Woche der beruflichen Bildung: Tag der ehrenamtlichen Prüferinnen und Prüfer der IHK Düsseldorf

Schwerpunktthema: Rede

Düsseldorf, , 20. April 2018

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zum Abschluss der Woche der beruflichen Bildung beim Tag der ehrenamtlichen Prüferinnen und Prüfer der IHK Düsseldorf am 20. April eine Ansprache gehalten: "Spitzen-Unis und Top-Berufsschulen. Und natürlich immer genügend Ausbildungsbetriebe. Wir alle wissen, wieviel Geld und Schwung die Exzellenzinitiative in die deutsche Hochschullandschaft gebracht hat. Exzellenz brauchen wir auch in der beruflichen Ausbildung."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Festrede bei der Veranstaltung 'Stark dank Ehrenamt-Tag der Prüferinnen und Prüfer' in der Turbinenhalle der Stadtwerke Düsseldorf im Rahmen der Woche der beruflichen Bildung

Was für eine Woche! Und viele von Ihnen waren dabei. Eine Woche von Nord nach Süd, von Ost nach West, eine Tour nur und ausschließlich zu einem einzigen Thema, einmal quer durch die Bundesrepublik der beruflichen Bildung, geht heute zu Ende. Meine Frau, die nicht nur selbst über den zweiten Bildungsweg kommt, sondern als Richterin viele Jahre über Rechtsfragen der beruflichen Bildung zu entscheiden hatte, und ich, wir sind beide sehr dankbar, dass wir diese Initiative als Schirmherrin und Schirmherr begleiten durften. Wir wollen uns deshalb ganz herzlich bei allen bedanken, die das möglich gemacht haben. Bei Arbeitgebern und Gewerkschaften, bei den Kammern und der Kultusministerkonferenz, bei Berufsverbänden, Berufsschulen und Betrieben. Und bei den tollen Auszubildenden und Ihren Ausbildern, die uns mit ihrer Energie und Leidenschaft für ihre Lehrberufe begeistert haben. Herzlichen Dank für dieses außergewöhnliche Erlebnis!

Diese Woche war für alle Beteiligten ein kleines Experiment – niemand wusste vorher so recht, ob es gelingen würde. Ich glaube, wir können sagen: Es hat funktioniert! Und wie immer, wenn Dinge gelingen, dann weil alle die Ärmel hochgekrempelt und an einem Strang gezogen haben. Wir freuen uns besonders, dass alle Organisatoren heute zur IHK nach Düsseldorf gekommen sind. Dieses gemeinsame Anpacken – das ist die Stärke unseres Wirtschaftsstandorts Deutschland und darauf können wir stolz sein!

Wenn Bundespräsidenten, Arbeitgeberpräsidenten, Gewerkschaftsvorsitzende und Präsidenten der Industrie- und Handelskammern und des Handwerks über Fachkräfte, über berufliche Bildung und die Stärke unseres Wirtschaftsstandorts sprechen, dann reden sie in Wirklichkeit auch über Sie, meine Damen und Herren Prüfer. Sie sind als Ehrenamtliche die pulsierende Herzkammer der Wirtschaft. Deswegen sind wir heute hier, um Sie stellvertretend für die vielen tausend Ehrenamtlichen in Innungen und Kammern zu ehren. Eine Prüferin erzählte mir, dass es nicht einfach sei, junge Kollegen für dieses Ehrenamt zu begeistern. Ich darf Ihnen sagen, es gibt aber auch Gegenbeispiele: Bei BMW in Leipzig am Mittwoch fragte uns eine junge Facharbeiterin, wie man Prüfer werden kann. Es gibt also Hoffnung. Dabei wissen wir: Ihr Einsatz erfordert viel Zeit und Geduld – beides sind rare Güter. Aber ohne Ihr Engagement gäbe es keine Ausbildung und Fortbildung, wie wir sie kennen. Kurzum: Ohne Sie gäbe es keine berufliche Bildung. Dafür möchten wir Ihnen Danke sagen und dafür haben Sie sich einen großen Applaus verdient!

Wenn wir uns die bildungspolitischen Diskussionen der letzten zehn bis 15 Jahre in Erinnerung rufen, dann ging es dabei fast immer um den Weg zur akademischen Ausbildung: Gymnasium versus Gesamtschulen, Studiengebühren, Numerus clausus, zuletzt um G8 oder G9. Das sind zweifellos wichtige Fragen. Selten war aber die bildungspolitische Debatte geprägt durch ein Thema, was immerhin mehr als die Hälfte unserer jungen Menschen betrifft: Die berufliche Bildung und die Situation der Berufsschulen haben die Öffentlichkeit zu Unrecht – wie ich finde – selten oder gar nicht bewegt.

