander auszeichnet.

Und diese Neugier, sie ist ein starkes Pfund, was Sie nicht nur während der Messesaison mit an den Tisch bringen. Sondern diese Neugier erfüllt mich mit Zuversicht, denn sie ist das Fundament für drei echte Erfolgsfaktoren in unseren turbulenten Zeiten: Weltoffenheit, Veränderungsbereitschaft und vor allen Dingen herausragende Qualifizierung. Sie werden mit Ihren Fähigkeiten, ein gutes Stück mitentscheiden, wie viel und welche Zukunft wir wirtschaftlich – nicht nur in Deutschland – haben werden.

Weltoffenheit, das bedeutet mehr als bloße wirtschaftliche Vernetzung. Natürlich profitieren wir alle von gastfreundlichen, offenen Marktplätzen – und das gilt nicht nur für die exportstarken Nationen, sondern für alle. Ich bin überzeugt: Wer anderes behauptet, der beschneidet vor allen Dingen sich selbst. Ich werde mir auf meinem Rundgang einige Beispiele ansehen, wie eine starke wirtschaftliche Verflechtung über Länder und Kontinente hinweg allen zum Vorteil gereichen kann.

Doch Weltoffenheit bedeutet eben mehr als das. Sie entspringt dem Glauben an den Wert einer stabilen, auf Regeln beruhenden und vor allem friedlichen internationalen Ordnung – einer Ordnung, die allem wirtschaftlichen Handeln zugrunde liegen muss. Manche mögen sich heute die Wiederkehr einer Welt von Handels- und Zollschranken, umgeben von Zäunen und Mauern wünschen. Ihnen sage ich: Das ist der falsche Weg. Der offene Handel allein kann den Frieden nicht garantieren, aber er bringt die Menschen zueinander und er macht uns bewusst, wie sehr wir den anderen brauchen. Er steht dem Rückfall in neue Nationalismen jeglicher Spielart entgegen. Und deshalb wünsche ich mir nicht nur, dass Sie in Ihrer Branche diese Möglichkeiten zum freien Austausch rege nutzen. Sondern ich wünsche mir von Ihnen – in einer so vernetzten Branche: Erheben Sie Ihre Stimme für eine offene Welt, für die internationalen Institutionen, für die Errungenschaften, die dieser Weltordnung zugrunde liegen. Und für uns Deutsche ist das doch vor allem anderen die Europäische Union. Wir dürfen diese Europäische Union nicht denen überlassen, die sie schlechtreden. Europa braucht jetzt starke Fürsprecher – gerade auch Sie in der Wirtschaft. Darum möchte ich Sie bitten, meine Damen und Herren!

Heute – das wissen alle hier im Saal –, heute kommt es so sehr wie nie auf unsere Veränderungsbereitschaft an. Veränderungsbereitschaft verlangt von uns, dass wir im Vertrauen auf den Schatz des Erreichten in die Zukunft schauen – möglichst aufgeschlossen und unvoreingenommen. Für Sie ist das nichts Neues. Ihre Branche ist ein Symbol für stetige Veränderungen. Schließlich mussten Sie den Werkzeugmaschinenbau als Disziplin überhaupt erst einmal erfinden. So geschehen im 19. Jahrhundert. Später haben Sie dann die immer stärker integrierten Produktionsabläufe Ihrer Kunden über Neu- und Weiterentwicklungen begleitet: Wo einst Fräsbank und Säulenbohrmaschine noch einzeln in der Fertigungshalle standen, dort entwickelten Sie schon bald vielfältig verwendbare Industrieroboter und flexible Fertigungssysteme. Und auch die Digitalisierung – für die meisten von uns erst seit einigen Jahren im Alltag angekommen –, ja: Die Digitalisierung ist für Sie schon seit Erfindung der CNC-Fertigung in den 1960er Jahren eine alte Bekannte, deren Erwachsenwerden Sie stets aus der Nähe beobachtet, in großen Teilen sogar mitgeprägt haben.

Wenn die technische Industrie auch in Zukunft der Fortschrittsmotor in Deutschland und für seine Handelspartner bleiben möchte – dann braucht es mehr, nicht weniger Veränderungsbereitschaft. Denn aus den langfristigen Trends wie dem Wandel von Klima und Demographie, vor allem aus der großen digitalen Umwälzung unserer Lebens- und Arbeitswelt – deren Risiken wir zu Recht diskutieren –, aus ihnen entstehen tausendfach neue Herausforderungen und Chancen – und wir müssen sicherstellen, dass diese Chancen nicht nur anderswo, sondern gerade auch in Deutschland genutzt werden.

