Woche der beruflichen Bildung: Ausbildertag der Handwerkskammer Berlin

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 17. April 2018

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in der Woche der beruflichen Bildung beim Ausbildertag der Handwerkskammer Berlin am 17. April eine Ansprache gehalten: "Ich finde, die bestmögliche Bildung für einen jungen Menschen ist eine Bildung, die am besten zu ihm passt. Und die gibt es eben nicht nur im Hörsaal, sondern die gibt es auch im Doppelpack aus Berufsschule und Werkbank."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache bei der Festveranstaltung zum Ausbildertag der Handwerkskammer Berlin im Bildungs- und Technologiezentrum im Rahmen der Woche der beruflichen Bildung

Vielen Dank für Ihre Einladung – meine Frau und ich freuen uns sehr, heute wieder zu Gast bei der Handwerksfamilie zu sein!

Ich versichere Ihnen, wir sind gerne bei Ihnen, denn wir fühlen uns hier zu Hause. Unsere Väter, Brüder, Nichten und Neffen: Handwerker, soweit das Auge blickt – unsere beiden Väter waren Tischler. Bei mir zu Hause wurde immer an irgendetwas gearbeitet; die Kreissäge war unüberhörbar. Diesen besonderen Geruch von Leim, Sägemehl und frisch geschnittenem Holz habe ich bis heute in der Nase und ich freue mich darauf, dass wir später als Erstes in eine Tischlerei gehen.

Auch wenn mein Berufsweg am Ende ein anderer wurde, ein bisschen guckt man sich doch ab, wenn zu Hause gesägt, gehobelt, geleimt und geschraubt wird und man mit anpacken muss. Und schon das bisschen hat mir geholfen. Schon deshalb, weil ich mein Studium zu einem guten Teil mit der Arbeit in der Möbelfabrik in den Semesterferien finanzieren konnte. Aber auch in den Wohngemeinschaften, in denen ich wohnte, war man schon deshalb beliebt, weil man mit einem gut ausgerüsteten Werkzeugkoffer einzog und für allfällige Reparaturen zur Verfügung stand.

Das soll heißen, meine Frau und ich – wir wissen, was gemeint ist, wenn wir sagen: Mit Ihrer Arbeit schaffen Sie Werte, die bleiben. Und deswegen sage ich gleich zu Beginn was uns am meisten am Herzen liegt: großen Respekt davor!

Herzlichen Dank Ihnen allen!

Für meine Frau und mich ist diese Woche keine Woche wie alle anderen. Wir sind unterwegs in besonderer Mission, als gemeinsame Schirmherren der Woche der beruflichen Bildung, die Arbeitgeber und Gewerkschaften, der Deutschen Industrie- und Handelskammertag und der Zentralverband des Deutschen Handwerks zusammen mit der Kultusministerkonferenz der Länder organisiert haben.

Sofort haben wir zu dieser Schirmherrschaft Ja gesagt, weil die berufliche Bildung uns ein Herzensanliegen ist und das nicht erst seit gestern. Es reicht nicht aus, den Fachkräftemangel zu beklagen – man muss etwas tun!

Wir reisen in dieser Woche durch unser Land, von Berlin nach Baden-Württemberg, von Nordrhein-Westfalen nach Sachsen. Nach Brandenburg und Hamburg – einmal quer durch die Bundesrepublik der beruflichen Bildung. Wir werden Berufsschulen und Betriebe besuchen; Einzelhändler, Orgelbauer und Altenpfleger. Und wir sind zu Gast bei Menschen, die Unterstützung für den Berufsstart brauchen, denn ich finde, das beste Mittel zur Integration ist und bleibt die Integration durch Arbeit. Und Arbeit setzt Ausbildung voraus! Deswegen wollen wir auch diejenigen treffen, die berufliche Bildung lebendig halten: Lehrerinnen, Prüfer und heute Sie, die Ausbilderinnen und Ausbilder.

Ihnen muss ich das nicht erzählen: Schon jetzt fehlen in manchen Regionen Lehrlinge, Auszubildende und Fachkräfte. Was das für die Zukunft bedeutet, liegt auf der Hand.

Deshalb sind es auch keine guten Neuigkeiten, dass im Jahr 2016 wieder jeder Vierte seine Ausbildung abbrach. Auch wenn das nicht für jeden das Ende jeder Ausbildung bedeutet: Unser gemeinsames Ziel muss sein, dass wieder mehr Azubis ihre Lehre zu Ende bringen – also weniger Bildungsabbrüche, mehr Bildungsaufbrüche. Dafür müssen Altenpfleger, Krankenschwestern und Erzieherinnen – und selbstverständlich auch andere – die Wertschätzung bekommen, die sie verdienen. Eine angemessene Bezahlung spielt dabei sicher eine große Rolle. Mehr noch: Es wird höchste Zeit, dass Altenpflegerinnen und Altenpfleger überall in Deutschland keine Schulgebühren mehr zahlen! Wenn uns diese Berufe wichtig sind, müssen sie uns auch etwas wert sein!

