Staatsbankett in der Republik Finnland

Schwerpunktthema: Rede

Helsinki/Finnland, , 17. September 2018

Der Bundespräsident hat am 17. September beim Staatsbankett in der Republik Finnland eine Ansprache gehalten: "Wir müssen klare Worte und eine klare Haltung gegenüber einem Russland finden, das seine Zukunft leider heute eher in Abgrenzung zu Europa als in Zusammenarbeit sieht. Deutschland befürwortet deshalb eine entschlossene Vertiefung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, in der Finnland eine wichtige Rolle zukommt."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Rede beim Staatsbankett, gegeben vom Staatspräsidenten der Republik Finnland, Sauli Niinistö, und seiner Frau Jenni Haukio im Palais des Staatspräsidenten anlässlich des Staatsbesuchs in Finnland

On hienoa olla täällä tänään! Es ist meiner Frau und mir eine große Ehre, heute hier zu sein. Leider bin ich jetzt mit meinem Finnisch auch schon fast am Ende – und das, obwohl ich über die Jahre reichlich Gelegenheit zum Lernen hatte. Etwa als Banknachbar meiner finnischen Kollegen im Rat der Europäischen Union. Oder, lieber Sauli Niinistö, bei unserer gemeinsamen Eröffnung der Frankfurter Buchmesse vor vier Jahren, als Finnland Partnerland war – was mir übrigens viele gute Bücher für meinen Kaamos bescherte. Und das waren nur zwei Beispiele für viele schöne Erinnerungen, die ich mit Ihrem Land verbinde.

Lieber Herr Staatspräsident, wir kennen uns nun schon seit vielen Jahren. Es ist wunderbar, Sie nach dem Arraiolos-Treffen in Riga vergangene Woche schon heute wiederzusehen. Seit meinem Amtsantritt als Bundespräsident vor anderthalb Jahren haben wir uns viele Male getroffen und miteinander telefoniert. Sie waren der erste Staatspräsident, der mich in Berlin im Schloss Bellevue besucht hat. Und in den letzten vier Tagen haben wir wohl fast mehr Zeit miteinander als ohne einander verbracht! Lieber Sauli Niinistö, ich bin immer wieder beeindruckt von Ihrer leisen und verlässlichen Klugheit, die Sie zu einem so unschätzbaren, freundschaftlichen und sympathischen Gesprächspartner und Ratgeber macht. Jedenfalls kann ich gut nachvollziehen, wie nicht nur ich, sondern auch die große Mehrheit der Finnen rundheraus von Ihnen begeistert ist. Ganz herzlich möchte ich Ihnen deshalb auch hier noch einmal zu Ihrer beeindruckenden Wiederwahl Anfang dieses Jahres gratulieren. Danke, dass Sie heute unser Gastgeber sind!

Der letzte Staatsbesuch eines deutschen Bundespräsidenten in Finnland fiel auf einen dunklen Tag. Es war der 11. September 2001 –ein Tag, dessen Bilder sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt haben. Viele von uns wissen auch heute noch genau, wo wir waren, mit wem wir sprachen, als wir von den Anschlägen gehört haben.

Tarja Halonen und Johannes Rau waren in Helsinki. Sie haben an diesem Nachmittag das strenge Protokoll des Staatsbesuchs durchbrochen, um sich zu beraten und zu telefonieren – um überhaupt erst zu begreifen, was dort in Amerika geschehen war. Doch am Abend fand, trotz allem, ein Empfang im Schwedischen Theater statt. Und der deutsche Bundespräsident sagte damals:

[Wir] sollten uns an diesem Abend versprechen, dass wir und unsere Völker […] in Freundschaft zusammenstehen […]. Hass zerstört die Welt und Hass vernichtet Menschen. Darum geht es: […] Dem Hass zu widerstehen und der Nächstenliebe Raum zu schaffen. Wer nicht hasst, sagt auch Nein zur Gewalt. Wer Nein zur Gewalt sagt, macht das Leben unserer Kinder erst möglich.

Vielleicht lag im Schwedischen Theater an jenem Abend auch etwas von dem in der Luft, was mit einem der wenigen anderen finnischen Wörter gemeint ist, die ich kenne – nämlich dem Wort Sisu. Also dem finnischen Mut, der Kraft und der Ausdauer, selbst in schwierigsten Situationen durchzuhalten und auf ein gutes Ende hinzuarbeiten. Mir hat das ein großer Finne einmal wie folgt erklärt: Sisu bedeutet Mut – nicht den Mut, auf einen Baum zu klettern und hinunterzuspringen. Das ist Dummheit. Sondern den Mut, auf einer schmalen Rennstrecke im finnischen Wald spät zu bremsen, die Kurve eng zu nehmen und früh wieder auf’s Gas zu gehen. Sie ahnen, welchen Ihrer Landsleute ich meine: Es war Mika Häkkinen. Ein Finne übrigens, der die Kurven für den Geschmack seiner deutschen Konkurrenten damals oft allzu schnell genommen hat.

