Begegnungsreise mit dem Diplomatischen Korps

Schwerpunktthema: Rede

Bremen, , 27. Juni 2018

Der Bundespräsident hat am 27. Juni bei der Informationsreise mit dem Diplomatischen Korps nach Bremen eine Ansprache gehalten: "Im Europäischen Rat am kommenden Wochenende steht mit der Frage der Migration eine der größten Herausforderungen unserer Zeit auf der Agenda. Sie alle wissen es: Dieses Thema bewegt die Menschen in ganz Europa, es entscheidet über Wahlen und Regierungen. Vor allen Dingen aber entscheidet die Frage, ob uns hier eine gemeinsame europäische Lösung gelingt, auch über den künftigen Zusammenhalt in Europa!"

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache im Festsaal des Bremer Rathauses bei der Informations- und Begegnungsreise mit dem Diplomatischen Korps und den Missionschefs internationaler Organisationen nach Bremen und Bremerhaven

Lieber Herr Bürgermeister Sieling, ich will dem Doyen nicht ungebührlich vorgreifen, aber ich glaube, ich kann wirklich für alle hier im Saal sprechen, wenn ich Ihnen gleich zu Beginn erstmal ein ganz herzliches Dankeschön sage: Für Ihre Gastfreundschaft, jetzt hier bei Ihnen im prächtigen Bremer Rathaus, vor allen Dingen aber für die Zeit, die Sie dem Diplomatischen Korps und mir heute schenken, indem Sie uns den ganzen Tag in Bremen und Bremerhaven begleiten. Wir alle wissen das sehr zu schätzen. Danke dafür!

Exzellenzen, verehrte Mitglieder des Diplomatischen Korps: Unsere jährlichen gemeinsamen Reisen in die deutschen Länder sind gute Tradition für den deutschen Bundespräsidenten. Viele von Ihnen erinnern sich sicher noch an unsere erste gemeinsame Reise im vergangenen Jahr, ins Gartenreich von Dessau-Wörlitz und quer durch Sachsen-Anhalt. Und heute also hier, in der Freien Hansestadt Bremen, dieser altehrwürdigen Republik von Händlern und Seefahrern.

Wie besonders Bremen ist, das weiß ich spätestens seit dem Jahr 2016. Damals, noch als Außenminister, war ich Festredner bei der traditionellen Schaffermahlzeit, einer jahrhundertealten Tradition, mit der die enge Verbindung zwischen Kaufleuten und Seefahrern jedes Jahr gefeiert wird. Und zwar genau hier, in der Oberen Halle, unter diesen vier prächtigen Schiffsmodellen, die wir auch heute über uns sehen, allerdings in Frack und mit weißer Schleife!

Mit der feierlichen Tradition dieses Brudermahls feiert Bremen jedes Jahr die gute Zusammenarbeit von zwei Berufsständen, deren Harmonie und Dialog über Jahrhunderte hinweg der Eckstein für bremische Sicherheit und bremischen Wohlstand waren. Miteinander reden, einander zuhören, die Argumente des anderen ernstnehmen – diese republikanischen Tugenden werden hier in Bremen ganz besonders – und schon ganz besonders lange – gepflegt.

Ich finde, wenn heute auf der internationalen Bühne der Wert von Dialog, Verständigung und der Suche nach friedlichem Interessenausgleich offen in Frage gestellt wird, ja wenn gerade auch die Rolle von multilateraler Diplomatie an sich bezweifelt wird, und wenn zugleich eine neue Logik von Konfrontation, Kompromisslosigkeit und jeder gegen jeden in Mode kommt – dann ist dieser Ort hier doch genau der richtige, um diese großen Tugenden auch unter Diplomaten noch einmal zu bekräftigen!

Die vier Schiffe hier unter der Decke, die stehen übrigens nicht nur für den Wohlstand Bremens, sondern auch für den Entdeckergeist der Bremer. Vor allen Dingen dank der mutigen Seeleute und Händler war diese Stadt schon vor mehr als 750 Jahren ein prosperierendes Zentrum der Hanse. Zu einer Zeit übrigens, als an der Spree erst noch die Sümpfe trockengelegt werden mussten.

Die Bremer Seefahrer und Hanseaten jedenfalls, sie sind schon im Mittelalter über die Nordsee gesegelt, nach England und nach Skandinavien, nach Frankreich und bis ins Baltikum, und weit darüber hinaus. Später, im 19. Jahrhundert, wurde Bremen das Sprungbrett für eine ganz andere Gruppe von Entdeckern: für Auswanderer aus ganz Mittel- und Osteuropa, die ihr Glück in der Neuen Welt suchen mussten, und die meisten von ihnen wegen der Armut in Deutschland. Zeitweise waren es zwei von fünf ankommenden Europäern, die sich in Bremen für ihre Reise in die USA eingeschifft haben. Und auch für diejenigen, die sich in den dunkelsten Jahren der deutschen Geschichte auf die Flucht vor Gewalt und Verfolgung machten, auch für sie war Bremen häufig das letzte Stück Heimat vor dem rettenden Sprung in die Fremde. Wir werden heute Nachmittag im Auswandererhaus sicherlich noch viel darüber lernen können – manches wird uns bei den Erläuterungen im Haus beunruhigend aktuell vorkommen.

