Einweihung einer Gedenktafel zur Erinnerung an Hugo und Maria Heymann vor der Dienstvilla des Bundespräsidenten in Berlin-Dahlem

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 4. Juni 2018

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 4. Juni bei der Einweihung einer Gedenktafel zur Erinnerung an Hugo und Maria Heymann vor seinem dienstlichen Wohnsitz in Berlin-Dahlem eine Ansprache gehalten: "Wenn wir der Heymanns gedenken, erinnern wir gleichzeitig an die ungezählten und an die noch unerzählten Geschichten der Familien, die unter dem Rassenwahn und dem Terror des Naziregimes gelitten haben."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender enthüllen eine Gedenktafel zur Erinnerung an Hugo und Maria Heymann in Berlin Dahlem vor der Dienstvilla des Bundespräsidenten

– Kurze Ansprache bei der Enthüllung der Gedenktafel vor der Dienstvilla –

Wir erinnern an Hugo und Maria Heymann, die in diesem Haus gewohnt haben, glückliche Tage verbrachten, und hier gemeinsam leben wollten.

Hugo Heymann war ein deutscher Geschäftsmann. Und er war jüdischen Glaubens. Mit dem Beginn des Rassenwahns und mit der Zunahme der Verfolgung jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger entschied sich die Familie, das Haus zu verkaufen, und versuchte, aus Hitlerdeutschland zu fliehen.

Die Flucht misslang. Die Familie geriet immer stärker unter Druck. Hugo Heymann wurde mehrfach von der Gestapo verhaftet. Er wurde gefoltert. Er verstarb morgen vor 80 Jahren, am 5. Juni 1938.

Mit der Entreißung des Grundstücks, mit der Vereitelung der Flucht, wurde ihnen ihre Zukunft genommen.

Es ist meiner Frau und mir ein tiefes Bedürfnis – und ich glaube, meinem Amt eine Verpflichtung –, an die Lebensgeschichte der Heymanns zu erinnern und diese Erinnerung auch sichtbar zu machen. Wir wollen beiden ein ehrendes Angedenken bewahren.

– Ansprache im Kaminzimmer in der Dienstvilla –

Wir stehen hier – vermutlich – im Salon der Familie Heymann. Frisch verheiratet ziehen Maria und Hugo Heymann 1927 in ihr Haus, richten sich ein, planen ihr gemeinsames Leben. Ein Leben, das nur sechs Jahre später aus den Fugen geraten sollte.

Aus den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 geht die NSDAP als stärkste Kraft hervor. Die Weimarer Demokratie ist in einem verzweifelten Überlebenskampf. Das Parlament durch Notverordnungen praktisch schon entmachtet. Mit der SA terrorisiert eine rechtsextremistische Bürgerkriegsarmee die verbliebenen Kräfte der Demokratie. Es mehren sich Anschläge auf politische Gegner und jüdische Einrichtungen.

In diesem Klima der Gewalt und der Angst warnt der SPD-Reichstagsabgeordnete Sollmann im Herbst 1932 das Ehepaar vor der drohenden Machtübernahme der Nationalsozialisten. Hugo Heymann war jüdischen Glaubens. Juden, so Sollmanns dringende Warnung, würden in Deutschland schwerste Repressalien drohen. Er rät den Heymanns, finanziell […] beweglich zu sein und sich auf auf große Veränderungen in [der] persönlichen Lage einzustellen.

Unter dem Druck drohender Verfolgung verkaufen die Heymanns im Februar 1933, nur sieben Tage nach der Machtergreifung, überstürzt das Anwesen an einen Verleger, der im Verlauf der 1930er Jahre zum Förderer des NS-Regimes wird. Maria Heymann, spätere Kaps, sie hatte nach dem Tod ihres Mannes wieder geheiratet, erinnert sich nach dem Krieg, ich zitiere: Wir hatten das erste Mal zu fühlen bekommen, in welche Lage man gedrückt worden war, dass man rechtlos geworden und eine fürchterliche Veränderung eingetreten war.

Fortan bereiten die Heymanns sich auf ihre Flucht vor: Sie verkaufen Hab und Gut, finden zuletzt noch Zuflucht im Hotel Savoy, sitzen auf gepackten Koffern, bangen um ihre Ausreise. Als die Gestapo den letzten Rest ihres Eigentums aus dem Hotelsafe beschlagnahmt, hat sich ihre Hoffnung auf Rettung bereits zerschlagen.

