Verleihung des Internationalen Adalbert-Preises

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 8. Dezember 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 8. Dezember bei der Verleihung des Internationalen Adalbert-Preises an Imre Kónya eine Ansprache gehalten: "Ihr Mut, Ihr Geschick, Ihre Klugheit im Unabhängigen Juristenforum und dann am 'Oppositionellen Runden Tisch' Ungarns haben ganz maßgeblich dazu beigetragen, dass von Ungarn ein Impuls ausging, der weit über die Grenzen Ihres Landes hinaus gewirkt hat."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache anlässlich der Verleihung des Internationalen Adalbert-Preises an Imre Kónya im Langhanssaal von Schloss Bellevue

Seine Zeitgenossen werden ihn wohl nicht so genannt haben, aber Adalbert von Prag war das, was wir heute einen überzeugten Europäer nennen würden. Er tat vor 1.000 Jahren das, was uns heute fast normal erscheint: Er reiste, er lebte in anderen Ländern, er führte Austausch und Freundschaft in verschiedenen Sprachen. Er war seiner Zeit weit voraus, eine wirklich herausragende historische Gestalt. Der Herzog von Böhmen, Boleslav II., auch genannt der Fromme, machte ihn unter anderem deshalb, 982 zum Bischof von Prag, weil er über so exzellente Kontakte in andere Lande verfügte.

So steht Adalbert – der Namenspatron der Stiftung, deren Preis heute an Sie, lieber Herr Kónya, vergeben wird – für das, was uns in Mitteleuropa miteinander verbindet. Uns Deutsche mit den Polen, Tschechen, Slowaken und den Ungarn. Und deshalb freue ich mich, Sie alle hier im Schloss Bellevue begrüßen zu dürfen, zu dieser Feierstunde. Denn das, was uns in diesem Raum verbindet, über alle wechselvollen, durchaus auch finsteren Kapitel einer gemeinsamen Geschichte von über 1.000 Jahren, das liegt mir besonders am Herzen. Herzlich willkommen Ihnen allen im Schloss Bellevue.

Eines ist in Deutschland oft gesagt worden: Wir werden nicht vergessen, welchen Beitrag die Menschen in Mittel- und Osteuropa zum Fall des Eisernen Vorhangs geleistet haben – und damit auch zu unserem historischen Glücksfall der deutschen Wiedervereinigung in Frieden und in Freiheit. Diese Erkenntnis war – in aller Regel – nicht nur so daher gesagt. Und doch ist dieser mittelosteuropäische Beitrag – die Leidenschaft von Freiheit und Demokratie, die Weitsicht und vor allem der große Mut derer, die damals handelten und Geschichte schrieben – über manche aktuelle Auseinandersetzung heute oft viel zu weit in den Hintergrund geraten. Das ist nicht gut. Und daran sollten wir uns nicht gewöhnen. Daher freue ich mich, dass seit Juni dieses Jahres nahe der Mauergedenkstätte Bernauer Straße ein Denkmal diesen besonderen Beitrag würdigt– dank der Adalbert-Stiftung. Die Erinnerung an den Freiheitswillen der Ungarn und ihrer Nachbarn ist ja nicht nur ein Gebot politischer und persönlicher Dankbarkeit. Sie ist auch die Grundlage für das Europa, in dem wir heute leben. Sie ist der Ausgangspunkt für unsere Debatten darüber, was uns heute wichtig sein sollte. Und es ist mir daher eine ganz besondere Freude, Sie, lieber Imre Kónya, heute als Preisträger zu begrüßen und Ihnen meinen persönlichen Respekt zu zollen.

Sie gehören zu denen, die Verantwortung und auch persönliches Risiko auf sich genommen haben, damals – 1988. Sie haben neue Wege gesucht und gefunden. Ihr Mut, Ihr Geschick, Ihre Klugheit im Unabhängigen Juristenforum und dann am Oppositionellen Runden Tisch Ungarns haben ganz maßgeblich dazu beigetragen, dass von Ungarn ein Impuls ausging, der weit über die Grenzen Ihres Landes hinaus gewirkt hat. Ein Impuls, der Freiheit und Demokratie in Europa zum Durchbruch verholfen und unseren Kontinent verändert hat.

Als Preisträger, lieber Herr Kónya, stehen Sie in der Tradition von Tadeusz Mazowiecki, Václav Havel, Helmut Kohl, Władysław Bartoszewski, Ján Čarnogurský, um nur einige wenige der Preisträger zu nennen. Ihnen allen war gemeinsam, dass sie für dieses geeinte Europa nicht nur gearbeitet, manchmal auch gestritten, sondern vor allen Dingen, dass sie an dieses Europa auch geglaubt haben: an die tiefen Wurzeln dessen, was uns verbindet.

In unserer heutigen Zeit, in der über Europa oft allzu verzagt gesprochen wird, tun wir gut daran, uns zu erinnern, wie wenig selbstverständlich – ja sogar hochgradig unwahrscheinlich – Ihnen, lieber Herr Kónya, an Ihrem Runden Tisch in Budapest, all das erscheinen musste, was Sie damals noch mit auf den Weg gebracht haben. Wir haben lernen müssen, dass die europäische Integration eben keine Selbstverständlichkeit ist. Und vielleicht erfahren wir gerade in diesen Jahren, dass sie auch nicht unumkehrbar ist. Die Zukunft Europas ist offen und wartet dringend auf mutige, gestaltungswillige Menschen, wie Sie und Ihre Mitstreiter es damals waren.

Ich will auch nicht verhehlen, dass uns manches irritiert, ja sogar verstört, was wir gerade aus Ungarn in diesen Zeiten hören. Aber ich darf Ihnen auch sagen, Herr Kónya, es verstört uns gerade wegen der Nähe und der Verbundenheit, die wir empfinden. Wir wollen und wir müssen daran arbeiten, diese Gräben zu überwinden, und diese Arbeit muss von beiden Seiten geschehen. Dafür müssen wir nicht in allem einer Meinung sein. Aber es muss wieder gelingen, uns auf ein Fundament geteilter Überzeugungen und auf ein gemeinsames Ziel zu verständigen. Denn was immer uns in der Tagespolitik an unterschiedlichen Positionen und Meinungen auch trennen mag: Wir bleiben einander wichtig. Zu dem Europa, das wir wollen, gehört Ungarn, gehören Polen, Tschechien, die Slowakei notwendigerweise dazu.

Lieber Herr Kónya, ich verneige mich mit Respekt vor Ihrer Lebensleistung. Ich danke Ihnen für das, was Sie für Freiheit und Demokratie in Europa und auch für unser Land getan haben. Und ich rufe Ihnen einen herzlichen Glückwunsch zu – für den Adalbert-Preis 2017.

Herzlichen Dank.