Im Europäischen Rat am kommenden Wochenende steht mit der Frage der Migration eine der größten Herausforderungen unserer Zeit auf der Agenda. Sie alle wissen es: Dieses Thema bewegt die Menschen in ganz Europa, es entscheidet über Wahlen und Regierungen. Vor allen Dingen aber entscheidet die Frage, ob uns hier eine gemeinsame europäische Lösung gelingt, auch über den künftigen Zusammenhalt in Europa! Deshalb erwarte ich, dass alle Staats- und Regierungschefs auf diesem Rat sehr ernsthaft um eine Lösung ringen und sie hoffentlich finden werden. Eine Lösung, die wichtige Prinzipien der europäischen Zusammenarbeit, die uns in der Vergangenheit getragen haben, am Ende auch respektiert. Einerseits eine sinnvolle Steuerung der Migration und die gemeinsame Kontrolle unserer Außengrenzen – zugleich aber auch das andere, die Orientierung an unseren gemeinsam vereinbarten Grundwerten und am Grundsatz, europäische Lasten auch in europäischer Solidarität gemeinsam zu schultern. Ich bin zuversichtlich, dass hier ein europäischer Kompromiss möglich ist. Mehr noch: Ich finde, er muss uns gelingen, jedenfalls dann, wenn alle der gemeinsamen Überzeugung sind, dass uns die Zukunft Europas etwas bedeutet!

Zurück an die Weser. Durch das Bremer Tor zur Welt konnte man nämlich schon immer in beide Richtungen gehen, und so hat das Entdeckertum in Bremen auch umgekehrt funktioniert. Für viele tausend amerikanische Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg zum Beispiel war die Wesermündung der erste Fleck Europas, den sie für sich entdecken konnten. Eher ungewöhnlich für eine Hansestadt war sicherlich der royale Besuch, als im Jahr 1958 mit Elvis Presley hier zum ersten Mal der King Fuß auf den Boden der alten Welt gesetzt hat.

Und heute? Einen kleinen Einblick haben wir ja am Vormittag bekommen. Ariane und Galileo stehen im 21. Jahrhundert nicht mehr nur für griechische Mythologie oder italienische Renaissance. Sie stehen auch für ganz modernes Entdeckertum – hinaus ins Weltall. Und dabei mischt Bremen ganz vorn mit. Die Raumfahrt steht aber auch für Europa und für gelungene internationale Zusammenarbeit. Wie Sie wissen, arbeitet gerade dieser Tage der europäisch-deutsche Astronaut Alexander Gerst auf der Internationalen Raumstation ISS gemeinsam mit einer US-amerikanischen Astronautin und einem russischen Kosmonauten an der friedlichen Entdeckung und Nutzung des Weltraums. Ein, wie ich finde, wichtiges Zeichen funktionierender Zusammenarbeit in alles andere als einfachen Zeiten.

Dass solche Zeichen heute so wichtig sind, dass die auf Regeln und Vereinbarungen basierende, multilaterale Nachkriegsordnung mehr unter Druck steht als je zuvor – all das haben wir uns hier in Deutschland wahrlich nicht herbeigewünscht. Aber wir müssen diese Entwicklungen zur Kenntnis nehmen und unsere Schlüsse daraus ziehen, und wir werden sie – so meine Hoffnung – vor allem als Ansporn und als Aufgabe verstehen, uns nicht auf uns selbst zurückzuziehen. Die Freie Hansestadt Bremen steht beispielhaft für ein solches weltoffenes Deutschland. Deutschland kann und will Verantwortung übernehmen, in Europa, aber auch darüber hinaus.

In den vergangenen beiden Jahren war Deutschland im Vorsitz der OSZE und der G20, und ab kommendem Jahr übernehmen wir auch im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wieder als nichtständiges Mitglied eine wichtige Rolle in der Welt. Wir Deutsche nehmen diese Verantwortung sehr ernst, und ich bin davon überzeugt, dass große Ernsthaftigkeit in diesen Tagen auch angezeigt ist, denn es steht viel auf dem Spiel. An dieser Stelle möchte ich es nicht versäumen, dem Diplomatischen Korps für die überwältigende Unterstützung und das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft zu danken, die in der Wahl unseres Landes in den Sicherheitsrat zum Ausdruck gebracht wurden.

Zum Schluss noch ein Gedanke. Mit dem Entdeckergeist ist das ja so eine Sache. Es kann alles gut gehen, darauf zählt man schließlich. Aber man muss sich schon auch darauf einstellen, dass einem am Ende das Entdeckte gar nicht so sehr gefallen will, wie man sich das zunächst gedacht hatte. Mein lieber Botschafter Jong, in diesem Sinn müssen wir beide heute Nachmittag wohl die Dinge auf uns zukommen lassen. Ich freue mich jedenfalls, wenn viele von Ihnen den Herrn Botschafter und mich emotional beim Fußballschauen unterstützen – und ansonsten weiß ich gut, dass eine Hafenrundfahrt in Bremerhaven bei jedem Wetter ein Genuss ist!

Sehr verehrter Herr Nuntius, lassen Sie mich jetzt noch einmal im Namen von uns allen Herrn Bürgermeister Sieling danke sagen. Ich mache das ganz kurz und knapp, genau wie Elvis das vor 60 Jahren schon gesagt hat: We are very happy to be here!

Vielen Dank.