Ausstellungseröffnung "Beckmann. Exile Figures"

Schwerpunktthema: Rede

Madrid/Spanien, , 24. Oktober 2018

Der Bundespräsident hat am 24. Oktober bei der Ausstellungseröffnung "Beckmann. Exile Figures" in Madrid eine Ansprache gehalten: "Diese Ausstellung erinnert uns daran, woher Europa kommt. Und sie mahnt uns, das zu schützen, was wir in jahrzehntelanger Arbeit am europäischen Friedensprojekt erreicht haben. Leider rückt für viele Menschen dieser zentrale Wert des vereinten Europas, nämlich siebzig Jahre Frieden, in den Hintergrund, oder gerät ganz und gar in Vergessenheit."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache bei der Ausstellungseröffnung 'Beckmann. Exile Figures' im Museum Thyssen-Bornemisza in Madrid anlässlich des Besuchs im Königreich Spanien

Wer die Kunst und Madrid schätzt, der kommt an einem Besuch des Museums Thyssen-Bornemisza nicht vorbei. Beides trifft auf mich zu, und deswegen freue ich mich sehr, heute Abend hier zu sein. Herzlichen Dank für die Einladung!

Von den Ankündigungen dieser Ausstellung, im Internet und auf Plakaten, blickt uns der Protagonist entgegen: Max Beckmann mit seiner Frau Quappi, Doppelbildnis Karneval, gemalt im Jahr 1925. Beckmann ist frisch verliebt, seine Kunst erfährt internationalen Erfolg, die Berufung an die Städelsche Kunstschule in Frankfurt hat er in der Tasche – hoffnungsfrohe Zeiten. Schön wird unser Brautbild, schreibt Max Beckmann über das Doppelbildnis Karneval an seine Frau, ich denke immer an Dich und unser Bild.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten gerät diese Welt ins Wanken. Beckmann verliert seine Professur, darf seine Werke nicht mehr ausstellen. Noch hofft er, mit seiner Arbeit, wie er in seinen Tagebüchern notiert, über den Irrsinn der Zeit hinwegzukommen, irgendwie durchzuhalten, im inneren Exil der Repression zu entgehen. Mit dieser Schaffenszeit beschäftigt sich der erste Teil dieser Ausstellung.

Am 19. Juli 1937 jedoch bricht Beckmanns Welt endgültig zusammen. An diesem Tag eröffnet eine Ausstellung in München, die uns bis heute beschämt: Entartete Kunst nannten die Nationalsozialisten ihre Propagandaschau. Ich zitiere den Namen, damit Sie wissen, worauf ich mich beziehe. Ansonsten halte ich es mit Beckmann, der Wert darauf legte, man soll nicht den lächerlichen Titel immer wieder selbst anwenden, den diese Esel geprägt haben. Es heißt eben deutsche Kunst. Das Wort deutsch übrigens hat er in jenem Brief stolz und trotzig unterstrichen.

Doch die Nationalsozialisten sprechen allen Andersdenkenden und Andersschaffenden nicht nur ihre künstlerische Freiheit ab – nein, sogar ihr Deutschsein. Die Ästhetik des Kubismus oder des Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit oder des Dadaismus passte nicht in das totalitäre Menschenbild der neuen Machthaber.

Künstlerinnen und Künstler wie Otto Dix, Max Ernst, Paul Klee, Oskar Kokoschka und Käthe Kollwitz werden beschimpft – man schämt sich diese Worte in den Mund zu nehmen, aber ich zitiere sehr bewusst aus der Rede des Präsidenten der sogenannten Reichskammer der Bildenden Künste, zur Eröffnung jener Ausstellung – sie werden beschimpft als Ausgeburten des Wahnsinns, der Frechheit, des Nichtkönnens und der Entartung.

Alle in solcher Weise verdammten Künstlerinnen und Künstler werden ausgegrenzt und verfolgt. Über 20.000 Werke von etwa 1.400 Künstlern werden beschlagnahmt. Viele von ihnen sind heute in Vergessenheit geraten, aus der Kunstgeschichte getilgt, für immer verloren.

Max Beckmann wird zu einer Hauptzielscheibe nationalsozialistischer Kulturpolitik. Mehrere seiner Werke, darunter Doppelbildnis Karneval, sind unter den Exponaten der Nazi-Propagandaschau. Insgesamt 590 Werke Beckmanns werden aus Museen in Deutschland beschlagnahmt, zwangsenteignet, zum Teil verbrannt.

Das innere Exil ist seit diesem Tag keine Option mehr. Für uns blieb nur eins, schreibt Beckmanns Frau in ihren Memoiren, Deutschland sofort zu verlassen. Am nächsten Tag fliehen die Beckmanns in die Niederlande – es beginnt die Zeit des äußeren Exils, und damit der zweite Teil dieser Ausstellung.

