Antrittsbesuch in Berlin: Empfang im Roten Rathaus

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 12. Oktober 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 12. Oktober beim Empfang des Landes Berlin während seines Antrittsbesuchs eine Ansprache gehalten: "Hier in Berlin müssen wir zeigen, dass die integrative Kraft unserer Demokratie stark ist, stärker als der Hass, überzeugender als die Angst, und dass wir den Zusammenhalt unseres Landes bewahren."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache im Festsaal des Berliner Rathauses anlässlich seines Antrittsbesuch im Land Berlin

Änderungen vorbehalten. Es gilt das gesprochene Wort.

Dass der Bundespräsident einen Antrittsbesuch in Berlin macht, ist natürlich eine seltsame Meldung. So ähnlich wie: Papst in Rom gesichtet. Da denkt der Berliner: Der Typ ist ja ständig hier. Berlin ist Amtssitz des deutschen Staatsoberhauptes, und auch wenn es in Bonn mit der Villa Hammerschmidt noch den zweiten Dienstsitz gibt, so sind doch Hauptstadt Berlin und Bundespräsident unauflöslich verbunden. Ich darf hinzufügen, dass ich schon eine ganze Weile hier wohne und arbeite, genauer gesagt seit bald 20 Jahren, und dass für meine Familie und mich diese Metropole ein Zuhause geworden ist, mit ihren politischen Institutionen, mit ihren Geschichten und Geschichtsorten, nicht zuletzt mit ihrem kulturellen und intellektuellen Leben. Umso komischer kommt mir persönlich ein Antrittsbesuch in meiner eigenen Stadt vor.

Politisch gesehen hat es aber seinen guten Sinn. Dass der Bundespräsident nach sieben Bundesländern, also fast zur Halbzeit seiner Deutschlandreise, Station in Berlin macht, ist mit einer Botschaft verbunden. Wenige Wochen ist die Bundestagswahl her. Eine Wahl, die ein für Deutschland einschneidendes Ergebnis hatte. Die Volksparteien haben dramatisch verloren. Und das nicht nur bei Wählern an den Rändern und in sozialen Notlagen, sondern auch bei denen in der gesellschaftlichen Mitte. Wenige Tage ist die diesjährige Einheitsfeier in Mainz her, auf der uns zum Feiern nicht so recht zumute war und bei der wir die neuen Mauern, Gräben und Spaltungen unseres Landes in den Blick nehmen mussten.

In diesen Tagen hier in Berlin zu sein, ist für mich eine Erinnerung daran, dass die Einheit Deutschlands eine überragende Bedeutung hat – und dass sie neu gefährdet ist.

Im Rückblick von heute, nach immerhin schon einem Vierteljahrhundert, erscheint der Beschluss des Deutschen Bundestages, dass Berlin die Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschland ist, eine besonders wichtige Entscheidung. Und wir dürfen denen, die das gegen viel Widerstand im Bonner Bundestag durchgekämpft haben, dankbar sein, dass sie gesehen haben, welche sowohl nationale wie europäische Bedeutung dieser Hauptstadt zukommt, in der Geschichte und Zukunft, Ost und West, wie Deutschland und die Welt sich berühren.

Mauer, Todesstreifen und Stacheldraht sind verschwunden. Nicht Waffengewalt, sondern Bürgermut hat sie erschüttert. Die unvergessliche Courage der osteuropäischen und ostdeutschen Demokratiebewegungen hat die Diktatur überwunden und das Land geeint. Nirgendwo in Europa ist diese historische Leistung so sichtbar und spürbar wie hier in Berlin. Erinnern wir uns an diese Leistung. Denn in der Erinnerung daran können wir Orientierung gewinnen für das Heute. Gerade aus einer Stadt wie Berlin kann heute die Botschaft kommen, dass wir die neuen Spaltungen nicht hinnehmen.

