Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Goslar an Sigmar Gabriel

Schwerpunktthema: Rede

Goslar, , 21. September 2018

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 21. September bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Goslar an Sigmar Gabriel eine Laudatio gehalten: "Im politischen Leben einer offenen Gesellschaft sollen und dürfen wir über die Kontroverse nicht erschrecken und sie nicht verdammen. Zur kontroversen Debatte gehören auch kontroverse Politiker. Entscheidend ist nicht, ob man aneckt, sondern wie und wofür man es tut."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Laudatio auf Sigmar Gabriel anlässlich der Verleihung des Ehrenbürgerrechts der Stadt Goslar an Bundesminister a. D. Sigmar Gabriel in Goslar

Städte ehren ihre großen Söhne – und hoffentlich auch ihre großen Töchter. Dass solche Ehrungen stattfinden, zählt zu den guten Traditionen unseres Landes. Ehrenbürgerwürde – ein alter Zopf! So mag mancher gespottet haben, der, wie der heute Geehrte – und auch sein Laudator – im Westen Deutschlands in den 1950er Jahren geboren wurde und dann im Sturm und Drang der späten 1960er- und 1970er-Jahre politisch wurde. Vielleicht ist uns dieser Spott damals leicht gefallen, weil man annehmen konnte, selbst nie in die Verlegenheit zu kommen, ausgezeichnet zu werden. Das war – wie wir heute sehen – voreilig. Aber damals war es sicher realistisch.

Denn so viel stimmt ja, dass der typische Ehrenbürger deutscher Städte über die längste Zeit unserer Geschichte schon von Geburt für höhere Weihen vorgesehen war. Das waren nicht die Kinder aus kleinen Verhältnissen. Es waren meistens die großen Familien, aus denen die großen Söhne stammten. Der ironische Protest gegen die gegenseitigen Ehrbezeugungen in der herrschenden Klasse – so hieß das um 1968 herum – er war also nicht ganz aus der Luft gegriffen.

Als Sigmar Gabriel Mitte der 1970er-Jahre einer antiautoritär-aufmüpfigen Jugendorganisation mit dem Namen Die Falken beitrat, da wollte er damit jedenfalls nicht Ehrenbürger seiner Heimatstadt Goslar werden. Er wollte vermutlich auch nicht gerade die Weltrevolution, aber doch etwas in dieser Richtung.

Eingeweihte berichten unter Quellenschutz, dass der bald zum Falkenvorsitzenden in Goslar und im Bezirk Braunschweig aufgestiegene Jugendgruppenleiter durch scharfe politische Grundsatzkritik an den herrschenden Verhältnissen gleichzeitig riskierte, dass dringend notwendige staatliche Zuwendungen für die von ihm organisierten Zeltlager in Gefahr gerieten. Doch der strafende Arm des Zuwendungsgebers blieb aus. Und die internationalen Jugendtreffen in Südfrankreich und quer durch Europa sollen durchweg legendär gewesen sein. Teilnehmer schwärmen bis heute davon.

Sie stimmen mir sicher zu, Herr Oberbürgermeister, dass dieser junge Revolutionär, der an allem Bestehenden rüttelte, damals nicht auf der Shortlist künftiger Ehrenbürger der Stadt stand.

Solche Ehren und noch vieles andere waren den Kindern aus den Arbeiter-, Handwerker- und Angestelltenfamilien der 1950er-Jahre nicht in die Wiege gelegt und nicht vorherbestimmt. Und Sigmar Gabriel trug noch zusätzlich die Last eines schwierigen Elternhauses, genauer: eines unbelehrbaren Vaters, so hat er ihn genannt.

In den 1950er-Jahren gab es für ihn wie für viele Kinder, deren Eltern kein Studium absolviert hatten – und das waren die meisten –, eine Menge Hürden. Weiterführende Bildung nicht nur als Berufsziel, sondern auch als Weg heraus aus einem engen Lebenskreis, Zugänge zum Erwerb von Fremdsprachen und internationale Erfahrungen blieben damals noch das Privileg einer Minderheit. Fast unsichtbar waren die Barrieren innerhalb einer Gesellschaft, die gleiche Chancen versprach und in Wahrheit doch weit entfernt davon war. Vor diesem Hintergrund vermittelten kirchliche genauso wie gewerkschaftliche oder politische Jugendorganisationen die Chance, die Beengtheiten der eigenen Herkunft zu überwinden.

