Besuch der Gemeinschaft Sant’Egidio

Schwerpunktthema: Rede

Rom/Italien, , 9. Oktober 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 9. Oktober beim Besuch der Gemeinschaft Sant’Egidio eine Ansprache gehalten: "Gerade in Zeiten, in denen Religion als Begründung für Auseinandersetzungen, Feindseligkeit und Gewalttaten herangezogen und missbraucht wird, sind die Religionsgemeinschaften besonders gefordert, ihrer Friedensverantwortung gerecht zu werden."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Begrüßungsansprache beim Besuch des Klosters der Gemeinschaft Sant’Egidio anlässlich seiner Reise in den Vatikan

Es war mir ein besonderes Anliegen, meinen Besuch beim Heiligen Stuhl mit einem Besuch hier im Kloster Sant’Egidio zu verbinden. In meinen vielen Jahren in der Außenpolitik waren wir eng miteinander verbunden und umso mehr bin ich dankbar für die Gelegenheit, mich mit Ihnen auszutauschen und dabei die wichtige und beispielhafte Friedensarbeit der Gemeinschaft Sant’Egidio zu würdigen.

Vor wenigen Wochen war in der deutschen Presse anlässlich des internationalen Friedenstreffens, das die Gemeinschaft in diesem Jahr in Münster und Osnabrück veranstaltet hat, von den Vereinten Nationen von Trastevere zu lesen. Das ist ein sehr weltlicher, aber gleichwohl treffender Vergleich: Die Ziele der Charta der Vereinten Nationen – Frieden und internationale Sicherheit, Prävention von Konflikten und Beilegung internationaler Streitigkeiten, Entwicklung freundschaftlicher, gleichberechtigter Beziehungen zwischen den Völkern und Nationen, und internationale Zusammenarbeit, um wirtschaftliche, soziale, kulturelle und humanitäre Probleme zu lösen –, das sind die Ziele, denen auch Ihre Gemeinschaft sich verschrieben hat.

Mit unverrückbarem Optimismus und tatkräftigem Engagement verfolgen Sie seit Jahrzehnten Ihre Friedensarbeit – in aller Regel weitab der öffentlichen und medialen Aufmerksamkeit – und wohl gerade deshalb so erfolgreich. Aber erfolgreich wären Sie nicht ohne Ihre Beharrlichkeit, die nötig ist, wenn man Entfremdung und Feindschaft überwinden will. Das Bild hinter mir erinnert uns an den Friedensvertrag, dessen Unterzeichnung hier in diesem Saal, dem Friedenssaal, am 4. Oktober 1992 das Ende des Bürgerkriegs in Mosambik eingeleitet hat. Diese erfolgreiche Mediation verdeutlicht, wie wichtig Organisationen wie die Ihre – wie wichtig kirchliche Organisationen im Allgemeinen – für die internationalen Beziehungen sein können. Selbstverständlich ist das nicht. Und längst nicht jeder hat es begriffen. Aber gerade da, wo es nicht der Politik, aber Ihnen gelingt, von der Bevölkerung als unparteiisch und glaubwürdig wahrgenommen zu werden, da öffnen Sie Räume und Möglichkeiten für Versöhnung, die zum Besten gehören, was internationale Diplomatie ausmacht. Gerade in Zeiten, in denen Religion als Begründung für Auseinandersetzungen, Feindseligkeit und Gewalttaten herangezogen und missbraucht wird, sind die Religionsgemeinschaften besonders gefordert, ihrer Friedensverantwortung gerecht zu werden. Die Gemeinschaft von Sant’Egidio tut dies seit Jahrzehnten auf ihre leise, aber sehr wirkungsvolle und beispielhafte Weise.

Zu dieser Friedensarbeit gehört der Dialog mit und unter den Kirchen weltweit ebenso wie der vertrauensvolle Austausch zu Fragen, die uns alle betreffen und unser künftiges Leben prägen werden. Ich denke da nicht nur an Klimaveränderung und Umweltzerstörung, sondern auch an von Unterentwicklung und Armut ausgelöste Migrationswellen. Ein in diesen Zeiten zentrales Thema in den politischen Debatten Europas. Eine Debatte, die schon jetzt dazu beigetragen hat, Europa nicht zum Besseren zu verändern. Das macht mir große Sorge. Religiös getragene Organisationen können dazu beitragen, ein gesamtgesellschaftliches Gespräch zu ermöglichen in Fragen, die polarisieren und das Potenzial haben, Gesellschaften zu spalten.

Besonders dankbar bin ich für Ihr von ganz praktischer Vernunft und Solidarität getragenes Engagement in der Flüchtlingspolitik. Mit der Schaffung der humanitären Korridore haben Sie einen Weg aufgezeigt, der vielen der Schwächsten in der Welt Schutz und Aufnahme in Europa gewährt, ohne dass sie sich in die Hände von skrupellosen Menschenhändlern begeben müssen. Auch Deutschland hat über humanitäre Aufnahmeprogramme in den vergangenen Jahren fast 50.000 Menschen eine legale Einreise nach Deutschland ermöglicht. Was Ihre humanitären Korridore besonders auszeichnet, ist die intensive Betreuung der Flüchtlinge nach der Aufnahme. Durch Ihr Patenschaftsprogramm wird sichergestellt, dass die Integration begleitet wird und so gelingen kann. Das ist ein Modell, von dem wir in Deutschland lernen können.

Diplomatie steht oft im Ruf, sich in sehr abstrakten Sphären zu bewegen. Sie sind das beste Gegenbeispiel. Ein Grund für den Erfolg der Friedensarbeit von Sant’Egidio ist zweifellos die Nähe zu den Menschen. Von Anfang an, als Sie sich mit den Schulen des Friedens den Kindern aus sozial schwachen Vierteln widmeten, haben Sie dem nachgespürt, was die Menschen bedrückt und ängstigt. Sie verstehen wie nur wenige, woraus die Menschen neue Hoffnung schöpfen und was sie befähigt, Gräben des Misstrauens und alte Feindschaften zu überwinden. Die ganz persönliche, sehr menschliche Dimension eines jeden Verhandlungsprozesses steht im Mittelpunkt Ihrer Arbeit für den Frieden. Das hat uns beide auch bei der Unterstützung des Friedensprozesses in Kolumbien wieder zusammengebracht.

Deshalb sage ich auch aus persönlicher Erfahrung: Dieses aus der Nähe zu den Menschen erwachsende friedensstiftende Potenzial von Sant’Egidio ist in jeder Hinsicht wichtig, notwendig und wird gebraucht, in dieser konfliktbeladenen Welt. Ihr Wirken ist eine Inspiration und eine Ermutigung für alle, die dem Ziel verpflichtet sind, diese Welt zu einem friedlicheren Ort zu machen.

Ich danke Ihnen für Ihr großes und wichtiges Engagement, ich wünsche mir, dass wir auch in meiner neuen Rolle Kontakt behalten und natürlich danke ich auch, dass ich heute hier zu Gast sein darf.