Eröffnung des Erweiterungsbaus der Kunsthalle Mannheim

Schwerpunktthema: Rede

Mannheim, , 18. Dezember 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 18. Dezember bei der Eröffnung des Erweiterungsbaus der Kunsthalle Mannheim eine Ansprache gehalten: "Die 'Akademie für Jedermann' machte aus einem Privileg für wenige ein Recht für alle: Konzerte, Lesungen, Museumsführungen – sie waren für den Architekten wie für den Maurer. Eben dieser Anspruch prägt dieses Haus noch heute."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache im Foyer der Kunsthalle Mannheim anlässlich der Eröffnung des Erweiterungsbaus

Vor 106 Jahren, am 27. April 1911, stellt sich ein Mann in die Mannheimer Festhalle. Im Gepäck: 5.000 Anmeldeformulare, 5.000 Bleistifte – und eine Vision. Die Vision ist seine eigene, der Rest gespendet von der Stadt Mannheim. Der Mann heißt Fritz Wichert, Gründungsdirektor dieser Kunsthalle. Er hat nicht nur eine Vision, sondern einen ganz konkreten und ambitionierten Plan: einen Verein zu gründen, den Freien Bund zur Einbürgerung der bildenden Kunst. Und mit diesem Verein seiner Kunsthalle Leben einzuhauchen. Fritz Wichert hat Erfolg. Die Chronik der Stadt vermeldet stolz: 1.000 Mannheimerinnen und Mannheimer nehmen sich ein Formular und einen Bleistift – und treten dem Verein bei.

Wir stehen heute, 106 Jahre später, in diesem wunderbaren Erweiterungsbau, weil damals das Wagnis bürgerschaftlichen Engagements funktionierte und weil es auch heute wieder funktioniert. Dafür allen Beteiligten meinen herzlichen Dank und tiefe Anerkennung. Ihr Engagement hat sich gelohnt. Denn die Kunsthalle Mannheim ist einzigartig in Deutschland.

Einzigartig zunächst dank ihrer Werke: Caspar David Friedrich, August Rodin, Vincent van Gogh. Und natürlich Manets Meisterwerk Die Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko – von Wichert gegen alle Widerstände erworben. Später dazu kamen Max Beckmann, Otto Dix und Francis Bacon. Die Sammlung der deutschen und internationalen Moderne zählt zu den bedeutendsten ihrer Art. Die Wände dieses Baus werden zu Trägern großer Kunst.

Einzigartig ist diese Kunsthalle auch als Ort der Avantgarde. Der Titel der Sonderausstellung Neue Sachlichkeit im Jahr 1925 blieb nicht nur als Titel einer Ausstellung, sondern wurde über die Jahre zum etablierten Fachbegriff für eine gesamte Kunstrichtung.

Einzigartig schließlich aufgrund der Breite des bürgerschaftlichen Engagements, das die Kunsthalle bis heute fortschreibt. Gerade dafür will ich Ihnen und allen Beteiligten herzlich gratulieren.

In den 1920er-Jahren hatte der Freie Bund zur Einbürgerung der bildenden Kunst an die 12.000 Mitglieder. Das waren etwa zehn Prozent der Einwohner Mannheims. Überhaupt – was für ein toller Name: Bund zur Einbürgerung der bildenden Kunst. Die Kunst als Bürger der Stadt. Und zwar nicht nur für das Bildungsbürgertum, sondern auch für die Mannheimer Arbeiterschaft. Also auch für die, die vorher meist keinen Zugang zu Kunst und Kultur hatten. Die Akademie für Jedermann machte aus einem Privileg für wenige ein Recht für alle: Konzerte, Lesungen, Museumsführungen – sie waren für den Architekten wie für den Maurer. Eben dieser Anspruch prägt dieses Haus noch heute. Und das nicht nur, weil auch künftig der Eintritt an jedem ersten Mittwochabend des Monats nicht umsonst, dafür aber gratis ist.

Der Anspruch einer Kunsthalle für alle spiegelt sich auch in der Architektur des Erweiterungsbaus, oder besser, der sieben Ausstellungshäuser, die sich ineinanderschieben und neue Perspektiven auf die Kunst zulassen. Wenn der Besucher in das Atrium tritt, das die Häuser verbindet, dann muss er nicht erst an der Kasse vorbei. Nein, er tritt in einen Lichthof, der Teil der Stadt bleibt. Vielleicht hilft auch das, noch mehr Besucher in das Museum zu holen. Und auch die zu erreichen, die sich sonst nicht durch die Tür getraut hätten. Denn dieser Bau will kein Ehrfurcht einflößender Kunsttempel sein, sondern ein Ort der Begegnung, ein Ort des gemeinsamen Erlebens und ein Ort des Genießens von Kunst.

Vor 106 Jahren begeisterte Fritz Wichert die Mannheimer und motivierte sie mit einer flammenden Rede, in seinem Verein mitzumachen. Heute würde er dafür eher eine virale Kampagne starten – auf Facebook, Twitter oder Instagram: #Kunsthalle #Mannheim #Manet. Die Kunsthalle Mannheim zeigt, wie man das digitale Zeitalter ins Museum holt. Etwa mit der Kunsthallen-App, die uns durch das Museum navigiert und mit gezielten Informationen einen Blick hinter das Gemälde erlaubt. Ich bin sicher, die Besucher werden dennoch die Kunstwerke bewundern, statt auf ihr Smartphone zu starren. Mit dem Sprung ins digitale Zeitalter schafft die Kunsthalle auch eine neue Ebene des Kunsterlebens. Die Digitalisierung bringt zum Beispiel bislang verborgene Kunst hervor: 30.000 lichtsensible Werke der Graphischen Sammlung kommen endlich ans Tageslicht, oder besser gesagt: ans Bildschirmlicht. Zu lange waren sie in den Depots im Dunkeln. Nun werden diese Werke weltweit, für jedermann und jederzeit zugänglich.

Auch durch diese Innovationen strahlt die Kunsthalle weit über Mannheim aus und behauptet den Eigenwert der Kunst in der Welt, in der das Besondere im Dauergequassel der sogenannten sozialen Medien immer stärker eingeebnet und zunehmend schwerer wahrnehmbar wird. Hier im Museum bleibt die Wertschätzung des Besonderen gewahrt. Fritz Wichert wäre stolz. Seine Enkelin, Susanne Wichert, die heute hier ist, ist es hoffentlich auch.

Ich wünsche mir, dass dieser Mannheimer Geist spürbar wird im Rest unseres Landes, dass er viele Besucher anziehen und auch in 106 Jahren diese Hallen prägen möge.

Herzlichen Glückwunsch zur Übergabe des Erweiterungsbaus.