Mit meinem Besuch möchte ich meine Dankbarkeit dafür zum Ausdruck bringen, wie nah sich Finnen und Deutsche heute sind. Unsere Wurzeln sind tief verwachsen, bis in die Zeit der Hanse und der Reformation. Vor 100 Jahren haben das unabhängige Finnland und Deutschland diplomatische Beziehungen aufgenommen – und mit dem finnischen Beitritt zur EU ist unsere Verbindung noch enger geworden. Diese gewachsene Freundschaft ist heute für unsere beiden Völker von großem Wert und von gegenseitigem Nutzen, etwa in der Wirtschaft oder im engen kulturellen Austausch. So war zum Beispiel die finnische Literatur den Deutschen schon vor der Frankfurter Buchmesse 2014 ein Begriff. Ich denke da nicht nur an den Nobelpreisträger Frans Eemil Sillanpää – sondern auch an Die Mumins von Tove Jansson. Welches deutsche Kind kennt sie nicht?

Doch unsere Beziehungen sind auch nach außen hin stark. Deutschland und Europa haben, wenn ich das hier so sagen darf, dem Sisu der finnischen Außenpolitik einiges zu verdanken. Ich denke zum Beispiel an die weit über die Grenzen Finnlands hinaus hochgeschätzten Mediatoren Ihres Landes, allen voran Martti Ahtisaari, die bewiesen haben, dass man das harte Eis internationaler Konflikte mit Hartnäckigkeit, stiller Diplomatie und Courage aufweichen und durchbrechen kann. Diese Beispiele sind uns eine Inspiration – und Mediation ist heute auch aus der deutschen Außenpolitik nicht mehr wegzudenken. Ich muss dabei übrigens an unseren beeindruckenden Besuch auf dem Eisbrecher Polaris heute denken. Dass ein anderes Schiff Ihrer Eisbrecherflotte den Namen Sisu trägt, erscheint mir nur konsequent.

In der Europäischen Union sind Finnland und Deutschland in fast allen wichtigen Fragen gleichgesinnt: von der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, über die Stärkung des Binnenmarkts, die Bewahrung eines freien Außenhandels bis hin zu den großen Zukunftsfragen Klimaschutz und Migration. Wir wissen, wie viel für unsere beiden Länder in Europa auf dem Spiel steht. Ich bin dankbar, dass Finnland sich aktiv in die Debatten über die Zukunft Europas einbringt. Europa braucht die konstruktive Stimme Ihres Landes. Und Deutschland ist dankbar, Finnland an seiner Seite zu wissen.

Schließlich freue ich mich auch über die gute Zusammenarbeit bei der Sicherheit im Ostseeraum. Hier sind wir in den vergangenen Jahren von neuem vor Herausforderungen gestellt worden, die wir eigentlich überwunden glaubten. Ich denke, wir sind uns einig: Wir müssen klare Worte und eine klare Haltung gegenüber einem Russland finden, das seine Zukunft leider heute eher in Abgrenzung zu Europa als in Zusammenarbeit sieht. Deutschland befürwortet deshalb eine entschlossene Vertiefung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, in der Finnland eine wichtige Rolle zukommt, ebenso wie eine möglichst enge Partnerschaft Ihres Landes mit der NATO. Gleichzeitig müssen wir mit unserem unverrückbaren Nachbarn Russland im Gespräch bleiben und immer wieder Chancen zur Zusammenarbeit ausloten. Wo wüsste man das besser als hier in Finnland. Wir sehen mit großem Respekt, wie Ihnen das gelingt.

Meine Frau und ich haben heute schon sehr viel Gastfreundschaft und finnische Herzenswärme erlebt. Das ist nicht selbstverständlich, sondern es ist Ausdruck der hervorragenden Beziehungen zwischen den Menschen in unseren Ländern. Finnen verlieren selten viele Worte, aber sie haben viel zu bieten. Das gilt gerade bei schwierigen Themen. Ich denke an Fragen, die auch uns in Deutschland besonders umtreiben: an die Überwindung von gesellschaftlichen Gräben und Spaltungen, das Gefälle zwischen Stadt und Land, die Integration von Zugewanderten oder die Frage nach den Zukunftschancen unserer Kinder und Enkel. Wenn es um Bildung und Digitalisierung geht, dann ist Ihr Land immer eines der wichtigsten positiven Beispiele, das in der deutschen Debatte angeführt wird – und zwar zu Recht. Kurzum: Wir Deutsche kommen gern nach Finnland – und immer auch, um zu lernen. Wir spüren eine ganz besondere Zugewandtheit und Offenheit, mit der Sie und Ihre Landsleute uns Deutschen begegnen – dafür sind wir Ihnen sehr dankbar, und wir wollen sie gern erwidern.

Lassen Sie uns in diesem Sinne das Glas erheben: auf das Wohl von Staatspräsident Niinistö und Frau Jenni Haukio, auf das Wohl des finnischen Volkes, und auf das Versprechen, zusammenzustehen – für eine gute Zukunft unserer Länder und ein gutes Leben unserer Kinder, in einem freiheitlichen Europa.