Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 22. November 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 22. November bei der Preisverleihung des Geschichtswettbewerbs eine Rede gehalten: "Beides, Wissen und Urteilskraft, sind unverzichtbar überall dort, wo mehr behauptet als gewusst wird. Wer die offene Gesellschaft verteidigen will, muss zu allererst dafür sorgen, dass Menschen offen und miteinander im Gespräch bleiben. Wer sich einmal hinter Behauptungen verbarrikadiert hat, ist nur noch schwer zu erreichen."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache bei der Auszeichnung der Erstpreisträger des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten 2016/2017 in Schloss Bellevue

Staatsoberhäupter kommen relativ häufig in die Verlegenheit, über die Geschichte des eigenen Landes reden zu müssen. Seltener haben sie das Glück, sie erzählt zu bekommen, und noch seltener, sie so schön und lebendig erzählt zu bekommen, wie ich das in einigen Ihrer Beiträge gelesen habe. Auch hier im Schloss war das erst unlängst der Fall, als wir gemeinsam mit einigen Gästen den 250. Geburtstag Wilhelm von Humboldts gefeiert und die Gäste berichtet haben aus dem Leben der Brüder Humboldt.

Geschichtswettbewerbe wie dieser haben eben vor allen Dingen den Reiz: sich darin zu üben, Geschichte so zu erzählen, dass wir sie tatsächlich erleben können.

Gott und die Welt – das ist, streng genommen, natürlich kein Thema für einen Geschichtswettbewerb. Es ist die Zumutung, aus einer unüberschaubaren Zahl an Themen eines auszuwählen und daraus Funken zu schlagen.

Über die Resonanz müssen wir uns nicht wundern. Über 5.000 Köpfe haben sich über das besondere Verhältnis Gott und die Welt gebeugt und sind dabei nicht nur der Frage nachgegangen, wie Religion Geschichte macht und welche Zeugnisse sie hinterlassen hat. Sie haben gezeigt, wie frisch ihre Spur noch heute, in der Gegenwart, in der wir leben, ist.

In 1.639 Beiträgen können wir jetzt nachlesen, auch sehen und hören, wie der Glaube Gemeinschaften stiftete oder ausgrenzte, wie er Menschen Orientierung gab oder sie, auch das kam vor, auf Abwege führte. Viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben einen persönlichen Zugang gewählt. Und für einige war die Frage, was habe ich eigentlich heute noch mit Glauben und Religion zu tun, die Ausgangsfrage oder der Ausgangspunkt für die eigenen Überlegungen. Sie haben Geschichte lebendig werden lassen. Und weil Ihnen das auf so überzeugende Art gelungen ist, freue ich mich sehr, dass wir die Autoren und Autorinnen der fünf besonders gelungenen Beiträge heute auszeichnen können.

1974, als Gustav Heinemann den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten zusammen mit Kurt Körber ins Leben rief, sprach er von unserer geschichtsmüden Zeit, in der gute Gründe anführen müsse, wer ein historisches Museum eröffnen wolle.

Mir scheint, die Geschichtsmüdigkeit ist verflogen. In den eingereichten Beiträgen jedenfalls kann ich keine Spur davon entdecken. Was ich sehe, das ist Engagement und Begeisterung, die sich auf eine große Themenfülle verteilen. Das Spektrum ist weit und reicht von den Türkenkriegen über das Verhältnis von italienischem Katholizismus und Kommunismus, von Martin Niemöllers Wirken in seiner Dahlemer Gemeinde bis zur Spurensuche in der eigenen Familie oder auf einem jüdischen Friedhof in Rendsburg.

Zu dieser reichen Ausbeute haben viele beigetragen, die Körber-Stiftung als Ausrichter, die Mitglieder der Landesjurys und der Bundesjury, des Kuratoriums und des wissenschaftlichen Beirats, viele, sehr viele engagierte Tutoren, Archivare und Zeitzeugen, vor allem aber Sie, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Wettbewerbs, die Forschungsergebnisse zusammengetragen, ausgewertet, aufgezeichnet oder verfilmt haben. Ihnen allen gilt mein ganz herzlicher Glückwunsch, vor allem aber mein ganz großer Dank.

Danke auch deshalb liebe Gäste: Von dem Wissen, das auf diese Weise zusammengetragen wird, profitieren alle, und ich beziehe mich ausdrücklich mit ein.

Denn: Das Staatsoberhaupt spricht immerzu über Geschichte. Ein deutscher Bundespräsident zumal, muss über Vergangenes und über die Erkenntnis, die daraus zu gewinnen ist, nachdenken, öffentlich nachdenken auch dann, wenn er über Zukunft spricht.

Das nächste Jahr ist ein solches Jahr, in dem wir vielfach Gelegenheit zur Erinnerung haben: 1848 jährt sich, 1918 das Kriegsende, die Ausrufung der Republik, aber auch der Versailler Vertrag – viel Gelegenheit zum Nachdenken, aber es besteht auch die Notwendigkeit, über Geschichte zu reden.

Die Geschichte ist kein Archiv, in das wir einmal gewonnene Erkenntnisse ablegen und dann darüber den Aktendeckel schließen. Wir gehen mit ihr um. In der Beschäftigung mit Geschichte erfahren wir immer auch etwas über unsere Gegenwart. Und wir dürfen die Hoffnung haben, dass diese Erkenntnis uns auch für die Zukunft rüstet.

Wie das geht, wie man Quellen findet, prüft, auswertet und seine Schlüsse daraus zieht, das kann man lernen. Und schon während man es lernt, kann man dabei an sich selbst beobachten, wie Wissen entsteht und aus dem Wissen Selbstvertrauen und Urteilskraft.

Beides, Wissen und Urteilskraft, sind unverzichtbar überall dort, wo mehr behauptet als gewusst wird. Wer die offene Gesellschaft verteidigen will, muss zu allererst dafür sorgen, dass die Menschen selbst offen und miteinander im Gespräch bleiben. Wer sich einmal hinter Behauptungen verbarrikadiert hat – so stellen wir fest –, der ist nur noch schwer zu erreichen.

Um offen füreinander zu bleiben, müssen wir auch zum Beispiel danach fragen, wie Glaube und Wissen sich zueinander verhalten. Einige der Arbeiten, die wir heute auszeichnen, haben eben das in vorbildlicher Weise getan.

Thema des ersten Wettbewerbs war die Deutsche Revolution 1848/49. Die Geschichte der deutschen Freiheitsbewegungen, das lag Gustav Heinemann besonders am Herzen. Er wollte sie stärker im Bewusstsein junger Menschen verankern. Die erste Preisverleihung nahm er nicht in Bonn, nicht in Berlin, sondern in Rastatt vor, wo damals die von ihm initiierte Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte eingeweiht wurde. Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, das wollte Gustav Heinemann damals zeigen mit dem Geschichtswettbewerb, haben auch in Deutschland eine Geschichte, die älter ist als das Grundgesetz der Bundesrepublik. Mit ihr aber verbindet sich auch die Mahnung, dass die demokratischen Grundrechte weder unangefochten waren, noch auf alle Zeiten garantiert sind. Um unserer Zukunft willen sollten wir diese Geschichte kennen.

Ich freue mich darauf, die Autoren der besten Beiträge dieses Wettbewerbs heute kennenzulernen und später auch auszeichnen zu können.