Eröffnung des Thomas-Mann-Hauses

Schwerpunktthema: Rede

Los Angeles/USA, , 18. Juni 2018

Der Bundespräsident hat am 18. Juni bei der Eröffnung des Thomas-Mann-Hauses in Los Angeles eine Ansprache gehalten: "Welche Gesellschaftsform wäre besser geeignet für 'die Schwierigkeit und den Adel', für die Herausforderung und das Abenteuer des Menschseins als die unsere – eine freie und demokratische Gesellschaft! Das Ringen um Demokratie, das Ringen um eine freie und offene Gesellschaft ist das, was uns, die Vereinigten Staaten und Deutschland, auch weiterhin verbinden wird."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache bei der Eröffnung des Thomas-Mann-Hauses in Los Angeles anlässlich seiner Reise in die USA

Was für ein wunderbarer Augenblick für viele von Ihnen, die hart auf diesen Tag hingearbeitet haben, mit so viel Leidenschaft und persönlichem Engagement. Es ist auch ein wunderbarer Augenblick für meine Frau und mich persönlich sowie für viele derer, die mit uns, gestern spät nachts, im Flieger aus Deutschland hier gelandet sind. Und ich bin überzeugt, dass es in diesen stürmischen Zeiten auch ein wunderbarer Augenblick für die Freundschaft zwischen unseren Ländern ist.

Heute Abend richtet sich die Aufmerksamkeit unserer transatlantischen Gemeinschaft auf ein anderes Weißes Haus. Dieses Haus hier war tatsächlich nicht nur das Heim einer Familie, nicht nur ein Ort, an dem gedacht und geschrieben wurde, der Mittelpunkt von Weimar am Pazifik, ein Zentrum für Literatur, Musik, Film und Kunst. Nein, es war auch ein politisches Weißes Haus, und Thomas Manns Arbeitszimmer war gewissermaßen das Oval Office der Exil-Opposition gegen Hitlers Terrorherrschaft in Berlin.

Frido Mann hat mir eine seiner frühesten Kindheitserinnerungen geschildert, die mich tief beeindruckt hat. Der kleine Junge steht kurz vor seinem 4. Geburtstag in dem sonnendurchfluteten Haus, und er spürt eine Unruhe im Haus: hektische Telefonanrufe, verstohlene Besucher, alles in Bewegung, rings um ihn her. Es ist der 21. Juli 1944. Das Attentat auf Hitler ist fehlgeschlagen. Doch die Nachrichten des Vortages, die nach und nach eintreffen, lösen bei der Familie nicht Enttäuschung oder Resignation aus – nein, es macht sich vielmehr eine neue Hoffnung breit, dass dies doch endlich der Anfang vom Ende des verhassten Diktators sein muss.

Ich danke Ihnen, Frido und Christine Mann, sehr herzlich, dass Sie uns anlässlich dieses wunderbaren Ereignisses eine unvergessliche Führung durch dieses Haus gegeben haben.

Und vor allem danke ich den vielen, vielen Freunden und Partnern hier in diesem Garten, die diesen wunderbaren Augenblick ermöglicht haben: engagierte Abgeordnete des Deutschen Bundestages, leidenschaftliche Unterstützer aus dem Auswärtigen Amt, das deutsche Generalkonsulat hier in Los Angeles und natürlich das gesamte Team der Villa Aurora; die großzügigen Spender aus der Berthold Leibinger Stiftung, der Robert Bosch Stiftung und der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Liebe Freunde, ich danke Ihnen allen von ganzem Herzen!

Auch die Nachbarn möchte ich an dieser Stelle erwähnen. Falls heute Abend einige Nachbarn unter uns sein sollten, möchte ich mich als Präsident der Bundesrepublik Deutschland ganz offiziell für den Baulärm entschuldigen. Im Gegenzug kann ich Ihnen aber ein paar wirklich interessante neue Nachbarn versprechen.

Lassen Sie mich nun diese neuen Nachbarn willkommen heißen: die ersten Thomas-Mann-Fellows, Jutta Allmendinger, Yiannos Manoli, Burghart Klaußner und Heinrich Detering. Herzlich willkommen am San Remo Drive!

