Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 11. Januar 2018

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 11. Januar beim Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps in Schloss Bellevue eine Ansprache gehalten: "Der Druck der Globalisierung und die veränderte Debattenkultur im Zeitalter der Digitalisierung stellen den inneren Zusammenhalt unserer Gesellschaften auf die Probe. Von dieser Herausforderung ist auch Deutschland nicht ausgenommen."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Rede im Großen Saal in Schloss Bellevue anlässlich des Neujahrsempfangs für das Diplomatische Korps

Concordia domi foris paxEintracht innen, draußen Friede. Vor drei Jahren stand ich mit meinen damaligen Außenministerkollegen der G7-Staaten vor dieser Inschrift, die das berühmte Holstentor der Hansestadt Lübeck schmückt.

Sie alle wissen, dass ich als ein wichtiges Thema meiner Amtszeit die Zukunft der Demokratie gewählt habe. Eintracht innen – das ist eine Herausforderung in fast allen Demokratien. Aber nicht nur dort. Die Polarisierung vieler Gesellschaften, wachsende Unversöhnlichkeit von politischen Gegnern und eine größer werdende Distanz zwischen gesellschaftlichen Gruppen sind mir auf Reisen im In- und Ausland immer wieder begegnet. Der Druck der Globalisierung und die veränderte Debattenkultur im Zeitalter der Digitalisierung stellen den inneren Zusammenhalt unserer Gesellschaften auf die Probe.

Von dieser Herausforderung ist auch Deutschland nicht ausgenommen. Wenn der Blick auf das Gemeinsame, Verbindende verloren geht, wenn der politische Ton rauer, gar unversöhnlich wird, dann geht das auch an unserer Gesellschaft nicht spurlos vorüber. Vielfach stecken dahinter Angst vor der Zukunft und Sorge vor der Ungewissheit. Manche Menschen in unserem Land sehen als beste Antwort darauf Rückzug und Abschottung – zurück in eine vermeintlich goldene Vergangenheit, die bei näherer Betrachtung so golden nicht war. In manchen Ländern – auch in Europa – ist dieser Rückzug zur herrschenden Politik geworden: Man sieht sich als Wagenburg, eng zusammengerückt gegenüber einer feindlichen Umgebung.

Ein solcher Rückzug, um die innere Eintracht zu sichern, kam damals für die Bürger der stolzen Hansestädte wie Lübeck nicht in Frage. Sie lebten von der Offenheit, vom Austausch, von der Neugier und der Zuversicht ihrer Händler und Seeleute, die sich auch ins Unbekannte hinauswagten.

Rückzug und Abschottung können erst recht heute nicht Programm sein für ein Land wie Deutschland, das seinen Frieden und seinen Wohlstand dem Vertrauen unzähliger Partner in aller Welt verdankt.

Für dieses Vertrauen und für diese Zusammenarbeit sind wir dankbar. Deutschland wird sich auch in Zukunft darum bemühen, seine Interessen so aufgeklärt und weitsichtig zu formulieren, dass darin das Wohlergehen unserer europäischen Nachbarn eine entscheidende Rolle spielt. Und wir wollen uns im Verbund der Weltgemeinschaft starkmachen für unser gemeinsames Erbe: den Klimaschutz, saubere Weltmeere, Bildung, Gesundheit und eine nachhaltige Entwicklung. Eines ist klar: Wir werden die Welt nicht als Arena betrachten, in der jeder seine eigenen Interessen allein, national, kurzfristig und ohne Rücksicht auf andere verfolgt.

Eintracht innen, draußen Friede – das verweist zugleich auf den engen Zusammenhang von Innen- und Außenpolitik. Heute scheinen uns beide so eng ineinander verwoben wie noch nie zuvor. Das ist so aufgrund technologischer Entwicklungen, die unsere Gesellschaften im Innersten durchdringen und die zugleich auch die Gewichte in der Welt verschieben. Umso wichtiger ist es, Innen und Außen nicht gegeneinander auszuspielen. Wir müssen vielmehr versuchen, beides auf verantwortliche Weise miteinander zu versöhnen.

Sie, meine Damen und Herren Diplomaten, haben die Aufgabe, genau diese Versöhnung möglich zu machen. Um Stimmungen richtig zu erspüren, um Handlungsspielräume zu beurteilen, um zu verstehen, wie ein Land denkt; wie ein Land seine Rolle in der Welt definiert – dafür muss man vor Ort sein. Das geht nicht allein im virtuellen Raum. Das geht auch nicht allein in der Hauptstadt.

Auch deshalb waren wir im vergangenen September zusammen in Sachsen-Anhalt, auch im Gartenreich Dessau-Wörlitz. Voltaire lässt seinen Candide im letzten Kapitel sagen: Wir müssen unseren Garten bestellen – und sich daraufhin aus der Welt zurückziehen. Natürlich meinte Voltaire in Wahrheit gerade das Gegenteil: Was in den anderen Gärten dieser Welt passiert, das geht uns etwas an, gerade um Eintracht im Inneren und Frieden nach außen zu wahren.

Ich freue mich darauf, einige Ihrer Länder in diesem Jahr zu besuchen, um das, was uns verbindet, zu stärken und auszubauen. Ich freue mich auch darauf, mit Ihnen im Sommer gemeinsam Bremen zu besuchen – wie auch Lübeck eine alte Hansestadt und ein Tor der Deutschen zur Welt.

Wir wissen um die Erwartungen, die sich zu Beginn dieses neuen Jahres an Deutschland richten. Die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl im September dauert länger, als wir es bisher in der Bundesrepublik erlebt haben. Aber nur weil es zum ersten Mal geschieht, bedeutet das nicht, dass es außerhalb der Regeln passiert. Das Grundgesetz gibt uns klare Regeln und Orientierung auch für diese Situation. Die vergangenen Wochen haben gezeigt: Das Zusammenspiel zwischen den Institutionen unseres Landes funktioniert. Diejenigen, die jetzt in den Institutionen und Parteien Verantwortung tragen, nehmen sie ernst. Und sie wissen auch, dass diese Verantwortung nicht nur gegenüber den Mitgliedern der eigenen Partei und der eigenen politischen Zukunft gilt. Sondern sie ist immer auch eine Verantwortung für Europa und für Verlässlichkeit, Partnerschaft und Engagement in der internationalen Politik.

Ich freue mich darauf, im kommenden Jahr mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ihnen, Ihren Familien und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an Ihren Vertretungen wünsche ich Eintracht und Frieden und ein gesundes Jahr 2018.