Sich mit anderen zusammenzutun, vielleicht auch einer Partei beizutreten, war keine lahme Pflichtübung, sondern ein Schritt der Emanzipation. Es geschah in der Haltung, das zu verändern und zu verbessern, was als ungerecht erlebt wurde. Und verändert hat sich damals nicht nur das persönliche Schicksal dieser Generation, verändert und verbessert hat sich die Gesellschaft der Bundesrepublik als Ganzes.

Bildungsforscher sprechen vom sozialen Aufstieg, der seit den 1960er-Jahren für breitere Schichten begann. Dieser Begriff erfasst aber nicht, dass es um weit mehr als die Sprossen einer Karriereleiter ging. Es ging darum, das Schicksal selbst in die Hände zu nehmen und nicht andere über die eigene Zukunft bestimmen zu lassen. Und die Chance dazu sollte nicht nur für die eigene Person, sie sollte zugleich für alle Menschen möglich werden. Diese Idee führte viele aus der Generation der in den 1950er-Jahren Geborenen zur Politik. Und sie führte Sigmar Gabriel zu der Partei, der er heute seit mehr als 40 Jahren angehört – in guten wie in schlechten Tagen, eine Bindung für das Leben, weil sie für ihn wie für viele andere seiner Generation das Leben verändert und den Himmel weiter gemacht hat.

Sigmar Gabriel strebte schon mit den Falken in die Welt, lange bevor er für Deutschland in Ministerämter mit internationaler Verantwortung eintrat. Und doch hielt er auf eine besondere Art seiner Heimat Goslar die Treue. Dieses Vermögen, die Grenzen der eigenen Herkunft zu überschreiten, und doch verbunden zu bleiben mit der eigenen Stadt – dieses Vermögen ist etwas ganz Ungewöhnliches. Zumal in einer Zeit, in der solche Bindungen flüchtig zu werden scheinen und sich Heimatverbundenheit geradezu rechtfertigen muss. Es hat etwas Unangepasstes und Eigenwilliges, die Alltagsinteressen der Menschen in der Heimat trotz höherer Ämter nicht gering zu schätzen. Kurz: Nicht zu vergessen, wo man herkommt, und die Menschen zu achten, die noch immer dort leben. Darum geht es. Bei allem, was über den Spitzenpolitiker Gabriel gesagt und geschrieben worden ist, ist niemandem diese geradezu unzeitgemäße und gerade deshalb vorbildliche Eigenschaft jemals – soweit ich weiß – ein Wort wert gewesen.

Deshalb, Herr Oberbürgermeister, meine ich: Die Auszeichnung, die Sie an Sigmar Gabriel für Verdienste um Ihre Stadt verleihen, hat eine Bedeutung, die über Goslar hinausreicht. Es geht um die Bereitschaft und die Fähigkeit, den Wünschen und Hoffnungen ebenso wie den Befürchtungen der Bürger nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe zu begegnen. Die Ehrenbürgerwürde Ihrer Stadt schafft zur richtigen Zeit Aufmerksamkeit für diese politische Tugend, die unsere Gesellschaft heute wertschätzen sollte. Und genau das bringen Sie mit dieser Ehrung zum Ausdruck. Dafür bin ich Ihnen dankbar.

Heute Abend sind zahlreiche Weggefährten und Freunde des Geehrten im Saal, die berufener sind als ich, um Auskunft über seinen Eintritt in die Kommunalpolitik als Mitglied des Kreistages und des Stadtrates Goslar zu geben. Ich bin sicher, dass auch da so manche Anekdote aus jungen und wilden Anfängen zu heben und im weiteren Verlauf des Abends noch zu hören ist.