Im Herzen Berlins steht der Deutsche Bundestag. Das Parlament wird der zentrale Ort sein, an dem sich Demokratinnen und Demokraten gegen die Leugnung der Geschichte und gegen neuen Nationalismus, wie wir sie im Wahlkampf erlebt haben, zu behaupten haben. Aber hier in Berlin ist auch die Dichte von Medienmachern, von Journalisten und Bloggern, von Kulturleuten und Zivilgesellschaft, von Wissenschaft, von Start-up-Szene und Kreativwirtschaft besonders groß. Wer Berlin in die Suchmaschine eingibt, bekommt als Autocomplete Tag und Nacht angeboten. Die Stadt ist in Bewegung. Die Globalisierung ist stets auf Tuchfühlung. Hier leben Menschen unterschiedlicher Herkunft und Identität. Hier gibt es sie, die zahlreichen Geschichten von Einwanderung und neu gewonnener Heimat. Heimat an einem Ort, an dem der Migrationshintergrund kein Schicksal und kein Makel, sondern einfach ein Stück Lebenserfahrung auf dem Weg in die Zukunft ist. Berlin gibt Autoren und Wissenschaftlern Exil, die verfolgt werden. Hier leben ost- und westdeutsche Biografien so nah beieinander wie in einer Wohngemeinschaft, so nah wie Friedrichshain und Kreuzberg. Und: Hier in Berlin müssen wir zeigen, dass die integrative Kraft unserer Demokratie stark ist, stärker als der Hass, überzeugender als die Angst, und dass wir den Zusammenhalt unseres Landes bewahren. Das offene Wort, die politische Kontroverse sind die Regel in der Demokratie. Doch dass Bürger andere Bürger zu inneren Feinden erklären, darf niemals wieder Normalität werden. Das ist die Lehre deutscher Geschichte. Und das ist das erste Gebot unserer politischen Kultur.

Berlin kann in diesen Zeiten auch über deutsche Grenzen hinaus ein Symbol sein. Wir schauen uns um in Europa und in Europas Nachbarschaft und wissen: In diesen Zeiten der Rückfälle in engstirnigen Regionalismus, Separatismus, aggressiven Nationalismus und religiösen Fanatismus brauchen wir Beispiele eines besseren Weges in die Zukunft. Beispiele, dass kulturelle Vielfalt und innerer Friede keine Gegensätze sind, dass internationale Orientierung und sozialer Ausgleich, Weltoffenheit und Zusammenhalt vereinbar sind. Wo dies gelingt, da schaut die ganze Welt genau hin. Denn es sind die Fragen, die alle Welt besorgen und bewegen.

Ich habe die Besuche der Bundesländer in meinem ersten Amtsjahr unter den Titel einer Deutschlandreise zu den Orten der Demokratie gestellt. Ihre Stadt ist in Geschichte und Gegenwart ein besonderer Ort der Demokratie in Deutschland. Ort der ersten Revolution von 1848. Ort der Novemberrevolution 1918 und der Ausrufung der deutschen Republik vor bald 100 Jahren. Ort der Machtergreifung der Nazis und Zentrum der totalitären Herrschaft, an dem Angriffskrieg und Völkermord geplant wurden. Ort des SED-Regimes und der Staatssicherheitszentrale. Aber vor allem immer wieder auch der Ort fallender Mauern und des Aufbruchs in die Freiheit.

Wenn ich hier in die Runde sehe – Senat, Abgeordnete, Behördenleiter, Polizei und Feuerwehr, Wissenschaft und Kultur, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Wirtschaft und Medien –, dann sind viele Dimensionen dieser Stadt vertreten. Und ich muss Ihnen sagen, es sind mehr Facetten, als mein heutiges Besuchsprogramm abdecken kann.

Einiges werden wir aber sehen und würdigen können. Darunter politische Bildung und Demokratie in der Schule; die Gedenkstätte Berliner Mauer; an der Freien Universität Berlin eine Begegnung mit verfolgten Wissenschaftlern, die in Berlin ein Refugium zum Forschen und Schreiben gefunden haben; im Osten der Stadt ein Zukunftslabor für Gründer, wo Kreative in einer offenen Werkstatt Prototypen ihrer Ideen herstellen. Denn auch das gehört zu einer weltoffenen, liberalen Demokratie, dass sie in Disziplinen wie Kommunikation, Vernetzung und Kreativität die stärksten Impulse geben kann.

Einen ersten Besuch habe ich heute ganz früh schon gemacht. Er galt einer Berliner Institution. Einem täglichen Begleiter für Millionen, echt Berlin, ganz wie es die Suchmaschine verspricht, nämlich Tag und Nacht. Auch die unzähligen internationalen Gäste der Stadt kennen sie, nicht nur den 100er zwischen Alex und Zoo. Ihre Werbung bringt das Lebensgefühl dieser Stadt auf den Punkt: eine gesunde Portion Realismus – auch gegenüber Lebensbereichen, die noch besser werden können – verbindet sich in charmant-schnoddriger Weise mit viel Herz und Humor.

Sie alle wissen, wen ich meine – natürlich die BVG. Sie schafft das Miteinander und hält Berlin zusammen.

Ich danke Ihnen und freue mich auf das Gespräch!