Wiedereröffnung der Staatsoper Unter den Linden

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 3. Oktober 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 3. Oktober bei der Wiedereröffnung der Staatsoper Unter den Linden eine Ansprache gehalten:

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält ein Grußwort Apollosaal anlässlich der Wiedereröffnung der Staatsoper Unter den Linden in Berlin

Die Oper ist wahrscheinlich die längste Form der Kunst. Zumindest empfinden wir es nicht als außergewöhnlich, wenn sie vier, fünf Stunden oder länger dauert.

Das heißt aber nicht, dass Grußworte dieser Länge entsprechen müssen. Quatsch keine Opern, sagt man zu Recht in Berlin, wenn es nicht zu lang werden soll. Wir werden also die kleinen Ansprachen zur Eröffnung heute deswegen besonders kurz halten, damit dieses wunderbare Haus in seinem neuen Glanz uns vor allem das präsentieren kann, wofür es nun so umfassend restauriert worden ist – Musik und Gesang, große Gefühle und tiefe Empfindung, Glück, Erschütterung, Schmerz, Sehnsucht, Verzweiflung, Jubel und Triumph –, alles, wofür das steht, was wir zu Recht ganz große Oper nennen.

Die Staatsoper Unter den Linden – das ist ein ganz besonderes Haus nicht nur für Berlin, sondern für unser ganzes Land. Und deshalb ist ihre Wiedereröffnung vollkommen zu Recht auf den Tag der Deutschen Einheit gelegt. Sie ist ein nationales Ereignis, die ganze Kulturnation hat einen Grund zu feiern. Und deswegen bin ich als Bundespräsident sehr gerne heute Abend hierher gekommen, um Ihnen und uns allen dazu zu gratulieren, ganz besonders natürlich Ihnen, Herr Flimm, und Ihnen, Herr Barenboim, ohne die wir heute ganz sicher nicht in diesen erneuerten Räumen wären.

Nun gibt es immer kritische Stimmen, die fragen, ob wir uns solche teuren Häuser, solche teuren Renovierungen überhaupt noch leisten können und sollen, ja, ob unser Land, auch wenn es immer noch stolz ist auf den Titel Kulturnation, diese Fülle an Opernhäusern braucht. Ist die Oper nicht ein Vergnügen für eher wenige, durch Steuern aber von allen subventioniert?

Ich will dazu eine ganz kurze gesellschaftspolitische Bemerkung machen. Opern stellen eine Kunstform dar, die – für mich – auf sehr wertvolle Art anachronistisch ist. Wer ein dickes Buch liest, der kann es, wann immer er will, unterbrechen, auch wer eine DVD anschaut oder einen Film streamt. Eine Oper aber kann man weder vorspulen noch stoppen, noch kann man seine Lieblingsstellen gezielt ansteuern oder wiederholen oder eine Szene stillstehen lassen und dann liken und verschicken.

Kultur – das lehrt die Oper – ist etwas, das man nur in seiner ganzen Fülle und Tiefe erfahren kann, indem man sich ihr aussetzt. Hingabe und Vertrauen sind hier zwei Seiten einer Medaille. Kultur braucht diese beiden Weisen radikaler Offenheit. Ohne sie gibt es keine Kultur. Und auch nicht ohne die Erfahrung, dass es keine großen menschlichen Gefühle ohne Hingabe und Langsamkeit, ohne Irrungen und Wirrungen gibt.

Wenn unsere Gesellschaft eine kritische und selbstkritische, wenn sie eine politisch bewusste, wenn sie eine kulturell geprägte Gesellschaft bleiben und immer wieder werden will, dann lebt sie von Menschen, die gelernt haben, dass das Entscheidende oft in langsamen Prozessen geschieht, dass die wahre Dramatik aus komplexen Entwicklungen entsteht. Kurze Wege sind oft Irrwege, aber Umwege führen oft zum Ziel. Das sind ästhetische Lehren aus der Oper. Das sind aber auch politische Erfahrungen voller Aktualität.

Möchten das doch auch möglichst viele junge Menschen lernen und erfahren. Und möchte doch dieses wunderbare neue alte Haus seine vielen Gäste aus Berlin, aus Deutschland und aus aller Welt, das immer wieder unterhaltsam und begeisternd lehren.