Hugo Heymann war mehrfach verhaftet und tagelang verhört worden. Als er nach einem solchen Verhör freikommt, ist sein Hemd blutverschmiert. Wenige Tage später, am 5. Juni 1938, morgen vor 80 Jahren, verstirbt Hugo Heymann. Wir wissen, mit welcher Brutalität die Gestapo Nazigegner quälte. Wir können nur ahnen, was Hugo Heymann erlitt.

Trotz intensiver Nachforschung wissen wir nicht viel über das Leben des Ehepaars, wir haben bislang nicht einmal ein Foto von Hugo Heymann finden können. Fast scheint es so, als hätten die Nazis ihr Ziel erreicht, die Erinnerung an die Heymanns auszulöschen.

Daran, dass das verhindert wurde und dass wir uns heute in ehrendem Gedenken versammeln, waren viele beteiligt. Für Aufklärung und Aufarbeitung bedanke ich mich bei:

Dr. Julien Reitzenstein, der mit seinen Nachforschungen den Stein ins Rollen brachte; Professor Michael Wildt, der mit seinen Mitarbeitern für ein Gutachten intensiv in den erreichbaren Archiven und Quellen recherchiert und Kontakt zu den Nachkommen der Familie aufgenommen hat, um die Hintergründe des Verkaufs der Villa zu rekonstruieren; Josef Schuster, Herrn Nachama und dem Zentralrat der Juden, die uns mit Leidenschaft, Rat und Tat begleitet haben; der Stolpersteininitiative, die den Heymanns vor ihrer letzten frei gewählten Wohnung in Berlin-Schmargendorf einen weiteren Ort des Gedenkens gewidmet hat; der Bundeszentrale für politische Bildung, und der Gedenktafelkommission von Charlottenburg-Wilmersdorf.

Ihnen allen möchten meine Frau und ich heute noch einmal ganz ausdrücklich danken.

Seit 1962 ist diese Villa im Besitz des Bundes. Sie hat über die Jahrzehnte vielen Zwecken gedient. Seit 2004 ist sie – das wissen Sie – der dienstliche Wohnsitz des Bundespräsidenten. Für das deutsche Staatsoberhaupt leitet sich aus dieser staatlichen Verwendung eine besondere Verantwortung ab – eine Pflicht zur Aufklärung und Erinnerung, die lange auf sich hat warten lassen.

Als mich die Erkenntnisse zur Geschichte dieses Hauses erreicht haben, war mir wichtig, dass eine Verständigung über ein angemessenes Gedenken gefunden würde, bevor meine Frau und ich die Wohnung in der Dienstvilla beziehen. Ich freue mich, dass uns das im Verlauf des vergangenen Jahres gemeinsam gelungen ist und dass wir es heute umsetzen können. Mit der Gedenktafel haben wir heute ein sichtbares und bleibendes Zeichen der Erinnerung an Hugo und Maria Heymann enthüllt.

Aber die Erinnerung darf sich nicht auf die Gedenktafel beschränken. Wenn wir der Heymanns gedenken, erinnern wir gleichzeitig an die ungezählten und an die noch unerzählten Geschichten der Familien, die unter dem Rassenwahn und dem Terror des Naziregimes gelitten haben. Es gibt in unserer Vergangenheit keinen Raum, vor dem wir die Augen verschließen dürfen, keinen Platz für Bagatellisierung oder Verdruckstheit. Auch wenn manches scheinbar ganz im Dunkeln liegt oder in Graubereichen verschwimmt, haben wir die Pflicht, es auszuleuchten!

Denn in Aufklärung und in Erinnerung der Verbrechen liegt zugleich eine hochaktuelle Verpflichtung: Der Antisemitismus ist nicht überwunden, auch nicht in unserem Land und er zeigt sein böses Gesicht in vielfältigem Gewand. Nichts davon, keinen lauten Antisemitismus, keinen leisen, keinen alten und keinen neuen, dürfen wir in Deutschland hinnehmen – Antisemitismus darf keinen Platz haben in dieser Republik!

Nicht nur eine Gedenktafel, sondern diese Verpflichtung an uns selbst, an jeden von uns, schulden wir Hugo und Maria Heymann. Vielen Dank.