Festveranstaltung zum 100-jährigen Bestehen der DekaBank Deutsche Girozentrale

Schwerpunktthema: Rede

Frankfurt am Main, , 1. Februar 2018

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 1. Februar bei der Festveranstaltung "100 Jahre DekaBank" eine Ansprache gehalten: "Neue Spekulationsakrobatik und Blasenbildungen zu verhindern, ist zuvörderst Verantwortung der Finanzbranche. Denn die letzte große Krise und die letzte Rettung durch Steuergelder haben wir gerade erst hinter uns. Und sie wird so nicht wiederholbar sein."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache bei der Festveranstaltung zum 100-jährigen Bestehen der DekaBank Deutsche Girozentrale in Frankfurt am Main

Einen 100. Geburtstag – so ist es in Deutschland gute Tradition – ehrt der Bundespräsident durch seinen Glückwunsch. Im vergangenen Jahr gab es in Deutschland 3.347 hundertste Geburtstage. Bei all denen muss ich von hier aus um Verständnis bitten, dass ich nicht bei allen persönlich zum Gratulieren vorbeikommen kann. Zur Deka komme ich, und ich komme gern: Schließlich feiern wir eine altehrwürdige Größe im Sparkassenverband. Alter ist für sich genommen kein Verdienst – in Ihrer Branche 100 Jahre alt zu werden und erfolgreich zu bleiben schon! Deshalb vorneweg meinen ganz herzlichen Glückwunsch!

Ich bin gerne gekommen, weil wir im Blick auf 100 Jahre Deka zugleich zurückschauen auf viele, sehr unterschiedliche Kapitel deutscher Geschichte: vom Kaiserreich nach Weimar, von der Nazi-Diktatur zum Neubeginn der Demokratie, zur Gründung der Europäischen Union, von Teilung über Wiedervereinigung bis heute. Die Deka ist ein wichtiger Teil deutscher Wirtschaftsgeschichte:

Ihre Geschichte umfasst Weltwirtschaftskrise und Hyperinflation im Jahr 1923.

Sie handelt auch von der Finanzierung der nationalsozialistischen Kriegsmaschinerie, von Millionenkrediten an die Reichswerke Hermann Göring etwa, oder der Entlassung von Mitarbeitern aus rassistischen und ideologischen Gründen.

Die Firmengeschichte berichtet vom Neubeginn: von Wiederaufbau und Wirtschaftswunder; sie kennt Ölpreiskrisen, Rezession und Aufschwung.

Sie erzählt vom Übergang Ostdeutschlands in die Soziale Marktwirtschaft, als die Girozentrale den DDR-Sparkassen bei der Aufnahme ins bundesdeutsche System half.

Sie reicht aber auch zum Börsenfieber, zur Dot-com-Blase und der globalen Finanzkrise. Diese Geschichte kennt Bullen, und sie kennt Bären.

Und sie spricht mehrere Sprachen: früher Reichsmark, Rentenmark, D-Mark; heute Euro und natürlich auch US-Dollar, japanischer Yen und chinesischer Yuan.

Die Geschichte der Deka-Bank steht beispielhaft für den Wandel und das Wachstum unseres Standorts Deutschland. Und in meinen Augen bringt sie in ihren Höhen und Tiefen ein zentrales Prinzip unserer Sozialen Marktwirtschaft zum Ausdruck. Natürlich der wirtschaftliche Erfolg: Rendite muss sein. Aber auch Verantwortung für Gesellschaft und vor allem: Die Finanzbranche muss der Realwirtschaft dienen – nicht andersherum! Die Bank war immer dann nachhaltig stark, wenn diese Prinzipien stark waren – ganz besonders deutlich wird das in der Zeit des Wirtschaftswunders. Und immer, wenn diese Prinzipien aus dem Blick gerieten, rückte sie näher an den Rand von Krisen. Langfristige Investitionen in reale Wertschöpfung, und nicht der schnelle Euro, sondern nachhaltige, gesunde wirtschaftliche Strukturen und soziale Verantwortung – dafür steht unser Wirtschaftsmodell. Und darauf beruht sein Erfolg. Lassen Sie uns das – auch hier am Finanzplatz Frankfurt – nie mehr aus dem Blick verlieren!

Doch dieses Wirtschaftsmodell hat bei uns in Deutschland auch spezifische Voraussetzungen und Eigenheiten: Ganz zentral gehört dazu das dreisäulige Bankensystem! Und das ist neben den privaten Geschäftsbanken und den Genossenschaftsbanken die öffentlich-rechtliche Säule. Es sind Sparkassen, die für Mittelständler da sind, ohne dass diese direkt an den Kapitalmarkt müssen; Sparkassen, die für Kommunen da sind, insbesondere in ländlichen Regionen, und die gerade dort – das will ich als Bundespräsident ausdrücklich hervorheben – Vereine und zivilgesellschaftliches Leben vom Fußballclub bis zur Integrationsinitiative fördern und einen unschätzbaren Dienst am gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten. Wir sind nicht mehr dasselbe Land, wenn das verloren geht.