Wohlstand und Beschäftigung fußen nicht mehr nur auf klassischer Produktentwicklung, sondern sie gedeihen immer stärker auf einem fruchtbaren Nährboden aus neuen, datenbasierten Geschäftsmodellen, aus klugen produktnahen Dienstleistungen und aus der Vernetzung in einer heranwachsenden Industrie 4.0. Schon heute sind die Daten aus der Fertigung und aus dem laufenden Betrieb wertvoller Rohstoff zur Verbesserung von Produkten und Prozessen – und die kundenorientierte Kombination aus Maschine und vernetzter Dienstleistung wird immer mehr zu einem zentralen Wettbewerbsvorteil. Diese Veränderungen passieren nicht einfach, sie müssen gestaltet werden. Hier ist Ihre Branche ganz besonders gefordert mit dem Aufbau neuer Kompetenzen rund um Datensicherheit und Vernetzung. Und deswegen braucht es auch morgen und übermorgen vor allem eines: viele neugierige, herausragende und qualifizierte Köpfe.

Zum Glück ist die herausragende Qualifizierung der Beschäftigten gerade in den technischen Berufen ein Markenkern der deutschen Industrie. Exzellente technische Studiengänge, das starke Rückgrat der beruflichen Bildung, die kontinuierliche Weiterbildung im Betrieb und nicht zuletzt auch das: eine verlässliche Sozialpartnerschaft – darauf können wir hierzulande zu Recht stolz sein. Das macht uns attraktiv – gerade im Blick von außen. Der Maschinenbau als klassische Ausbildungsbranche ist ein hervorragendes Beispiel für den besonderen Wert der dualen Berufsausbildung, um die uns wahrlich viele in der Welt beneiden – wie ich Ihnen aus eigenem Erleben in acht Jahren intensiver Erkundung der Welt bezeugen kann.

Bei meinem Rundgang später werde ich den Stand der Nachwuchsstiftung Maschinenbau besuchen. Ich freue mich darüber, nicht nur dass, sondern wie sich die Stiftung auf vielfältige Art und Weise engagiert und noch mehr darüber, dass sie es mit einem Schwerpunkt auf der beruflichen Bildung tut. Ich bin besonders auf das Projekt Fachkräfte für digitale Fertigungsprozesse hingewiesen worden – zu Recht, wie ich inzwischen weiß. Denn dort wird auf die Zusatzqualifizierung von Auszubildenden gesetzt – schnell und effektiv, ohne auf die ganz große, grundlegende Neuordnung der Berufsbilder zu warten, die uns wahrscheinlich alle miteinander noch etwas länger beschäftigen wird. Das ist, so finde ich, ein ganz besonderer, weil praktischer Beitrag zur weiterhin herausragenden Qualifizierung von neuen Generationen neugieriger Ingenieure und Techniker, die wir so dringend brauchen. Heute leben junge Ingenieurinnen und Ingenieure – bezogen auf den Arbeitsmarkt – in fast paradiesischen Zeiten, wenn ich das mit meiner eigenen Studienzeit vergleiche. Damals haben sich viele Jungingenieure auf einen Arbeitsplatz beworben. Heute konkurrieren Betriebe und Arbeitgeber häufig genug um den einen, gut ausgebildeten Jungingenieur – oder hoffentlich auch die Ingenieurin.

Aber: Nicht nur der Arbeitsmarkt, sondern auch die jungen Menschen haben sich verändert – jedenfalls viele von ihnen. Je digitaler es zugeht, umso vielfältiger wird das Bewerberfeld. Viele sind darunter, die mit Dienstwagen und gehobener Büroausstattung kaum überzeugt werden können. Egal ob ich mir Start-ups in Berlin oder in Palo Alto oder in diesem Jahr in Herzliya in Israel angeschaut habe – was ich dort übereinstimmend feststelle, ist zweierlei:

Erstens die wirklich überwältigende Begeisterung junger Leute für alles Digitale – Problemlösungen, neue Apps, Probieren und Verwerfen, immer auf der Suche nach Anwendungsmöglichkeiten, auf die noch niemand gekommen ist. Und zweitens aber auch das: Kaum jemand von denen sitzt noch in einem Büro – in seinem Büro – das er morgens auf- und abends wieder abschließt. Eher habe ich gefunden: eine quirlige Start-up-Atmosphäre zwischen Sitzsack, Salatbar und Tischfußball – etwas, von dem ich mir vorstellen kann, dass es gerade auch den deutschen Mittelstand vor eine ganz besondere kulturelle Herausforderung stellt.

Jedenfalls haben Sie es hier mit ernsthafter Konkurrenz um die jungen Köpfe zu tun. Und deshalb ist es ein gutes, wichtiges Zeichen, dass es auf dieser EMO erstmals einen Sonder-Stand Start-ups for intelligent production geben wird.

Zum Abschluss habe ich nur eine einzige Bitte an Sie: Bewahren Sie sich in Ihrer Branche bitte Ihre Neugier, und tragen Sie dazu bei, dass Messen wie diese auch in Zukunft viele begeisterte, gerade auch junge Menschen anziehen werden – mit oder ohne Tischfußball.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen spannende Gespräche und eine erfolgreiche EMO 2017.