Aber über die niedersächsische Landespolitik will und muss ich sprechen, denn dort haben wir uns kennengelernt. Es waren die 1990er-Jahre. Niedersachsen war nicht nur ein wunderschönes Flächenland mit Hannover als gerne unterschätzter Landeshauptstadt. Es war vor allem politisch etwas los im Land. Seit 1990 regierte ein Ministerpräsident mit ganz erheblichen Ambitionen, doch das soll heute nicht das Thema sein. Denn dass Niedersachsen in dieser Zeit zu einem Jagdgrund für Journalisten geworden ist, ein Jagdgrund, in dem man immer Schlagzeilen witterte, lag zu einem guten Teil auch am politischen Nachwuchs im Land. Als Abteilungsleiter und später als Chef der Staatskanzlei hatte ich zwar weniger die Rolle der Nachwuchspflege, aber irgendwie hatte ich doch damit zu tun. Und das lag wiederum an diesem aufstrebenden Ministerpräsidenten, der sagte Frischer Wind ist gut im Landtag, sogar notwendig, aber am Ende muss regiert werden. Behalte die zwei jungen Wilden da im Landtag mal im Auge. Die zwei waren 1990 eingezogen. Der eine hieß Thomas Oppermann, der andere war – wer auch sonst – Sigmar Gabriel.

Als er 1994 innenpolitischer Sprecher, dann stellvertretender und später Vorsitzender der Landtagsfraktion wurde, fehlte es jedenfalls dort in dieser Zeit nicht an parlamentarischem Selbstbewusstsein. Das Struck’sche Gesetz, demzufolge jede Regierungsvorlage das Parlament anders verlässt als sie hineingeht, galt jedenfalls damals schon im niedersächsischen Landtag, lange bevor es dann später in Berlin erfunden worden ist. Anders aber war damals die finanzielle Situation von Bund und Ländern. Es war damals die Zeit der Haushaltsengpässe. Ich erinnere mich gut, dass wir im Goslaer Garten der Familie Gabriel unter dem Apfelbaum saßen und dabei über Haushalts- und Steuerpolitik stritten als hätte es den Westfälischen Frieden nie gegeben.

Sigmar Gabriel hielt schon damals fulminante Reden. Er konnte politische Gegner aus der Reserve locken. Manch einer wird sagen: Gabriel hat politische Konkurrenten zur Weißglut getrieben. Manch anderer wird hinzufügen, dass es gelegentlich auch politische Freunde traf. So wie es die Zeit- und Weggenossen gibt, die darunter gelitten haben, so gibt es die anderen, die fasziniert waren und sind von dem, was über Sigmar Gabriel als political animal gesagt und geschrieben worden ist. Sigmar Gabriel handelte impulsiv, kämpferisch, drängend. Vorschläge gingen ihm nicht weit, Prozesse nicht schnell genug. Er war ein politischer Unruheherd, der immer unter Feuer stand. Und was damals in Hannover begann, fand – wie jeder weiß – seine Fortsetzung in noch höheren politischen Sphären.

Was uns beide betrifft, so sind wir erkennbar nicht die gleichen. Beide stammen wir aus Familien, die es nicht so dicke hatten. Beide sind wir Kinder der Bundesrepublik und teilen die Erfahrungen des politischen Aufbruchs dieser Republik seit den späten 1960er- und 1970er-Jahren. Dennoch sind unsere Wege unterschiedlich verlaufen. Auch wo die politischen Ziele ähnlich waren, die Temperamente – das ist manchmal nicht zu vermeiden – waren verschieden. Wir sind wahrlich nicht immer einer Meinung gewesen. Darüber haben Zeitungen oft geschrieben. Wenig haben sie darüber geschrieben, dass der Respekt füreinander – und das ist selten geworden im politischen Alltag – auch im Streit geblieben ist und dass wir darüber immer wieder zueinander gefunden haben.

Im politischen Leben einer offenen Gesellschaft sollen und dürfen wir über die Kontroverse nicht erschrecken und sie nicht verdammen. Zur kontroversen Debatte gehören auch kontroverse Politiker. Entscheidend ist nicht, ob man aneckt, sondern wie und wofür man es tut. Da gibt es in der Tat Unterschiede.

Wer Angst erst schürt und dann ausbeutet, wer das Tragen von Verantwortung lächerlich oder verächtlich macht, wer die Demokratie als System verunglimpft und sich dabei taub stellt gegen das Echo unserer Geschichte – der spaltet das Land! Ein solcher Angriff auf das friedliche Zusammenleben darf nicht unwidersprochen bleiben.

