Empfang für Stipendiaten der Alexander von Humboldt-Stiftung

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 28. Juni 2018

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 28. Juni die Stipendiaten der Alexander von Humboldt-Stiftung in Schloss Bellevue empfangen. In seiner Ansprache sagte er: "Wissenschaft ist immer in Bewegung. Sie bringt keine endgültigen Wahrheiten hervor, sondern immer nur vorläufige Antworten auf konkrete Fragen. Gerade weil ihre Ergebnisse und Methoden immer wieder überprüft und auch korrigiert werden können und müssen, lebt Wissenschaft von einer rationalen Streitkultur – und gerade das verbindet sie mit der richtig verstandenen Demokratie."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache beim Empfang für Stipendiatinnen und Stipendiaten der Alexander von Humboldt-Stiftung im Schlosspark von Schloss Bellevue

Es ist schon eine Weile her, dass Alexander von Humboldt persönlich zu Gast war hier in diesem Schloss, in dem Gebäude, das Sie hinter mir sehen. Empfangen wurde er damals nicht von einem Bundespräsidenten, sondern von Prinz Ferdinand von Preußen, der sich hier an der Spree, mitten im Grünen, ein so genanntes Lustschloss hatte bauen lassen, umrahmt von Gewächshäusern, Gartensalons und einer Meierei.

Worüber damals gesprochen wurde, ob es Humboldt hier in Bellevue gefallen hat, das weiß ich leider nicht. Aber ein Selfie mit dem Prinzen wird Alexander wahrscheinlich damals nicht geschossen haben. Und seine Begeisterung für Berlin, die war auch nicht gänzlich ungetrübt: Mal beschrieb er seine Geburtsstadt als klein, unliterarisch und dazu überhämisch, mal als moralische Sandwüste, geziert durch Akaziensträucher und blühende Kartoffelfelder.

Aber das ist, wie gesagt, schon eine ganze Weile her. Heute ist Berlin eine lebendige, eine kreative Stadt, die Künstler und Wissenschaftler aus aller Welt anzieht. Preußische Prinzen gibt es noch, aber nicht mehr hier in Bellevue, und wie Sie sehen, sind auch Meierei und Gewächshäuser heute verschwunden.

Was aber mit Ihnen, liebe Stipendiaten und Forschungspreisträger, jedes Jahr wieder zurückkehrt an diesen Ort, das ist der Geist von Alexander von Humboldt. Es ist der Geist eines Forschers, Humanisten und Kosmopoliten, der es wie kaum ein anderer Zeitgenosse verstanden hat, über Fächer- und Ländergrenzen hinauszudenken.

Ich freue mich sehr, die internationale Familie der Humboldtianer nun schon zum zweiten Mal in meiner Amtszeit hier in diesem wunderschönen Park begrüßen zu können. Rund 600 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind heute hier, aus allen Teilen der Welt und aus ganz vielen unterschiedlichen Fachgebieten. Viele haben, wie ich sehe, ihre Partnerin oder ihren Partner mitgebracht, und wie im letzten Jahr, und darüber freue ich mich ganz besonders, sind auch viele Kinder hier. Es ist schön, dass Sie alle nach Deutschland gekommen sind, in unser weltoffenes Land, das ein Land der Wissenschaft und der Forschung ist und bleiben wird. Ihnen allen ein herzliches Willkommen!

Alexander von Humboldt, dessen 250. Geburtstag wir im kommenden Jahr feiern werden, hat ferne Länder bereist, er schrieb zehntausende Briefe und pflegte schon damals, unter schwierigeren Bedingungen, Kontakte zu Forschern in aller Welt. Er war ein Netzwerker, der sein Wissen mit anderen teilen und am Wissen anderer teilhaben wollte. Und er hatte schon damals erkannt: Fortschritte sind nur möglich, wenn Menschen gemeinsam an Problemen arbeiten, wenn sie ganz unterschiedliche Perspektiven einnehmen und auf diese Weise auch immer wieder neue Zusammenhänge schaffen.

Humboldt war, in den Worten von Hans Magnus Enzensberger, ein Mann für das 21. Jahrhundert. Denn wir alle hier wissen: In einer Welt, in der Staaten, Volkswirtschaften, Gesellschaften und Kulturen aufs Engste miteinander verflochten sind, können wir die großen Probleme unserer Zeit nur gemeinsam lösen. Was wir in Wissenschaft und Politik brauchen, das sind Austausch und Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg.

Deshalb sehe ich mit Sorge, dass heute in vielen Teilen der Welt die großen Vereinfacher an Zulauf gewinnen, diejenigen, die uns weismachen wollen, dass ausgerechnet Abschottung und Rückzug der richtige Weg seien. Ich sehe mit Sorge, wenn manche die Welt sogar wieder als Arena betrachten, in der jeder gegen jeden kämpft und am Ende das Recht des Stärkeren gilt.