Das Exil wird zu Max Beckmanns schwierigster Lebens-, aber auch seiner produktivsten Schaffensphase. Die Isolierung führt zu einer gesteigerten Arbeitswut, als ob sich Beckmann damit gegen die Entwurzelung zur Wehr setze. Es war, schreibt er in einem Brief, eine wahrhaft groteske Zeit, angefüllt mit Arbeit, Naziverfolgung, Bomben, Hunger und immer wieder Arbeit.

Diese Erfahrung ging nicht spurlos am Künstler, und sie ging nicht spurlos an der Kunst vorbei. Beckmanns Kunst war wahrhaft eine Untergrundbewegung geworden, notierte sein Mäzen Stephan Lackner.

Dann ist der Krieg endlich vorbei – Nazideutschland besiegt. Aber Beckmann kehrt nicht zurück nach Deutschland, er geht wieder ins Exil, dieses Mal in das frei gewählte, die Vereinigten Staaten von Amerika. Es beginnt die letzte Phase seines Schaffens und Ihrer Ausstellung.

Max Beckmann ist zweifellos einer der bedeutendsten deutschen Künstler des vergangenen Jahrhunderts. Jenseits des Expressionismus gehört er zu den wichtigsten Vertretern der Neuen Sachlichkeit, die neue, moderne Ausdrucksformen in der Kunst prägten. Mit seinem figurenstarken Stil, seiner mythenschaffenden Malerei und seinen raumgreifenden Triptychen ist Beckmann zu einer Ikone der Moderne geworden.

Die Werke, die das Museum Thyssen-Bornemisza für diese beeindruckende Werkschau zusammengestellt hat, lassen erahnen, wie sehr der Weg der Emigration vom Gefühl der Verlorenheit geprägt ist – emotionale Entwurzelung, sprachliche Barrieren, materieller Verlust. Wer es ins Exil schaffte, hatte oftmals nicht mehr gerettet als die nackte Existenz.

Beckmanns scharfer Blick auf sein eigenes Schicksal von Flucht und Exil geht unter die Haut. Und er lenkt unweigerlich unseren Blick auf die Gegenwart. In der unmittelbaren Nachbarschaft Europas sind heute Künstler, Intellektuelle, Wissenschaftler und Journalisten der Verfolgung ausgesetzt. Viele von ihnen finden in Spanien und Deutschland Schutz.

Das Recht auf Asyl, der Schutz derer, die vor Krieg, Gewalt und politischer Verfolgung fliehen, ist eine Verpflichtung, der sich die Völkergemeinschaft nach dem Unrecht und Schrecken jener Zeit gemeinsam verschrieben hat.

Und für uns Deutsche ist sie mehr als das: Sie gehört zur Verantwortung, die aus unserer Geschichte erwächst, und unter die es keinen Schlussstrich gibt!

Figuren im Exil – dieser Titel passt zum Werk Beckmanns. Und diese Ausstellung passt hierher, ins Museum Thyssen-Bornemisza. Jorge Semprún, der große Literat und Widerstandskämpfer, hatte als Kulturminister maßgeblichen Anteil daran, das Museum Thyssen-Bornemisza nach Madrid zu holen.

Ich erinnere mich noch gut an den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Jahr 2003, als Jorge Semprún zu uns im Deutschen Bundestag sprach – über sein eigenes Erleben, über die Bedeutung des Erinnerns und des Widerstands gegen den Faschismus. Und über die Rolle Europas als Garanten dafür, dass sich die Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nie wiederholen.

Diese Ausstellung erinnert uns daran, woher Europa kommt. Und sie mahnt uns, das zu schützen, was wir in jahrzehntelanger Arbeit am europäischen Friedensprojekt erreicht haben. Leider rückt für viele Menschen dieser zentrale Wert des vereinten Europas, nämlich siebzig Jahre Frieden, in den Hintergrund, oder gerät ganz und gar in Vergessenheit. Erst recht jungen Menschen mag es so vorkommen, als sei dieser Frieden geradezu selbstverständlich, als könne es nicht anders sein. Wer durch diese Ausstellung geht, dem wird schmerzhaft bewusst, dass es sehr wohl anders sein kann – und der wird zutiefst dankbar sein für den Frieden, sogar die Freundschaft, in der wir heute in Europa miteinander leben. Nicht nur deshalb wünsche ich dieser Ausstellung viele Besucherinnen und Besucher!

Viele haben daran mitgewirkt, diese wunderbare Ausstellung auf die Beine zu stellen. Mein Dank richtet sich stellvertretend für viele an den Präsidenten des Vorstands, Kulturminister José Guirao und an die Vizepräsidentin, Baronin Carmen Thyssen-Bornemisza. Ganz besonders danke ich der Enkelin von Max Beckmann, Mayen Beckmann, die uns heute hier begleitet. Sie hat durch ihren steten Einsatz für den Nachlass ihres Großvaters diese Ausstellung erst möglich gemacht.

Ich freue mich, die Ausstellung jetzt mit Ihnen zu entdecken. Herzlichen Dank!