Das scheint eine Binsenweisheit. Nur, wenn ich das sage, vergesse ich nicht, dass all das viele Jahre lang eben nicht selbstverständlich und unangefochten war. Ich erinnere mich sehr gut an die Zeiten, in denen das angelsächsische Modell das wirtschaftliche Denken in ganz Europa dominierte. Das war ein Kampf gegen produzierende Industrie und Realwirtschaft, der da unter der Überschrift Old Economy gegen New Economy geführt wurde. Vor gut 15 Jahren wurde die industrielle Produktion totgesagt und die, die sie erhalten wollten, wurden verlacht. Aber es war auch ein Kampf gegen unterschiedliche Formen öffentlich-rechtlicher oder genossenschaftlicher Traditionen im Finanzsektor. Im Zentrum des Angriffs: das Sparkassenwesen in Deutschland. Ich erinnere mich – damals war ich noch als Chef des Kanzleramts tätig – an die Abwehrkämpfe, die wir in Brüssel führen mussten, um unser dreisäuliges System zu verteidigen. Vergangene Woche nun habe ich das Wall Street Journal aufgeschlagen, üblicherweise ja eher ein cheerleader des angelsächsischen Kapitalismus, und da konnte man lesen: Das dreisäulige Bankwesen ist […] ein Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands. Das hat etwas gedauert. Aber schön, dass es mittlerweile auch anderswo verstanden wird. Sie wissen es schon länger: Wir brauchen das dreisäulige Bankensystem. Und wenn es nach mir geht, soll das auch so bleiben!

Vor zehn Jahren hat die Deka eine erste Chronik ihrer eigenen Geschichte herausgegeben. Sie endet im Jahr 2007 mit dem Satz: Die Bank erreichte [2007] ihr bestes Ergebnis der Konzerngeschichte. Wir alle wissen, was danach geschah. 2007, das war der Beginn der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Daraus erwuchs die Krise im Euroraum, die unsere Währung an den Rand des Abgrunds brachte. Erst heute, zehn Jahre später, haben wir uns in Europa von den schwersten Verwerfungen erholt.

Damals stand die Weltwirtschaft vor dem Kollaps, weil Banken unverantwortliche Risiken eingegangen waren und vom Steuerzahler gerettet werden mussten, um noch Schlimmeres zu verhindern. Das Verhältnis von Finanz- zu Realwirtschaft war aus dem Ruder gelaufen. Auch bei Boni und Gehältern waren Maß und Mitte verloren gegangen – und beides ging nicht nur zu Lasten der Akteure in Wirtschaft und Unternehmen. Auch die politischen Kosten waren erheblich, weil auch das Vertrauen in die Demokratie gelitten hat – mit langfristigen Folgen. Und darüber sollten wir am Standort Deutschland nicht ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen. Zu viele leben mit der gefährlichen Illusion, dass es für eine erfolgreiche Wirtschaft auf die Akzeptanz des politischen Systems nicht so sehr ankommt. Das ist eine Illusion.

In der Krise kam die Deka ohne staatliche Stützung aus, und dennoch entsprach nicht jedes Geschäft – Cum-Ex werden bei manchen von Ihnen noch Kopfschmerzen hervorrufen – immer dem hohen Anspruch unternehmerischer Verantwortung, den wir an ein Institut der Sparkassengruppe legen. Auch das gehört zum Rückblick.

Heute glaube ich: Es wurden durchaus richtige Lehren aus der Krise gezogen. Die neue europäische Bankenaufsicht in Frankfurt überwacht höhere Kapitalpuffer, und eine gemeinsame Abwicklungsbehörde soll dafür sorgen, dass Banken zukünftig keine Staaten mehr in den Abgrund reißen. Weniger Risiken in den Bankbilanzen und zugleich eine bessere gemeinsame Überwachung und Abfederung von Krisen – damit haben wir begonnen, aber daran müssen wir in Europa weiter gemeinsam arbeiten.