Während meiner Zeit als Außenminister habe ich acht Jahre im Ausland für duale Ausbildung geworben und ein hohes Maß an Bewunderung und Wertschätzung entgegen gebracht bekommen. Zurück in Deutschland habe ich mich manchmal gefragt, ob die berufliche Bildung dasselbe Maß an Wertschätzung im eigenen Land bekommt.

Deswegen wollten meine Frau und ich gemeinsam mit Ihnen diese Woche zeigen, was wir der beruflichen Bildung in Deutschland verdanken. Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass wir uns um sie kümmern müssen, um sie attraktiv und zukunftsfest zu machen. Und wir wollen, dass die Gesellschaft über das, was notwendig ist, mit ins Gespräch kommt. Wir hoffen, das ist uns – gemeinsam und miteinander – in dieser Woche ein wenig gelungen.

Heute möchte ich von unseren Erfahrungen dieser Woche berichten. Wir sind überzeugt: Von der beruflichen Bildung profitieren alle.

Zuerst die jungen Erwachsenen selbst, die mit einer handfesten Ausbildung in ihre Zukunft starten. Stellvertretend für die vielen mit Tatkraft sprühenden Auszubildenden erinnere ich mich an eine angehende Elektrikerin aus Berlin, die Mathe und Physik studieren wollte. Als ihr ursprünglicher Studienplan sich zerschlug, sagte sie sich: Marie, bocken bringt jetzt auch nichts. Mache was aus Deinem Leben. Und das hat sie gemacht und eine Ausbildung angefangen. Mathe und Physik rennen mir im Zweifel nicht weg, sagte sie.

Zweitens profitiert die Wirtschaft, die mit gut ausgebildeten Fachkräften ihre Wettbewerbsfähigkeit sichert.

Und nicht zuletzt profitiert unsere Gesellschaft als Ganzes, denn berufliche Bildung sorgt für Integration durch Arbeit – wie im Fall des Zimmermanns aus Syrien, der uns in Berlin mit Cordhose und Zimmermannsweste erklärte, wie froh er ist, seinen Beruf hier in Deutschland fertiglernen zu können.

Kurz: Die berufliche Bildung tut unserem Land gut. Ich will das an fünf Schlagzeilen verdeutlichen:

Erstens: Die berufliche Bildung ist ein Jobmotor und Fachkräfte-Generator.

Wenn wir heute auch unter jungen Erwachsenen fast Vollbeschäftigung erreicht haben, dann ist das nicht nur der guten Konjunktur geschuldet. Die Berufserfahrung im Betrieb ist oft wie eine Garantie für die direkte Übernahme nach Ende der Ausbildung. Davon profitieren beide Seiten. Betriebe müssen nicht lange nach geeigneten Mitarbeitern suchen – sie kennen sie seit drei Jahren in- und auswendig. Und der junge Mensch hat eine gesicherte Perspektive.

Wir wollten in dieser Woche aber auch herausfinden: Was können wir in der beruflichen Bildung noch besser machen? Einige Antworten haben wir gefunden. Ich denke an die Jugendberufsagentur, die wir am Dienstag in Hamburg besucht haben. Vielleicht auch beim Projekt Kausa, das wir gleich in Essen besuchen. Mit einer freundschaftlichen Belagerung – so nennen es die Hamburger – wollen sie erreichen, dass jeder Einzelne seine Bildungs- und Zukunftschancen ergreifen kann und keiner durchs Raster fällt. Genau das ist der richtige Ansatz: Wir dürfen niemanden in diesem Land verlieren. Jede und jeder wird gebraucht!

Zweitens: Berufliche Bildung ist ein Karrieresprungbrett.

Berufliche und akademische Bildung ermöglichen eine erstklassige Bildung. Nicht nur ein Studium, gerade auch eine Ausbildung bietet hervorragende Zukunftschancen für jeden Einzelnen. Auch deshalb sollten wir akademische und berufliche Ausbildung nicht gegeneinander ausspielen.