Die Kosten für die Meisterschulen sind trotz Meister-BAföG bei Ihnen ein wichtiges Thema. Ich finde es ungerecht, wenn nicht mehr überall, aber immer noch mancherorts angehende Meister für ihre Weiterbildung selbst tief in die Tasche greifen müssen, wenn nicht Arbeitgeber und die Länder finanzielle Unterstützung leisten. Wo Meister fehlen, fehlen auch die Fach- und Führungskräfte.

Dieses Anliegen hören wir immer wieder, wenn wir bei der Handwerkerfamilie sind. Vor drei Monaten waren meine Frau und ich bei der Meisterfeier in der Frankfurter Paulskirche. Ich erinnere mich gut an diesen Tag, weil ich 227 Hände von 227 glücklichen Jungmeisterinnen und Jungmeistern geschüttelt habe.

Unter den Jungmeisterinnen war auch eine junge Frau aus dem Saarland. Ihre Geschichte hat mich besonders gerührt. Sie erzählte, dass sie nach ihrem Abitur zunächst angefangen habe zu studieren. Im Hörsaal war sie unglücklich, da sie eher ein praktischer Typ ist. Also hat sie ihr Studium abgebrochen. Das war keine Kurzschlussreaktion. Sie hatte sich bewusst für eine Bäckerlehre entschieden, weil sie den Betrieb ihrer Familie weiterführen wollte. Deswegen war sie an diesem Tag in der Paulskirche, um nach Lehre und Meisterschule ihren Meisterbrief abzuholen – und eines Tages in fünfter Generation die Familienbäckerei zu übernehmen.

Ich erzähle Ihnen diese Geschichte nicht, weil ich das Studium schlecht reden will, sondern weil ich überzeugt bin: Beides – berufliche und akademische Bildung – ermöglicht eine erstklassige Bildung. Nicht nur ein Studium, gerade auch eine Ausbildung bietet hervorragende Zukunftschancen für jeden Einzelnen.

Und das gilt nicht nur für den Einzelnen. Es ist auch für unsere Gesellschaft als Ganzes unschätzbar wichtig, dass hochqualifizierte Fachkräfte unseren Wirtschaftsstandort am Laufen halten, dass die Balance zwischen akademischer und beruflicher Ausbildung erhalten bleibt.

Damit das aber so bleibt, müssen wir immer wieder aufs Neue junge Menschen für Ihre Berufe begeistern. Meine Frau und ich – wir beide müssen vom guten Ruf des Handwerks und der handwerklichen Ausbildung nicht mehr überzeugt werden – wir sind es! Andere müssen wir noch überzeugen. Darum diese Woche der beruflichen Bildung.

Die berufliche Bildung – diese besondere Kombination aus Theorie und Praxis – macht unsere deutsche Wirtschaft stark. Auch deswegen sind so wenige junge Menschen hierzulande ohne Job. Wenn ich mich in Europa umschaue und die großen Probleme von jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt sehe, dann bin ich jeden Tag dankbar für die berufliche Bildung in Deutschland!

Aber unser System der beruflichen Bildung ist mehr als ein Jobmotor. Was Sie schaffen, das hinterlässt einen bleibenden Wert, das ist vorzeigbar. Sie können nach Feierabend mit Stolz in Ihrem Bekanntenkreis fragen: Und? Was hast Du heute gemacht? So steht es auf den großflächigen Werbeplakaten der Handwerkskammer. Und Sie geben täglich die Antwort. Mit Herz, Hand und Verstand schaffen Sie etwas, auf das Sie stolz sein können.

Mehr noch: Es geht nicht nur um ihr Arbeitsergebnis. Vor allem ermöglicht berufliche Bildung einen guten und angesehenen Platz in unserer Gesellschaft. Das ist leider noch nicht in allen Köpfen angekommen. Wenn wir in Deutschland von gesellschaftlichem Aufstieg sprechen, verengen wir unsere Sicht oft auf den Weg zu den Hochschulen. Zum Beispiel denken wir an die Aufstiegsgeschichten von Kindern, deren Eltern selbst nicht studiert hatten und die jetzt als Erste ihrer Familie an die Uni gehen. So war das damals auch bei mir und in meiner Generation. Klar waren meine Eltern stolz, als ich mich an der Uni Gießen für Jura einschrieb. Aber das bedeutet doch nicht, dass das Aufstiegsversprechen unserer Gesellschaft nur über die Hochschulen funktioniert.

Im Umkehrschluss ist es auch kein Scheitern, wenn Kinder aus einer Akademikerfamilie nicht auf die Universität gehen. Oder wie eine Schülerin aus der Oberstufe es so schön formulierte: Es nervt so richtig, dass schon davon ausgegangen wird, nur weil wir Abi machen, dass wir auch automatisch studieren. Recht hat sie. Junge Erwachsene sollten den Beruf erlernen, in dem sie für sich eine Berufung sehen.