2007 war nicht die erste Krise, die diese Bank in 100 Jahren miterlebt hat. Ich denke zurück, ganz an den Anfang: Die Hyperinflation im Jahr 1923 fraß die Ersparnisse eines ganzen Lebens vieler Bürger in wenigen Tagen auf. Daraufhin stellte die Girozentrale 200 neue Mitarbeiter ein – nicht weil das Geschäft gut lief. Im Gegenteil: Die Beschäftigten schafften es nicht mehr, die fast wertlosen Papiergeldberge zu zählen. Wenige Jahre später, in der Bankenkrise 1931, zeigte nicht die Inflation ihr böses Gesicht, sondern ihr gefährliches Gegenstück: die Deflation. Ein Teufelskreis aus sinkenden Preisen und sinkenden Löhnen führte zu einem Kollaps der Wirtschaft und zu Massenarbeitslosigkeit.

Diese Beispiele zeigen: Wir können froh sein, dass die Bundesbank und mittlerweile die EZB seit Jahrzehnten verlässlich für stabile Preise sorgen. Jenseits aller Debatten über die richtigen Instrumente zur Gewährleistung von Wachstum und Schuldenbegrenzung, die es gibt zwischen Bundesbank und EZB, sage ich: Ganz in der Tradition der Bundesbank erfüllt die EZB in Sachen Preisstabilität genau den Auftrag, den wir Europäer ihr in den Verträgen gegeben haben. Das sollten wir bei mancher Kritik in Deutschland an der Geldpolitik nicht vergessen – denn die EZB handelt für den Euroraum als Ganzes.

Wenn eine Notenbank seit Jahren im Krisenmodus arbeitet, dann zeigt das, dass unser europäisches Haus noch nicht auf einem grundsoliden Fundament steht. Deshalb sollten wir das gegenwärtige wirtschaftliche Hoch nutzen, um die Währungsunion wetterfest zu machen für das nächste Tief und den nächsten Sturm, der irgendwann kommt. Und ich finde: Wir Deutschen sollten – und ich bin sicher – wir werden dafür den Schwung zur Erneuerung aufnehmen, der derzeit endlich von unseren französischen Nachbarn herüberweht. Und wir können hoffentlich bald darauf antworten.

Seit der Gründung Ihrer Bank haben sich die Finanzmärkte grundlegend verändert – allein die Dimensionen sind völlig andere. Im Wiederaufbau-Jahr 1956 waren die Geschäfte vergleichsweise überschaubar: Der DekaFonds I hatte ein Volumen von 8,6 Millionen D-Mark – heute liegt das Fondsvermögen bei 270 Milliarden Euro. Ich will das an einem Beispiel ganz plastisch machen: Vergleichen Sie die heutige Deka-Zentrale mit der Büro-Erstausstattung von 1956. Wo heute ein Meer von Bildschirmen flimmert, standen damals – wir haben die Archive bemüht – zwei Schreibtische für 535 Mark, vier Sessel für 304 Mark und eine Olympia-Schreibmaschine für 548 Mark. Mehr brauchten die vier Mitarbeiter nicht.

In den Handelsräumen tickten die Uhren langsamer. So traf sich die Geschäftsführung mit der Konkurrenz zum vierteljährlichen Investmentkränzchen. Die Deka-Fondsmanager änderten in den Anfangsjahren nur bei zwölf Unternehmen die Bestände. Sie sehen, wir waren noch Lichtjahre vom Hochfrequenzhandel entfernt. Und Risikomanagement betrieb der Aufsichtsrat damals, indem er etwa eine Höchstgrenze von zehn Prozent in Brauereiaktien vorgab.

Das aufkommende Investmentsparen beäugten die Sparkassen zunächst skeptisch. Die Vorbehalte klingen vertraut: Kunden könnten bei Verlusten ihr Vertrauen verlieren. Nicht ganz umsonst hält sich bis heute das Bonmot: Wie macht man an der Börse ein kleines Vermögen? Indem man ein großes mitbringt. Aber die Befürworter setzten sich letztlich durch, denn sie sahen in Investmentfonds eine gute Kapitalanlage, insbesondere in Zeiten niedriger Zinsen und steigender Inflation. Eingeweihte mögen auch in dieser Auseinandersetzung Parallelen zur Gegenwart ziehen, ich überlasse das Gespräch an dieser Stelle lieber Ihnen und Ihren Kollegen.

Wer hatte im Rückblick Recht? Ja, einige Kleinanleger haben sich an den Aktienmärkten die Finger verbrannt. Das mag teilweise auch an mangelhaften Finanzkenntnissen liegen. Jeder zweite Deutsche sagt bis heute: Von Kapitalmärkten verstehe ich nichts. Deshalb ist es gut, wenn wir schon an Schulen ein Grundwissen vermitteln. Auch hier leisten die Sparkassen etwa mit dem Planspiel Börse wichtige Arbeit. Doch auch für Börsenprofis gilt: Nichts geht ohne eine gute, persönliche und objektive Beratung. Das ist und bleibt Ihr zentraler Auftrag und der der Sparkassen. Und mir ist wohl bewusst: Bei immer komplexeren, schwieriger zu durchschauenden Finanzprodukten ist der Beratungsbedarf jetzt schon hoch, und er wird größer werden.