Wir brauchen beides: Spitzen-Unis und Top-Berufsschulen. Und natürlich immer genügend Ausbildungsbetriebe. Wir alle wissen, wieviel Geld und Schwung die Exzellenzinitiative in die deutsche Hochschullandschaft gebracht hat. Exzellenz brauchen wir auch in der beruflichen Ausbildung. Denn nicht jedes Berufsbild sollte in einen Studiengang gepresst werden und nicht jeder Schüler ist an einer Hochschule gut aufgehoben. Eine bestmögliche Bildung, ist eine Bildung, die am besten zu einem jungen Menschen passt. Die gibt es eben nicht nur im Hörsaal, sondern die gibt es auch im Doppelpack aus Berufsschule und Werkbank. Berufliche Ausbildung ist schon lange kein Karriereende mehr. Es ist nicht Ende von etwas, sondern ein Anfang. Sogar eine doppelte Chance. Unser Bildungssystem ist heute viel durchlässiger als in der Vergangenheit. Der spätere Wechsel nach einer Berufsausbildung ins Studium ist möglich, aber ebenso die Karriere im erlernten Beruf. Insbesondere wenn ich daran denke, dass in den kommenden Jahren eine Viertelmillion Betriebe eine Nachfolge für die Übernahme suchen.

Diese Nachricht wollen wir an alle Schülerinnen und Schüler senden, die sich gerade überlegen, wie es nach dem Abschluss weitergehen soll. Und an die Eltern, deren Unterstützung ganz entscheidend ist: Gesellschaftlicher Aufstieg geht nicht nur mit Abitur und Studium. Aber insbesondere ist berufliche Bildung kein Abstieg. Im Gegenteil: Für manchen Jugendlichen ist vielleicht die berufliche Bildung der bessere Bildungsweg. Oder wie jemand sagte: Eine echte Bildungsgerechtigkeit ist noch nicht erreicht, wenn mehr Kinder aus Arbeiterfamilien studieren, sondern wenn es nicht mehr als Makel empfunden wird, wenn Kinder aus Akademikerfamilien einen guten Beruf lernen.

Drittens: Berufliche Bildung bedeutet fachliche Exzellenz.

Auch im Jahr 2018 bleibt das Wichtigste das handwerkliche Können. Wir erwarten zu Recht: Wer eine Ausbildung oder eine Lehre gemacht hat, der beherrscht sein Geschäft von der Pike auf. Als wir gestern bei den Orgelbauern in Ludwigsburg waren, sind wir gar nicht mehr aus dem Staunen gekommen. Dieses Können ist einzigartig und weltweit gesucht. Diese fachliche Exzellenz ist und bleibt der Kern der beruflichen Bildung.

Aber wird das auch in Zukunft ausreichen? Arbeitsmarktforscher denken schon einen Schritt weiter. Neben der beruflichen Qualifikation werden neue Tugenden immer wichtiger. Dazu gehören soziale Kompetenz und digitale Affinität. Das muss sich auch in der Ausbildung widerspiegeln. Nach dieser Woche sind wir optimistischer als vorher. An der Berufsschule in Bietigheim-Bissingen waren wir bei Mechatronikern im Unterricht. Wobei Unterricht das falsche Wort ist. Es war eine richtige Lernfabrik 4.0. Die Auszubildenden steuerten mit ihren Laptops eine gesamte Produktionsstraße. Das war wirklich beeindruckend! Wenn diese neuen Lehr- und Lernwelten bundesweit Wirklichkeit werden, dann mache ich mir um die Zukunft der beruflichen Bildung keine Sorgen!

Das bringt mich zu der vierten Schlagzeile: Berufliche Bildung ist ein Integrationsmotor.

Ausbildungsbetriebe und Berufsschulen tun dafür mehr, als wir das meist wahrnehmen. Heute Nachmittag werden wir eine Vermittlungsstelle für Azubis in Essen besuchen. Wir sind gespannt, wie Jugendliche mit Migrationshintergrund in zweiter oder dritter Generation als medizinische Fachangestellte ausgebildet werden. Das ist nur ein Beispiel, wie die berufliche Bildung seit Jahrzehnten zur gelungen Integration in Deutschland beiträgt.

Natürlich: Die Fluchtbewegungen der letzten Jahre stellen uns vor ganz neue Herausforderungen. Aber auch hier waren die Träger der beruflichen Bildung unter den Ersten, die die Ärmel hochgekrempelt haben, um anzupacken. Mehr als 10.000 Geflüchtete nahmen im Jahr 2017 eine Ausbildung oder eine Lehre auf. Das sind deutlich mehr als im Jahr zuvor. Jeder vierte Mittelständler beschäftigt Geflüchtete. Alle profitieren, wenn wir das Potential aller Menschen in diesem Land nutzen. Denn das beste Mittel zur Integration ist und bleibt die Integration durch Arbeit. Und Arbeit setzt Ausbildung voraus! Für Ihren Einsatz danken wir Ihnen sehr herzlich!