In diesen Zeiten brauchen wir mehr denn je Institutionen, die den Austausch und die weltweite Verständigung fördern. Ich danke der Alexander von Humboldt-Stiftung und allen, die die internationale Wissenschaft unterstützen, von Herzen für ihr Engagement. Sie alle machen Mut, und ich bin mir sicher: Nur Ihr Weg führt in eine gute Zukunft, und dafür will ich Ihnen ganz herzlich Dank sagen!

Wie kaum ein anderer steht Alexander von Humboldt für eine Haltung der geistigen Offenheit und der suchenden Neugier. Er wusste: Wissenschaft ist immer in Bewegung. Sie bringt keine endgültigen Wahrheiten hervor, sondern immer nur vorläufige Antworten auf konkrete Fragen. Gerade weil ihre Ergebnisse und Methoden immer wieder überprüft und auch korrigiert werden können und müssen, lebt Wissenschaft von einer rationalen Streitkultur – und gerade das verbindet sie mit der richtig verstandenen Demokratie.

Heute erleben wir, wie der Glaube an Vernunft und Diskurs vielfältigen Anfechtungen ausgesetzt ist. Überall da, wo Fanatismus, Aberglaube und Verschwörungstheorien um sich greifen, wo Fakten gefälscht oder Lügen als alternative Wahrheiten ausgegeben werden, wo Expertise verächtlich gemacht oder Komplexität schlicht geleugnet wird, wo sogar die Freiheit der Wissenschaft eingeschränkt oder Wissenschaftler verfolgt und bedroht werden – überall da ist heute unser Widerspruch gefragt.

Lieber Herr Professor Pape, Sie haben zu Beginn Ihrer Präsidentschaft gefordert, dass die Wissenschaft sich heute stärker als bisher den gesellschaftlichen Herausforderungen stellen muss. Ich finde, das ist die richtige Haltung in diesen Zeiten, in denen die Fundamente der Wissenschaft und der Demokratie bedroht werden. Es ist gut, wenn Sie sich einmischen, wenn Sie als Bürgerinnen und Bürger Ihre Stimme erheben für Offenheit, für Austausch und für kritische Vernunft. Auch dafür ganz herzlichen Dank!

Alexander von Humboldt war überzeugt, dass Ideen nur nützen können, wenn sie in vielen Köpfen lebendig werden. Er war ein begnadeter Vermittler von Wissenschaft, jemand, der mitreißen und Begeisterung wecken konnte.

Als er damals aus Paris zurückkehrte, wollte er die Menschen in Berlin teilhaben lassen am Kosmos seiner Gedanken. Seinen Vorträgen in der Sing-Akademie hier in Berlin, nur ein paar Kilometer weiter östlich von diesem Ort, lauschten damals Männer und Frauen aus allen Schichten, der Saal platzte förmlich aus den Nähten. Humboldt fesselte die Zuhörer mit seiner Kraft, seinen Assoziationen und seiner poetischen Sprache, und der Funke des Entdeckergeistes und der forschenden Neugier – so hat es Neil MacGregor einmal beschrieben –, der sprang nicht nur über auf den Saal und die Zuhörer, sondern auf die ganze Stadt.

Ich möchte Sie ermutigen, liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten: Vermitteln auch Sie möglichst vielen Menschen, womit Sie sich beschäftigen und warum Sie das tun. Auch wenn es bestimmt nicht einfach ist, einem Laien wie mir etwas über Molekülphysik oder Computerlinguistik zu erzählen: Ich wünsche mir, dass Sie auf Plätzen, in Vereinen und auch Kneipen über Ihre Arbeit sprechen und über die Rolle der Wissenschaft diskutieren. Machen Sie Werbung für den Kosmos des Wissens!

Sie alle bereichern unser Land, als exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, als engagierte Zeitgenossen und als Persönlichkeiten. Und ich hoffe, dass Deutschland auch Sie bereichert, dass Sie etwas mitnehmen, dass Sie uns verbunden bleiben, wenn Sie nach Ihrem Forschungsaufenthalt zurückkehren in Ihre Heimatländer. Die Humboldt-Alumni sind – wie ich weiß, weil ich sie überall getroffen habe auf der Welt – ganz großartige Botschafter Deutschlands, und das eben nicht nur in der Welt der Wissenschaft.

Aber jetzt wünsche ich Ihnen und Ihren Familien erst einmal, dass Sie eine schöne Zeit in Deutschland verbringen, dass Sie inspirierende Menschen kennenlernen und auch Freundschaften schließen. Sie werden sehen: Es lohnt sich, unser Land zu entdecken. Und ich wünsche Ihnen natürlich viel Erfolg für das, was Sie sich als Wissenschaftler für die kommenden Monate vorgenommen haben.

Alexander von Humboldt hat geschrieben: Alles, was ich unternehme, führe ich mit Begeisterung aus. Und ich finde, diese Begeisterung, diese Leidenschaft für die Sache ist den Humboldtianern, ist Ihnen allen bis heute anzumerken und das macht Sie so sympathisch. Ich freue mich auf die Begegnung mit Ihnen und sage Ihnen allen noch einmal bei diesem wunderschönen Sommerwetter:

Herzlich willkommen im Schloss Bellevue!