Wenn ich von Veränderungen der Finanzbranche spreche, dann hat die größte Umwälzung gerade erst begonnen. Wenige andere Branchen sind in gleichem Maß von der Disruption der Digitalisierung betroffen.

Zweifellos: Neue Geschäftsmodelle im Fintech-Bereich, auch wenn sie nicht von den Branchenriesen, sondern kleinen Start-up-Tüftlern stammen, bieten große Chancen. Und ja: Da gibt es Nachholbedarf. Selbst die einst so analoge Realwirtschaft ist in manchen Bereichen, Stichwort Industrie 4.0, schon weiter als manches altehrwürdige Bankhaus.

Aber bei aller Bewunderung für die sogenannten Einhörner der Branche glaube ich nicht, dass jede Neuerung der dienenden Rolle der Finanzbranche gerecht wird. Ich habe in Schloss Bellevue nicht darüber zu entscheiden, welche Innovation eine Zukunft hat und welche nicht, aber wir brauchen diese Debatte in Deutschland, auch hier in Frankfurt: Welche neuen Finanztechnologien bringen wirklich Nutzen, weil sie Effizienz steigern oder Transaktionskosten senken oder – durch blockchain etwa – die deutsche Wirtschaft voranbringen in der Industrie 4.0? Und wo beginnt reine Finanzmagie, die am Ende verpufft und Kleinanlegern schadet? Wo entziehen sich Kryptowährungen jeglicher Aufsicht und Steuerung durch Zentralbanken, wo ermöglichen sie Geldwäsche, Steuerhinterziehung und rechtswidrige Geschäfte? Wenn ich mir den Kursverlauf von Kryptowährungen anschaue, sehe ich zurzeit darin weniger eine Währung, vielmehr digitale Wettspiele mit Folgen, die höchst real sind. Neue Spekulationsakrobatik und Blasenbildungen zu verhindern, ist zuvörderst Verantwortung der Finanzbranche. Denn die letzte große Krise und die letzte Rettung durch Steuergelder haben wir gerade erst hinter uns. Und sie wird so nicht wiederholbar sein.

Am Ende will ich ein Wort setzen über das, was bleibt. Nicht alles verändert sich in 100 Jahren. Die Finanzmärkte mögen radikal anders aussehen: grenzen- und schrankenloser, komplexer, schnelllebiger. Aber der Anspruch von unternehmerischer Verantwortung, der zutiefst zum Selbstverständnis unserer Sozialen Marktwirtschaft gehört, der verändert sich in seinem ethischen Kern eben nicht. Und er ist wichtig – am Ende auch für das Vertrauen in die Sparkassen.

Bilanzen, Bewertungen und Benchmarks lassen sich womöglich reparieren, aber eines hat in der Finanzkrise nachhaltig gelitten: das Bild der Banken, was Sie am meisten bedauern. Wenn aktuelle Umfragen stimmen, dann vertraut zurzeit weniger als die Hälfte der Deutschen dem Beruf des Bankers. Verlorenes Vertrauen muss wiedergewonnen werden. Das ist in Ihrem Interesse, aber es liegt auch im Interesse der Glaubwürdigkeit unserer Sozialen Marktwirtschaft, die auf eine funktionierende und akzeptierte Finanzwirtschaft angewiesen ist. Und ich bin überzeugt, das kann gelingen. Und es kann Ihnen gelingen mit einem besonderen, der Gesellschaft verpflichteten Selbstverständnis der Sparkassengruppe. Ich glaube, Sie als Mitglied der Gruppe sind zu Recht stolz auf dieses Selbstbild und auf den hohen Anspruch, der damit verbunden ist.

Ich bin mir sicher, auch im fortgeschrittenen Alter – jenseits der 100 – werden Sie alles tun, um diesem hohen Anspruch gerecht zu werden. Wir zählen auf Sie als verantwortungsvoller Teil einer deutschen Finanzwirtschaft. Sie werden auch die nächsten 100 Jahre gebraucht: von Kleinunternehmen und Mittelständlern, von am Markt etablierten Unternehmen und Start-ups. Auch die Kommunen zählen auf Sie – und nicht zuletzt die Sparerinnen und Sparer.

Ich gratuliere Ihnen zu 100 Jahren Firmengeschichte und wünsche für die nächsten 100 Jahre Glück und Erfolg. Herzlichen Glückwunsch!