Zuletzt ermöglicht berufliche Bildung einen Blick über den Tellerrand – denken Sie nur an die traditionellen Wanderjahre.

Erasmus für Studenten ist heute selbstverständlich. Es ist Zeit, dass auch viel mehr Lehrlinge und Auszubildende die Chance auf einen Auslandsaufenthalt bekommen. Denn Europa ist der Arbeits- und Dienstleistungsmarkt der Zukunft und eine spannende und reizvolle Perspektive gerade für junge Leute.

Bei der Handwerkskammer in Potsdam haben wir junge Erwachsene getroffen, die diesen Sprung ins Ausland wagen. Wir trafen zwei Auszubildende, die vor Begeisterung strahlten und mit glänzenden Augen von ihrem europäischen Abenteuer in Italien und Spanien erzählten. Die eine, Tischlerin, sollte eigentlich nur eine Woche bei einem Holzbildhauer hineinschnuppern. Es kam anders und sie blieb ein paar Wochen länger, so begeistert war sie von dieser Chance. Ohne Sprachkenntnisse ging sie nach Spanien, zurück kamen sie mit neuen Freundschaften, neuen beruflichen Fähigkeiten und einem neuen Blick auf Europa. Das ist unendlich wichtig, denn die europäische Einigung geht uns alle an. Ich weiß, dass die Arbeitgeberverbände, die Kammern und die Gewerkschaften hier fest an unserer Seite stehen – auch dafür unseren herzlichen Dank!

Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch einmal über den Horizont dieser Woche der beruflichen Bildung hinaus schauen. Meine Frau und ich, wir finden beide, dass wir der beruflichen Bildung viel mehr und viel Grundsätzlicheres verdanken, als das, was ich eben skizziert habe. Für gleichwertige Lebensverhältnisse überall in Deutschland, brauchen wir auch überall gleichwertige Chancen auf Ausbildung und Beschäftigung. Das geht nicht ohne berufliche Bildung.

Vielleicht haben Sie an Bushaltestellen oder Bahnhöfen auch eines der Plakate gesehen, mit denen das Handwerk für sich wirbt. Darauf der Slogan: Die Wirtschaftsmacht. Von nebenan. Das mit der Wirtschaftsmacht wusste ich auch schon vorher. Aber das Plakat hat mich noch an etwas anderes erinnert: Die berufliche Ausbildung ist in der ganzen Breite unseres Landes verankert. Damit stärkt sie auch lokale Bindungskräfte, die unschätzbar wichtig sind für den Zusammenhalt und dafür, dass sich die Menschen bei sich zu Hause fühlen. Berufliche Bildung ist unverzichtbar, damit Menschen überall in Deutschland, in der Stadt wie auf dem Land, eine Zukunft für sich sehen.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Uns geht es nicht um eine Lizenz zum Daheimbleiben. Im Gegenteil. Gerade habe ich beschrieben, wie wichtig wir es finden, dass junge Menschen auch in Ausbildung und Lehre aus ihrer Komfortzone herausmüssen. Aber wir wollen keinen Zwang zum Wegziehen, nur weil es keine Ausbildungsbetriebe und Berufsschulen in der Nähe gibt. Wir wollen, dass junge Menschen sagen können: Ja, ich habe mit meinem Beruf eine Zukunft in meiner Region.

Aber dafür brauchen wir gute Berufsschulen überall in Deutschland, nicht nur in den Ballungsräumen. Ich finde es sehr gut, dass in der Koalitionsvereinbarung der neuen Regierung bei der Ausstattung der Berufsschulen ein Schwerpunkt gesetzt wird – es ist höchste Zeit!

Diese Woche hat uns beide nochmals überzeugt: Die berufliche Bildung ist gut für die Auszubildenden und Lehrlinge. Sie ist gut für unsere Wirtschaft. Und sie ist gut für unser Land. Damit das auch so bleibt, müssen wir diesen Schatz bewahren und mehren. Und das ist eine gemeinsame Verantwortung von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften. Den Bundespräsidenten und seine Frau haben Sie dabei fest an Ihrer Seite!

Jetzt freue ich mich auf das Gespräch mit Ihnen. Herzlichen Dank!