Deswegen will ich eine Debatte darüber anstoßen, was wir in Deutschland unter der bestmöglichen Bildung verstehen. Ich finde, die bestmögliche Bildung für einen jungen Menschen ist eine Bildung, die am besten zu ihm passt. Und die gibt es eben nicht nur im Hörsaal, sondern die gibt es auch im Doppelpack aus Berufsschule und Werkbank.

Oder sogar im Hattrick aus allen dreien. Wer nach Ausbildung und Meister noch studieren will, dem steht dieser Weg offen. Von solchen Brücken zwischen den Ausbildungssystemen brauchen wir mehr. Brücken, die den Wechsel in beide Richtungen zulassen. Wenn Meister noch ein Studium draufsatteln, dann können ebenso gut Akademiker ihre Bildung mit einer praktischen Ausbildung bereichern. Wer seinen Beruf aus Theorie und Praxis kennt, der hat eine umfassende Ausbildung, und eine Nasenlänge Vorsprung auf dem Arbeitsmarkt. Deswegen freut mich, dass heute im Vergleich zu 2010 doppelt so viele junge Menschen ohne Abitur, aber mit einem Beruf ein Studium beginnen – immerhin 56.900 Studierende.

Auch umgekehrt können sich Abiturienten für einen Lehrberuf entscheiden. Oder wie jemand gesagt hat: Eine echte Bildungsgerechtigkeit ist noch nicht erreicht, wenn mehr Kinder aus Arbeiterfamilien studieren, sondern wenn es nicht mehr als Makel empfunden wird, wenn Kinder aus Akademikerfamilien einen guten Beruf lernen. Ich habe nicht mehr gefunden, wer das gesagt hat, aber es ist viel dran an diesem Satz.

Meine Damen und Herren Ausbilder, Sie tragen für all das eine große Verantwortung. Ihre Schüler werden die Fachkräfte von morgen sein. Zu Ihnen persönlich passt das Motto dieser Woche ganz besonders gut: Du bildest Zukunft!

Dazu müssen Sie selbst stets auf dem neuesten Stand bleiben. Und zum neuesten Stand im Jahr 2018 gehört eben auch, welche Rolle die digitalen Medien in der Ausbildung und später im Beruf spielen werden. Ich bin selbst kein Digital Native, aber ich weiß, dass Snapchat, Instagram oder Facebook heute wichtige Werbe- und Vertriebskanäle sind, auch für das Handwerk.

Diesen Trend muss das Handwerk für sich nutzen. Wie das gehen kann, habe ich in einem Artikel über einen Fleischermeister aus Franken gelesen. Der produziert in alter Tradition fränkische Wurstspezialitäten in höchster Qualität. Seine Waren verkauft er in dritter Generation in seiner kleinen Dorfmetzgerei. So weit, so gut, so üblich. Das Bemerkenswerte kommt jetzt: Die Hälfte seines Umsatzes macht er über seinen eigenen Onlineshop. Und seine Homepage gibt es auf Deutsch, Englisch und Chinesisch. Das zeigt: Das Internet gehört nicht nur den großen Versandriesen. Es gehört auch denen, die sich etwas trauen, und zwar mit Geschäftstüchtigkeit, einer cleveren Idee und einer guten Nase für neue Trends!

Bei der Digitalisierung geht es also sprichwörtlich um die Wurst. Damit mehr Betriebe neue digitale Märkte erschließen, müssen Berufsschulen diese Kompetenzen auch vermitteln. Da ist in den vergangenen Jahren einiges passiert, aber vieles bleibt noch zu tun. Ich sage das, weil wir im Ausland um unsere berufliche Bildung beneidet werden. Deswegen müssen wir uns anstrengen, um an der Weltspitze zu bleiben und Schritt zu halten mit modernen Technologien. Rund 40 Prozent der Berufsschulen haben nicht einmal WLAN, geschweige denn digitale Lernprogramme oder Lern-Apps. Genau das soll jetzt besser werden. Bei Lektüre der Koalitionsvereinbarung stellte ich zufrieden fest, dass ein besonderer Schwerpunkt auf die Ausstattung der Berufsschulen gelegt werden soll. Das halte ich für dringend notwendig.

Zum Schluss möchte ich drei kurze Botschaften an alle Schülerinnen und Schüler senden, die sich gerade überlegen, wie es nach dem Abschluss weitergehen soll. Und an die Eltern, deren Unterstützung ganz entscheidend ist. Und wenn die Eltern gerade nicht zuhören, gebe ich Ihnen das gerne auch schriftlich.

Erstens: Berufliche Bildung ist ein toller Start ins Berufsleben.

Zweitens: Jobs im Handwerk haben Zukunft.

Und, drittens, weil das so ist, haben Auszubildende eine gute Zukunft im Handwerk.

Berlin, den 17. April 2018. Der Bundespräsident.

Meine Damen und Herren, ich freue mich auf eine erfolgreiche Woche der beruflichen Bildung. Ihnen wünsche ich viele neugierige, ehrgeizige und begeisterte Auszubildende. Ihnen allen gemeinsam viel Erfolg im Ausbildungsjahr 2018. Ich freue mich jetzt sehr auf das Gespräch mit Ihnen!

Vielen Dank!