Wer aber zur Sache streitet und um bessere Lösungen ringt, wer bereit ist, sich nicht in den Wind zu drehen und Interessenkonflikte auszuhalten, der tut etwas, von dem ich glaube, dass es für jede Demokratie geradezu lebensnotwendig ist. Und Politiker, die dazu trotz Anfeindungen bereit sind, sind vor allem eines: Sie sind Demokraten! Mutige dazu, finde ich. Und Mut zur Demokratie brauchen wir in diesen Tagen, in diesen Zeiten mehr denn je.

Sigmar Gabriel hat von sich selbst gesagt, sein wichtigstes politisches Amt sei der siebenjährige Vorsitz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gewesen. Sein Weg ist dabei sicher nicht arm an Ämtern: Ministerpräsident, Bundesumweltminister, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, deutscher Außenminister. Das sind hohe Aufgaben. Und doch bekennt er sich dazu, ein Mann der Parteiendemokratie zu sein.

Das kann und darf der Bundespräsident kraft Verfassung nicht. Der Bundespräsident übt sein Amt überparteilich aus. Er handelt parteipolitisch neutral. Seine Aufgabe, meine Aufgabe, ist es, nicht das Trennende, sondern das Einende in der Demokratie stark zu machen. Und ich bin überzeugt, wir brauchen die Einheit der Demokraten in diesem Lande mehr denn je zuvor.

Nur, überparteiliche Amtsführung – darauf lege ich Wert – heißt für den Bundespräsidenten nicht, im Gegensatz zu den Parteien zu handeln oder gar Ressentiments gegen Parteien zu bedienen.

Parteipolitiker haben in unserer politisch-medialen Öffentlichkeit keinen guten Ruf. Man unterstellt ihnen durchweg und fast ohne Ausnahme Ideologie, Ahnungslosigkeit, Abgehobenheit und noch vieles andere mehr. Nichts ist leichter, als auf dieser Welle mitzureiten. Doch für unsere Demokratie wäre damit nichts gewonnen.

Unsere Verfassung kennt und nennt die Parteien. Und das hat seine guten Gründe. Denn demokratische Parteien verbinden die Bürger mit dem Staat. Das ist ihre Aufgabe.

Wo sie opponieren, da transportieren sie Kritik aus der Gesellschaft und setzen die Regierenden unter Rechtfertigungsdruck. Wo sie kraft Wahl regieren, vermitteln sie die Ausübung von legitimer Macht. Gerade in schwierigen Fragen, bei denen die Interessen im Streit miteinander liegen, haben es insbesondere die Volksparteien in der Vergangenheit immer wieder vermocht, Verantwortung zu tragen und Brücken zu bauen. Das ist es nicht allein, aber zu einem Teil, dass es in dieser Republik in den letzten 60 Jahren relativ stabil zugegangen ist.

Heute, auch das gehört zur Wahrheit, sind die Volksparteien unter Druck, vielleicht ist sogar das Konzept der Volksparteien angefochten. Und selbstverständlich ist es Aufgabe der Parteien selbst, die Bevölkerung von ihrer Notwendigkeit zu überzeugen. Gleichwohl muss es uns Sorge bereiten, mit welcher Intensität mancherorts das Ende der Volksparteien herbeigeschrieben wird, so als hätten wir den demokratieerhaltenden Ersatz für sie schon parat. Ich glaube, dass auch die Haltung von Sigmar Gabriel aus einer solchen Sorge, dass wir den Ersatz für die Volksparteien nicht haben, getrieben ist.

Für die Haltung von Sigmar Gabriel spricht der vielen in Erinnerung gebliebene Auftritt, als er vor nun schon fast einem Jahrzehnt den Parteivorsitz der SPD übernahm. Seine Dresdner Rede von 2009 war im Kern ein dramatischer Appell an die Funktionäre, die Fühlung zu den eigenen Wählern nicht zu verlieren. Dort sein, wo das Leben hart, unversöhnlich, voller Konflikte und Ungerechtigkeiten ist, diese Haltung erklärte er, damals in dieser Rede, zum Daseinszweck seiner Partei.