Ich möchte an dieser Stelle auch an unsere Freundin, eine Freundin der transatlantischen Beziehungen erinnern, die heute unter den ersten Fellows sein sollte und letztes Jahr im Herbst unter tragischen Umständen verstarb. Wir alle vermissen Sylke Tempel.

Allen neuen Fellows möchte ich Folgendes mit auf den Weg geben: Ihre Arbeit hier wird wichtig sein. Sie unternehmen diese transatlantische Reise in einer Zeit der politischen Turbulenzen – Turbulenzen auf beiden Seiten des Atlantiks, aber auch zwischen unseren beiden Ländern.

Bei der Vorbereitung auf diese Reise bin ich in den Briefen Thomas Manns auf eine Episode aus den Nachkriegsjahren gestoßen. 1951, kurz vor dem zweiten Schweizer Exil, fand sich Thomas Mann gefangen zwischen einem Amerika, das in der Paranoia des McCarthyismus versank, und einem Europa, das vom Krieg physisch und moralisch verwüstet war. In dieser Lage schreibt er einem anderen Schriftsteller im Exil, Erich von Kahler, von seinen Sorgen. Von Kahler klingt in seiner Antwort an Thomas Mann zwar ähnlich bekümmert, kann jedoch nicht widerstehen, seinem Freund folgende bissige Geschichte zu erzählen: Zwei Freunde fahren über den Atlantic, der eine von Europa nach Amerika, der andre von Amerika nach Europa. In der Mitte des Ozeans treffen sich die Schiffe, fahren aneinander vorbei. Die Freunde stehn an der Reling, erkennen einander und rufen beide unisono dasselbe hinüber: 'Bist du wahnsinnig?'

Zufällig weiß ich, dass einer unserer Thomas Mann Fellows tatsächlich mit dem Schiff nach Amerika gekommen ist, aber ich weiß nicht, Burghart Klaußner, ob Sie auf hoher See jemanden getroffen haben, der in die entgegengesetzte Richtung unterwegs war. Und natürlich habe ich keine Ahnung, was man sich in einem solchen Falle zugerufen hätte.

Ja, es sind stürmische Zeiten. Doch dadurch wird Ihre Arbeit als Fellows umso wichtiger. Um den Horizont für diese Arbeit abzustecken, lassen Sie mich ein letztes Mal Thomas Manns zeitlose Worte zitieren, aus Zürich, 1947: Sofern es […] um die Anpassung der menschlichen Gesellschaft an die Erfordernisse der Weltstunde geht, ist gewiss mit Konferenzbeschlüssen, technischen Maßnahmen, juridischen Institutionen wenig getan. Notwendig zunächst ist eine Wandlung des geistigen Klimas, ein neues Gefühl für die Schwierigkeit und den Adel des Menschseins.

Liebe Freunde, ich frage Sie: Welche Gesellschaftsform wäre besser geeignet für die Schwierigkeit und den Adel, für die Herausforderung und das Abenteuer des Menschseins als die unsere – eine freie und demokratische Gesellschaft! Das Ringen um Demokratie, das Ringen um eine freie und offene Gesellschaft ist das, was uns, die Vereinigten Staaten und Deutschland, auch weiterhin verbinden wird.

Dafür haben wir dieses Haus erworben. Dafür haben wir es wunderschön, wohnlich und einladend ausgestattet. Mögen die Fellows dieses Haus mit demokratischem Geist erfüllen – und mit Debatten, die Kontinente überbrücken. In meiner morgigen Rede werde ich auf all das näher eingehen. Aber für mich ist eben das der Kern, dem dieser historische Ort und diese neuen Fellowships verschrieben sein sollen: eine Wandlung des geistigen Klimas, ein neuer Geist, in dem die Demokratie gedeihen wird. Ich bin sicher, Thomas Mann wäre stolz, dass sein geliebtes Zuhause am San Remo Drive eine transatlantische Zukunft hat.

Vielen Dank.