Heute, bald zehn Jahre später, steht aller Politik und allen Volksparteien vor Augen, dass damit kein enges Parteiinteresse ausgesprochen war, sondern vielmehr eine Voraussetzung für die Zukunft unserer Demokratie als Ganzes. Volksparteien überleben nur, wenn sie als Parteien des Volkes in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt sind. Sigmar Gabriel hat das provokanter als andere formuliert, aber vielleicht eben auch früher als andere gesehen. Wer sich damals nur von der Provokation belästigt fühlte, hat die Botschaft überhört. Aber auf die Botschaft kam es an und auf die Botschaft kommt es an – heute mehr denn je.

Denn es gibt Defizite. Und wir sollten dabei nicht nur auf Fragen der Migration blicken. Misstrauen und Distanz zur Politik sind gewachsen, weil bei allem wirtschaftlichen Erfolg auch gleichzeitig viele Konflikte noch ungelöst sind. Es gibt Städte, in denen Kriminalität ein Thema ist, in denen sich die Menschen unsicher fühlen und mehr Schutz vom Staat erwarten. Es gibt steigende Mieten bei stagnierenden Einkommen. Es gibt Regionen, in denen die Menschen befürchten, den Arzt nicht rechtzeitig zu erreichen und im Alter ohne Hilfe zu sein. So etwas wühlt auf. Und darauf müssen Politiker, muss die Politik Antworten geben.

In der Demokratie ist nichts perfekt. Es ist ein Wesenszug der Demokratie, dass sie nie vollendet ist. Trotzdem, und das macht zuversichtlich, will die Mehrheit der Menschen in der Demokratie leben. Wir sollten also nicht denen auf den Leim gehen, die nur Protest schreien. Aber wir müssen Acht geben, dass wir nicht in Gegensätze hineintreiben in dieser Gesellschaft, die irgendwann unüberbrückbar werden könnten. Nichts darf unter den Tisch gekehrt werden. Alles muss auf den Tisch. Am Ende kommt es auf etwas Drittes an: An diesem Tisch muss diese Gesellschaft mit sich selbst wieder ins Gespräch kommen. Durch Brüllen auf den Straßen wird nichts entschieden.

Nicht nur der Parteipolitiker, auch der Bundesminister Gabriel hat gewusst, dass wir mit dieser drängenden politischen Aufgabe in Europa nicht allein sind.

Europa war ihm in der Regierung und insbesondere in seiner Außenministerzeit ein Herzensanliegen.

Auch die Schwäche der europäischen Idee, die wir erleben und erleiden, spiegelt im Grunde genommen die Schwäche und den Vertrauensverlust der demokratischen Institutionen in allen europäischen Mitgliedsländern nur wider. Europapolitik, mit anderen Worten, das war sein Credo, muss die gesellschaftlichen Wurzeln des neu aufkommenden Nationalismus sehr viel genauer, sehr viel entschiedener in den Blick nehmen. Das zu tun, bedeutet, die sozialen Risse zu heilen, ehe sie zu giftigen Ressentiments werden.

Herr Oberbürgermeister, die Ehrenbürgerwürde erinnert an politische Anfänge und an bleibende Verbundenheit mit Goslar. Wer genau darauf schaut, entdeckt in beidem einen Wesenszug, der Sigmar Gabriel von Goslar nach Hannover und weiter nach Berlin und die Hauptstädte der Welt begleitet hat: das unmittelbare Interesse, wie die Menschen leben, und das gerade dort, wo man die Verhältnisse nicht so lassen kann, wie sie sind. Daher die Unruhe, daher das immer brennende politische Feuer, das man einem wie ihm nicht austreiben kann.

Lieber Sigmar, zu Deinen gefürchteten Leidenschaften gehört das Schreiben. Man hört, dass gestandene Redakteure maßgeblicher Nachrichtenmagazine mit Neid auf Dein Publikationstempo schauen.

Die Zeit nach den politischen Ämtern also als Ruhestand bezeichnen zu können, darauf hoffen alle vergebens. Grabesstille ist unwahrscheinlich.

Auf Deine Stimme zu setzen, wo die Sache der Demokratie in Europa starke Streiter braucht, das ist allemal die bessere Wette!

Herzlichen Glückwunsch zur Ehrenbürgerwürde.